Aktenzeichen 13a ZB 18.32368
Leitsatz
Angehörige der Volksgruppe der Hazara unterliegen in Afghanistan weder einer Gruppenverfolgung, noch stellt diese Volkszugehörigkeit einen individuellen Gefahrerhöhenden Umstand dar. (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
M 18 K 17.35696 2018-05-15 Urt VGMUENCHEN VG München
Tenor
I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Kläger hat die Kosten des Antragsverfahrens zu tragen.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Gründe
Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 15. Mai 2018 hat keinen Erfolg. Zulassungsgründe nach § 78 Abs. 3 AsylG sind nicht gegeben.
Der Kläger hat seinen Zulassungsantrag damit begründet, dass die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung habe (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG). So sei klärungsbedürftig,
– ob „afghanische Staatsangehörige hazarischer Volkszugehörigkeit, die im Iran gelebt hatten und über das westliche Ausland als abgelehnte Asylbewerber nach Afghanistan zurückkehren, als solche in Afghanistan identifizierbar [sind].“
– ob „diese Identifizierbarkeit ggf. Folgen für das alltägliche Leben dieser Person, insbesondere im Hinblick auf die Eingliederung in die Gesellschaft, Finden einer Unterkunft und einer Arbeitsstelle [hat]. Gibt es Unterschiede, ob die Person sich in einer Großstadt oder auf dem Land niederlässt? Welche Rolle spielt die ethnische oder religiöse Zugehörigkeit?“
– ob „für Personen hazarischer Volkszugehörigkeit, die im Iran gelebt hatten und über das westliche Ausland als abgelehnte Asylbewerber nach Afghanistan zurückkehren, ein erhöhtes Risiko [besteht], Opfer gewaltsamer Übergriffe zu werden.“
– ob „ein junger alleinstehender Mann hazarischer Volkszugehörigkeit, der Afghanistan im Kindesalter verlassen hat und im Iran aufgewachsen ist, ohne gesundheitliche Beeinträchtigungen, Berufsausbildung sowie ohne Vermögen und familiäres Netzwerk in der Lage [ist], in Großstädten wie Kabul oder Herat ein Existenzminimum zu erwirtschaften.“
Zwar habe der Verwaltungsgerichtshof zu den aufgeworfenen Fragen bereits Stellung genommen (BayVGH, B.v. 3.11.2017 – 13a ZB 17.30625 – juris). Diese Auffassung sei jedoch im Lichte der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur besonderen Lage in Afghanistan (vgl. etwa BVerfG, B.v. 27.3.2017 – 2 BvR 681/17 – juris Rn. 11) laufend zu überprüfen und bei Bedarf zu korrigieren. So habe etwa das Verwaltungsgericht Kassel im Lichte des Lageberichts des Auswärtigen Amts vom 31. Mai 2018 zwischenzeitlich ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK für einen alleinstehenden afghanischen Mann ohne soziales Netzwerk im Heimatland bejaht und dies mit der unzureichenden Versorgungslage in Afghanistan begründet (VG Kassel, U.v. 8.6.2018 – 3 K 406/16.KS.A – juris). Zudem sei auf das Gutachten von Stahlmann vom 28. März 2018 an das Verwaltungsgericht Wiesbaden zu verweisen, wonach Rückkehrer nach Afghanistan ohne soziale Netzwerke besonders gefährdet seien. Hinsichtlich der letzten Frage habe bereits das Oberverwaltungsgericht Niedersachsen die Berufung zugelassen (NdsOVG, B.v. 25.6.2018 – 9 LA 43/18 – juris). Die aufgeworfenen Fragen hätten auch Bedeutung über den Einzelfall hinaus.
Der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG) setzt voraus, dass die im Zulassungsantrag dargelegte konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts von Bedeutung war, ihre Klärung im Berufungsverfahren zu erwarten und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zur Weiterentwicklung des Rechts geboten ist und ihr eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 124 Rn. 36). Die Grundsatzfrage muss nach Maßgabe des Verwaltungsgerichtsurteils rechtlich aufgearbeitet sein. Dies erfordert regelmäßig eine Durchdringung der Materie und eine Auseinandersetzung mit den Erwägungen des Verwaltungsgerichts (vgl. BayVGH, B.v. 21.12.2018 – 13a ZB 17.31203 – juris Rn. 4; B.v. 13.8.2013 – 13a ZB 12.30470 – juris Rn. 4 m.w.N.).
Hiervon ausgehend hat die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung.
Der Kläger verfehlt insoweit die Darlegungsanforderungen aus § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG, als er sich im Zulassungsantrag nicht hinreichend mit den Erwägungen des Verwaltungsgerichts zur Sicherheitslage und zur humanitären Lage in Afghanistan (UA S. 9 ff.) fallbezogen auseinandersetzt, vielmehr lediglich auf diverse Urteile, Erkenntnismittel und sonstige Unterlagen verweist, ohne konkret aufzuzeigen, welche in diesen enthaltenen tatsächlichen Angaben im Einzelnen von welchen tatsächlichen Annahmen im Urteil des Verwaltungsgerichts abweichen sollen.
Unabhängig davon sind die klägerseitig aufgeworfenen Fragen nicht klärungsbedürftig. Es ist in der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs geklärt, dass für aus dem europäischen Ausland zurückkehrende volljährige, alleinstehende und arbeitsfähige afghanische Staatsangehörige angesichts der aktuellen Auskunftslage im Allgemeinen derzeit weiterhin nicht von einer Gefahrenlage auszugehen ist, die zur Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 AsylG oder eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG führen würde (BayVGH, U.v. 14.11.2019 – 13a B 19.31153 und 13a B 19.33359 – juris; Fortführung der bisherigen Rechtsprechung). Die genannte Rechtsprechung erfordert nicht das Vorhandensein eines familiären oder sonstigen Unterstützungsnetzwerks im Heimatland. Sie gilt zudem auch für Volkszugehörige der Hazara wie den Kläger, selbst wenn sie im Ausland – etwa im Iran – geboren bzw. aufgewachsen sind oder eine längere Zeit dort gelebt haben, soweit sie eine der afghanischen Landessprachen beherrschen (vgl. BayVGH, U.v. 14.11.2019 – 13a B 19.31153 – juris Rn. 25; U.v. 8.11.2018 – 13a B 17.31918 – juris; B.v. 21.12.2018 – 13a ZB 17.31203 – juris Rn. 6). Insbesondere unterliegen nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs Hazara in Afghanistan keiner an ihre Volks- oder Religionszugehörigkeit anknüpfenden gruppengerichteten politischen oder religiösen Verfolgung (BayVGH, B.v. 21.3.2019 – 13a ZB 18.32786 – n.v.; B.v. 14.8.2017 – 13a ZB 17.30807 – juris Rn. 17; B.v. 4.1.2017 – 13a ZB 16.30600 – juris; U.v. 3.7.2012 – 13a B 11.30064 – juris). Auch ergibt sich kein individueller gefahrerhöhender Umstand aus der bloßen Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Hazara (BayVGH, U.v. 8.11.2018 – 13a B 17.31918 – juris Rn. 36).
Der Zulassungsantrag gibt insoweit keinen Anlass zu einer erneuten Überprüfung. Der Verwaltungsgerichtshof hat sich in den oben genannten Urteilen vom 14. November 2019 (13a B 19.31153 und 13a B 19.33359 – juris) explizit mit den aktuellen Erkenntnismitteln wie etwa dem Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 2. September 2019, dem UNAMA-Bericht vom 17. Oktober 2019, den EASO-Berichten vom 1. Juni 2019, den UNHCR-Richtlinien vom 30. August 2018 und dem Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe (SFH) vom 12. September 2019 auseinandergesetzt und diese bei seiner Bewertung u.a. der Sicherheitslage und der humanitären Lage berücksichtigt. Auch aus dem neuesten UNAMA-Bericht vom 22. Februar 2020 (UNAMA, Afghanistan Annual Report on Protection of Civilians in Armed Conflict: 2019) ergibt sich kein erneuter Überprüfungsbedarf. Die dort ausgewiesenen zivilen Opferzahlen für das Jahr 2019 sind im Vergleich zum Vorjahr 2018 um 5 v.H. zurückgegangen und befinden sich auf dem niedrigsten Stand seit 2013. Bei einer Gesamtzahl konfliktbedingter ziviler Opfer im Jahr 2019 von 10.392 (3.403 Todesopfer; 6.989 Verletzte) und einer zugunsten des Klägers konservativ geschätzten Einwohnerzahl Afghanistans von nur etwa 27 Mio. Menschen ergibt sich hieraus ein konfliktbedingtes Schädigungsrisiko von 1:2.598. Dieses bleibt deutlich unter 1:800 und damit unverändert weit von der Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit entfernt (vgl. BVerwG, U.v. 17.11.2011 – 10 C 13.10 – NVwZ 2012, 454 – juris Rn. 22 f.).
Soweit der Kläger vorliegend auch und gerade rügen sollte, dass das Verwaltungsgericht in seinem Fall zu Unrecht die Voraussetzungen eines Schutzstatus verneint habe, ist darauf hinzuweisen, dass ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils keinen Zulassungsgrund nach § 78 Abs. 3 AsylG darstellen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylG.