Aktenzeichen 3 ZB 18.2154
VwGO § 108 Abs. 1 S. 1
Leitsatz
1. Der Beamte, der die Festsetzung eines erhöhten Unfallruhegehalts erreichen will, trägt für das Vorliegen einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 50 v.H. infolge des Dienstunfalls bei Versetzung in den Ruhestand die materielle Beweislast, wobei ihm allgemein anerkannte Beweiserleichterungen zu Gute kommen können, wenn deren Voraussetzungen vorliegen. (Rn. 5) (redaktioneller Leitsatz)
2. Weder der Untersuchungsgrundsatz noch die Fürsorgepflicht verpflichten den Dienstherrn grundsätzlich, den Beamten über die Möglichkeiten der Beweissicherung zu belehren oder solche Maßnahmen vorsorglich für den an sich (materiell) beweisbelasteten Beamten zu veranlassen. (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
M 12 K 17.4755 2018-04-19 Urt VGMUENCHEN VG München
Tenor
I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 52.135,26 Euro festgesetzt. In Abänderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts München vom 19. April 2018 wird der Streitwert für den ersten Rechtszug auf 51.193,86 Euro festgesetzt.
Gründe
Mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt der Kläger sein in erster Instanz erfolgloses Rechtsschutzbegehren weiter, ihm ein erhöhtes Unfallruhegehalt (seit 1.1.2017) zu bezahlen.
Der allein auf den Zulassungsgrund ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) gestützte Antrag bleibt ohne Erfolg.
1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils des Verwaltungsgerichts i.S.v. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO bestehen auf der Grundlage des Zulassungsvorbringens nicht. Ernstliche Zweifel im Sinne dieser Vorschrift, die die Zulassung der Berufung rechtfertigen, sind zu bejahen, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird und die Zweifel an der Richtigkeit einzelner Begründungselemente auf das Ergebnis durchschlagen. Dies ist vorliegend nicht der Fall.
Das Verwaltungsgericht hat die Verpflichtungsklage auf Gewährung eines erhöhten Unfallruhegehalts gem. Art. 54 Abs. 1 Satz 1 BayBeamtVG unter Aufhebung des Bescheides vom 3. April 2017 und Widerspruchsbescheides vom 12. September 2017 abgewiesen, weil der Kläger bei Versetzung in den Ruhestand mit Ablauf des 31. Dezember 2016 nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit in der Erwerbsfähigkeit um mindestens 50 v.H. beschränkt gewesen sei. Der als sachverständige Zeuge in der mündlichen Verhandlung vernommene Polizeiarzt komme nach Untersuchung des Klägers am 9. März 2017 in seinem Gutachten vom 24. März 2017 mit ergänzender Stellungnahme vom 2. August 2017 zu dem Ergebnis, dass (erst) ab dem 1. Januar 2017 bei dem Kläger von einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 50 v.H. ausgegangen werden könne. Das Störungsbild mit ängstlich depressiver Symptomatik sowie erheblich psychisch emotionaler Beeinträchtigung habe sich seit der letzten Untersuchung im August 2016 weiter verschlechtert und durch die Frühpensionierung verstärkt. Als Beginn der MdE von 50 v.H. sei der Januar 2017 gewählt worden, da sich die neu hinzugekommene Beschwerdesymptomatik mit der tatsächlichen Ruhestandsversetzung und nicht bereits mit dessen Beantragung entwickelt habe. Aus Sicht des Erstgerichts sei der Beginn der MdE von 50 v.H. zugunsten des Klägers auf den ersten Tag des Ruhestands datiert worden, weil davon auszugehen sei, dass sich die Symptomatik nicht plötzlich über Nacht, sondern vielmehr schleichend nach der Versetzung in den Ruhestand bis zur Untersuchung durch den Polizeiarzt im März 2017 entwickelt habe.
Mit seinem Vorbringen, ihm seien Beweiserleichterungen zuzugestehen, weil ihm die Beweisführung dadurch unmöglich bzw. erschwert worden sei, dass er nicht zeitnah zum Zeitpunkt der Ruhestandsversetzung (31.12.2016), sondern erst am 9. März 2017 polizeiärztlich untersucht wurde, vermag der Kläger das Urteil nicht in seiner Richtigkeit zu erschüttern. Nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung gelten im Dienstunfallrecht die allgemeinen Beweisgrundsätze (vgl. u.a. BVerwG, U.v. 28.4.2011 – 2 C 55.09 – juris Ls. 1, Rn. 12 ff.; B.v. 11.3.1997 – 2 B 127.96 – juris Rn. 5; BayVGH, U.v. 21.9.2011 – 3 B 09.3140 – juris Rn. 35; U.v. 6.5.2019 – 14 B 17.1926 – juris Rn. 61). Für einen auf Art. 54 BayBeamtVG gestützten Anspruch folgt daraus, dass der Beamte, der die Festsetzung eines erhöhten Unfallruhegehalts erreichen will, für das Vorliegen einer MdE von mindestens 50 v.H. infolge des Dienstunfalls bei Versetzung in den Ruhestand im Sinne des Art. 54 Abs. 1 Satz 1 BayBeamtVG die materielle Beweislast trägt, wenn das Gericht die erforderliche, d.h. vernünftige Zweifel ausschließende Überzeugungsgewissheit nicht gewinnen kann. In diesem Rahmen können dem Beamten auch allgemein anerkannte Beweiserleichterungen wie der Beweis des ersten Anscheins (prima-facie-Beweis) oder eine Umkehr der Beweislast zugutekommen, wenn die hierzu von der Rechtsprechung entwickelten Voraussetzungen gegeben sind (BVerwG, U.v. 28.4.2011 a.a.O. Rn. 13; B.v. 11.3.1997 – 2 B 127.96 – juris Rn. 5).
Soweit der Kläger meint, es müsse wegen der Feststellung der MdE von 50 v.H. ab 1. Januar 2017 und der deutlichen Verschlechterung seines psychischen Zustandes bei seiner Untersuchung im August 2016 zu seinen Gunsten vermutet werden, dass eine MdE von 50 v.H. schon zum Zeitpunkt seiner Ruhestandsversetzung (31.12.2016) vorgelegen habe, dringt er damit nicht durch.
Denn ein Anscheinsbeweis greift nur bei typischen Geschehensabläufen ein, also in Fällen, in denen ein bestimmter Tatbestand nach der Lebenserfahrung auf eine bestimmte Ursache für den Eintritt eines bestimmten Erfolgs hinweist oder dass umgekehrt bestimmte Folgen auf einen typischen Geschehensablauf hindeuten (BVerwG, B.v. 11.3.1997 – 2 B 127.96 – juris Rn. 5; BGH v. 19.3.1996 – VI ZR 380/94 – juris Rn. 10 ff.; BFH v. 28.9.2000 – III R 43/97 – juris Rn. 29). Typizität bedeutet in diesem Zusammenhang allerdings nur, dass der Kausalverlauf so häufig vorkommen muss, dass die Wahrscheinlichkeit, einen solchen Fall vor sich zu haben, sehr groß ist (BVerwG, U.v. 28.4.2011 – 2 C 55.09 – ZBR 2012, 38 – juris Rn. 18; BayVGH, B.v. 2.5.2016 – 3 ZB 15.798 – juris Rn. 30). An einer derartigen Typizität fehlt es hier allerdings. Selbst unter Annahme einer „deutlichen Verschlechterung eines psychischen Zustandes“ kann angesichts der konkreten Schwere der Erkrankung und der individuell unterschiedlichen Auswirkungen auf den jeweils Betroffenen nicht von einem typischen Geschehensablauf gesprochen werden. Der zuständige Polizeiarzt vertritt zudem die Auffassung, dass sich die neu hinzugekommene Beschwerdesymptomatik erst mit der tatsächlichen Ruhestandsversetzung entwickelt habe (Sitzungsprotokoll v. 19.4.2018, S. 4; Stellungnahme v. 2.8.2017). Dass sich der Gesundheitszustand des Klägers dabei nicht schlagartig verschlechtert hat, sondern es sich hierbei – wie das Verwaltungsgericht annimmt – wohl um einen schleichenden Prozess ab der Ruhestandsversetzung gehandelt hat, erscheint dabei naheliegend.
Soweit sinngemäß eine Umkehr der Beweislast geltend gemacht wird, greift dieser Einwand nicht durch. Der Gedanke einer Beweislastumkehr knüpft an eine schuldhafte Beweisvereitelung einer Verfahrenspartei bzw. an eine Erschwerung der Sachverhaltsaufklärung unter Verletzung der möglichen und zumutbaren Mitwirkungspflicht an, mit der Folge, dass ohne entsprechende Korrektur die Rechtsposition des Inhabers der materiellen Beweislast in einem Maße eingeschränkt wird, das das Gebot der Wirksamkeit des Rechtsschutzes in Art. 19 Abs. 4 GG verletzen würde (vgl. BVerwG, B.v. 12.12.2000 – 11 B 76.00 – juris; U.v. 28.4.2011 – 2 C 55.09 – juris; U.v. 18.12.1987 – 7 C 49.87 – juris; OVG LSA, B.v. 3.12.2013 – 1 L 25/13 – juris Rn. 15; Rixen in Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 108 Rn. 142 ff.; Kopp/Schenke, VwGO, 26. Aufl. 2020, § 108 Rn. 5). Diese Voraussetzungen für eine Beweislastumkehr werden in der Antragsbegründung nicht schlüssig dargelegt. Selbst wenn der sachverständige Zeuge bei einer Untersuchung des Klägers im Januar 2017 „eventuell eine differenziertere Aussage“ (Sitzungsprotokoll S. 5) zur MdE hätte treffen können, wurde damit weder aufgezeigt, inwiefern die im Januar unterlassene Untersuchung zu einer Beweisvereitelung geführt oder eine die Wirksamkeit des Rechtschutzes in Frage stellende Erschwernis bei der Sachverhaltsaufklärung zur Folge gehabt hätte, noch dass der Beklagte schuldhaft seine Pflicht zur Aufklärung des Sachverhalts verletzt hätte.
Die Zulassungsbegründung geht bereits von der falschen Annahme aus, dass eine exakte ärztliche Aussage über den Grad der MdE des Klägers zum Zeitpunkt der Ruhestandsversetzung aufgrund der Untersuchung am 9. März 2017 nicht mehr möglich gewesen sei. Das Gegenteil zeigt das polizeiärztliche Gutachten vom 24. März 2017 mit der ergänzenden Stellungnahme vom 2. August 2017 und den Erläuterungen des sachverständigen Zeugen in der mündlichen Verhandlung am 19. April 2018. Dessen dortige Einlassung, er hätte „eventuell“ eine „differenziertere Aussage“ zur MdE treffen können, wenn er den Kläger im Januar 2017 untersucht hätte, enthält keinen Hinweis darauf, dass weder der Gutachter noch sonst jemand in der Lage wäre, aufgrund der Untersuchung am 9. März 2017 den Grad der MdE des Klägers exakt zu bestimmen. Die zitierte Formulierung ist allenfalls als vage Andeutung zu verstehen, dass der Polizeiarzt die Beurteilung der MdE des Klägers gegebenenfalls noch feiner nuanciert, bis ins Einzelne abgestuft (graduell und temporär) hätte vornehmen oder auch nur mit einer fundierteren Begründung hätte versehen können. Erst recht lässt sich aus der Aussage nicht die Schlussfolgerung ziehen, bei dem Kläger hätte schon vor dem 1. Januar 2017 eine MdE von 50 v.H. vorgelegen.
Von einer Beweisvereitelung kann zudem nur gesprochen werden, wenn ein Beteiligter dem beweisbelasteten Gegner die Beweisführung schuldhaft unmöglich macht oder erschwert, indem er vorhandene Beweismittel vernichtet, vorenthält oder ihre Benutzung erschwert. Dem Kläger wäre es aber freigestanden, jederzeit eigeninitiativ eine Untersuchung zu veranlassen oder belastbare Nachweise behandelnder Ärzte oder Psychologen vorzulegen, die substantiierte Anhaltspunkte für die klägerische Behauptung einer MdE von 50 v.H. zum Zeitpunkt der Ruhestandsversetzung hätten liefern können. Gerade im Falle der behaupteten deutlichen Verschlechterung seines Gesundheitszustandes seit der letzten polizeiärztlichen Untersuchung am 29. August 2016 wäre die zwischenzeitliche Inanspruchnahme ärztlicher oder psychologischer Hilfe naheliegend gewesen. Neue ärztliche Bescheinigungen hierüber, die seine Auffassung nach dem Vorliegen einer MdE von 50 v.H. zum Zeitpunkt der Ruhestandsversetzung womöglich hätten stützen können, legte der Kläger indes nicht vor. Das Landesamt für Finanzen bat den Kläger mit Schreiben vom 6. Dezember 2016 ausdrücklich um Vorlage aktueller medizinischer Unterlagen, um die polizeiärztliche Nachuntersuchung des Klägers für eine aktuelle Einschätzung seiner MdE vorzubereiten. Daraufhin übersandte der Kläger mit E-Mail vom 13. Dezember 2016 (Behördenakte S. 146 ff.) lediglich die dem Polizeiarzt bereits bekannten fachärztlichen und psychologischen Stellungnahmen (Dr. C v. 14.6./16.8.2016; Dipl.-Psych. L. v. 5.9.2016; Gesundheitszeugnis v. 9.9.2016), die gemeinsam mit dem später vorgelegten Schreiben des Dipl.-Psych. L. vom 2. Februar 2017 über den Therapieverlauf in dem Gutachten zur Feststellung der MdE des Klägers nach Art. 52 BayBeamtVG vom 24. März 2017 Berücksichtigung fanden.
Ungeachtet dessen würde es auch an einem Verschulden für eine Beweisvereitelung fehlen. Die Untersuchung des Klägers und Bearbeitung des Gutachtensauftrags vom 28. Dezember 2016 erfolgten innerhalb eines angemessenen Zeitrahmens (9 Wochen). Zumal dessen letzte Untersuchung und Begutachtung (erst) am 29. August 2016 (Gesundheitszeugnis v. 9.9.2016; Behördenakte S. 148) stattfand. Ohne die Vorlage neuer ärztlicher oder psychologischer Atteste, die auf eine seit dem Untersuchungstermin am 29. August 2016 weitere Verschlechterung des Gesundheitszustandes schließen lassen, gab es für den Dienstherrn keinen Anlass dafür, einen kürzeren Untersuchungszeitraum anzuordnen. Mit dem Schreiben des Dipl.-Psych. L. vom 5. September 2016 legte der Kläger lediglich einen „Behandlungsnachweis“ vor, der die Diagnose einer Posttraumatischen Belastungsstörung des Dr. C. (Schr. v. 14.6.2016) nur wiederholt und allein bestätigt, dass der Kläger zur „Therapie motiviert“ ist, seine „therapeutischen Hausaufgaben … sorgfältig erledigt“ und die „Behandlungstermine zuverlässig“ einhält. Die in dem Untersuchungstermin am 29. August 2016 diagnostizierte Verschlechterung seines Gesundheitszustandes, die zu seiner dauernden Dienstunfähigkeit führte, genügte nach Auffassung des sachverständigen Gutachters offensichtlich nicht für die Feststellung einer MdE von 50 v.H. zum Zeitpunkt der Ruhestandsversetzung. Eine schuldhafte Verletzung der Sachaufklärungspflicht, die zu einer Beweisvereitelung geführt hat, liegt auch nicht etwa deshalb vor, weil ab dem 1. Dezember 2016 eine ärztliche Feststellung der MdE hätte erfolgen müssen. Die Empfehlung des Polizeiarztes (Stellungnahme v. 28.5.2015), den Kläger ggf. Ende 2016 nach Durchführung der therapeutischen Maßnahmen neuerlich untersuchen zu lassen, nahm das Landesamt für Finanzen bereits mit Schreiben vom 6. Dezember 2016 zum Anlass, eine neue polizeiärztliche Nachuntersuchung zur aktuellen Einschätzung der MdE des Klägers zu initiieren, indem es den Kläger um Vorlage aktueller medizinischer Unterlagen bat. Dieser hätte schon wegen der bis 30. November 2016 befristeten Gewährung des Unfallausgleichs, zumal bei einer subjektiv verspürten Verschlechterung seines Gesundheitszustandes, ein eigenes Interesse daran haben müssen, seine vermeintlich wesentlich beeinträchtigte körperliche wie psychische Verfassung zum Zeitpunkt seiner Ruhestandsversetzung ärztlich dokumentieren zu lassen.
Entgegen der klägerischen Ansicht trifft den Dienstherrn auch nicht die Pflicht, jegliche dienstunfallbedingten gesundheitlichen Beeinträchtigungen eines Beamten, die vorwiegend in dessen Sphäre liegen, frühzeitig aufzuklären. Weder der Untersuchungsgrundsatz noch die Fürsorgepflicht verpflichten den Dienstherrn grundsätzlich den Beamten über die Möglichkeiten der Beweissicherung zu belehren oder solche Maßnahmen vorsorglich für den an sich (materiell) beweisbelasteten Beamten zu veranlassen (OVG LSA, B.v. 3.12.2013 – 1 L 25/13 – juris Rn. 20).
Weiter wendet die Antragsbegründung ein, die Beweiserhebung des Verwaltungsgerichts weise gedankliche Ungereimtheiten auf. Es sei nicht nachvollziehbar, dass sich die zusätzliche Beschwerdesymptomatik nicht schon vor Eintritt in den Ruhestand entwickelt habe. Eine ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung begründende fehlerhafte Beweiswürdigung ergibt sich aus dem klägerischen Vorbringen jedoch nicht. Gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Es würdigt den Prozessstoff auf seinen Aussage- und Beweiswert für die Feststellung der entscheidungserheblichen Tatsachen nur nach der ihm innewohnenden Überzeugungskraft. Trotz des besonderen Charakters der Beweiswürdigung, der dem Gericht einen Wertungsrahmen eröffnet, ist das Gericht allerdings nicht gänzlich frei. Die richterliche Überzeugung muss auf rational nachvollziehbaren Gründen beruhen, d.h. sie muss insbesondere die Denkgesetze, die Naturgesetze sowie zwingende Erfahrungssätze beachten. Ein Verstoß gegen § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO liegt vor, wenn das Gericht von einem unrichtigen oder unvollständigen Sachverhalt ausgeht, namentlich Umstände übergeht, deren Entscheidungserheblichkeit sich ihm hätte aufdrängen müssen, oder wenn die Beweiswürdigung objektiv willkürlich ist, gegen die Denkgesetze verstößt oder einen allgemeinen Erfahrungssatz missachtet. Soweit eine fehlerhafte Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichts gerügt wird, kommt eine Zulassung der Berufung folglich nur dann in Betracht, wenn die Feststellungen des Verwaltungsgerichts augenscheinlich nicht zutreffen oder beispielsweise wegen gedanklicher Lücken oder Ungereimtheiten ernstlich zweifelhaft sind. Allein die Möglichkeit einer anderen Bewertung der Beweisaufnahme rechtfertigt die Zulassung der Berufung nicht (vgl. BayVGH, B.v. 11.4.2019 – 3 ZB 16.1638 – juris Rn. 25; B.v. 14.3.2013 – 22 ZB 13.103 und 104 – Rn. 11 m.w.N.). Hieran gemessen enthalten die Ausführungen in der Antragsbegründungsschrift zum Beweiswert der Aussage des in der mündlichen Verhandlung als sachverständiger Zeuge vernommenen Polizeiarztes lediglich eine andere Bewertung des Beweismittels; eine evident sachwidrige oder gar willkürliche Beweiswürdigung ergibt sich hieraus nicht.
Der Hinweis in der Zulassungsbegründung auf die vielen therapeutischen Maßnahmen, die eine berechtigte Hoffnung auf eine Verbesserung des Gesundheitszustandes des Klägers zuließen (Sitzungsprotokoll S. 5), stützt die Einschätzung des Gutachters, eine zusätzliche Beschwerdesymptomatik habe sich erst nach bzw. mit Eintritt des Ruhestandes entwickelt, wenn man bedenkt, dass die Verhinderung der Ruhestandsversetzung eine der Hauptmotivationsquellen für die Psychotherapie des Klägers war (Sitzungsprotokoll S. 6).
Aber selbst wenn es sich so verhielte, dass subjektiv für den Kläger seine Ruhestandsversetzung bereits Wochen vor dem Wirksamwerden der Ruhestandsversetzung erfolgt ist (womöglich seit dem Anhörungsschreiben zur Ruhestandsversetzung v. 31.10.2016), vermag dies die gutachterliche Einschätzung nicht zu erschüttern. Abgesehen davon, dass es an jeglicher ärztlicher oder psychologischer Dokumentation der angeblich deutlichen Gesundheitsverschlechterung fehlt (s.o.), ist die gutachterliche Einschätzung durchaus plausibel. Denn die psychologischen Auswirkungen einer wirksamen Ruhestandsversetzung mit Aushändigung der Ruhestandsurkunde, ggf. Rückgabe der Dienstuniform und den geringeren Versorgungsbezügen können wesentlich drastischer ausfallen als die bloße Ankündigung einer beabsichtigten Ruhestandsversetzung.
Der Einwand, es lasse sich den im Gutachten wiedergegebenen Angaben des Klägers nicht entnehmen, dass seine psychischen Beschwerden (insbesondere Angst- und Panikattacken) in der beschriebenen Intensität erst mit Eintritt in den Ruhestand eingetreten seien, stellt die Ausführungen des sachverständigen Zeugen nicht substantiiert in Zweifel. Die Zulassungsbegründung selbst nimmt auf die vom Kläger tatsächlich mit der Versetzung in den Ruhestand verknüpften angegebenen Verschlechterungen (Schamgefühl bezüglich der fehlenden Berufstätigkeit und seine gesteigerte Neigung, sich über Kleinigkeiten aufzuregen: Gutachten v. 24.3.2017, S. 3) Bezug, hält diese aber in Verkennung der materiellen Beweislast nicht für ausreichend, die Vermutung einer bereits zum 31. Dezember 2016 vorgelegenen MdE von 50 v.H. zu widerlegen. Im Übrigen kann sich der Eindruck des Polizeiarztes auch aus anderen Aspekten des Anamnesegesprächs ergeben haben, die nicht in dem Gutachten wiedergegeben wurden. Der Kläger geht fehl in der Annahme, dass jegliche fachlichen Schlussfolgerungen und gutachterlichen Einschätzungen durch eine Angabe des Klägers protokollarisch im Gutachten belegt sein müsste.
Indem der Kläger seinen Kinobesuch im Jahr 2016 als Angst- und Panikattacke bewertet, die schon damals das Vorliegen einer MdE von 50 v.H. rechtfertigen würde, setzt er offensichtlich seine Bewertung an die Stelle des polizeiärztlichen Facharztes für Psychiatrie und Psychologie ohne jedoch dessen gutachterliche Stellungnahme erschüttern zu können. Der Polizeiarzt beschreibt in seinem Gutachten, dass dieser einmalige Kinobesuch, in dessen Vorbereitung eine Reservierung mit einem Außenplatz in der letzten Reihe erforderlich gewesen sei, um jederzeit das Kino verlassen zu können, den Kläger zwar unter immensen Stress versetzt habe; weitere Ereignisse, die auf eine Angst- oder Panikattacke des Klägers schließen lassen konnten, wurden jedoch weder vorgetragen noch sind solche ersichtlich.
Soweit die Antragsbegründungsschrift vorbringt, der Polizeiarzt sei von einem unzutreffenden Sachverhalt ausgegangen, indem er in der mündlichen Verhandlung auf einen Bericht des Dipl.-Psych. L. vom Dezember 2016 Bezug genommen habe, den es mit diesem Datum nicht gebe, begründet dieses Vorbringen gleichfalls keine Zweifel an der Ergebnisrichtigkeit des angefochtenen Urteils. Aus den inhaltlichen Angaben des Polizeiarztes in der mündlichen Verhandlung ist offensichtlich, dass er das Schreiben des Dipl.-Psych. L. vom 5. September 2016 gemeint haben muss. In dem Schreiben sei die Rede davon gewesen sei, „dass der Kläger mitwirkt an Behandlungsmaßnahmen, so dass die Hoffnung bestand, dass die gesundheitliche Situation besser als schlechter wird und er habe auch die Hoffnung gehabt, dass der Gesundheitszustand im Ruhestand besser wird“ (Sitzungsprotokoll S. 5). Dies deckt sich mit dem Inhalt des Schreibens vom 5. September 2016, in dem Dipl-Psych. L. bestätigt, dass sich der Kläger seit 8. Juni 2016 in seiner psychologisch-psychotherapeutischer Behandlung befinde, er zur Therapie motiviert sei, therapeutische Hausaufgaben sorgfältig erledige und Behandlungstermine zuverlässig einhalte. Die vom Polizeiarzt daraus in der mündlichen Verhandlung gezogene Schlussfolgerung ist plausibel und nachvollziehbar.
2. Der Zulassungsantrag war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 2 VwGO abzulehnen. Die Streitwertfestsetzung und -änderung beruht auf § 63 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2, § 47 Abs. 1 und 3, § 40 und § 42 Abs. 1 Satz 1 GKG (vgl. BayVGH, B.v. 11.4.2019 – 3 C 16.1639 und 1820), wobei der Senat in Übereinstimmung mit dem Verwaltungsgericht eine monatliche Differenz von 1.112,91 Euro (2017) und 1.139,06 Euro (2018) ansetzt (vgl. Mitteilung des Landesamtes für Finanzen vom 5.12.2017, VG-Akte S. 29). Im ersten Rechtszug beträgt der Streitwert im maßgeblichen Zeitpunkt der Erhebung der Klage beim Verwaltungsgericht (7.3.2012; § 40 GKG) danach insgesamt 51.193,86 Euro (36 x 1.112,91 Euro = 40.064,76 Euro zzgl. der gemäß § 42 Abs. 3 Satz 1 GKG bei Einreichung der Klage (5.10.2017) fälligen Beträge, auf die sich das Klagebegehren der Zahlung eines erhöhten Unfallruhegehalts ab 1.1.2017 bezieht 10 x 1.112,91 = 11.129,10 Euro).
Für den zweiten Rechtszug beträgt der Streitwert im Ergebnis wegen der im maßgeblichen Zeitpunkt der Einleitung des Zulassungsverfahrens (8.10.2018; § 40 GKG) anderer Unfallruhegehaltssätze 52.135,26 Euro (§ 40, § 42 Abs. 1 Satz 1 GKG; 36 x 1.139,06 = 41.006,16 Euro zzgl. 11.129,10 Euro gem. § 42 Abs. 3 Satz 1 GKG).
3. Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).