Aktenzeichen B 6 K 16.31892
Leitsatz
1 Die Entführung und der Missbrauch eines afghanischen Jugendlichen als “Tanzjunge” können grundsätzlich eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung iSv § 4 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 AsylG darstellen. Diese Tatsache lässt sich indes dann nicht nach Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU als ernsthafter Hinweis darauf werten, dass der Betroffene tatsächlich Gefahr liefe, einen ernsthaften Schaden zu erleiden, wenn stichhaltige Gründe wie das zwischenzeitlich erreichte Alter von 20 Jahren dagegen sprechen, dass der Betroffene erneut von einem ernsthaften Schaden – hier Missbrauch als Tanzjunge – bedroht wird. (Rn. 33) (red. LS Clemens Kurzidem)
2 Die Zwangsrekrutierung zum Kriegsdienst stellt als solche ebenso wie die Tötung oder Verletzung im Krieg nicht ohne Weiteres eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung iSv § 4 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 AsylG bzw. von Art. 3 EMRK dar (vgl. BVerwG BeckRS 2010, 51618). Die einen Schutzanspruch begründende Gefahrenprognose setzt daher konkrete Angaben zu den Akteuren und Umständen der befürchteten Zwangsrekrutierung voraus. (Rn. 64) (red. LS Clemens Kurzidem)
3 Ob in der afghanischen Provinz Samangan ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt besteht, kann offenbleiben, weil sich die von diesem Konflikt gegebenenfalls ausgehenden Gefahren nicht zu einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einzelner Betroffener infolge willkürlicher Gewalt verdichtet haben. (Rn. 69 – 74) (red. LS Clemens Kurzidem)
4 Die Abschiebung eines Ausländers durch einen Signatarstaat der Europäischen Menschenrechtskonvention kann dessen Verantwortlichkeit nach der Konvention begründen, wenn es ernsthafte und stichhaltige Gründe dafür gibt, dass der Betroffene im Falle der Abschiebung tatsächlich Gefahr liefe, im Zielstaat einer Art. 3 EMRK widersprchenden Behandlung ausgesetzt zu werden. In einem solchen Fall resultiert aus Art. 3 EMRK die Verpflichtung, die Person nicht in dieses Land abzuschieben. (Rn. 78) (red. LS Clemens Kurzidem)
5 Die hohen Anforderungen an eine allein auf die allgemeinen Lebensbedingungen im Herkunftsland gestützte, Art. 3 EMRK widersprechende Behandlung sind schon dann nicht erfüllt, wenn zu erwarten ist, dass Rückkehrer nach Afghanistan in Kabul durch Gelegenheitsarbeiten ein kümmerliches Einkommen erzielen und damit ein Leben am Rande des Existenzminimums finanzieren können (wie BVerwG BeckRS 2012, 59390). (Rn. 80 – 83) (red. LS Clemens Kurzidem)
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.
3. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
1. Die zulässige Klage ist nicht begründet, weil die Ablehnung des Asylantrages, die Feststellung, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 AufenthG nicht vorliegen, und die Abschiebungsandrohung rechtmäßig sind und der Kläger dadurch nicht in seinen Rechten verletzt ist (§ 113 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 5 Satz 1 VwGO). Maßgeblich ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 AsylG).
1.1 Mit seinem Asylantrag hat der Kläger seine Anerkennung als Asylberechtigter (Art. 16a Abs. 1 GG, § 1 Abs. 1 Nr. 1 AsylG) sowie internationalen Schutz im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 2 AsylG beantragt (§ 13 Abs. 2 Satz 1 AsylG). Die Ablehnung des Antrags auf Anerkennung als Asylberechtigter (Ziffer 2 des Bescheides vom 22.11.2016) ist bestandskräftig geworden. Die im Wege der Verpflichtungsklage angefochtene Ablehnung des Antrags auf Zuerkennung internationalen Schutzes (Ziffern 1 und 3 des Bescheides vom 22.11.2016) ist rechtmäßig, weil der Kläger weder Flüchtling im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG noch subsidiär Schutzberechtigter im Sinne des § 4 Abs. 1 AsylG ist.
1.1.1 Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling, wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will. Die möglichen Verfolgungshandlungen und Verfolgungsgründe sind in § 3a und § 3b AsylG näher erläutert.
Gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG ist ein Ausländer subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2 AsylG die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe (Nr. 1), Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (Nr. 2) oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (Nr. 3).
Gemäß § 3c AsylG bzw. § 4 Abs. 3 in Verbindung mit § 3c AsylG kann die Verfolgung bzw. die Gefahr eines ernsthaften Schadens ausgehen vom Staat (Nr. 1), von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebietes beherrschen (Nr. 2), oder von nichtstaatlichen Akteuren, sofern die in Nummern 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3d AsylG bzw. § 4 Abs. 3 in Verbindung mit § 3d AsylG, d.h. insbesondere wirksam und nicht nur vorübergehend (§ 3d Abs. 2 Satz 1 AsylG), Schutz vor Verfolgung bzw. vor einem ernsthaften Schaden zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht (Nr. 3).
Gemäß § 3e Abs. 1 AsylG bzw. § 4 Abs. 3 in Verbindung mit § 3e Abs. 1 AsylG wird dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft bzw. der subsidiäre Schutz nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung hat bzw. keiner tatsächlichen Gefahr eines ernsthaften Schadens ausgesetzt ist oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung bzw. vor einem ernsthaften Schaden nach § 3d AsylG hat und er sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt (interner Schutz). Dieser Zumutbarkeitsmaßstab („vernünftigerweise erwartet werden kann“) geht über das Fehlen einer im Rahmen des § 60 Abs. 7 Satz 1 und 5 AufenthG beachtlichen existenziellen Notlage hinaus (BVerwG, Urteil vom 31.01.2013 – 10 C 15.12, Rn. 20, juris). Gemäß § 3e Abs. 2 Satz 1 AsylG bzw. § 4 Abs. 3 in Verbindung mit § 3e Abs. 2 Satz 1 AsylG sind bei der Prüfung der Frage, ob ein Teil des Herkunftslandes die Voraussetzungen nach Absatz 1 erfüllt, die dortigen allgemeinen Gegebenheiten und die persönlichen Umstände des Ausländers gemäß Artikel 4 der Richtlinie 2011/95/EU (EU-Qualifikations-RL) zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag zu berücksichtigen. Es spricht einiges dafür, dass die danach zu berücksichtigenden allgemeinen Gegebenheiten des Herkunftslandes – oberhalb der Schwelle des Existenzminimums – auch den Zumutbarkeitsmaßstab prägen (BVerwG, Urteil vom 29.05.2008 – 10 C 11/07, Rn. 35, juris).
Verfolgung bzw. ein ernsthafter Schaden muss dem Kläger bei einer Rückkehr in sein Herkunftsland mit beachtlicher, d.h. überwiegender Wahrscheinlichkeit drohen (BVerwG, Urteil vom 17.11.2011 – 10 C 13/10, Rn. 20, juris; Beschluss vom 25.10.2012 – 10 B 16/12, Rn. 11, juris; Urteil vom 04.09.2012 – 10 C 13/11, Rn. 28, juris). Für diese Prognose ist auf die tatsächlichen Verhältnisse in seiner Herkunftsregion abzustellen (vgl. BVerwG, Urteil vom 14.07.2009 – 10 C 9/08, Rn. 17, juris; Urteil vom 17.11.2011 – 10 C 13/10, Rn. 16, juris; Urteil vom 31.01.2013 – 10 C 15/12, Rn. 13, juris: „der tatsächliche Zielort des Ausländers bei einer Rückkehr“). Die Verhältnisse im übrigen Teil des Herkunftslandes sind eine Frage des internen Schutzes.
Gemäß Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU ist die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet ist bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Antragsteller erneut von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht wird. Diese Beweiserleichterung in Gestalt einer widerleglichen gesetzlichen Vermutung greift nur dann ein, wenn ein innerer Zusammenhang zwischen der Vorverfolgung bzw. Vorschädigung und der befürchteten künftigen Verfolgung bzw. dem befürchteten künftigen Schaden besteht (BVerwG, Urteil vom 27.04.2010 – 10 C 4/09, Rn. 27 und 31, juris; Urteil vom 17.11.2011 – 10 C 13/10, Rn. 21, juris).
Gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Die danach gebotene Überzeugungsgewissheit muss in dem Sinne bestehen, dass das Gericht die volle Überzeugung von der Wahrheit des vom Kläger behaupteten individuellen Schicksals sowie von der Richtigkeit der Prognose, dem Kläger drohe mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung bzw. ein ernsthafter Schaden, erlangt hat. Da unmittelbare Beweise im Herkunftsland in der Regel nicht erhoben werden können, kommt dem persönlichen Vorbringen des Klägers und dessen Würdigung gesteigerte Bedeutung zu (BVerwG, Urteil vom 16.04.1985 – 9 C 109/84, Rn. 16 und 17, juris). Der Schutzsuchende muss sein Schicksal glaubhaft zur Überzeugung des Gerichts darlegen. Ihm obliegt es, bei den in seine Sphäre fallenden Ereignissen, insbesondere seinen persönlichen Erlebnissen, von sich aus eine Schilderung zu geben, die geeignet ist, seinen geltend gemachten Anspruch lückenlos zu tragen, und er hat unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern. Daran fehlt es in der Regel, wenn der Schutzsuchende im Lauf des Verfahrens unterschiedliche Angaben macht und sein Vorbringen nicht auflösbare Widersprüche enthält, wenn seine Darstellungen nach der Lebenserfahrung oder aufgrund der Kenntnis entsprechender vergleichbarer Geschehensabläufe unglaubhaft erscheinen, sowie auch dann, wenn er sein Vorbringen im Lauf des Verfahrens steigert, insbesondere wenn er Tatsachen, die er für sein Begehren als maßgeblich bezeichnet, ohne vernünftige Erklärung erst sehr spät in das Verfahren einführt (VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 27.08.2013 – A 12 S 2023/11, Rn. 35, juris; Hessischer VGH, Urteil vom 04.09.2014 – 8 A 2434/11.A, Rn. 15).
1.1.2 Das Gericht vermochte nicht die Überzeugung zu gewinnen, dass der Kläger Afghanistan unter dem Druck erlittener oder unmittelbar drohender Verfolgung bzw. eines erlittenen oder unmittelbar drohenden ernsthaften Schadens verlassen hat und dass ihm im Falle einer Rückkehr (erneut) Verfolgung oder ein ernsthafter Schaden mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht.
1.1.2.1 Das Vorbringen des Klägers betreffend sein persönliches Schicksal ist nicht glaubhaft. Die Darstellungen der Ereignisse und Zusammenhänge beim Bundesamt und im gerichtlichen Verfahren sind zu unterschiedlich, um glauben zu können, dass der Kläger von Geschehnissen berichtet, die er tatsächlich selbst erlebt hat.
Beim Bundesamt gab der Kläger zunächst an, als er 13 oder 14 Jahre alt gewesen sei, hätten sie zu Hause immer Ärger gehabt, weil sein Vater sich geweigert habe, für diverse Mafia-Gruppierungen, Ableger der Taliban, zu arbeiten. Dann wären diese Gruppierungen mit 20 Mann zu ihnen nach Hause gekommen und hätten zwei Onkel von ihm getötet, weil diese auch nicht bereit gewesen seien, für die Gruppierungen zu arbeiten. Aus diesem Anlass habe sein Vater ihn zunächst bei Verwandten versteckt und dann nach Europa zu seinem in Griechenland lebenden Onkel geschickt.
In der mündlichen Verhandlung schilderte der Kläger einen ganz anderen Sachverhalt. Er gab an, seine Familie werde von einem Politiker namens … bedroht. Dieser sei jetzt Bürgermeister von … und vorher M. in der Hauptmoschee in … gewesen. Er sei in kriminelle Machenschaften verwickelt und handle unter anderem auch mit Waffen. Die Bedrohung durch diesen Mann habe schon angefangen, bevor er, der Kläger, Afghanistan verlassen habe. Seine Familie werde deshalb bedroht, weil sein Vater reich sei und Ländereien besitze. Der Politiker wolle finanzielle Unterstützung. Sein Vater beuge sich dem Druck und gebe ihm immer wieder Geld, dadurch passiere der Familie nichts. Seine drei jüngeren Brüder, die noch in Afghanistan seien, trauten sich nicht, nach der Schule nach draußen zu gehen, weil sie Angst hätten, von dem Politiker entführt zu werden.
Zunächst ergibt sich weder aus der einen noch aus der anderen Darstellung eine gegen den Kläger persönlich gerichtete Verfolgungshandlung bzw. eine ihm persönlich drohende Gefahr eines ernsthaften Schadens. Bei der einen Variante waren nur erwachsene männliche Familienmitglieder gefährdet, bei der anderen Variante schützte der Vater des Klägers seine Familie durch Geldzahlungen. In beiden Fällen erschließt sich nicht, warum aufgrund des jeweils geschilderten Sachverhalts gerade und allein der damals etwa 14-jährige Kläger nach Europa geschickt worden sein sollte.
Davon abgesehen konnte der Kläger keinen vernünftigen Grund nennen, warum er in der mündlichen Verhandlung einen ganz anderen Sachverhalt als beim Bundesamt geschildert hat. Sein Erklärungsversuch, bei der Bundesamtsanhörung sei er gesundheitlich sehr beeinträchtigt gewesen, außerdem habe er gedacht, er bekomme die Anerkennung ohnehin und dies alles sei nicht so wichtig, vermag nicht zu überzeugen, auch wenn man die lange Wartezeit vor der Anhörung und deren Dauer berücksichtigt. Der Kläger hat die Frage des anhörenden Entscheiders, ob er sich gesundheitlich in der Lage fühle, die Anhörung durchzuführen, bejaht. Außerdem wurde er ausdrücklich auf die Notwendigkeit hingewiesen, alle für seinen Asylantrag relevanten Dinge in der Anhörung vorzutragen. Dementsprechend hat der Kläger auch viel erzählt, nur eben nicht dasselbe wie in der mündlichen Verhandlung. Deshalb hält das Gericht das Vorbringen für unglaubhaft, einschließlich der in der mündlichen Verhandlung zuletzt noch geäußerten angeblichen Furcht, der Politiker werde ihn (den Kläger) im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan umbringen lassen, weil er (der Kläger) zu viel über dessen Machenschaften wisse.
Sowohl beim Bundesamt als auch in der mündlichen Verhandlung gab der Kläger weiter an, entführt und als Tanzjunge missbraucht worden zu sein. Während die Annahme einer Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG wohl daran scheitern dürfte, dass die Verfolgungshandlung (§ 3a AsylG) nicht an einen Verfolgungsgrund im Sinne des § 3 Abs. 1 Nr. 1 in Verbindung mit § 3b AsylG – Rasse, Religion, Nationalität, politische Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe – anknüpft (vgl. § 3a Abs. 3 AsylG), hätte der Kläger – gegebenenfalls – dadurch zumindest einen ernsthaften Schaden in Gestalt einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG erlitten. Diese Tatsache wäre aber nicht gemäß Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU als ernsthafter Hinweis darauf zu werten, dass der Kläger tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, weil stichhaltige Gründe – das zwischenzeitlich erreichte Alter des Klägers (20 Jahre) – dagegen sprechen, dass er erneut von einem solchen Schaden – Missbrauch als Tanzjunge – bedroht wird.
Davon abgesehen sieht sich das Gericht angesichts der unterschiedlichen Darstellungen des Klägers, wie die Entführung im Einzelnen abgelaufen sein soll, bereits außer Stande, dem Kläger zu glauben, dass er das geschilderte Geschehen tatsächlich selbst erlebt hat.
Beim Bundesamt gab der Kläger an, bei ihnen zu Hause gebe es einen Kanal. Er sei gerade beim Schwimmen gewesen, als drei Leute gekommen seien – er schätze sie auf 17 oder 18 Jahre – und nach etwas zum Trinken gefragt hätten, da man das schmutzige Kanalwasser nicht habe trinken können. Da er in der Nähe gewohnt habe, sei er nach Hause gegangen und habe etwas zum Trinken geholt. Als er zurückgekommen sei, seien zu diesen drei Typen noch weitere hinzugekommen gewesen. Sie hätten ihn dann in ein Auto gesteckt und mitgenommen. Während der Fahrt habe er geweint und zu ihnen gesagt, sie sollten nicht so weit wegfahren, weil er sonst nicht mehr nach Hause komme. Auf die Frage, was die Entführer zum Kläger gesagt hätten, gab der Kläger beim Bundesamt an, diese Leute seien lustig gewesen. Sie hätten zu ihm gesagt, komm, steig ins Auto, wir fahren dich nach Hause. Dann seien sie aber agressiver geworden und hätten ihn nicht nach Hause, sondern nach „Koram Sarbaq“ gebracht.
In der mündlichen Verhandlung gab der Kläger an, er sei in der Nähe seines Heimatdorfes schwimmen gewesen, als ein Auto gekommen sei und die Männer darin ihn mitgenommen hätten. Er habe nach dem Schwimmen im Bach Wasser nach Hause tragen wollen. Da sei das Auto mit den acht bis zehn Männern gekommen, die ihn gezwungen hätten, in das Auto zu steigen. Sie hätten darüber gesprochen, wie viel Geld der Vater dieses Kindes wohl zahlen werde. Sie hätten ihn geschlagen und getreten, als sie ihn in das Auto gezerrt hätten. Sein Vater habe ihn dann gesucht und nur die Wasserbehälter gefunden.
Die beiden Darstellungen unterscheiden sich nicht nur durch bloße Ungenauigkeiten, sondern in den Grundzügen des Geschehensablaufs. Wenn der Kläger tatsächlich von den Entführern nach Trinkwasser geschickt und nach seiner Rückkehr mit Versprechungen ins Auto gelockt worden wäre, ist kein vernünftiger Grund erkennbar, warum er bei anderer Gelegenheit berichtet, er habe Wasser nach Hause tragen wollen, als die Entführer gekommen seien und ihn mit Schlägen und Tritten ins Auto gezerrt hätten. Umgekehrt gilt dasselbe. Die Unterschiede vermag sich das Gericht nur so zu erklären, dass der Kläger die Entführung gar nicht selbst erlebt, sondern erfunden und es dabei versäumt hat, sich die Einzelheiten des zuerst geschilderten Geschehensablaufs zu merken.
Die Angaben des Klägers zu einem Video auf YouTube, das ihn beim Tanzen zeigen bzw. gezeigt haben soll, vermögen seine Unglaubwürdigkeit nicht zu widerlegen, nachdem der Kläger mit Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten vom 10.02.2017 – als Reaktion auf die mit Schriftsatz des Bundesamtes vom 06.02.2017 geäußerten Zweifel – eingeräumt hat, das im Netz befindliche Video zeige nicht ihn selbst. Bei dieser Sachlage vermag das Gericht den Hinweis des Klägers auf ein Video im Netz nur als – letztendlich untauglichen – Versuch zu werten, das erfundene Schicksal glaubhaft und plausibel zu machen.
Infolgedessen erweist sich auch das weitere Vorbringen des Klägers betreffend die Folgen, die für ihn aus dem Missbrauch als Tanzjunge und der Existenz des Videos erwachsen sein sollen, als unglaubhaft. Erschwerend kommt hinzu, dass auch dieses weitere Vorbringen von Unstimmigkeiten bzw. Steigerungen oder Variationen gekennzeichnet ist.
Nach den Angaben des Klägers beim Bundesamt und in der mündlichen Verhandlung hat sein Vater seine Ausreise beschlossen und organisiert, was angesichts des damals jugendlichen Alters des Klägers (14 Jahre) auch glaubhaft erscheint. Dann konnten nach den Angaben des Klägers beim Bundesamt die Entführung, der Missbrauch als Tanzjunge und das Video nicht der Grund für seine – vom Vater veranlasste – Verschickung nach Europa gewesen sein, weil die Familie erst davon erfahren habe, als er (der Kläger) schon in der Türkei gewesen sei. Der Erklärungsversuch des Klägers auf diesen Vorhalt, weil er sich immer in Mazar-e-sharif aufgehalten habe und nicht nach Samangan zurückgekehrt sei, habe sein Vater gemerkt, „dass etwas nicht stimmte“, und ihn dann losgeschickt, ist wenig überzeugend. In der Klagebegründung vom 17.01.2017 gab der Kläger dann an, nach seiner Rückkehr habe sich seine Familie wegen des Missbrauchs als Tanzjunge geschämt, und er sei nach Bekanntwerden dieser Tätigkeit in der sozialen und religiösen Gemeinschaft als Ausgestoßener betrachtet worden; deshalb habe er seine Familie verlassen müssen, ohne dass ihm eine inländische Fluchtalternative offen gestanden hätte. Diese andere Darstellung der Zusammenhänge lässt sich nur als Reaktion auf die fehlende Logik des Anhörungsvorbringens erklären. Davon abgesehen mangelt es an der Konkretisierung eines dem Kläger drohenden ernsthaften Schadens, und das gegen internen Schutz angeführte Argument, in einem anderen Teil Afghanistans hätte der Kläger als Minderjähriger allenfalls durch kriminelles Handeln seinen Lebensunterhalt sichern können, überzeugt nicht. Denn es ist kein vernünftiger Grund ersichtlich, warum die Kernfamilie den Kläger nur deshalb nicht mehr hätte unterstützen sollen, weil er nicht mehr zu Hause wohnt.
Ferner gab der Kläger beim Bundesamt an, nachdem der Imam ihrer Moschee das Video gesehen gehabt habe, sei er (der Kläger) auch noch „religiös verfolgt“ worden. Leute der Moschee hätten ihn verfolgt. Angaben zu konkreten Verfolgungshandlungen machte der Kläger auch auf Nachfrage nicht. Mit Schriftsatz vom 06.09.2017 steigerte er dieses Anhörungsvorbringen dahingehend, er sei über seinen Vater aufgefordert worden, sich beim Freitagsgebet zu melden, um seine Strafe für das Tanzen entgegenzunehmen. Zusätzlich gab er an, die eine Gruppe der Taliban, die ihn entführt und zum Tanzen gezwungen habe, suche nach Mitteilung seines Onkels seiner habhaft zu werden, um ihn in den Krieg zu schicken, während eine andere Gruppe von Taliban beabsichtige, ihn wegen des Tanzens zu bestrafen. In der mündlichen Verhandlung war auf die Frage nach den konkreten Befürchtungen des Klägers für den Fall einer Rückkehr nach Afghanistan von einer „religiösen Verfolgung“ nicht mehr die Rede, statt dessen erstmals von den bereits erwähnten Schutzgeldzahlungen an einen Politiker sowie von Lösegeldforderungen der Entführer und von einem Mann, der die Familie mit dem Tanzvideo erpresse.
Die Steigerung des Sachvortrags und die angebotene Vielfalt von möglichen Verfolgungs- bzw. Schädigungsvarianten lassen das Vorbringen – unabhängig von der fehlenden Glaubhaftigkeit des zugrunde liegenden Sachverhalts – auch für sich betrachtet nicht glaubhaft erscheinen.
Die in der mündlichen Verhandlung geäußerte Befürchtung, im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan „gezwungen zu werden, für irgendwen zu kämpfen“, mag der Kläger tatsächlich hegen. Es liegen aber keinerlei Anhaltspunkte vor, welche die Prognose rechtfertigen würden, dass ihm ein ernsthafter Schaden auf diese Weise mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts stellt die Zwangsrekrutierung zum Kriegsdienst als solche ebenso wie die Tötung oder Verletzung im Krieg nicht ohne Weiteres eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG bzw. des Art. 3 EMRK dar (BVerwG, Urteil vom 27.04.2010 – 10 C 4/09, Rn. 29, juris). Die einen Schutzanspruch begründende Gefahrenprognose setzt daher konkrete Angaben zu den Akteuren und Umständen der befürchteten Zwangsrekrutierung voraus. Der diesbezügliche schriftsätzliche Vortrag, nach Mitteilung seines Onkels suche die Gruppe der Taliban, die den Kläger entführt habe, seiner habhaft zu werden, um ihn in den Krieg zu schicken, entbehrt, wie dargelegt, jeder Grundlage, nachdem die ganze Entführung nicht glaubhaft ist. Im Übrigen war die Heimatprovinz des Klägers, Samangan, auf die als Anknüpfungspunkt für die Gefahrenprognose abzustellen ist, in den letzten Jahren im Vergleich zu anderen nördlichen Provinzen relativ friedlich, mit geringerer Aktivität von Aufständischen. Samangan gehört zu den wenigen Provinzen, in denen die Taliban keine große Bedrohung darstellen (Republik Österreich, BFA Bundesamt für Fremdwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation: Afghanistan, Gesamtaktualisierung am 02.03.2017, letzte Kurzinformation eingefügt am 27.06.2017, Seite 97 ff). Vor diesem Hintergrund ist nicht ersichtlich, warum dem Kläger gerade hier eine Zwangsrekrutierung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen sollte.
1.1.2.2 Dem Kläger droht in Afghanistan auch kein ernsthafter Schaden in Gestalt einer ernsthaften individuellen Bedrohung seines Lebens oder seiner Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konfliktes gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG.
1.1.2.2.1 Der Begriff des internationalen wie auch des innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ist unter Berücksichtigung der Bedeutung dieses Begriffs im humanitären Völkerrecht auszulegen. Ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt im Sinne des humanitären Völkerrechts liegt jedenfalls dann vor, wenn der bewaffnete Konflikt die Kriterien des Art. 1 Nr. 1 ZP II (Zusatzprotokoll vom 8. Juni 1977 zu den Genfer Abkommen vom 12. August 1949 über den Schutz der Opfer nicht internationaler bewaffneter Konflikte) erfüllt, d.h. wenn er im Hoheitsgebiet einer Hohen Vertragspartei zwischen deren Streitkräften und abtrünnigen Streitkräften oder anderen organisierten bewaffneten Gruppen stattfindet, die unter einer verantwortlichen Führung eine solche Kontrolle über einen Teil des Hoheitsgebiets der Hohen Vertragspartei ausüben, dass sie anhaltende, koordinierte Kampfhandlungen durchführen und dieses Protokoll anzuwenden vermögen. Ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt liegt jedenfalls dann nicht vor, wenn die Ausschlusstatbestände des Art. 1 Nr. 2 ZP II erfüllt sind, es sich also nur um innere Unruhen und Spannungen handelt wie Tumulte, vereinzelt auftretende Gewalttaten und andere ähnliche Handlungen, die nicht als bewaffnete Konflikte gelten. Bei innerstaatlichen Krisen, die zwischen diesen beiden Erscheinungsformen liegen, scheidet die Annahme eines bewaffneten Konflikts nicht von vornherein aus. Der Konflikt muss hierfür aber jedenfalls ein bestimmtes Maß an Intensität und Dauerhaftigkeit aufweisen. Typische Beispiele sind Bürgerkriegsauseinandersetzungen und Guerillakämpfe. Der völkerrechtliche Begriff des „bewaffneten Konflikts“ wurde gewählt, um klarzustellen, dass nur Auseinandersetzungen von einer bestimmten Größenordnung an in den Regelungsbereich der Vorschrift fallen (BVerwG, Urteil vom 24.06.2008 – 10 C 43/07, Rn. 19 bis 22, juris). Ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt liegt auch dann vor, wenn diese Voraussetzungen nur in einem Teil des Staatsgebietes erfüllt sind (BVerwG, Urteil vom 24.06.2008 – 10 C 43/07, Rn. 25, juris; Urteil vom 14.07.2009 – 10 C 9/08, Rn. 17, juris; Urteil vom 31.01.2013 – 10 C 15.12, Rn. 13, juris).
1.1.2.2.2 Die Annahme einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt setzt eine individuelle Verdichtung der allgemeinen von dem bewaffneten Konflikt für eine Vielzahl von Zivilpersonen ungeachtet ihrer Identität ausgehenden Gefahr in der Person des Klägers voraus. Eine derartige Individualisierung der allgemeinen Gefahr kann sich aus gefahrerhöhenden Umständen in der Person des Klägers ergeben. Unabhängig davon kann sie ausnahmsweise eintreten, wenn der den bewaffneten Konflikt kennzeichnende Grad willkürlicher Gewalt ein so hohes Niveau erreicht, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dem betroffenen Gebiet tatsächlich Gefahr liefe, einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt zu sein (BVerwG, Urteil vom 24.06.2008 – 10 C 43/07, Rn. 34 und 35, juris; Urteil vom 14.07.2009 – 10 C 9/08, Rn. 13 bis 15, juris; Urteil vom 27.04.2010 – 10 C 4/09, Rn. 32, juris; Urteil vom 17.11.2011 – 10 C 13/10, Rn. 17 bis 19, juris). Aus diesem Verständnis des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG folgt, dass in jedem Fall Feststellungen über das Niveau willkürlicher Gewalt in dem betreffenden Gebiet getroffen werden müssen. Liegen keine gefahrerhöhenden persönlichen Umstände vor, ist ein besonders hohes Niveau willkürlicher Gewalt erforderlich; liegen gefahrerhöhende persönliche Umstände vor, genügt auch ein geringeres Niveau willkürlicher Gewalt. Auch im Fall gefahrerhöhender persönlicher Umstände muss aber ein hohes Niveau willkürlicher Gewalt bzw. eine hohe Gefahrendichte für die Zivilbevölkerung in dem fraglichen Gebiet festgestellt werden. Allein das Vorliegen eines bewaffneten Konflikts und die Feststellung eines gefahrerhöhenden Umstandes in der Person des Antragstellers reichen hierfür nicht aus. Erforderlich ist vielmehr eine jedenfalls annäherungsweise quantitative Ermittlung der Gesamtzahl der in dem betreffenden Gebiet lebenden Zivilpersonen einerseits und der Akte willkürlicher Gewalt andererseits, die von den Konfliktparteien gegen Leib oder Leben von Zivilpersonen in diesem Gebiet verübt werden, sowie eine wertende Gesamtbetrachtung mit Blick auf die Anzahl der Opfer und die Schwere der Schädigungen (Todesfälle und Verletzungen) bei der Zivilbevölkerung (BVerwG, Urteil vom 27.04.2010 – 10 C 4/09, Rn. 33, juris; Urteil vom 13.02.2014 – 10 C 6/13, Rn. 24, juris). Zu dieser wertenden Betrachtung gehört jedenfalls auch die Würdigung der medizinischen Versorgungslage in dem jeweiligen Gebiet, von deren Qualität und Erreichbarkeit die Schwere eingetretener körperlicher Verletzungen mit Blick auf die den Opfern dauerhaft verbleibenden Verletzungsfolgen abhängen kann (BVerwG, Urteil vom 17.11.2011 – 10 C 13/10, Rn. 23). Auf die wertende Gesamtbetrachtung kann verzichtet werden, wenn die Höhe des quantitativ ermittelten Risikos eines dem Kläger drohenden Schadens so weit von der Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit entfernt ist, dass sich der Mangel im Ergebnis nicht auszuwirken vermag. Dies hat das Bundesverwaltungsgericht bei einem für ein ganzes Jahr ermittelten Verletzungs-/Tötungsrisiko von ungefähr 1:800 (0,125%) angenommen. Die allgemeinen Lebensgefahren, die lediglich Folge des bewaffneten Konflikts sind – etwa eine dadurch bedingte Verschlechterung der Versorgungslage – können nicht in die Bemessung der Gefahrendichte einbezogen werden (BVerwG, Urteil vom 24.06.2008 – 10 C 43/07, Rn. 35, juris).
1.1.2.2.3 Liegen die Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG nicht landesweit vor, kommt die Zuerkennung subsidiären Schutzes in der Regel nur in Betracht, wenn der bewaffnete Konflikt sich auf die Herkunftsregion des Klägers erstreckt, in die er typischerweise zurückkehren wird. In diesem Fall ist weiter zu prüfen, ob der Kläger in anderen Teilen seines Herkunftslandes, in denen derartige Gefahren nicht bestehen, internen Schutz gemäß § 4 Abs. 3 in Verbindung mit § 3e AsylG finden kann. Bei einem regional begrenzten Konflikt außerhalb seiner Herkunftsregion muss der Kläger stichhaltige Gründe dafür vorbringen, dass für ihn eine Rückkehr in seine Herkunftsregion ausscheidet und nur eine Rückkehr gerade in die Gefahrenzone in Betracht kommt (BVerwG, Urteil vom 14.07.2009 – 10 C 9/08, Rn. 17 und 18, juris). Hat sich allerdings der Kläger schon vor der Ausreise und unabhängig von den fluchtauslösenden Umständen von seiner Herkunftsregion gelöst und in einem anderen Landesteil mit dem Ziel niedergelassen, dort auf unabsehbare Zeit zu leben, verliert die Herkunftsregion ihre Bedeutung als Ordnungs- und Zurechnungsmerkmal und scheidet damit als Anknüpfungspunkt für die Gefahrenprognose aus (BVerwG, Urteil vom 31.01.2013 – 10 C 15/12, Rn. 14, juris).
1.1.2.2.4 Ob in der Herkunftsprovinz des Klägers, Samangan, ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt besteht, kann offen bleiben, weil sich gegebenenfalls die von diesem Konflikt ausgehende allgemeine Gefahr nicht zu einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit des Klägers infolge willkürlicher Gewalt verdichtet hat.
Gefahrerhöhende Umstände in der Person des Klägers sind nicht ersichtlich. Das in diesem Fall erforderliche besonders hohe Niveau willkürlicher Gewalt wird in Samangan bei Weitem nicht erreicht.
Die Bevölkerungszahl von Samangan wird auf über 380.000 geschätzt (Wikipedia: 387.900 (2015); Republik Österreich, BFA Bundesamt für Fremdwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation: Afghanistan, Gesamtaktualisierung am 02.03.2017, letzte Kurzinformation eingefügt am 27.06.2017, Seite 98: 394.487).
Im Zeitraum 01.09.2015 bis 31.05.2016 (9 Monate) wurden in Samangan 42 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert, die sich wie folgt aufgliedern (Republik Österreich, BFA Bundesamt für Fremdwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation: Afghanistan, Gesamtaktualisierung am 02.03.2017, letzte Kurzinformation eingefügt am 27.06.2017, Seite 98; EASO, Country of Origin Information Report: Afghanistan – Security Situation, November 2016, Seite 154):
Violence targeting individuals = Gewalt gegen Einzelpersonen
5
Armed confrontations and airstrikes = bewaffnete Konfrontationen und Luftangriffe
18
Explosions = Selbstmordattentate, IED-Explosionen und andere Explosionen
5
Security enforcement = wirksame Einsätze von Sicherheitskräften
9
Non-conflict related incidents = Vorfälle ohne Bezug auf den Konflikt
4
Other incidents = andere Vorfälle
1
42
Die Zahl der zivilen Opfer (Tote und Verletzte) in ganz Afghanistan betrug von Januar bis September 2016 (9 Monate) 8.531 und hatte damit den höchsten Stand seit 2009 erreicht. In derselben Periode des Jahres 2017 war ein Rückgang um 6% auf 8.019 zu verzeichnen (UNAMA, Afghanistan Protection of Civilians in Armed Conflict, Quarterly Report, 12. October 2017). Davon entfielen in der ersten Jahreshälfte 2017 (1. Januar bis 30. Juni 2017) 24 zivile Opfer (8 Tote und 16 Verletzte) auf die Provinz Samangan, was gegenüber dem Vorjahreszeitraum einen Rückgang um 17% bedeutete (UNAMA, Afghanistan Protection of Civilians in Armed Conflict, Midyear Report 2017, July 2017, Annex III).
Ausgehend von einer Bevölkerungszahl von (nur) 380.000 und einer auf das Gesamtjahr 2017 hochgerechneten Opferzahl von rund 50 ergibt sich ein Verletzungs-/Tötungsrisiko von 0,013% (1:7.693). Dieses quantitativ ermittelte Risiko eines dem Kläger drohenden Schadens ist so weit von der Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit entfernt, dass auch ohne wertende Gesamtbetrachtung eine Individualisierung der allgemeinen Gefahr verneint werden kann.
1.2 Ein nationales Verbot, den Kläger nach Afghanistan abzuschieben, ergibt sich weder aus § 60 Abs. 5 AufenthG noch aus § 60 Abs. 7 AufenthG.
1.2.1 Gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten – EMRK – (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Der Verweis auf die EMRK umfasst lediglich „zielstaatsbezogene“, d.h. solche Abschiebungshindernisse, die in Gefahren begründet liegen, welche dem Ausländer im Zielstaat der Abschiebung drohen (BVerwG, Urteil vom 31.01.2013 – 10 C 15/12, Rn. 35, juris).
Hier ist insbesondere Art. 3 EMRK in den Blick zu nehmen, wonach niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe unterworfen werden darf. Das nationale Abschiebungsverbot des § 60 Abs. 5 AufenthG in Verbindung mit Art. 3 EMRK tritt selbständig neben den unionsrechtlichen subsidiären Schutz gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 und 2 Nr. 2 AsylG. Der sachliche Regelungsbereich ist weitgehend identisch (vgl. BVerwG, Urteil vom 31.01.2013 – 10 C 15/12, Rn. 36, juris; Urteil vom 13.06.2013 – 10 C 13/12, Rn. 24 und 25, juris, jeweils zu § 60 Abs. 2 AufenthG in der Fassung vom 25.02.2008). Geht die Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung aber nicht von Akteuren im Sinne des § 4 Abs. 3 in Verbindung mit § 3c AsylG aus, sondern wird eine Verletzung des Art. 3 EMRK allein auf die allgemeinen Lebensbedingungen im Herkunftsland gestützt, kommt nur das nationale Abschiebungsverbot in Betracht (vgl. BVerwG, Urteil vom 13.06.2013 – 10 C 13/12, Rn. 25, juris).
Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, die zur Auslegung des § 60 Abs. 5 AufenthG in Verbindung mit Art. 3 EMRK heranzuziehen ist, haben die Staaten – unbeschadet ihrer vertraglichen Verpflichtungen einschließlich derer aus der Konvention selbst – das Recht, die Einreise fremder Staatsbürger in ihr Hoheitsgebiet zu regeln. Die Abschiebung durch einen Konventionsstaat kann aber dessen Verantwortlichkeit nach der Konvention begründen, wenn es ernsthafte und stichhaltige Gründe dafür gibt, dass der Betroffene im Falle seiner Abschiebung tatsächlich Gefahr läuft, im Aufnahmeland einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu werden. In einem solchen Fall ergibt sich aus Art. 3 EMRK die Verpflichtung, die Person nicht in dieses Land abzuschieben. Allerdings können Ausländer kein Recht aus der Konvention auf Verbleib in einem Konventionsstaat geltend machen, um dort weiter medizinische, soziale oder andere Hilfe und Unterstützung zu erhalten. Der Schutzbereich des Art. 3 EMRK erstreckt sich nicht allgemein auf soziale Leistungsrechte. Der Umstand, dass im Fall einer Aufenthaltsbeendigung die Lage des Betroffenen einschließlich seiner Lebenserwartung erheblich beeinträchtigt würde, reicht nach dieser Rechtsprechung allein nicht aus, einen Verstoß gegen Art. 3 EMRK anzunehmen. Die sozio-ökonomischen und humanitären Verhältnisse im Bestimmungsland sind nicht dafür entscheidend, ob der Betroffene in diesem Gebiet wirklich der Gefahr einer Misshandlung unter Verstoß gegen Art. 3 EMRK ausgesetzt wäre. Denn die Konvention zielt hauptsächlich darauf ab, bürgerliche und politische Rechte zu schützen. Anderes kann nur in besonderen Ausnahmefällen gelten, in denen humanitäre Gründe zwingend gegen die Aufenthaltsbeendigung sprechen. Die grundlegende Bedeutung von Art. 3 EMRK macht nach Auffassung des EGMR eine gewisse Flexibilität erforderlich, um in sehr ungewöhnlichen Fällen eine Abschiebung zu verhindern. In ganz außergewöhnlichen Fällen können daher auch (schlechte) humanitäre Verhältnisse Art. 3 EMRK verletzen, wenn die humanitären Gründe gegen die Ausweisung „zwingend“ sind. Doch verpflichtet Art. 3 EMRK die Staaten nicht, Fortschritte in der Medizin sowie Unterschiede in sozialen und wirtschaftlichen Standards durch freie und unbegrenzte Versorgung von Ausländern ohne Bleiberecht zu beseitigen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 25.10.2012 – 10 B 16/12, Rn. 8 und 9, juris; Urteil vom 31.01.2013 – 10 C 15.12, Rn. 23 bis 25, juris, jeweils unter Verweis auf zitierte Rechtsprechung des EGMR).
Bei der Prüfung, ob der Betroffene durch die Abschiebung tatsächlich Gefahr läuft, einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu werden, stellt der EGMR grundsätzlich auf den gesamten Abschiebungszielstaat ab und prüft zunächst, ob solche Umstände an dem Ort vorliegen, an dem die Abschiebung endet (BVerwG, Urteil vom 31.01.2013 – 10 C 15/12, Rn. 26, juris). Im Falle einer von Akteuren im Sinne des § 4 Abs. 3 in Verbindung mit § 3c AsylG ausgehenden Verletzung des Art. 3 EMRK ist der Anknüpfungspunkt der Gefahrenprognose bei § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG somit ein anderer als bei § 60 Abs. 5 AufenthG in Verbindung mit Art. 3 EMRK.
Die hohen Anforderungen an eine allein auf die allgemeinen Lebensbedingungen im Herkunftsland gestützte, Art. 3 EMRK widersprechende Behandlung sind schon dann nicht erfüllt, wenn zu erwarten ist, dass Rückkehrer in Kabul durch Gelegenheitsarbeiten ein kümmerliches Einkommen erzielen und damit ein Leben am Rande des Existenzminimums finanzieren können (BVerwG, Beschluss vom 25.10.2012 – 10 B 16/12, Rn. 10, juris).
Gemessen daran sind keine ernsthaften und stichhaltigen Gründe ersichtlich, welche die Annahme rechtfertigen würden, der Kläger laufe im Falle seiner Abschiebung tatsächlich Gefahr, in Afghanistan allein aufgrund der dortigen allgemeinen Lebensbedingungen einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu werden.
In Kabul, wo eine Abschiebung des Klägers gegebenenfalls endet, sind die Wohnraumsituation sowie der Dienstleistungsbereich aufgrund der seit Jahren andauernden Primär- und Sekundärfluchtbewegungen im Land, die in Verbindung mit einer natürlichen (nicht konfliktbedingten) Landflucht und Urbanisierung zu Massenbewegungen in Richtung der Stadt geführt haben, extrem angespannt. Im Jahr 2016 wurde die Situation durch den Umstand, dass mehr als 25% der Gesamtzahl der aus Pakistan zurückgekehrten Afghanen nach Kabul gezogen sind, weiter erschwert. Angesichts des Rückgangs der wirtschaftlichen Entwicklung als Folge des massiven Abzugs der internationalen Streitkräfte im Jahr 2014 ist die Aufnahmekapazität der Stadt aufgrund begrenzter Möglichkeiten der Existenzsicherung, Marktliquidität, der fehlenden Verfügbarkeit angemessener Unterbringung sowie des mangelnden Zugangs zu grundlegenden Versorgungsleistungen, insbesondere im Gesundheits- und Bildungswesen, äußerst eingeschränkt (UNHCR, Anmerkungen zur Situation in Afghanistan auf Anfrage des deutschen Bundesministeriums des Innern, Dezember 2016). Auch wenn danach das Überleben in Kabul, insbesondere für einen Neuankömmling, täglich aufs Neue eine Herausforderung bis hin zum Überlebenskampf darstellen kann, rechtfertigt die geschilderte Situation nicht die Erwartung, der Kläger werde am Zielort der Abschiebung mit überwiegender Wahrscheinlichkeit nicht einmal ein Leben am Rande des Existenzminimums führen können. Dass ein solches Leben selbstverständlich nicht wünschenswert ist, reicht für die Annahme eines ganz außergewöhnlichen Falles, in dem die humanitären Gründe gegen die Abschiebung „zwingend“ sind, nicht aus.
Für ganz Afghanistan gilt, dass es zu den ärmsten und am wenigsten entwickelten Ländern der Welt gehört (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Afghanistan: Update, Die aktuelle Sicherheitslage, 14.09.2017, Seite 27). Die damit einhergehenden Lebensbedingungen, die in der bundesdeutschen Sozialstaatswirklichkeit keine Entsprechung finden, teilt der Kläger im Falle einer Rückkehr aber mit Millionen seiner Landsleute, die irgendwie damit zurechtkommen. Erkenntnisse, dass der Gesamtheit oder weiten Teilen der Bevölkerung Afghanistans der Hunger- oder Kältetod drohen würde, weil sie nicht in der Lage wären, selbst die elementarsten Grundbedürfnisse zu decken, liegen nicht vor. In der Regel haben die afghanischen Asylbewerber ihr Heimatland auch nicht aus existenzieller Not verlassen, sondern berichten häufig – wie auch der Kläger – sogar von guten wirtschaftlichen Verhältnissen. Im Allgemeinen ist daher eine Verletzung des Art. 3 EMRK allein aufgrund der Lebensbedingungen in Afghanistan nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten.
Vorliegend kommt hinzu, dass vor dem Hintergrund der Ausführungen zur Lage in Samangan keine Gründe ersichtlich sind, die einer Rückkehr des Klägers zu seiner – offensichtlich gut situierten – Familie entgegenstehen. Auch wenn es zutreffen sollte, dass die Kernfamilie des Klägers nach Indien ausgewandert ist, leben nach seinen Angaben noch andere Verwandte in Samangan, mit denen er schon vor seiner Ausreise im selben Haus zusammen gewohnt hat.
1.2.2 Gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht.
1.2.2.1 Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt gemäß § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Gemäß § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG ist es nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Gemäß § 60 Abs. 7 Satz 4 AufenthG liegt eine ausreichende medizinische Versorgung in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist.
Gemessen daran ergibt sich aus den vorgelegten ärztlichen Unterlagen keine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen. Die Operation eines Magengeschwürs im November 2016 verlief laut Arztbrief des Klinikums … vom 11.11.2016 über die stationäre Behandlung des Klägers vom 03.11.2016 bis 11.11.2016 komplikationslos. Das in diesem Arztbrief außerdem erwähnte Drogenproblem hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung dementiert. Der bloße Verdacht auf eine posttraumatische Belastungsstörung rechtfertigt ebenfalls nicht die Annahme einer lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankung, zumal überhaupt nicht ersichtlich ist, worauf sich diese Diagnose stützt. Die im internistischen Arztbrief vom 22.12.2016 diagnostizieren Erkrankungen Axiale Hiatushernie und Refluxösophagitis Grad I stellen keine lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen dar. Das hausärztliche Attest vom 19.12.2016 wiederholt im Wesentlichen nur die Diagnosen des Klinikums …
1.2.2.2 Eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit aus anderen als gesundheitlichen Gründen besteht für den Kläger in Afghanistan ebenfalls nicht. Es muss sich hierbei um eine individuelle Gefahr handeln. Gefahren nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind gemäß § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen (Sperrwirkung).
Demgemäß kann ein Ausländer nur ausnahmsweise im Hinblick auf die Lebensbedingungen, die ihn im Abschiebezielstaat erwarten, insbesondere die dort herrschenden wirtschaftlichen Existenzbedingungen und die damit zusammenhängende Versorgungslage, Abschiebungsschutz in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG beanspruchen, wenn er bei einer Rückkehr aufgrund dieser Bedingungen mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre. Nur dann gebieten es die Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, ihm trotz einer fehlenden politischen Leitentscheidung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu gewähren. Wann danach allgemeine Gefahren von Verfassungs wegen zu einem Abschiebungsverbot führen, hängt wesentlich von den Umständen des Einzelfalles ab und entzieht sich einer rein qualitativen oder statistischen Betrachtung. Die drohenden Gefahren müssen jedoch nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sein, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den Ausländer die begründete Furcht ableiten lässt, selbst in erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden. Bezüglich der Wahrscheinlichkeit des Eintritts der drohenden Gefahren ist von einem im Vergleich zum Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit erhöhten Maßstab auszugehen. Diese Gefahren müssen dem Ausländer daher mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen. Dieser Wahrscheinlichkeitsgrad markiert die Grenze, ab der seine Abschiebung in den Heimatstaat verfassungsrechtlich unzumutbar erscheint. Schließlich müssen sich diese Gefahren alsbald nach der Rückkehr realisieren. Dabei sind die Verhältnisse im ganzen Land in den Blick zu nehmen und – wie bei § 60 Abs. 5 AufenthG in Bezug auf Art. 3 EMRK – zunächst die Verhältnisse am Zielort der Abschiebung zu prüfen (BVerwG, Urteil vom 31.01.2013 – 10 C 15.12, Rn. 38, juris). Eine existenzielle Gefahrenlage in diesem Sinne ist schon dann zu verneinen, wenn in tatsächlicher Hinsicht zu erwarten ist, dass Rückkehrer durch Gelegenheitsarbeiten ein kümmerliches Einkommen erzielen und damit ein Leben am Rande des Existenzminimums finanzieren können. Die medizinische Versorgungslage ist nur bei akut behandlungsbedürftigen Vorerkrankungen oder in Fällen von Bedeutung, in denen aufgrund der allgemeinen Lebensverhältnisse mit einer entsprechend hohen Wahrscheinlichkeit eine lebensbedrohliche Erkrankung zu erwarten ist, für die dann faktisch kein Zugang zu medizinischer (Grund-)Versorgung besteht (BVerwG, Urteil vom 31.01.2013 – 10 C 15.12, Rn. 39, juris).
Wie sich bereits aus den Ausführungen zu § 60 Abs. 5 AufenthG in Verbindung mit Art. 3 EMRK ergibt, droht dem Kläger in Afghanistan nicht mit hoher Wahrscheinlichkeit eine existenzielle Gefahrenlage in diesem Sinne. Akut behandlungsbedürftige Erkrankungen, die mit Blick auf die medizinische Versorgungslage eine andere Prognose rechtfertigen würden, liegen, wie ebenfalls schon dargelegt, nicht vor.
1.3 Wurde nach alledem der Asylantrag des Klägers zu Recht abgelehnt und zu Recht festgestellt, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG nicht vorliegen, bestehen auch gegen die Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung gemäß § 34 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG keine Bedenken.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden gem. § 83b AsylG nicht erhoben. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit stützt sich auf § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11 ZPO.