Verwaltungsrecht

Erfolgloser Asylantrag einer irakischen Familie

Aktenzeichen  AN 2 K 16.31172

Datum:
27.4.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG AufenthG § 59, § 60 Abs. 1, Abs. 5, Abs. 7
AsylG AsylG § 3 Abs. 1, § 3a, § 4, § 34 Abs. 1

 

Leitsatz

1 Die Zugehörigkeit zur schiitischen Glaubensrichtung begründet nicht die generelle Gefahr von Verfolgung und Übergriffen im Irak. Außerhalb der Gebiete, die von der Terrorgruppe IS besetzt sind, kommt es aufgrund von Religions- oder Volkszugehörigkeit nur zu vereinzelten Übergriffen. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
2 Im Irak besteht kein landesweiter innerstaatlicher bewaffneter Konflikt. Die allgemeinen humanitären Lebensverhältnisse begründen kein Abschiebungsverbot. (Rn. 18 – 19) (redaktioneller Leitsatz)
3 Infektionserkrankungen, die bei Kindern regelmäßig vorkommen, können im Irak ausreichend behandelt werden. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klagen werden abgewiesen.
2. Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Die Klage ist zulässig, aber unbegründet. Der angefochtene Bescheid des BAMF vom 9. August 2016 ist rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 und Abs. 5 VwGO). Weder besteht ein Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigte nach Art. 16 a GG und Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 1 AsylG, noch auf Zuerkennung subsidiären Schutzes im Sinne von § 4 AsylG oder auf Feststellung des Vorliegens von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Auch die in Ziffer 5 und 6 getroffenen Nebenentscheidungen begegnen keinen Bedenken.
Der Asylanerkennung steht bereits Art. 16 a Abs. 2 GG entgegen, nachdem die Einreise auf dem Landweg und damit über einen sicheren Drittstaat (§ 26 a Abs. 2 AsylG) in die Bundesrepublik Deutschland erfolgt ist.
Das Bundesamt hat auch zu Recht den geltend gemachten Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft im Sinne von § 3 Abs. 1 AsylG verneint. Die Zugehörigkeit zur schiitischen Glaubensrichtung begründet aktuell nicht die Gefahr von Verfolgung bzw. Übergriffen im Sinne von § 3 a AsylG. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (U.v. 21.4.2009, 10 C-11/08 – juris) liegt eine asylrechtlich erhebliche Verfolgungsgefahr für Mitglieder einer Gruppe dann vor, wenn Verfolgungshandlungen im Verfolgungszeitraum und Verfolgungsgebiet auf alle sich dort aufhaltenden Gruppenmitglieder zielen und sich in quantitativer und qualitativer Hinsicht so ausweiten, wiederholen und um sich greifen, dass daraus für jeden Gruppenangehörigen nicht nur die Möglichkeit, sondern auch ohne Weiteres die aktuelle Gefahr eigener Betroffenheit besteht. Dies gilt nach den vom Gericht beigezogenen Erkenntnisquellen für Schiiten mit einem Herkunftsgebiet außerhalb der Regionen, die von der Terrorgruppe „Islamischer Staat“ besetzt werden oder wurden, nicht allgemein. Zwar existieren im Irak der Auskunftslage nach neben dem erheblichen, auch kämpferischen Konflikt zwischen dem „Islamischen Staat“ einerseits und der Regierung und den sie unterstützenden Einheiten andererseits auch Spannungen innerhalb des Bündnisses zwischen den Angehörigen der Regierung bzw. staatlichen Sicherheitskräften und deren Unterstützern, zu denen auch schiitische Milizen und die kurdische Peschmerga gehören, jedoch kommt es entlang dieser Konflikte aufgrund von Religions- und Volkszugehörigkeit nur zu vereinzelten Übergriffen, die auch in …, wo die Kläger herkommen, kein solches Ausmaß erreichen, dass sie davon ausgehen müssten, selbst betroffen zu sein. Im Irak leben ca. 60 bis 65 Prozent Schiiten, die südlichen Regionen des Irak sind ganz überwiegend schiitisch bevölkert, sodass jedenfalls grundsätzlich nicht mit ethnisch oder religiös motivierten Übergriffen auf Schiiten gerechnet werden muss.
Auch das persönliche Vorbringen der Kläger lässt keine Umstände erkennen, die die Annahme asylrechtlich relevanter Gefahren gerade bei ihnen rechtfertigen könnte. Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Explosion bzw. Bombardierung im Jahr 2010 in der Nähe des Büros des Klägers zu 1), deren Augenzeuge dieser geworden ist und zu seiner Schwerhörigkeit geführt hat, ihm persönlich gegolten hat; dies machen die Kläger auch selbst nicht geltend. Eine auf sie gerichtete Verfolgungshandlung ist demnach nicht zu erkennen.
Soweit die Kläger vortragen, dass der Kläger zu 1) bedroht worden sei, glaubt das Gericht den Klägern diesen Sachverhalt nicht. Der Kläger zu 1) hat hierzu bei seiner Befragung durch das BAMF am 13. Juli 2016 keinerlei Angaben gemacht, sondern sich erst in der mündlichen Verhandlung vom 27. April 2017 hierauf berufen und dazu erstmals einen Sachvortrag gemacht. Auch im Klageschriftsatz vom 18. August 2016 blieb die angebliche Bedrohung vollkommen unerwähnt. Der Kläger zu 1) gibt in der mündlichen Verhandlung zwar an, Probleme im Zusammenhang mit seiner Arbeit beim BAMF erwähnt zu haben, insbesondere das Dokument, dass er in der mündlichen Verhandlung überreicht hat, dort ebenfalls vorgezeigt zu haben, jedoch gibt die Niederschrift des BAMF hierauf keinerlei Hinweis und deutet auch die kurze Dauer der Anhörung von nur gut einer halben Stunde darauf hin, dass der Kläger tatsächlich keine Angaben hierzu gemacht hat. Die Einlassung kann ihm somit nicht geglaubt werden.
Die Klägerin zu 2) machte eine Bedrohung ihres Ehemanns zwar bereits bei der Anhörung vor dem BAMF geltend, jedoch sehr vage und detailarm. In der mündlichen Verhandlung gab sie auf die Frage des Gerichts zunächst kaum nachvollziehbar und im Widerspruch dazu an, dass es nicht richtig sei, dass sie beim BAMF von Schwierigkeiten ihres Mannes berichtet habe, dass ihr Mann vielmehr keine Schwierigkeiten gehabt habe. Diese Aussage berichtigt sie dann aber auf Vorhalt des Gerichts und bestätigt, dass ihr Mann Bedrohungen erfahren habe. Aus diesem wechselnden und vagen Vorbringen kann das Gericht keinen Wahrheitsgehalt herausfiltern. Das von den Klägern als Fotografie in der mündlichen Verhandlung vorgelegte Dokument selbst belegt lediglich die berufliche Tätigkeit des Klägers zu 1), an der das Gericht nicht zweifelt, nicht aber irgendwelche Konsequenzen daraus.
Angesichts der allgemeinen Situation im Irak ist für die Kläger auch keine Situation im Sinne von § 4 AsylG, die zur Zuerkennung subsidiären Schutzes führen würde, anzunehmen. Ein bewaffneter innerstaatlicher Konflikt liegt in …, der Heimatregion der Kläger, nach Auswertung der zum Verfahren beigezogenen Erkenntnisquellen nicht vor. Einzelne terroristische Anschläge und Gewaltakte, zu denen es im gesamten Irak gekommen ist und weiter kommen kann, genügen hierfür nicht.
Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 AufenthG liegen ebenfalls nicht vor. Es ist insbesondere nicht ersichtlich, dass die Kläger ihren Lebensunterhalt in ihrer Heimat nicht auf Dauer bestreiten könnten, wie sie dies auch vor ihrer Ausreise konnten. Die allgemeinen, insbesondere humanitären Lebensverhältnisse im Irak begründen nach Rechtsprechung des Gerichts kein Abschiebungsverbot.
Aus den damals akuten Erkrankungen der Klägerin zu 3) in den Jahren 2015 und 2016 ergibt sich kein Abschiebungsverbot für die Kläger. Es handelt sich um keine schwerwiegenden Erkrankungen, sondern um Infektionserkrankungen, die bei Kindern dieses Alters regelmäßig vorkommen und auch im Irak ausreichend versorgt werden können. Im Übrigen sind die Erkrankungen inzwischen offenbar ausgeheilt, nachdem keine weiteren ärztlichen Unterlagen hierzu vorgelegt wurden. Auch die Schwerhörigkeit des Klägers stellt keinen Umstand dar, der zu einem Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG führt. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen kann nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG nur angenommen werden bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Ab schiebung wesentlich verschlechtern würden. Nach § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG ist es nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Für den Kläger zu 1) wurde weder geltend gemacht, dass sein Hörproblem in Deutschland überhaupt behandelt wird, noch dass es schwerwiegend oder lebensbedrohlich ist, noch dass dieses sich bei einer Rückkehr verschlechtern würde.
Die Abschiebungsandrohung in Ziffer 5 des Bescheids vom 9. August 2016 beruht auf § 34 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG und ist rechtmäßig, da die entsprechenden gesetzlichen Voraussetzungen vorliegen.
Die im Rahmen der nach § 11 Abs. 3 AufenthG zu treffenden Ermessensentscheidung über die Dauer des Einreise- und Aufenthaltsverbots gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG ist nicht zu beanstanden, § 114 Abs. 1 VwGO.
Die Kostenentscheidung der damit abzuweisenden Klage resultiert aus § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83 b AsylG nicht erhoben.

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