Aktenzeichen 8 ZB 18.32888
VwGO § 132 Abs. 2 Nr. 1
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7
EMRK Art. 3
Leitsatz
1. Die Darlegung der rechtsgrundsätzlichen Bedeutung bedarf der Formulierung einer konkreten Tatsachen- oder Rechtsfrage und es muss aufgezeigt werden, weshalb die Frage im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Fortentwicklung des Rechts klärungsbedürftig und entscheidungserheblich (klärungsfähig) ist und worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung dieser Frage besteht. (Rn. 3) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Frage, ob eine Extremgefahr gegeben ist, ob der betreffende Ausländer also bei einer Rückführung in das Heimatland gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod ausgeliefert oder von erheblichen Gefahren für Leib, Leben oder Freiheit bedroht ist, hängt von einer Vielzahl von Faktoren und Einzelumständen ab und kann daher nicht verallgemeinernd, sondern nur nach jeweiliger Würdigung der Verhältnisse im Einzelfall beurteilt werden. (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
Au 1 K 17.32523 2018-10-15 Urt VGAUGSBURG VG Augsburg
Tenor
I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
Gründe
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
Der von der Klägerin geltend gemachte Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG) liegt nicht vor bzw. ist nicht in einer Weise dargetan, die den Anforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG genügt.
Einer Rechtssache kommt grundsätzliche Bedeutung gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG zu, wenn für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts eine konkrete, jedoch fallübergreifende Tatsachen- oder Rechtsfrage von Bedeutung war, deren noch ausstehende obergerichtliche Klärung im Berufungsverfahren zu erwarten ist und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zu einer bedeutsamen Weiterentwicklung des Rechts geboten erscheint (vgl. BayVGH, B.v. 5.12.2017 – 11 ZB 17.31711 – juris Rn. 2; BVerwG, B.v. 21.11.2017 – 1 B 148.17 u.a. – juris Rn. 4 zu § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Dementsprechend verlangt die Darlegung der rechtsgrundsätzlichen Bedeutung nach § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG, dass eine konkrete Tatsachen- oder Rechtsfrage formuliert und aufgezeigt wird, weshalb die Frage im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Fortentwicklung des Rechts klärungsbedürftig und entscheidungserheblich (klärungsfähig) ist. Ferner muss dargelegt werden, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung dieser Frage besteht (vgl. BayVGH, B.v. 5.12.2017 – 11 ZB 17.31711 – juris Rn. 2; BVerwG, B.v. 30.9.2015 – 1 B 42.15 – juris Rn. 3).
Diesen Anforderungen genügt das Vorbringen der Klägerin nicht. Die von ihr als grundsätzlich bedeutsam aufgeworfene Frage,
„ob eine alleinstehende Frau wie die Klägerin mit einem minderjährigen Kind in Äthiopien in der Lage wäre, sich eine menschenwürdige Existenz zu erwirtschaften, oder ob in solchen Fällen ein Abschiebeverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK vorliegt, weil es einer alleinstehenden Frau mit einem minderjährigen Kind nicht gelingen kann, die elementaren Bedürfnisse, wie Nahrung, Hygiene und Unterkunft zu befriedigen (BayVGH, Urteil vom 21.11.2014 – 13a B 14.30285) und die aus den zu erwartenden schwierigen Lebensbedingungen resultierenden Gefährdungen im Einzelfall eine solche Intensität aufweisen, dass auch ohne konkret drohenden Maßnahmen von einer unmenschlichen Behandlung auszugehen ist,“
ist einer grundsätzlichen Klärung i.S. von § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG nicht zugänglich. Sie entzieht sich einer generellen, fallübergreifenden Klärung, weil sie nicht losgelöst von den jeweiligen Umständen des Einzelfalls beantwortet werden kann. Dies bringt die Klägerin bereits selbst zum Ausdruck, indem sie bei ihrer Fragestellung auf eine „Intensität der Gefährdungen im Einzelfall“ abstellt.
Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der EMRK ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Nach Art. 3 EMRK darf niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe unterworfen werden. Schlechte humanitäre Verhältnisse im Herkunftsland können nach gefestigter Rechtsprechung im Ausnahmefall ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK wegen einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung begründen (vgl. BayVGH, U.v. 21.11.2014 – 13a B 14.30285 – AuAS 2015, 43 = juris LS und Rn. 17; BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15.12 – BVerwGE 146, 12 Rn. 23, 25; B.v. 8.8.2018 – 1 B 25.18 – juris Rn. 8). Dies setzt aber voraus, dass im Zielstaat der Abschiebung das für eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung erforderliche Mindestmaß an Schwere erreicht wird. Das kann der Fall sein, wenn ein Ausländer im Zielstaat seinen existentiellen Lebensunterhalt nicht sichern kann, kein Obdach findet oder keinen Zugang zu einer medizinischen Basisbehandlung erhält. Einer weitergehenden abstrakten Konkretisierung ist das Erfordernis, dass ein gewisses Mindestmaß an Schwere erreicht sein muss, nicht zugänglich. Vielmehr bedarf es insoweit der Würdigung aller Umstände des Einzelfalls (vgl. BVerwG, B.v. 8.8.2018 – 1 B 25.18 – juris LS 1 und Rn. 9, 11).
Nichts anderes gilt für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 AufenthG. Dieses und nicht ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG dürfte das Verwaltungsgericht – entgegen seiner Ausführungen (vgl. Urteilsabdruck Rn. 31 ff.) – wohl gemeint haben. Denn es hat maßgeblich auf das Vorliegen einer „Extremgefahr“ abstellt, deren Vorliegen bei einem Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG nicht vorausgesetzt wird (BVerwG, B.v. 8.8.2018 – 1 B 25.18 – juris LS 2 und Rn. 13). Auch die Frage, ob die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 AufenthG erfüllt sind und insbesondere eine Extremgefahr gegeben ist, ob der betreffenden Ausländerin also bei einer Rückführung in das Heimatland gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod ausgeliefert oder von erheblichen Gefahren für Leib, Leben oder Freiheit bedroht ist (vgl. BayVGH, B.v. 2.11.2017 – 15 ZB 17.31494 – juris Rn. 19; B.v. 9.8.2018 – 8 ZB 18.31801 – juris Rn. 8 f.; BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15.12 – BVerwGE 146, 12 Rn. 38; U.v. 8.8.2018 – 1 B 25.18 – juris Rn. 13), hängt indes von einer Vielzahl von Faktoren und Einzelumständen ab, wie etwa der Erwerbsfähigkeit oder den familiären Bindungen und finanziellen Verhältnissen der Betroffenen. Sie kann daher nicht verallgemeinernd, sondern nur nach jeweiliger Würdigung der Verhältnisse im Einzelfall beurteilt werden (vgl. BVerwG, U.v. 31.1.2013, a.a.O. Rn. 38). Das gilt auch in Bezug auf alleinstehende Frauen mit einem oder auch mehreren Kindern.
Im vorliegenden Fall hat das Verwaltungsgericht das Bestehen einer solchen Extremgefahr mit Blick auf die Arbeitsfähigkeit und die verwandtschaftlichen Beziehungen der Klägerin in Äthiopien (Eltern, mehrere Geschwister) verneint. Sie sei bereits vor ihrer Ausreise von ihrem Vater mit ca. 5.000 € finanziell unterstützt worden. Auch gebe es keine Anhaltspunkte dafür, dass sich die Familie der Klägerin nicht mehr an ihrem alten Wohnort aufhalte, an dem sie eine Kaffeeplantage betrieben habe. Hinzu komme, dass auch der Lebensgefährte der Klägerin, mit dem sie die gemeinsame Tochter habe, aller Voraussicht nach Äthiopien werde zurückkehren müssen, weil auch sein Asylantrag abgelehnt worden sei. Es sei daher zu erwarten, dass die Klägerin und ihr Lebensgefährte sich die Aufgabe der Kinderbetreuung und der Erwirtschaftung des Lebensunterhalts würden teilen können.
Soweit die Klägerin hiergegen unter Anführung entsprechender Internet-Adressen vorbringt, dass die allgemeine Arbeitslosenquote in Äthiopien 21% betrage und 40% der Bevölkerung unter der Armutsgrenze lebten, wobei Frauen besonders von Armut bedroht seien, und soweit sie geltend macht, sie habe in Äthiopien „keine Chance, sich in diesem Kontext eine menschenwürdige Existenz aufzubauen“ und „es stehe in den Sternen, ob ihr Lebensgefährte nach Äthiopien zurückkehre und inwieweit diese Beziehung überhaupt trage“, zeigt sie keine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache auf, sondern wendet sich in der Sache gegen die Sachverhalts- und Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichts (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Damit wird kein Berufungszulassungsgrund im Sinn von § 78 Abs. 3 AsylG benannt (vgl. BayVGH, B.v. 25.7.2018 – 8 ZB 18.31802 – juris Rn. 7; B.v. 31.10.2018 – 8 ZB 17.30339 – juris Rn. 9 ff.). Gleiches gilt, soweit sie auf das Urteil des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 8. August 2013 Az. AN 3 K 12.30425 Bezug nimmt, mit dem das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge in einem besonderen Einzelfall verpflichtet wurde, einer alleinstehenden jungen Frau ohne jede familiäre Beziehungen in Äthiopien gemäß § 3 AsylG die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen. Durch Mängel der gerichtlichen Sachverhalts- und Beweiswürdigung kann allenfalls der Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG, § 138 Nr. 3 VwGO, § 108 Abs. 2 VwGO, Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt sein, allerdings nur dann, wenn ein besonders schwerwiegender Verstoß vorliegt, insbesondere wenn die Sachverhalts- und Beweiswürdigung des Gerichts auf einem Rechtsirrtum beruht, objektiv willkürlich ist oder allgemeine Erfahrungssätze missachtet (vgl. BVerwG, B.v. 31.1.2018 – 9 B 11.17 – juris; B.v. 12.3.2014 – 5 B 48.13 – NVwZ-RR 2014, 660 = juris Rn. 22; BayVGH, B.v. 7.5.2018 – 21 ZB 18.30867 – Rn. 4). Dass ein solcher Mangel hier vorliegt, zeigt der Zulassungsantrag nicht auf.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG). Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 Abs. 1 Satz 1 RVG.
Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).