Verwaltungsrecht

Erfolgloser Berufungszulassungsantrag einer Asylbewerberin aus Sierra Leone

Aktenzeichen  9 ZB 19.30163

Datum:
26.2.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 3481
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 78 Abs. 3, § 80, § 83b
VwGO § 86 Abs. 2, § 138, § 154 Abs. 2
GG  Art. 103 Abs. 1

 

Leitsatz

1 Trotz schwieriger wirtschaftlicher Bedingungen sowie der besonders schwierigen Lage alleinstehender Frauen in Sierra Leone kann eine gesunde und arbeitsfähige Frau ohne Unterhaltslasten mit überdurchschnittlicher Schul- und Berufsausbildung sowie Erfahrungen als Verkäuferin dort ihre Existenz sichern. (Rn. 4) (red. LS Clemens Kurzidem)
2 Stützt sich das Verwaltungsgericht bei seiner Entscheidung auf bestimmte Erkenntnismittel, genügt es den Darlegungsanforderungen des § 78 Abs. 4 S. 4 AsylG im Hinblick auf die grundsätzliche Bedeutung einer Tatsachenfrage nicht, wenn lediglich die Behauptung aufgestellt wird, die maßgeblichen tatsächlichen Verhältnisse stellten sich anders dar als vom Verwaltungsgericht angenommen. Vielmehr bedarf es zumindest eines überprüfbaren Hinweises auf bislang vom Verwaltungsgericht nicht berücksichtigte Tatsachen- und Erkenntnisquellen, die zumindest eine gewisse Wahrscheinlichkeit aufzeigen, dass die aufgeworfene Tatsachenfrage anders als in der angefochtenen Entscheidung zu beantworten ist (BayVGH BeckRS 2018, 28784).  (Rn. 5) (red. LS Clemens Kurzidem)
3 Der Anspruch auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG ist nicht schon dann verletzt, wenn der Richter zu einer unrichtigen Tatsachenfeststellung im Zusammenhang mit der ihm obliegenden Tätigkeit der Sammlung, Feststellung und Bewertung der von den Parteien vorgetragenen Tatsachen gekommen ist. Die bloße Behauptung, das Gericht habe einem tatsächlichen Umstand nicht die richtige Bedeutung für weitere tatsächliche oder rechtliche Folgerungen beigemessen oder habe es versäumt, Beweis zu erheben, vermag einen Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG nicht zu begründen (BVerfG BeckRS 2017, 103188). (Rn. 7) (red. LS Clemens Kurzidem)
4 Die Ablehnung eines erheblichen Beweisangebots verstößt gegen Art. 103 Abs. 1 GG, wenn sie im Prozessrecht keine Stütze mehr findet (BVerwG BeckRS 2015, 51746). Das rechtliche Gehör wird dann versagt, wenn ein Beweisantrag in willkürlicher Weise als unerheblich qualifiziert wird. (Rn. 11) (red. LS Clemens Kurzidem)
5 Reichen die in das Verfahren bereits eingeführten Erkenntnismittel zur Beurteilung der geltend gemachten Gefahren aus und legt das Gericht diese erkennbar seiner Beweiswürdigung zugrunde, kann es einen Beweisantrag auf Einholung weiterer Auskünfte unter Berufung auf eigene Sachkunde verfahrensfehlerfrei ablehnen (BVerwG BeckRS 2013, 50244). (Rn. 15) (red. LS Clemens Kurzidem)

Verfahrensgang

RN 14 K 17.34377 2018-11-27 Urt VGREGENSBURG VG Regensburg

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
1. Die Berufung ist nicht wegen der geltend gemachten grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zuzulassen (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG).
Die Zulassung der Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache setzt voraus, dass eine konkrete noch nicht geklärte Rechts- oder Tatsachenfrage aufgeworfen wird, deren Beantwortung sowohl für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts von Bedeutung war als auch für die Entscheidung im Berufungsverfahren erheblich sein wird und die über den konkreten Fall hinaus wesentliche Bedeutung für die einheitliche Anwendung oder für die Weiterentwicklung des Rechts hat. Zur Darlegung dieses Zulassungsgrundes ist eine Frage auszuformulieren und substantiiert anzuführen, warum sie für klärungsbedürftig und entscheidungserheblich gehalten und aus welchen Gründen ihr Bedeutung über den Einzelfall hinaus zugemessen wird (vgl. BayVGH, B.v. 22.1.2019 – 9 ZB 18.31719 – juris Rn. 2 m.w.N.).
Hinsichtlich der aufgeworfenen Frage, „ob einer alleinstehenden Frau aus Sierra Leone, die – wie die Klägerin – nicht über einen schützenden Familienverband verfügt, im Falle einer Rückkehr nach Sierra Leone aufgrund der schlechten Versorgungslage eine existenziell lebensbedrohliche Lage droht“, sind diese Anforderungen nicht erfüllt. Das Verwaltungsgericht hat auf die schwierigen wirtschaftlichen Bedingungen sowie die besonders schwierige Lage alleinstehender Frauen in Sierra Leone abgestellt und ist auf dieser Grundlage davon ausgegangen, dass die Klägerin als gesunde und arbeitsfähige Frau ohne Unterhaltslasten mit überdurchschnittlicher Schul- und Berufsausbildung sowie Erfahrungen als Verkäuferin ihre Existenz sichern kann. Dem tritt das Zulassungsvorbringen nicht substantiiert entgegen und setzt sich auch nicht substantiiert mit den eingeführten Erkenntnismitteln auseinander, sondern wendet sich im Gewand der Grundsatzrüge gegen die einzelfallbezogene Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichts, wonach die Klägerin auch in den Jahren 2014 bis 2017 in der Lage gewesen sei, ein ausreichendes Einkommen zu generieren, und ihren anderslautenden Darstellungen nicht zu glauben seien. Damit wird kein in § 78 Abs. 3 AsylG genannter Zulassungsgrund geltend gemacht (vgl. BayVGH, B.v. 31.10.2018 – 9 ZB 18.32733 – Rn. 14).
Stützt sich das Verwaltungsgericht – wie hier – bei seiner Entscheidung auf bestimmte Erkenntnismittel oder gerichtliche Entscheidungen, genügt es zudem den Darlegungsanforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG in Bezug auf die grundsätzliche Bedeutung einer Tatsachenfrage nicht, wenn lediglich die Behauptung aufgestellt wird, die für die Beurteilung maßgeblichen tatsächlichen Verhältnisse stellten sich anders dar als vom Verwaltungsgericht angenommen. Vielmehr bedarf es zumindest eines überprüfbaren Hinweises auf andere Gerichtsentscheidungen oder auf vom Verwaltungsgericht nicht berücksichtigte sonstige Tatsachen- und Erkenntnisquellen (z.B. Gutachten, Auskünfte, Presseberichte), die zumindest eine gewisse Wahrscheinlichkeit aufzeigen, dass die aufgeworfene Tatsachenfrage anders als in der angefochtenen Entscheidung zu beantworten ist (vgl. BayVGH, B.v. 31.10.2018 – 9 ZB 18.32733 – juris Rn. 13 m.w.N.). Auch daran fehlt es.
2. Die Berufung ist auch nicht wegen der geltend gemachten Verletzung rechtlichen Gehörs zuzulassen (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 VwGO).
Das rechtliche Gehör als prozessuales Grundrecht (Art. 103 Abs. 1 GG) sichert den Parteien ein Recht auf Information, Äußerung und Berücksichtigung mit der Folge, dass sie ihr Verhalten eigenbestimmt und situationsspezifisch gestalten können, insbesondere dass sie mit ihren Ausführungen und Anträgen gehört werden. Das Gericht hat sich mit den wesentlichen Argumenten des Klagevortrags zu befassen, wenn sie entscheidungserheblich sind. Ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG kann jedoch nur dann festgestellt werden, wenn sich aus besonderen Umständen klar ergibt, dass das Gericht dieser Pflicht nicht nachgekommen ist (BayVGH, B.v. 19.10.2018 – 9 ZB 16.30023 – juris Rn. 10). Der Anspruch auf rechtliches Gehör ist allerdings nicht schon dann verletzt, wenn der Richter zu einer unrichtigen Tatsachenfeststellung im Zusammenhang mit der ihm obliegenden Tätigkeit der Sammlung, Feststellung und Bewertung der von den Parteien vorgetragenen Tatsachen gekommen ist. Auch die bloße Behauptung, das Gericht habe einem tatsächlichen Umstand nicht die richtige Bedeutung für weitere tatsächliche oder rechtliche Folgerungen beigemessen oder das Gericht habe es versäumt, Beweis zu erheben, vermag einen Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG nicht zu begründen (vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschluss v. 15.2.2017 – 2 BvR 395/16 – juris Rn. 5 m.w.N.).
a) Danach hat die Klägerin mit dem Zulassungsvorbringen, das Verwaltungsgericht habe nicht ausreichend geprüft, ob ihr im Fall der Rückkehr nach Sierra Leone Verelendung drohe, keinen Gehörsverstoß dargelegt, der auch vorliegt. Das Verwaltungsgericht hat sich, wie den Entscheidungsgründen seines Urteils (vgl. UA S. 12 ff.) entnommen werden kann, ausführlich mit der Frage auseinandergesetzt, ob für die Klägerin ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 AufenthG anzunehmen ist, weil ihr in Sierra Leone wegen der dortigen schwierigen Lebensbedingungen eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung drohen würde bzw. sie dort einer extremen Lebensgefahr oder einer extremen Gefahr der Verletzung der körperlichen Unversehrtheit ausgesetzt wäre. Es hat allerdings eine von der Auffassung der Klägerin abweichende Beweiswürdigung vorgenommen.
Soweit das Verwaltungsgericht in diesem Zusammenhang die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Aachen vom 29. März 2006 (9 L 137/06 – juris) anführt, lässt sich auch nicht – wie die Klägerin meint – der Schluss ziehen, dass es die Auskunftslage ansonsten, so wie sie sich anhand der eingeführten Erkenntnismittel darstellt, unberücksichtigt gelassen hätte bzw. diesen Erkenntnismitteln nichts habe entnehmen können. Das Zulassungsvorbringen verkennt hier schon, dass das Verwaltungsgericht sich nur auf eine rechtliche Auffassung bezieht, die in der genannten Entscheidung vertreten wurde.
b) Auch die Ablehnung des in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisantrags begründet keinen Gehörsverstoß.
Die Ablehnung eines erheblichen Beweisangebots verstößt gegen Art. 103 Abs. 1 GG, wenn sie im Prozessrecht keine Stütze mehr findet (BVerwG, B.v. 10.8.2015 – 5 B 48.15 – juris Rn. 10 m.w.N.). Das rechtliche Gehör ist versagt, wenn ein Beweisantrag in willkürlicher Weise als unerheblich qualifiziert wird. Willkürlich ist ein Richterspruch aber nur, wenn er unter keinem denkbaren Aspekt rechtlich vertretbar ist und sich daher der Schluss aufdrängt, dass er auf sachfremden Erwägungen beruht. Fehlerhafte Rechtsanwendung allein macht eine Gerichtsentscheidung nicht willkürlich. Von einer willkürlichen Missdeutung kann insbesondere nicht gesprochen werden, wenn das Gericht sich mit der Rechtslage eingehend auseinandersetzt und seine Auffassung nicht jeden sachlichen Grundes entbehrt (BVerfG, B.v. 22.5.2015 – 1 BvR 291/13 – juris Rn. 5 m.w.N.; BayVGH, B.v. 26.4.2018 – 9 ZB 18.30178 – juris Rn. 4 m.w.N.).
Die Klägerin hat in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht am 27. November 2018 beantragt, zum Beweis der Tatsache, dass der Klägerin als alleinstehender Frau ohne familiäre Unterstützung im Falle einer Rückkehr nach Sierra Leone eine existenziell lebensbedrohliche Lage drohe, eine Auskunft der Schweizerischen Flüchtlingshilfe einzuholen. Das Verwaltungsgericht hat den Beweisantrag in der mündlichen Verhandlung als nicht entscheidungserheblich abgelehnt. Der Vortrag der Klägerin werde in Gänze als unglaubhaft zurückgewiesen. Aufgrund der zahlreichen Widersprüche und Ungereimtheiten sei es auch nicht glaubhaft, dass die Klägerin in ihrer Zeit nach der Flucht im Januar 2014 ohne jegliche Unterstützung und einzig mit Prostitution ihr Leben gefristet habe. Darüber hinaus verfüge das Verwaltungsgericht aufgrund der eingeführten Erkenntnismittel bereits über die erforderliche Sachkunde und das erforderliche Sachwissen. Das Gericht gehe davon aus, dass eine allstehende, gesunde und arbeitsfähige Frau ohne Unterhaltsverpflichtung ausreichend Einkünfte erwerben könne, um zumindest ihre Existenzgrundlage sicherzustellen.
Zur Begründung ihres Zulassungsantrags trägt die Klägerin vor, dass das Gericht einen Widerspruch im Vortrag der Klägerin konstruiert habe, um ihn als unglaubhaft ablehnen zu können. Die vom Gericht gezogene Schlussfolgerung, die Klägerin verfüge in Sierra Leone über finanzielle Mittel und ein soziales Netzwerk, sei willkürlich. Das Gericht habe weiterhin weder durch eigene Sachkunde noch aufgrund von Erkenntnismitteln darlegen können, dass die Klägerin in Sierra Leone keiner existenziellen Notlage ausgeliefert sei. Eine nicht sachgerechte Ablehnung des Beweisantrags in der mündlichen Verhandlung (§ 86 Abs. 2 VwGO) wird mit diesem Vorbringen nicht aufgezeigt.
Die im Urteil ausführlich begründete Einschätzung des Verwaltungsgerichts, dass der Klägerin (auch) hinsichtlich der von ihr behaupteten persönlichen Lebensumstände nicht geglaubt werden könne, ist sachlich begründet. Das Verwaltungsgericht hat in seiner Entscheidung hierzu nicht nur die Unterschiede in den Darstellungen der Klägerin gegenüber Gericht und Bundesamt betreffend ihre Einkommenssituation in den Jahren 2014 bis 2017 angeführt, sondern es auch als lebensfern erachtet und nicht geglaubt, dass der Klägerin – wie von ihr behauptet – fremde Personen ohne Gegenleistung einen Reisepass und ein Visum organisiert sowie die gesamte Reise, einschließlich eines Fluges von Marokko nach Deutschland finanziert haben sollen. Zudem hat es auf die von ihm festgestellten und im Urteil ausführlich dargestellten Widersprüche im sonstigen Vortrag der Klägerin verwiesen und ist nach alledem zu der vertretbaren Schlussfolgerung gelangt, dass die Klägerin ihre wirtschaftliche Lage in Sierra Leone falsch dargestellt habe und ebenso wie vor ihrer Ausreise ihre Existenzgrundlage entweder selbst oder mit Hilfe Dritter werde sicherstellen können. Das Beweisangebot ist bei dieser Würdigung durch das Verwaltungsgericht, nach der es sich bei der Klägerin gerade nicht um die (mittellose) alleinstehende Frau ohne familiäre Unterstützung handelt, unerheblich.
Darüber hinaus hat die Klägerin aber auch nicht dargelegt, warum die bereits vorliegenden und in das Verfahren eingeführten Erkenntnismittel nicht ausreichen oder sonst Mängel aufweisen sollten. Nur in einem solchen Fall könnte sich die im Ermessen des Gerichts stehende Entscheidung über einen Antrag auf Einholung weiterer Auskünfte oder Gutachten zu einem entsprechenden Anspruch verdichtet haben. Reichen die in das Verfahren bereits eingeführten Erkenntnismittel zur Beurteilung der geltend gemachten Gefahren aus und legt das Gericht diese – wie hier – erkennbar seiner Beweiswürdigung zugrunde, kann das Gericht einen Beweisantrag auf Einholung weiterer Auskünfte unter Berufung auf eigene Sachkunde verfahrensfehlerfrei ablehnen (BVerwG, B.v. 27.3.2013 – 10 B 34.12 – NVwZ-RR 2013, 620 = juris Rn. 4 m.w.N.). Dass das Verwaltungsgericht die eingeführten Erkenntnismittel und den Vortrag der Klägerin nicht in der von ihr gewünschten Weise bewertet hat, vermag – wie bereits ausgeführt – einen Gehörsverstoß nicht zu begründen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
Mit der nach § 80 AsylG unanfechtbaren Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).

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