Aktenzeichen 11 ZB 18.30588
VwGO § 138 Nr. 3
Leitsatz
Eine Tatsachenfrage ist grundsätzlich nicht berufungsgerichtlich klärungsbedürftig, wenn das Verwaltungsgericht die verfügbaren Informationen herangezogen, aufbereitet und sachgerecht bewertet hat, ohne dass gegen diese Bewertung beachtliche Zweifel erkennbar sind und wenn keine gewichtigen Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass das Verwaltungsgericht die tatsächlichen Verhältnisse im Ergebnis unzutreffend beurteilt hat. (Rn. 3) (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
W 6 K 17.30381 2018-01-25 Urt VGWUERZBURG VG Würzburg
Tenor
I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungszulassungsverfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.
Gründe
Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Der allein geltend gemachte Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung ist nicht hinreichend dargelegt (§ 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG).
Der Kläger begehrt die Klärung der Frage, ob Homosexuelle, die ihre sexuelle Orientierung öffentlich leben, in der Ukraine mit politischer Verfolgung zu rechnen haben, und führt dazu aus, es seien hierzu keine Rechtsprechung und kaum Erkenntnismittel vorhanden. Die vorhandenen Erkenntnisse hätten sich in der Praxis noch nicht bewährt bzw. widersprächen sich und ließen durchaus die Wahrscheinlichkeit einer politischen Verfolgung Homosexueller erkennen. Auf ihrer Grundlage habe sich noch keine einheitliche oder obergerichtliche Rechtsprechung aufgebaut. Der jüngste Lagebericht des Auswärtigen Amtes gehe von gelegentlichen Übergriffen, insbesondere in den von Separatisten kontrollierten Konfliktgebieten, aus, der Europarat von einer Zunahme gewalttätiger Übergriffe gegenüber Homosexuellen in den Jahren 2011 bis 2017. Die gesellschaftliche Akzeptanz von Homosexuellen, Transvestiten und transsexuellen Personen sei sehr gering. Solche Einstellungen veränderten sich nur langsam. Es sei nicht erwiesen, dass gesetzliche Verbesserungen in der Praxis umgesetzt worden seien. Der vom Gericht verwertete Artikel der Organisation Nash Mir belege, dass polizeilicher Schutz nicht zu erlangen sei. Für den Fall, dass die gestellte Frage verneint werde, sei zu klären, ob und unter welchen Vorgaben, insbesondere aufgrund von einer Herkunft aus dem Donezk-Gebiet sowie der „Volkszugehörigkeit“ (im Falle des Klägers jüdisch) eine individuelle konkrete Gefährdung einzelner homosexueller Männer in der Ukraine bestehe und – falls ja – ob für Homosexuelle aus dem Donezk-Gebiet eine inländische Fluchtalternative bestehe.
Einer Rechtssache kommt grundsätzliche Bedeutung gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG zu, wenn für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts eine konkrete, jedoch fallübergreifende Tatsachen- oder Rechtsfrage von Bedeutung war, deren noch ausstehende obergerichtliche Klärung im Berufungsverfahren zu erwarten ist und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zu einer bedeutsamen Weiterentwicklung des Rechts geboten erscheint (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 124 Rn. 36). Dementsprechend verlangt die Darlegung der rechtsgrundsätzlichen Bedeutung nach § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG, dass eine konkrete Tatsachen- oder Rechtsfrage formuliert und aufgezeigt wird, weshalb die Frage im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Fortentwicklung des Rechts klärungsbedürftig und klärungsfähig, insbesondere entscheidungserheblich, ist; ferner, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung dieser Frage besteht (vgl. Happ, a.a.O. § 124a Rn. 72; Meyer-Ladewig/Rudisile in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand Juni 2017, § 124a Rn. 102 ff.; Berlit in GK-AsylG, Stand Oktober 2017, § 78 Rn. 88 m.w.N.). Eine Tatsachenfrage ist grundsätzlich nicht berufungsgerichtlich klärungsbedürftig, wenn das Verwaltungsgericht die verfügbaren Informationen herangezogen, aufbereitet und sachgerecht bewertet hat, ohne dass gegen diese Bewertung beachtliche Zweifel erkennbar sind und wenn keine gewichtigen Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass das Verwaltungsgericht die tatsächlichen Verhältnisse im Ergebnis unzutreffend beurteilt hat (Berlit, a.a.O. § 78 Rn. 139 f.). Es genügt also nicht, die gerichtlichen Feststellungen zu den Gegebenheiten im Herkunftsland des Asylsuchenden bloß in Zweifel zu ziehen oder schlicht gegenteilige Behauptungen aufzustellen. Vielmehr muss durch Benennung bestimmter Erkenntnisquellen zumindest eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür dargelegt werden, dass nicht die Feststellungen, Erkenntnisse und Einschätzungen des Verwaltungsgerichts, sondern die gegenteiligen Behauptungen in der Antragsschrift zutreffend sind, so dass es zur Klärung der sich insoweit stellenden Fragen der Durchführung eines Berufungsverfahrens bedarf (OVG NW, B.v. 14.3.2018 – 13 A 341/18.A – juris Rn. 5 f. m.w.N.; BayVGH, B.v. 22.2.2018 – 20 ZB 17.30393 – juris Rn. 11; NdsOVG, B.v. 8.2.2018 – 2 LA 1784/17 – juris Rn. 4). Das Verlangen nach bloßer Neubewertung unveränderter Tatsachen- oder Erkenntnisquellen rechtfertigt die Berufungszulassung grundsätzlich nicht (Berlit, a.a.O. § 78 Rn. 609).
Diesen Anforderungen genügt das Zulassungsvorbringen nicht. Der Kläger hat für die von ihm behauptete Gruppenverfolgung Homosexueller in der Ukraine keine Erkenntnismittel benannt, die beachtliche Zweifel an der erstinstanzlichen Bewertung begründen könnten. Mit den rechtlichen Anforderungen an die Annahme einer Gruppenverfolgung setzt sich der Zulassungsantrag gar nicht auseinander. Das Gericht hat seine Entscheidung auf die verfügbaren, auch die von Klägerseite beigebrachten Erkenntnisse gestützt, hauptsächlich auf den aktuellen Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 7. Februar 2017 und den Bericht der Europäischen Kommission gegen Rassismus und Intoleranz (ECRI) des Europarats vom 19. September 2017. Die weiteren Informationen von Klägerseite geben wieder, was auch in diesen Berichten ausgeführt wird, nämlich dass Homosexualität in der Ukraine auf starke gesellschaftliche Vorbehalte stößt und es Straftaten gegen Homosexuelle gibt, teilweise auch, weil sie Kriminellen als besonders geeignete Opfer für Raub und Erpressung erscheinen (so der Artikel von Nash Mir), andererseits aber auch, dass 2016 mit staatlichen Reformen in Gesetzgebung und Polizei begonnen wurde, die die Situation zum Positiven veränderten. Die in dem Bericht von ECRI wiedergegebenen Zahlen nicht benannter Nichtregierungsorganisationen zu gegen Homosexuelle gerichteten Übergriffen erreichen jedoch (ohne Angabe von Bezugsgrößen) ganz offensichtlich bei weitem nicht die für eine Gruppenverfolgung erforderliche Verfolgungsdichte, welche die „Regelvermutung“ eigener Verfolgung rechtfertigen würde (vgl. BVerwG, U.v. 21.4.2009 – 10 C 11/08 – NVwZ 2009, 1237 = juris Rn. 15 ff.; U.v. 18.7.2006 – 1 C 15/05 – NVwZ 2006, 1420 = juris Rn. 20) und stellen damit keinen Anhaltspunkt für eine unzutreffende Einschätzung der Verhältnisse durch das Verwaltungsgericht dar. Vor diesem Hintergrund ist es unerheblich, dass das Auswärtige Amt ohne konkrete Zahlenangaben meint, dass die Übergriffe mit abnehmender politischer Instrumentalisierung „zurückzugehen schienen“, während die von ECRI befragten Nichtregierungsorganisationen bezogen auf die Jahre 2014 und 2015 von einer bedeutsamen Zunahme von gewalttätigen Angriffen ausgingen (vgl. Bericht vom 19.9.2017, Nr. 50). Entgegen der Behauptung des Klägers hat ECRI die Einschätzung der Nichtregierungsorganisationen nicht als eigene bezogen auf den Berichtszeitraum 2011 – 2017 wiedergegeben. Der im Zulassungsantrag in Anführungszeichen gesetzte Vortrag ist in dem Bericht so nicht vorhanden und stellt offenbar eine Interpretation des Klägers dar. Im Übrigen widersprechen die Feststellungen von ECRI denen des Auswärtigen Amts („gelegentliche Angriffe“) nicht. Die vom Kläger angeführte Feststellung des Verwaltungsgerichts, dass die gerichtliche Auslegung von Art. 161 des ukrainischen Strafgesetzbuchs, einer Hasskriminalität unter Strafe stellenden Vorschrift, nicht gesichert ist, gibt den von ECRI gesehenen Reformbedarf wieder (vgl. Bericht vom 19.9.2017, Nr. 114), beinhaltet aber nicht die Feststellung, dass Straftaten gegen Homosexuelle nicht nach den allgemeinen Strafvorschriften verfolgt würden und ist daher auch kein Beweis für einen fehlenden staatlichen Schutzwillen. Der Vortrag, dass sich gesellschaftliche Einstellungen nur langsam verändern würden, lässt keinen Bezug zu den rechtlichen Anforderungen an die Annahme einer Gruppenverfolgung erkennen. Ferner hat der Kläger auch nicht dargelegt oder ist sonst ersichtlich, dass die aufgeworfene Tatsachenfrage in der Rechtsprechung uneinheitlich beurteilt würde (vgl. BVerfG, B.v. 14.11.2016 – 2 BvR 31/14 – NVwZ 2017, 231 = juris Rn. 11). Allein der Umstand, dass es noch keine obergerichtliche Rechtsprechung zu einer Frage gibt, führt noch nicht dazu, dass die Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen wäre. Auch aus seinem eigenen Erleben hat der Kläger, der sein Heimatland unverfolgt verlassen hat und nach dem geschilderten Vorfall aus dem Jahr 2010 von seinen Auslandsreisen bzw. Kreuzfahrten mehrmals in die Ukraine zurückgekehrt ist, keine Anhaltspunkte dafür vorgetragen, dass er in seinem Heimatland verfolgt würde oder ihm dort ein ernsthafter Schade droht.
Abgesehen davon, dass hierfür nichts ersichtlich ist, könnte die klägerische Kritik, das Gericht habe nicht auf hinreichend breiter Tatsachengrundlage entschieden, als materielle Frage der Sachaufklärungspflicht des Gerichts (§ 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO) oder des Gebots der freien richterlichen Beweiswürdigung (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) (vgl. BayVGH, B.v. 13.7.2017 – 20 ZB 17.30575 – juris Rn. 3; B.v. 16.1.2013 – 13a ZB 12.30425 – juris Rn. 7) grundsätzlich auch nicht mit der Verfahrensrüge gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 Nr. 3 VwGO angegriffen werden.
Weiter fehlt es auch hinsichtlich der hilfsweise gestellten Fragen, die der Sache nach darauf abzielen, den individuellen Einzelfall des Klägers zu klären, an der Angabe von Erkenntnismitteln und der Darlegung einer gewissen Wahrscheinlichkeit dafür, dass die gerichtlichen Feststellungen und Einschätzungen unzutreffend sind. Auch aus dem vom Verwaltungsgericht herangezogenen Lagebericht des Auswärtigen Amts (vgl. Seite 8) und dem Bericht von ECRI (vgl. Nr. 48, 103 ff.) ergeben sich keine Anhaltspunkte für eine asylrelevante Behandlung oder Gefährdung von jüdischen Religionszugehörigen, aus der Ostukraine stammender Juden oder Ostukrainern allgemein.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylG.
Mangels hinreichender Erfolgsaussichten des Rechtsmittels war auch der Antrag des Klägers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung seiner Prozessbevollmächtigten (§ 166 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1, § 121 ZPO) abzulehnen.
Mit dieser gemäß § 80 AsylG unanfechtbaren Entscheidung wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).