Verwaltungsrecht

Erfolgloser Berufungszulassungsantrag gestützt auf den Verfahrensmangel der Verletzung des rechtlichen Gehörs

Aktenzeichen  8 ZB 18.30347

Datum:
21.2.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 3037
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GG Art. 103 Abs. 1
AsylG § 78 Abs. 3 Nr. 3, Abs. 4
VwGO § 58, § 60, § 108 Abs. 2

 

Leitsatz

1. Die Pflicht des Gerichts, Anträge und Ausführungen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und bei seiner Entscheidung in Erwägung zu ziehen, besteht nicht, wenn das Vorbringen aus Gründen des formellen oder materiellen Rechts unberücksichtigt bleiben muss oder kann. (Rn. 4) (redaktioneller Leitsatz)
2. Der Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs schützt davor, dass ein Gericht zu strenge Voraussetzungen für die Erlangung der Wiedereinsetzung annimmt und dadurch den Anspruch auf berechenbaren, gleichmäßigen Zugang zu den Gerichten in unzumutbarer, sachlich nicht gerechtfertigter Weise beschränkt (BVerfG BeckRS 2012, 60000). (Rn. 5) (redaktioneller Leitsatz)
3. Eine Rechtsmittelbelehrung ist fehlerhaft, wenn sie gesetzlich zwingend erforderliche Angaben nicht enthält, diese unrichtig wiedergibt oder wenn sie geeignet ist, bei dem Betroffenen einen Irrtum über die formellen oder materiellen Voraussetzungen des in Betracht kommenden Rechtsbehelfs hervorzurufen und ihn dadurch abzuhalten, den Rechtsbehelf überhaupt, rechtzeitig oder in der richtigen Form einzulegen (BVerwG BeckRS 2015, 52167). (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

B 7 K 17.33579 2018-01-22 Urt VGBAYREUTH VG Bayreuth

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Zulassungsverfahren wird abgelehnt.

Gründe

Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
Die geltend gemachten Zulassungsgründe sind nicht in einer Weise dargetan, die den Anforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG genügt.
1. Einen Verfahrensmangel (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG) wegen einer Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (§ 108 Abs. 2 VwGO, Art. 103 Abs. 1 GG, Art. 91 Abs. 1 BV) hat der Kläger nicht aufgezeigt.
1.1 Der Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs hat eine zweifache Ausprägung: Zum einen untersagt es dem Gericht, seiner Entscheidung Tatsachen und Beweisergebnisse zugrunde zu legen, zu denen sich die Beteiligten nicht äußern konnten. Zum anderen gibt es den Beteiligten einen Anspruch darauf, dass rechtzeitiges und möglicherweise erhebliches Vorbringen vom Gericht zur Kenntnis genommen und bei der Entscheidung in Erwägung gezogen wird. Die Pflicht des Gerichts, Anträge und Ausführungen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und bei seiner Entscheidung in Erwägung zu ziehen, besteht allerdings nicht, soweit das Vorbringen aus Gründen des formellen oder materiellen Rechts unberücksichtigt bleiben muss oder kann (vgl. BayVerfGH, E.v. 25.8.2016 – Vf. 2-VI-15 – juris Rn. 34 f.; BVerfG, B.v. 5.4.2012 – 2 BvR 2126/11 – NJW 2012, 2262; BVerwG, B.v. 17.6.2011 – 8 C 3.11 u.a. – juris Rn. 3).
Darüber hinaus schützt der Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs davor, dass ein Gericht zu strenge Voraussetzungen für die Erlangung der Wiedereinsetzung annimmt und dadurch den Anspruch auf berechenbaren, gleichmäßigen Zugang zu den Gerichten in unzumutbarer, sachlich nicht gerechtfertigter Weise beschränkt (BVerfG, U.v. 10.6.1975 – 2 BvR 1018/74 – BVerfGE 40, 88/91; B.v. 23.9.1992 – 2 BvR 871/92 – NJW 1993, 720 = juris Rn. 14; B.v. 18.10.2012 – 2 BvR 2776/10 – NJW 2013, 592 f. = juris Rn. 15). Vor allem dürfen bei der Anwendung der prozessrechtlichen Regelungen die Anforderungen daran, was ein Betroffener veranlasst haben und vorbringen muss, um nach einer Fristversäumung Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu erlangen, nicht überspannt werden (BVerfG, U.v. 10.6.1975 – 2 BvR 1018/74 – a.a.O.; B.v. 18.10.2012 – 2 BvR 2776/10 – a.a.O.). Bei einem Ausländer, der der deutschen Sprache nicht mächtig ist, darf dieser Umstand nicht zur Verkürzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör führen, unzureichende Sprachkenntnisse entheben den Betroffenen aber nicht der Sorgfaltspflicht in der Wahrnehmung eigener Angelegenheiten (BVerfG, B.v. 9.6.1992 – 2 BvR 1401/91 u.a. – BVerfGE 86, 280/284 f.).
1.2 Bei Zugrundelegung dieser Maßstäbe hat der Kläger keinen Verfahrensmangel im Sinn des § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG dargelegt (§ 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG).
1.2.1 Der Anspruch auf rechtliches Gehör nach § 108 Abs. 2 VwGO, Art. 103 Abs. 1 GG, Art. 91 Abs. 1 BV gilt nach dem eindeutigen Wortlaut dieser Normen lediglich in gerichtlichen Verfahren und nicht in Verwaltungsverfahren (BVerfG, B.v. 18.1.2000 – 1 BvR 321/96 – BVerfGE 101, 397/404). Daher kommt es auf die von Klägerseite gerügten (vermeintlichen) „Gehörsverstöße“ im Asylverfahren durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, das Behörde im Sinn des § 1 Abs. 4 VwVfG und kein Gericht ist, nicht an.
1.2.2 Der Kläger kann sich auch nicht darauf berufen, das Verwaltungsgericht sei in den Entscheidungsgründen fälschlicherweise davon ausgegangen, er habe dem Erlass eines Gerichtsbescheids zugestimmt. Zum einen setzt der Erlass eines Gerichtsbescheids nicht die Zustimmung der Beteiligten voraus, diese sind lediglich zu hören (§ 84 Abs. 1 Satz 2 VwGO). Zum anderen ist im Urteil – entgegen dem insofern unzutreffenden klägerischen Vortrag – lediglich davon die Rede, dass der Kläger zur Entscheidung durch Gerichtsbescheid gehört worden sei und dass die Beklagte sich im Schreiben vom 11. Dezember 2017 mit einer solchen Entscheidung einverstanden erklärt habe (UA S. 4).
1.2.3 Der Kläger hat in Bezug auf die Versäumung der Klagefrist sowie die Ablehnung einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ebenfalls keine Verletzung des Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs dargelegt.
Entgegen der klägerischen Auffassung war die Rechtsmittelbelehrungnicht fehlerhaft im Sinn des § 58 Abs. 2 VwGO. Dies wäre der Fall, wenn sie die in § 58 Abs. 1 VwGO zwingend erforderlichen Angaben nicht enthält, diese unrichtig wiedergibt oder wenn sie geeignet ist, bei dem Betroffenen einen Irrtum über die formellen oder materiellen Voraussetzungen des in Betracht kommenden Rechtsbehelfs hervorzurufen und ihn dadurch abzuhalten, den Rechtsbehelf überhaupt, rechtzeitig oder in der richtigen Form einzulegen (BVerwG, B.v. 31.8.2015 – 2 B 61/14 – NVwZ 2015, 1699 = juris Rn. 8 m.w.N.). Eine Belehrung über die Formerfordernisse des § 81 Abs. 1 VwGO ist nach § 58 Abs. 1 VwGO nicht erforderlich (BVerwG, U.v. 27.4.1990 – 8 C 70.88 – BayVBl 1990, 600 = juris Rn. 16 m.w.N.; Schmidt in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 58 Rn. 10). Der Kläger kann sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, durch den Hinweis darauf, dass für die Rechtzeitigkeit der Klage der Tag des Eingangs bei Gericht maßgebend sei, könne der Irrtum erregt werden, dass die Klage nicht auch zu Protokoll der Geschäftsstelle erhoben werden kann. Ein solcher Rückschluss ist nicht möglich. Aus der (zutreffenden) Angabe, dass für die Rechtzeitigkeit der Eingang bei Gericht maßgeblich ist, kann nicht gefolgert werden, dass keine Klageerhebung zu Protokoll der Geschäftsstelle möglich wäre. Es handelt sich um keinen „versteckten“ Hinweis auf eine schriftliche Klageerhebung, sondern um eine zutreffende Aussage in Bezug auf die Einhaltung der Klagefrist. Zudem kann der Eingang auch bei Erhebung der Klage zu Protokoll eines unzuständigen Gerichts eine Rolle spielen. Dann tritt die Wirkung der Prozesshandlung gemäß § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 129a Abs. 2 Satz 2 ZPO erst mit Eingang des Protokolls beim zuständigen Gericht ein. Im Übrigen zeigt der Fall des Klägers, dass sich dieser durch die Rechtsbehelfsbelehrung:nicht hat davon abhalten lassen, die Klage zu Protokoll der Geschäftsstelle des Verwaltungsgerichts zu erheben.
Auch sonst wurden keine Umstände dafür aufgezeigt, dass die Anforderungen an die Geltendmachung von Wiedereinsetzungsgründen überspannt wurden. Das Verwaltungsgericht hat die Wiedereinsetzung vielmehr zu Recht abgelehnt.
Der Kläger hat gegenüber dem Verwaltungsgericht keine Umstände vorgetragen, aus denen sich ergeben könnte, dass er aufgrund unzureichender Sprachkenntnisse an der rechtzeitigen Klageerhebung gehindert gewesen ist. Wenn sein Klagebevollmächtigter nunmehr im Zulassungsverfahren erstmals geltend macht, der Entscheidungstenor und die Rechtsmittelbelehrungseien dem Kläger nur auf Deutsch und nicht in einer Sprache, deren Kenntnis von ihm vernünftigerweise vorausgesetzt werden kann, zugänglich gemacht worden, ist dies nicht nachvollziehbar. In der Gerichtsakte befindet sich bei den Unterlagen, die der Kläger am 7. Dezember 2017 bei Aufnahme der Niederschrift vorgelegt hat, eine Übersetzung des Tenors des streitgegenständlichen Bescheids sowie der Rechtsbehelfsbelehrung:in der Sprache Somali (Bl. 15 ff. der Akte des Verwaltungsgerichts). Der Kläger hat nicht dargelegt, dass ihm diese Sprache nicht geläufig sei.
Er kann sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, er habe keine Kenntnis davon gehabt, dass das Verwaltungsgericht Bayreuth und nicht das Verwaltungsgericht Ansbach örtlich zuständig gewesen sei. Auch insofern fehlt es bereits an einem hinreichenden Vortrag in der ersten Instanz. Zudem wird in der Rechtsbehelfsbelehrung:des Bescheids vom 6. Oktober 2017 zutreffend das Verwaltungsgericht Bayreuth mit korrekter Adresse als zuständiges Gericht genannt (Bl. 13 der Akte des Verwaltungsgerichts); nur dieses und nicht das Verwaltungsgericht Ansbach findet sich auch in der Übersetzung der Rechtsbehelfsbelehrung:in der Sprache Somali wieder (Bl. 17 der Akte des Verwaltungsgerichts). Es ist daher nicht nachvollziehbar, warum der Kläger von einer Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts Ansbach ausgegangen ist. Dies gilt umso mehr, als er nach seinem eigenen Vortrag vor Erhebung der Klage anwaltlichen Rat in Anspruch genommen hat.
Schließlich ist das Verwaltungsgericht im Ergebnis auch zutreffend davon ausgegangen, dass unzureichende Sprachkenntnisse den Betroffenen nicht der Sorgfaltspflicht in der Wahrnehmung eigener Angelegenheiten entheben. Es hat in Bezug auf die Aushändigung des Bescheids zutreffend dargelegt, dass nicht ersichtlich wurde, dass der Kläger innerhalb des Zeitraums von mehr als 6 Wochen zwischen 13. Oktober 2017 (Tag der Zustellung) und 28. November 2017 (Tag der Aushändigung an den Bevollmächtigten des Klägers) hinreichende Anstrengungen unternommen hat, diesen zu erlangen. Hierzu wurde auch in der Zulassungsbegründung nichts vorgetragen.
Das Verwaltungsgericht hat schließlich auch nachvollziehbar ausgeführt, dass selbst dann, wenn für den Fristbeginn auf den 28. November 2017 abgestellt würde (Fristende wäre damit gemäß § 71a Abs. 4 i.V.m. § 36 Abs. 3 Satz 1, § 74 Abs. 1 HS. 2 AsylG der 5.12.2017) als dem Zeitpunkt, an dem der Kläger den Bescheid nach seinen Angaben erhalten hat, kein Wiedereinsetzungsgrund dargelegt wurde. Der Kläger hat nicht die ihm zumutbaren Anstrengungen unternommen und die ihm obliegenden Sorgfaltspflichten nicht erfüllt. Es wurde nicht dargelegt und ist auch nicht nachvollziehbar, aus welchen Gründen er, obwohl der Bescheid bereits vom 6. Oktober 2017 datierte, zunächst mehrere Tage verstreichen ließ, bis er am 1. Dezember 2017 einen Rechtsanwalt aufsuchte. Nach seinen eigenen Angaben gegenüber der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle hat ihn dieser auf die Frist hingewiesen (Bl. 2 der Akte des Verwaltungsgerichts). Der Kläger hat daraufhin am 4. Dezember 2017 – trotz zutreffender Rechtsbehelfsbelehrung:(vgl. oben) – das unzuständige Verwaltungsgericht Ansbach aufgesucht. Selbst wenn dieses die Klage zu Protokoll aufgenommen hätte, wäre angesichts der Postlaufzeiten keine rechtzeitige Klageerhebung gewährleistet gewesen (§ 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 129a Abs. 2 Satz 2 ZPO). Daher wäre es Sache des Klägers gewesen, am Folgetag, dem 5. Dezember 2017, die Rechtsantragsstelle des Verwaltungsgerichts Bayreuth aufzusuchen und den Klageantrag zu stellen. Warum dies unterblieben ist, wurde ebenfalls nicht dargelegt. Die Klageerhebung zu Protokoll der dortigen Geschäftsstelle erfolge erst am 7. Dezember 2017 (Bl. 2 der Akte des Verwaltungsgerichts).
1.2.4 Angesichts der Verfristung der Klage und der Bestandskraft des streitgegenständlichen Bescheids war eine materiell-rechtliche Prüfung nicht anzustellen. Daher kann sich der Kläger nicht auf die Unrichtigkeit des Bescheids stützen.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG). Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 Satz 1 Alternative 1 RVG.
3. Angesichts der fehlenden Erfolgsaussichten des Zulassungsantrages war auch der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Anwaltsbeiordnung für das Zulassungsverfahren nach § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO abzulehnen.
Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).

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