Aktenzeichen 9 ZB 19.31891
VwGO § 86 Abs. 1 S. 1, § 138
Leitsatz
1. Stützt sich das Verwaltungsgericht bei seiner Entscheidung auf bestimmte eingeführte Erkenntnismittel, muss die Grundsatzrüge zu einer Tatsachenfrage zumindest einen überprüfbaren Hinweis auf andere Gerichtsentscheidungen oder auf vom Verwaltungsgericht nicht berücksichtigte sonstige Tatsachen- oder Erkenntnisquellen enthalten, die den Schluss zulassen, dass die aufgeworfene Frage einer unterschiedlichen Würdigung zugänglich ist und damit einer Klärung im Berufungsverfahren bedarf. (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein Verstoß gegen die umfassende Aufklärungspflicht des Verwaltungsgerichts nach § 86 Abs. 1 S. 1 VwGO ist kein Verfahrensmangel iSd § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG iVm § 138 VwGO. (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
RN 14 K 17.32351 2019-04-01 Urt VGREGENSBURG VG Regensburg
Tenor
I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Gründe
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
1. Die Berufung ist nicht wegen der geltend gemachten Divergenz zuzulassen (§ 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG).
Der Zulassungsgrund der Divergenz setzt voraus, dass das verwaltungsgerichtliche Urteil von einer Entscheidung eines der in § 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG genannten Gerichte abweicht und auf dieser Abweichung beruht. Eine Abweichung liegt vor, wenn das Verwaltungsgericht mit einem seine Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz von einem in der Rechtsprechung der genannten Gerichte aufgestellten ebensolchen Rechtssatz in Anwendung derselben oder einer inhaltsgleichen Rechtsvorschrift ausdrücklich oder konkludent abrückt. Zwischen den Gerichten muss ein prinzipieller Auffassungsunterschied über den Bedeutungsgehalt einer bestimmten Rechtsvorschrift oder eines Rechtsgrundsatzes bestehen (vgl. BVerwG, B.v. 27.10.2014 – 2 B 52.14 – juris Rn. 5 ff.). Im Zulassungsantrag muss daher ein abstrakter Rechtssatz des angefochtenen Urteils herausgearbeitet werden und einem Rechtssatz des anderen Gerichts unter Darlegung der Abweichung gegenübergestellt werden (vgl. BVerwG, B.v. 26.11.2014 – 10 B 50.14 – juris Rn. 23; B.v. 12.9.2014 – 5 PB 8/14 – juris Rn. 2). Diesen Anforderungen wird das Zulassungsvorbringen nicht gerecht.
Der Kläger behauptet, das angefochtene Urteil weiche vom Maßstab der Kammerbeschlüsse des Bundesverfassungsgerichts vom 20. Juni 1990 (2 BvR 1727/89 – juris), 22. Juli 1996 (2 BvR 1416/94 – juris) und 3. März 2000 (2 BvR 39/98 – juris) ab, wonach dann, wenn dem Gericht Angaben zu einzelnen Sachkomplexen als vage erscheinen, dieses durch gezielte Nachfragen erkennen lassen müsse, dass es die entsprechenden Aussagen für unzureichend halte, und einem tatsächlichen oder vermeintlichen Widerspruch im Sachvortrag des Klägers durch dessen gezielte Befragung im Einzelnen nachzugehen sei. Abgesehen davon, dass den vom Kläger genannten Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts solche Anforderungen nicht, erst recht nicht als abstrakte Rechtssätze, entnommen werden können, kritisiert die Klägerin mit ihrem Zulassungsvorbringen die Würdigung der Sach- und Rechtslage durch das Verwaltungsgericht, ohne einen vom Verwaltungsgericht aufgestellten entgegenstehenden Rechtssatz herauszuarbeiten. Sie wendet sich somit letztlich nur gegen die inhaltliche Richtigkeit der gerichtlichen Entscheidung, womit jedoch keiner der in § 78 Abs. 3 AsylG abschließend aufgeführten gesetzlichen Zulassungsgründe dargelegt wird. Auf eine fehlerhafte Anwendung eines nicht bestrittenen Rechtssatzes im Einzelfall kann eine Divergenzrüge nicht gestützt werden (vgl. BVerwG, B.v. 12.3.2019 – 1 B 2.19 – juris Rn. 16; BayVGH, B.v. 1.8.2019 – 9 ZB 19.32755 – juris Rn. 5).
2. Die Berufung ist nicht wegen der geltend gemachten grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zuzulassen (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG).
Die Zulassung der Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache setzt voraus, dass eine konkrete noch nicht geklärte Rechts- oder Tatsachenfrage aufgeworfen wird, deren Beantwortung sowohl für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts von Bedeutung war als auch für die Entscheidung im Berufungsverfahren erheblich sein wird und die über den konkreten Fall hinaus wesentliche Bedeutung für die einheitliche Anwendung oder für die Weiterentwicklung des Rechts hat. Zur Darlegung dieses Zulassungsgrundes ist eine Frage auszuformulieren und substantiiert anzuführen, warum sie für klärungsbedürftig und entscheidungserheblich (klärungsfähig) gehalten und aus welchen Gründen ihr Bedeutung über den Einzelfall hinaus zugemessen wird (vgl. BayVGH, B.v. 26.2.2019 – 9 ZB 19.30057 – juris Rn. 2 m.w.N.). Dem wird das Zulassungsvorbringen, mit dem schon keine konkrete Frage formuliert wird, nicht gerecht.
Soweit dem Vortrag, dass die Klägerin, die in der Vergangenheit der geschlechtsspezifischen Diskriminierung durch Beschneidung in Sierra Leone unterworfen worden sei, der Gefahr unterliege, dort etwa durch sexuelle Nötigung und/oder Vergewaltigung erneut geschlechtsspezifisch diskriminiert zu werden, überhaupt eine allgemeine Fragestellung entnommen werden könnte, würde es aber auch an der ausreichenden Darlegung der Entscheidungserheblichkeit und Klärungsbedürftigkeit fehlen. Eine beachtlich wahrscheinliche Gefahr der Verfolgung durch den Staat oder wegen fehlender Schutzfähigkeit oder -willigkeit ihm zuzurechnender Rechtsverletzungen durch nichtstaatliche Akteure ist nicht substantiiert dargetan und auch eine über die konkrete Einzelfallwürdigung des Verwaltungsgerichts hinausgehende Bedeutung zeigt das Zulassungsvorbringen nicht ausreichend auf. Stützt sich zudem das Verwaltungsgericht – wie hier – bei seiner Entscheidung auf bestimmte eingeführte Erkenntnismittel oder gerichtliche Entscheidungen, wäre erforderlich, dass das Zulassungsvorbringen zumindest einen überprüfbaren Hinweis auf andere Gerichtsentscheidungen oder auf vom Verwaltungsgericht nicht berücksichtigte sonstige Tatsachen- oder Erkenntnisquellen enthält, etwa entsprechende Auskünfte, Stellungnahmen, Gutachten oder Presseberichte, die den Schluss zulassen, dass die aufgeworfene Frage einer unterschiedlichen Würdigung zugänglich ist und damit einer Klärung im Berufungsverfahren bedarf (vgl. BayVGH, B.v. 12.4.2019 – 9 ZB 19.31227 – juris Rn. 4 m.w.N.). Dies ist nicht der Fall.
3. Die Zulassung der Berufung lässt sich auch nicht auf einen Verfahrensfehler (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 VwGO) stützen, weil das Verwaltungsgericht nicht ausreichend aufgeklärt habe, ob die Klägerin tatsächlich beschnitten sei. Ein Verstoß gegen die umfassende Aufklärungspflicht des Verwaltungsgerichts (§ 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO) ist kein in § 138 VwGO bezeichneter Verfahrensmangel (vgl. BayVGH, B.v. 27.8.2014 – 9 ZB 13.30052 – juris Rn. 6) und eine allgemeine Frage- und Aufklärungspflicht statuiert Art. 103 Abs. 1 GG, auf dessen Verletzung eine Zulassungsgrund ggf. gestützt werden könnte (vgl. § 138 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 Nr. 3 VwGO), nicht (vgl. BVerfG, B.v. 5.3.2018 – 1 BvR 1011/17 – juris Rn. 16; BayVGH, B.v. 10.4.2019 – 9 ZB 18.33046 – juris Rn. 5). Das Verwaltungsgericht hat der Frage, ob die Klägerin beschnitten worden ist, auch keine entscheidungserhebliche Bedeutung beigemessen (vgl. UA S. 9 ff.).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
Mit der nach § 80 AsylG unanfechtbaren Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).