Verwaltungsrecht

Erfolgloser Berufungszulassungsantrag mangels Verstoßes gegen den Grundsatz rechtlichen Gehörs

Aktenzeichen  13a ZB 16.30070

Datum:
22.12.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2016, 112327
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 78 Abs. 3 Nr. 3
VwGO § 138 Nr. 3
GG Art. 103 Abs. 1

 

Leitsatz

Geht das Gericht auf den wesentlichen Kern des Tatsachenvorbringens eines Beteiligten zu einer Frage, die für das Verfahren von zentraler Bedeutung ist, in den Entscheidungsgründen nicht ein, so lässt dies auf die Nichtberücksichtigung des Vortrags schließen (BVerfG BeckRS 2015, 55650), sofern er nicht nach dem Rechtsstandpunkt des Gerichts unerheblich oder aber offensichtlich unsubstantiiert war (BVerfG BeckRS 2003, 23847 u. BeckRS 9998, 155340). (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 25 K 14.30976 2016-01-14 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II.
Der Kläger hat die Kosten des Antragsverfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 14. Januar 2016 ist unbegründet, weil die Voraussetzungen des § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i. V. m. § 138 Nr. 3 VwGO nicht vorliegen.
Der Kläger macht geltend, das Verwaltungsgericht habe gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs verstoßen, indem es auf seinen in der mündlichen Verhandlung dargelegten Sachvortrag nicht vollumfänglich Bezug genommen habe. Er habe dort unter anderem vorgetragen, dass er in Deutschland arbeiten und dadurch seine Familie unterstützen könne. Das Gericht habe jedoch zu diesem Vortrag, er unterstütze seine Familie finanziell oder zu der Frage, ob er im Falle seiner Rückkehr neben seinem Lebensunterhalt auch den Lebensunterhalt seiner Familie sicherstellen könne, Ausführungen unterlassen. Hätte es die Tatsache berücksichtigt, dass er unterhaltsverpflichtet und auch bemüht sei, seiner Unterhaltsverpflichtung nachzukommen, hätte es zu dem Ergebnis kommen müssen, dass der Kläger als nicht lediger Mann im Fall seiner Rückkehr seiner Unterhaltspflicht nicht nachkommen könne und die humanitäre Lage in Afghanistan ein menschenwürdiges Dasein nicht zulasse.
Das rechtliche Gehör als prozessuales Grundrecht (Art. 103 Abs. 1 GG) sichert den Parteien ein Recht auf Information, Äußerung und Berücksichtigung mit der Folge, dass sie ihr Verhalten eigenbestimmt und situationsspezifisch gestalten können, insbesondere dass sie mit ihren Ausführungen und Anträgen gehört werden (BVerfG, B. v. 30.4.2003 – 1 PBvU 1/02 – BVerfGE 107, 395/409 = NJW 2003, 1924). Es soll sichergestellt sein, dass das Gericht die Ausführungen der Beteiligten würdigt (BayVerfGH, E. v. 13.3.1981 – Vf. 93-VI-78 – BayVBl 1981, 529). Denn nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts verpflichtet das Gebot des rechtlichen Gehörs das Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten nicht nur zur Kenntnis zu nehmen, sondern auch in Erwägung zu ziehen. Ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG, wonach vor Gericht jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör hat, kann allerdings nur dann festgestellt werden, wenn sich im Einzelfall klar ergibt, dass das Gericht dieser Pflicht nicht nachgekommen ist. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass die Gerichte von ihnen entgegengenommenes Parteivorbringen zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen haben. Sie sind dabei nicht verpflichtet, sich mit jedem Vorbringen in den Entscheidungsgründen ausdrücklich zu befassen. Deshalb müssen, damit ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG festgestellt werden kann, im Einzelfall besondere Umstände deutlich machen, dass tatsächliches Vorbringen entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder doch bei der Entscheidung nicht erwogen worden ist. Geht das Gericht auf den wesentlichen Kern des Tatsachenvorbringens eines Beteiligten zu einer Frage, die für das Verfahren von zentraler Bedeutung ist, in den Entscheidungsgründen nicht ein, so lässt dies auf die Nichtberücksichtigung des Vortrags schließen (BVerfG, B. v. 29.10.2015 – 2 BvR 1493/11 – NVwZ 2016, 238), sofern er nicht nach dem Rechtsstandpunkt des Gerichts unerheblich oder aber offensichtlich unsubstantiiert war (BVerfG, B. v. 23.7.2003 – 2 BvR 624/01 – NVwZ-RR 2004, 3; B. v. 19.5.1992 – 1 BvR 986/91 – BVerfGE 86, 133/146; BayVerfGH, E. v. 7.7.2015 – Vf. 3-VI-15 – BayVBl 2015, 853). Gegebenenfalls kommt es darauf an, ob dem Gesamtzusammenhang des Urteils bei verständiger Würdigung unter Zugrundelegung der Rechtsanschauung des urteilenden Gerichts entnommen werden kann, dass es das Vorbringen zwar erwogen, aber als unwesentlich beurteilt hat (BVerfG, B. v. 24.2.2009 – 1 BvR 188/09 – NVwZ 2009, 580; B. v. 25.2.1994 – 2 BvR 50/93 – NJW 1994, 2279; B. v. 19.5.1992 – 1 BvR 986/91 – BVerfGE 86, 133/146).
Gemessen an diesen höchstrichterlichen Grundsätzen war dem Kläger das rechtliche Gehör nicht versagt. Dass das Gericht sich mit dem entsprechenden klägerischen Vortrag befasst hat, ergibt sich bereits aus der Niederschrift über die mündliche Verhandlung (vgl. BVerwG, B. v. 20.7.2016 – 2 B 17.16 – NVwZ-RR 2016, 831 Rn. 22), wo der Kläger ausführt, dass seine Frau mit den drei Kindern und seiner Mutter nach wie vor in Pakistan wohne (Sitzungsprotokoll S. 3) und er seine Familie finanziell habe unterstützen können, solange er eine Arbeit gehabt habe. Derzeit habe er aber keine Arbeit und finde auch keine, weshalb er momentan zur Schule gehe (Sitzungsprotokoll S. 6). Im Tatbestand des Urteils vom 14. Januar 2016 wird ausgeführt, die Frau des Klägers lebe mit den drei minderjährigen Kindern in Pakistan (UA S. 3). Für das Gericht war dieser Sachverhalt jedoch offensichtlich unerheblich. Dies ist auch nicht zu beanstanden, nachdem der Kläger weder vor dem Bundesamt noch vor dem Verwaltungsgericht vorgetragen hat, dass seine Ehefrau und Kinder unversorgt seien. Vielmehr hat er in der Anhörung vor dem Bundesamt ausweislich der Niederschrift vom 24. Juni 2013 angegeben, seine Frau und seine Kinder lebten ebenso wie seine Mutter in Pakistan. In der mündlichen Verhandlung hat er zwar vorgetragen, seine Familie in der Vergangenheit finanziell unterstützt zu haben. Er hat allerdings weiter ausgeführt, dass dies derzeit nicht mehr der Fall sei. Er hat weder vor dem Bundesamt noch vor dem Verwaltungsgericht vorgetragen, seine Familie könne ohne seine Unterstützung in Pakistan nicht überleben. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs sind zwar Unterhaltsverpflichtungen nicht außer Betracht zu lassen (BayVGH, U. v. 21.11.2014 – 13a B 14.30284 – Asylmagazin 2015, 197 = NVwZ-RR 2015, 598 -LS-; U. v. 21.11.2014 – 13a B 14.30285 – AuAS 2015, 43 = InfAuslR 2015, 212). Für eine Schutzgewährung nach § 60 Abs. 5 AufenthG besteht aber dann keine Veranlassung, wenn der Unterhalt anderweitig sichergestellt ist. Hiervon konnte das Verwaltungsgericht nach dem Vortrag des Klägers und den Gesamtumständen ausgehen. Jedenfalls handelte es sich aufgrund seines eigenen Vortrags in der mündlichen Verhandlung nicht um eine Frage, die für das Verfahren von zentraler Bedeutung war. Damit bedurfte es auch keiner Würdigung im Urteil.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylG.

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