Aktenzeichen W 6 S 17.32027
Leitsatz
1 Die Ukraine ist im Allgemeinen willens und in der Lage, ihre Staatsangehörigen vor strafbaren Handlungen zu schützen. (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)
2 Die medizinische Versorgung in der Ukraine ist kostenlos und flächendeckend, verschiedene medizinische Einrichtungen sind vorhanden und die gebräuchlichen Medikamente sind verfügbar. (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)
3 Binnenflüchtlinge und Rückkehrer können auf die soziale Unterstützung des ukrainischen Staates zurückgreifen. Die sozialen Sicherungssysteme gewährleisten eine ausreichende Grundversorgung, einschließlich Unterkunft und medizinischer Versorgung. (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage wird abgelehnt.
II. Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Gründe
Die Antragstellerin ist ukrainische Staatsangehörige. Ihr Asylantrag wurde von der Antragsgegnerin mit Bescheid vom 4. Mai 2017 als offensichtlich unbegründet abgelehnt. Ihr wurde die Abschiebung in die Ukraine angedroht. Die Antragstellerin ließ am 11. Mai 2017 gegen den Bescheid im Verfahren W 6 K 17.32026 Klage erheben und gleichzeitig im vorliegenden Sofortverfahren beantragen,
die aufschiebende Wirkung der heutigen Klage gegen die im Bescheid der Antragsgegnerin vom „5.“ Mai 2017 enthaltene Abschiebungsandrohung anzuordnen.
Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte (einschließlich der Akte in der Hauptsache W 6 K 17.32026) und die beigezogene Behördenakte Bezug genommen.
II.
Bei verständiger Würdigung des Vorbringens der Antragstellerin ist der Antrag dahingehend auszulegen, dass sie die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage gegen die Abschiebungsandrohung in Nr. 5 des Bundesamtsbescheids vom 4. Mai 2017 begehrt, zumal ein Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO betreffend die übrigen Nummern des streitgegenständlichen Bescheides unzulässig wäre.
Der zulässige Antrag gemäß § 80 Abs. 5 VwGO, die aufschiebende Wirkung gegen die im streitgegenständlichen Bescheid enthaltene Abschiebungsandrohung anzuordnen, hat keinen Erfolg. Der Antrag ist unbegründet, da insoweit keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheides bestehen (§ 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG).
Das Gericht folgt den Feststellungen und der Begründung im angefochtenen Bescheid und sieht zur Vermeidung von Wiederholungen von einer nochmaligen Darstellung ab (§ 77 Abs. 2 AsylG). Die Ausführungen im Bescheid decken sich mit der bestehenden Erkenntnislage, insbesondere mit dem Lagebericht des Auswärtigen Amtes (Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Ukraine vom 7.2.2017, Stand: Januar 2017).
Das Vorbringen der Antragstellerin rechtfertigt keine andere Beurteilung.
Die angesprochene persönliche Situation ist offensichtlich nicht asyl-, flüchtlings- oder sonst schutzrelevant. Den angeführten Problemen – kriegsbedingte Gefahren, drohende Übergriffe Dritter, Erkrankung – fehlt schon nach dem eigenen Vorbringen der Antragstellerin die asylrelevante Intensität und Zielrichtung. Die Probleme begründen nach den Umständen des vorliegenden Falles jedenfalls offensichtlich nicht die Voraussetzungen für ein Aufenthalts- oder Bleiberecht in der Bundesrepublik Deutschland. Denn nach der Auskunftslage ist davon auszugehen, dass die Ukraine im Allgemeinen willens und in der Lage ist, ihre Staatsangehörigen vor strafbaren Handlungen zu schützen, wenn auch ein lückenloser Schutz nicht möglich ist. Die Antragstellerin ist gehalten, sich bei Bedarf an die örtlichen Behörden bzw. Sicherheitskräfte zu wenden. Der Antragstellerin ist auch eine Übersiedlung in andere Landesteile möglich und zumutbar, um ihr womöglich drohenden Gefahren zu entgehen (vgl. BayVGH, B.v. 22.12.2016 – 11 ZB 16.30679 – juris; B.v. 22.8.2016 – 11 ZB 16.30132 – juris).
Des Weiteren ist anzumerken, dass Erkrankungen grundsätzlich nicht die Annahme einer Gefahrenlage im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG rechtfertigen. Der Gesetzgeber hat mittlerweile ausdrücklich klargestellt, dass eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen nur bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen vorliegt, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist (§ 60 Abs. 7 Sätze 2 bis 4 AufenthG). Neben diesen materiellen Kriterien für Gesundheitsgefahren, die im Übrigen auf eine bestehende Rechtsprechungslinie aufbauen, hat der Gesetzgeber zudem in § 60a Abs. 2c AufenthG – ebenfalls angelehnt an entsprechende Rechtsprechung – ausdrücklich auch prozedurale Vorgaben für ärztliche Atteste zur hinreichende Substanziierung des betreffenden Vorbringens aufgestellt (vgl. Kluth, ZAR 2016, 121; Thym, NVwZ 2016, 409 jeweils mit Nachweisen zur Rechtsprechung). Der Ausländer muss eine Erkrankung, die die Abschiebung beeinträchtigen kann, durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft machen.
Ausgehend von dieser Rechtslage ist im Hinblick auf die geltend gemachten Erkrankungen – Schmerzen, Gangstörung, Depression – festzuhalten, dass diese Erkrankungen offensichtlich nicht die Annahme einer Gefahrenlage i.S. des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG rechtfertigen. Nach dem aktuellen Bericht über die asylabschiebungsrelevante Lage in der Ukraine (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Ukraine vom 7.2.2017, Stand: Januar 2017, S. 6 und 16) ist die medizinische Versorgung in der Ukraine kostenlos und flächendeckend. Verschiedene medizinische Einrichtungen sind vorhanden. Auch die gebräuchlichen Medikamente sind in der Ukraine verfügbar (vgl. VG Ansbach, B.v. 27.6.2016 – AN 4 S. 16.30702 – juris; VG München, B.v. 15.6.2016 – M 16 S. 16.31068 – juris m.w.N.). Die gesundheitliche Situation und die Möglichkeiten der medizinischen Versorgung der Antragstellerin stellen sich bei einer Rückkehr in die Ukraine nicht anders dar wie vor der Ausreise und wie bei zahlreichen anderen Landsleuten in der Ukraine.
Ergänzend ist anzufügen, dass sich aus den vorgelegten – nicht aktuellen – Attesten vom Juni und Juli 2016 nicht entnehmen lässt, dass eine Rückkehr in die Ukraine aus medizinischen Gründen unzumutbar wäre. Verschrieben war – bei unklarer Diagnose – offensichtlich nur ein antidepressiv wirkendes Medikament. Zudem kann die Antragstellerin wie bisher in der Ukraine sowohl finanziell als auch tatsächlich durch ihre Tochter unterstützt werden. Selbst wenn die Behandlungsmöglichkeiten in der Ukraine schlechter sein mögen als in der Bundesrepublik Deutschland, bleibt festzuhalten, dass eventuell alsbald und mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit mit drohenden wesentlichen bzw. lebensbedrohenden Gesundheitsverschlechterungen im Rahmen des ukrainischen Gesundheitssystems begegnet werden kann und muss. Die Antragstellerin ist gehalten, die Möglichkeiten des ukrainischen Gesundheits- sowie Sozialsystems auszuschöpfen, um eventuelle Gesundheitsgefahren zu vermeiden bzw. jedenfalls zu minimieren.
In dem Zusammenhang ist weiter anzumerken, dass in der Ukraine zur Sicherung von Rechten und Freiheiten der Binnenflüchtlinge eine gesetzliche Rechtsgrundlage zur Verfügung steht, die die Registrierung, Versorgung und Unterbringung gewährleistet, so dass jedenfalls die Gewährleistung des Existenzminimums und der notwendigen medizinischen Versorgung grundsätzlich gesichert ist. Binnenflüchtlinge können auf die soziale Unterstützung seitens des Staates zurückgreifen. Die sozialen Sicherungssysteme in der Ukraine gewährleisten auch für Rückkehrer eine ausreichende Grundversorgung, einschließlich Unterkunft und medizinischer Versorgung. Zusätzlich werden Binnenflüchtlinge nach der Erkenntnislage auch von zahlreichen Nichtregierungsorganisationen sowie dem UNHCR und der Unterorganisation OCHA unterstützt (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Ukraine vom 7.2.2017, Stand: Januar 2017, S. 6, 11 und 15 f. sowie BayVGH, B.v. 5.4.2017 – 11 ZB 17.30327 – juris; B.v. 22.8.2016 – 11 ZB 16.30136 – juris). Wie bereits erwähnt, kann die Antragstellerin zudem auf die Hilfe ihrer Tochter zurückgreifen, wie wohl auch in der Vergangenheit geschehen. Der Umstand, dass auch nationale und internationale Hilfsorganisationen in der Ukraine tätig sind, besagt nicht, dass dort trotz der humanitären Hilfe unmenschliche Bedingungen herrschten, die ein Abschiebungsverbot begründen könnten (BayVGH, B.v. 5.4.2017 – 11 ZB 17.30326 – juris; B.v. 16.3.2017 – 11 ZB 17.30218 – juris).
Des Weiteren ist darauf hinzuweisen, dass die Ausländerbehörde zuständig ist, eventuelle inlandsbezogene Abschiebungshindernisse zu prüfen (§ 60a Abs. 2 AufenthG). Gleichermaßen darf die Ausländerbehörde gemäß § 43 Abs. 3 Satz 1 AsylG die Abschiebung vorübergehend aussetzen, um die gemeinsame Ausreise mit anderen Familienangehörigen zu ermöglichen.
Die Vermeidung der Trennung der Familie ist ausländerrechtlich gegenüber der zuständigen Ausländerbehörde geltend zu machen und nicht im Asylverfahren gegenüber dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Dabei geht das Gericht davon aus, dass die Ausländerbehörde die Vorgaben von Art. 6 GG und Art. 8 EMRK beachtet (vgl. auch VG München, B.v. 15.6.2016 – M 16 S. 16.31068 – juris).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG.