Verwaltungsrecht

Erfolgloser Eilantrag gegen Ausweisungsverfügung mit Anordnung der sofortigen Vollziehung wegen Straftaten

Aktenzeichen  M 25 S 16.3238

Datum:
14.12.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO VwGO § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4, Abs. 3, Abs. 5
AufenthG AufenthG § 53 Abs. 1, Abs. 2, § 54 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 1, Nr. 1a, § 55 Abs. 1 Nr. 1, 4, Abs. 2 Nr. 5
EMRK EMRK Art. 8
GG GG Art. 6

 

Leitsatz

Die Intensität des Schutzes des Bleibeinteresses wegen Ausübung des Umgangs mit minderjährigen deutschen Kindern hängt in erster Linie von der tatsächlichen Ausgestaltung der Beziehung ab, wobei es maßgeblich auf die Sicht des Kindes ankommt und zu untersuchen ist, ob im Einzelfall eine persönliche Verbundenheit besteht, auf deren Aufrechterhaltung das Kind zu seinem Wohl angewiesen ist. (Rn. 50) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 2.500 € festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller wendet sich gegen die Anordnung der sofortigen Vollziehung seiner Ausweisung. Er befindet sich seit August 2014 in Haft, aus der er voraussichtlich frühestens im Juni 2017 entlassen werden wird.
Der 44-jährige Antragsteller ist kosovarischer Staatsangehöriger und im Jahr 1992 als 20-jähriger ins Bundesgebiet eingereist. Seit 2002 besitzt er eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis.
Der Antragsteller ist Vater von drei Kindern: Der älteste Sohn ist volljährig und verheiratet, die beiden jüngeren Kinder, zwei in den Jahren 2000 bzw. 2005 geborene Töchter, besitzen die deutsche Staatsangehörigkeit. Die mittlerweile vom Antragsteller geschiedene Ehefrau des Antragstellers und Mutter der Kinder besitzt das alleinige Sorgerecht für die Töchter.
Strafrechtlich ist der Antragsteller bislang wie folgt in Erscheinung getreten:
1. Geldstrafe in Höhe von 40 Tagessätzen wegen fahrlässigen unerlaubten Führens einer Schusswaffe (AG …, Strafbefehl v. 16.11.2010, rk.).
2. Geldstrafe in Höhe von 50 Tagessätzen wegen vorsätzlichen Gebrauchs eines Fahrzeugs ohne Haftpflichtversicherungsvertrag (AG …, Strafbefehl v. 7.2.2011, rk.).
3. Gesamtfreiheitsstrafe von acht Monaten auf Bewährung wegen vorsätzlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Beleidigung und mit Sachbeschädigung in Tatmehrheit mit vorsätzlicher Körperverletzung (AG …, U.v. 23.10.2012, rk. seit 31.10.2012).
Der Verurteilung lagen Vorfälle vom 29. Juni 2011 und vom 3. Dezember 2011 zu Grunde, bei denen der Antragsteller seine Ehefrau im Verlaufe eines Streits jeweils körperlich angegriffen, beleidigt und zum Teil verletzt hatte.
Während des nachfolgenden strafrechtlichen Verfahrens (s.u. 4.), das zur Verurteilung durch das Amtsgericht am 6. März 2013 bzw. durch das Landgericht am 13. Januar 2014 führte, wurde die Aussetzung der Strafe zur Bewährung widerrufen (AG …, B.v. 26.6.2013). Vom 5. August 2013 bis zum 26. März 2014 verbüßte der Antragsteller seine Freiheitsstrafe aus dieser Verurteilung in der Justizvollzugsanstalt
4. Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr auf Bewährung wegen vorsätzlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Beleidigung in Tatmehrheit mit Verstößen gegen das Gewaltschutzgesetz in drei tatmehrheitlichen Fällen, letztere in einem Fall in Tateinheit mit Beleidigung (LG …, U.v. 13.1.2014, rk. seit 21.1.2014 auf die Berufung gegen Urteil des AG …, U.v. 6.3.2013).
Dieser Verurteilung lagen Taten im Zeitraum vom 15. Juni 2012 bis zum 20. November 2012 zu Grunde.
5. Freiheitsstrafe von zwei Jahren wegen vorsätzlichen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr (AG …, U.v. 11.3.2015, rk. seit 28.7.2015).
Der Verurteilung lag ein vom Antragsteller am 27. Juli 2014 provozierter Verkehrsunfall zugrunde, bei dem seine damalige Ehefrau eine HWS-Distorsion, eine Prellung an der linken Schulter, einen Bandausriss an der linken Schulter, einen Bandausriss des Mittelgelenks der linken Hand, Prellungen an beiden Knien und eine Bauchdeckenprellung erlitt.
Im Rahmen der Strafzumessung berücksichtigte das Gericht das „pauschale Geständnis“ des Antragstellers zu seinen Gunsten. Negativ fiel zulasten des Antragstellers ins Gewicht, dass seine Ehefrau, die sich zuvor einer Krebsoperation hatte unterziehen müssen, erhebliche Verletzungen aufgrund des Unfalls erlitten hatte und darüber hinaus psychisch stark beeinträchtigt war, sowie die erheblichen und einschlägigen Vorstrafen und der Umstand, dass der Antragsteller erst vier Monate vor der gegenständlichen Tat aus der Haft entlassen worden war, die er wiederum verbüßt hatte, weil er zuvor seine Ehefrau misshandelt hatte. Außerdem hatte der Antragsteller zur Tatzeit unter offener einschlägiger Bewährung gestanden. Wegen äußerst ungünstiger Sozialprognose wurde der Vollzug der Freiheitsstrafe nicht zur Bewährung ausgesetzt.
Der Antragsteller befindet sich in dieser Sache seit dem 24. August 2014 in Haft.
Der Antragsteller war von 1996 bis zum 6. September 2016 verheiratet. Am 3. Dezember 2011 kam es zur Trennung, der Antragsteller verließ die Familienwohnung.
Ende Februar 2012 wurde die geschiedene Ehefrau operiert. Mit Schriftsatz vom 5. April 2013 beantragte die Ehefrau durch ihren Bevollmächtigten die Scheidung. Mitte des Jahres 2013 erhielt sie eine Krebsdiagnose (Strafakte Bl. 3 f.). Zu diesem Zeitpunkt näherten sich die Eheleute wieder an, und der Antragsteller wohnte bis zu seiner Verhaftung am 5. August 2013 wieder für ca. zwei Monate in der Familienwohnung. Ab Mitte Oktober 2013 erhielt der Antragsteller an den Wochenenden Freigang, den er bei seiner Familie verbrachte. Nach seiner Haftentlassung am 26. März 2014 kehrte der Antragsteller offenbar kurzfristig wieder in die gemeinsame Familienwohnung zurück, zog aber bereits einige Wochen vor dem provozierten Unfall am 27. Juli 2014 wieder aus (Bl. 3 Strafakte).
Der Antragsgegner hörte den Antragsteller und seine damalige Ehefrau zur beabsichtigten Ausweisung an. Die Kinder des Antragstellers baten den Antragsgegner im Oktober 2015, die Abschiebung zu unterlassen, da sie ihren Vater hier bräuchten. Ihre Mutter sei krank (Verdacht auf Brustkrebs). Der Antragsteller ließ vortragen, im Hinblick auf den guten Kontakt zu den Kindern, die geklärte Situation zu seiner Noch-Ehefrau – das Scheidungsverfahren laufe – und sein bisheriges Verhalten solle man es bei einer Ermahnung belassen. Die Ehefrau des Antragstellers teilte im April 2016 mit, dass sie das alleinige Sorgerecht besitze, der Antragsteller noch nie Unterhalt gezahlt und zu seinen Kindern eine gute Beziehung habe. Sie sei der Meinung, dass es für die Kinder am besten wäre, wenn er nicht ausgewiesen würde, weil sie einen Vater an der Seite bräuchten.
Mit Bescheid vom 11. Juli 2016 wies der Antragsgegner den Antragsteller aus dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland aus (Nr. 1), ordnete den Sofortvollzug der Maßnahme unter Ziffer 1 an (Nr. 2), untersagte die Wiedereinreise in die Bundesrepublik Deutschland für die Dauer von fünf Jahren (Nr. 3), drohte die Abschiebung in den Kosovo oder einen anderen zur Übernahme verpflichteten Staat bzw. ordnete die Abschiebung aus der Haft heraus an (Nr. 4) und forderte den Antragsteller auf, das Bundesgebiet innerhalb von 14 Tagen ab Entlassung aus der Haft bzw. innerhalb von 14 Tagen nach Wegfall der aufschiebenden Wirkung eines erfolgreichen Rechtsbehelfs auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung, zu verlassen (Nr. 5).
Die sofortige Vollziehung werde angeordnet, weil das öffentliche Interesse am Sofortvollzug das Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung einer etwaigen Klage überwiege. In der Regel sei ein besonderes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung bereits dann gegeben, wenn durch den Verwaltungsakt strafbares Handeln unterbunden werden solle. Der Antragsteller werde vorliegend aufgrund einer von ihm ausgehenden konkreten Wiederholungsgefahr, d.h. aus spezialpräventiven Gründen ausgewiesen. Diese spezialpräventive Zielsetzung rechtfertige und erfordere die ausnahmsweise Anordnung des Sofortvollzugs, da ansonsten in Kauf genommen werden müsse, dass sich die konkret bestehende hohe Wiederholungsgefahr noch während eines gerichtlichen Verfahrens realisieren könne. Ein gerichtliches Verfahren könne sich selbst bei der gebotenen Eile durchaus über Jahre erstrecken. Der objektiv belegbaren Wiederholungsgefahr gelte es mit dem sofortigen Vollzug der Ausweisung zu begegnen. Der Antragsteller werde zwar frühestens am 25. Juni 2017 und spätestens zum 24. August 2017 aus der Haft entlassen werden. Aufgrund seines bislang gezeigten Verhaltens und der sehr hohen Wiederholungsgefahr sei ohne Anordnung der sofortigen Vollziehung der Ausweisung zu befürchten, dass die mit der Ausweisung bezweckte Verhinderung erneuter Straftaten vereitelt werde. Im Interesse der Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung sei die sofortige Vollziehbarkeit der Ausweisung gerechtfertigt und erforderlich. Es könne nicht abgewartet werden, bis alle Rechtsmittel ausgeschöpft worden seien.
Hinsichtlich der Einschätzung der Wiederholungsgefahr durch den Antragsteller hatte der Antragsgegner zuvor unter anderem ausgeführt, dass der Antragsteller bereits erheblich und einschlägig vorbestraft sei und erst am 26. März 2014 – mithin nur vier Monate vor der zuvor geschilderten Tat – aus der Haft entlassen worden sei, die er verbüßt habe, weil er seine Ehefrau in erheblicher Weise und unter Verstoß gegen das Gewaltschutzgesetz misshandelt hatte. Zum Tatzeitpunkt habe er unter offener einschlägiger Bewährung gestanden. Der Antragsteller habe sich bislang weder durch Vollzugs- noch durch Bewährungsstrafen von einer erneuten Straftatbegehung abhalten lassen. Das Amtsgericht … gehe von einer äußerst ungünstigen Sozialprognose aus. Der Führungsbericht der Justizvollzugsanstalt bestätige die ungünstige Sozialprognose. Der Antragsteller verfüge über ein erhebliches Aggressionspotenzial. Seine Ehefrau sei in der Vergangenheit wiederholt massiven körperlichen Aggressionen ausgesetzt gewesen. Das Aggressionspotenzial sei bis heute nicht ausgeräumt, respektive aufgearbeitet worden. Im Gegenteil, der Antragsteller nehme zwischenzeitlich selbst Verkehrsunfälle und eine Gefährdung anderer billigend in Kauf. Von seinen zunehmend eskalierenden Gewalttätigkeiten habe er sich weder von Verfügungen nach dem Gewaltschutzgesetz noch durch Vollzugs- oder Bewährungsstrafen abhalten lassen. Der Antragsgegner sei vor diesem Hintergrund davon überzeugt, dass von dem Antragsteller weitere vergleichbare Gewalttaten zu erwarten seien.
Hiergegen ließ der Antragsteller durch seinen Prozessbevollmächtigten mit Schriftsatz vom 21. Juli 2016, bei Gericht am selben Tag eingegangen, Klage erheben und beantragen, den Bescheid vom 11. Juli 2016 aufzuheben (M 25 K 16.3237), und mit demselben Schriftsatz beantragen,
im Wege einer Entscheidung nach § 80 Abs. 5 VwGO im Hinblick auf Ziffer 2 des Bescheids die aufschiebende Wirkung der Klage wieder herzustellen.
Der Antragsgegner habe keine rechtmäßige Abwägung vorgenommen, weshalb die Ausweisung rechtswidrig sei. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO sei nur formelhaft begründet und reiche nicht aus, um eine konkrete Gefahrensituation darzustellen. Der Antragsteller befinde sich aktuell in Strafhaft und habe sich mit seiner Ehefrau über die Durchführung eines „schnellen“ Scheidungsverfahrens geeinigt. Im vorläufigen Rechtsschutzverfahren könne der Ausgang des Hauptsacheverfahrens als offen betrachtet werden. Jedenfalls könne nicht ein deutliches Überwiegen des öffentlichen Interesses an der Ausreise festgestellt werden. Die abgeurteilten Straftaten lägen alle im Bereich einer Beziehungstat. Auf die weitere Begründung wird Bezug genommen.
Das Landgericht … entschied mit Beschluss vom 28. Juli 2016, dass die Vollstreckung der Strafreste nach Verbüßung von zwei Dritteln der mit Urteil vom 11. März 2015 verhängten Freiheitsstrafe von zwei Jahren und von zwei Dritteln der mit Urteil vom 13. Januar 2014 verhängten Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr mit Bewährung nicht zur Bewährung ausgesetzt wird. Eine Entlassung könne unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit nicht verantwortet werden.
Mit Schreiben vom 8. August 2016 erklärte der Antragsgegner, dass jedenfalls bis zur Entscheidung über den Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO von der Vollziehung aufenthaltsbeendender Maßnahmen abgesehen werde. Die Abschiebung solle möglichst unmittelbar aus der Haft heraus erfolgen.
Mit Schreiben vom 11. August 2016 teilte der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers mit, dass vor dem Hintergrund der Ablehnung der Reststrafenaussetzung zur Bewährung eigentlich kein Rechtsschutzbedürfnis am Sofortvollzug bestehe.
Mit Schreiben vom 30. August 2016 legte der Antragsgegner die Behördenakten vor und beantragte,
den Antrag abzulehnen.
Die Stellungnahme der JVA … vom 16. August 2016 bestätige, dass beim Antragsteller von einer äußerst schlechten Sozialprognose verbunden mit einer sehr hohen Wiederholungsgefahr auszugehen sei. Auch die Trennung des Antragstellers von seiner geschiedenen Ehefrau im Jahr 2011 habe den Antragsteller ebenso wenig wie das Kontaktverbot nach dem Gewaltschutzgesetz und Bewährungsstrafen daran gehindert, seiner getrennt lebenden Ehefrau mehrfach nachzustellen, diese anzugreifen und körperlich zu misshandeln. Es liege gerade keine einmalige Beziehungstat vor. Der Antragsteller sei ein vorbestrafter Gewalttäter, der seine von Eifersucht getriebenen Aggressionen nicht in den Griff bekomme und dabei zuletzt auch unkontrollierbare Gefahren für Leib und Leben anderer billigend in Kauf genommen habe. Die Begründung des Sofortvollzugs gehe explizit auf die konkreten Haftentlassungstermine ein. Auch unter Berücksichtigung der Regelung des § 80b VwGO, wonach der Wegfall der aufschiebenden Wirkung an eine Frist von drei Monaten nach Ablauf der gesetzlichen Begründungsfrist des gegen eine abweisende Entscheidung gegebenen Rechtsmittels geknüpft ist, sei die Anordnung des Sofortvollzugs gerechtfertigt. Aus Sicht des Antragsgegners sei nicht absehbar, dass die Wirkung des § 80b VwGO noch vor dem Zeitpunkt der Haftentlassung zum Tragen kommen werde. Bei den Gewalttaten des Antragstellers handele es sich nicht um harmlose Delikte mit Beziehungshintergrund, sondern um wiederholte, massive Gewalttaten.
Mit Schriftsatz vom 14. September 2016 legte der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers den Scheidungsbeschluss vom 6. September 2016 vor. Er trug vor, der Antragsteller habe den Unrechtsgehalt seiner Straftaten eingesehen und werde sich an das vereinbarte Kontaktverbot halten.
Das Oberlandesgericht … verwarf die Beschwerde gegen den Beschluss des Landgerichts … vom 28. Juli 2016 am 10. Oktober 2016 als unbegründet. Es führte aus, dass der Antragsteller eine erschreckend hohe Rückfallgeschwindigkeit strafbarer, höchst gefährlicher Taten gezeigt habe. Die ihm zunächst gewährte Bewährungschance habe er dazu genutzt, binnen kurzer Zeit erneut mehrfach massiv gegen seine vormalige Ehefrau vorzugehen. Soweit der Antragsteller vortrage, die Beziehung zur Geschädigten sei durch die nunmehr rechtskräftige Scheidung beendet und es drohten daher keine weiteren Straftaten mehr, stehe dem schon die erklärte Absicht des Antragstellers, weiter mit den gemeinsamen Kindern umzugehen, entgegen. Die Kontaktaufnahme ausschließlich über Rechtsanwälte erscheine lebensfremd und angesichts der unter Beweis gestellten Uneinsichtigkeit des Verurteilten wenig wahrscheinlich. Der Antragsteller habe bereits aus der Haft heraus die Geschädigte mehrfach angerufen. Darüber hinaus ergebe sich aus der Niederschrift über die Anhörung vom 28. Juli 2016, dass der Antragsteller seine Eifersucht, für die er „Grund gehabt habe (!)“, nach wie vor als plausiblen Anlass für sein Tun verstehe. Vor diesem Hintergrund sei der Strafvollstreckungskammer darin zu folgen, dass von dem Verurteilten nach wie vor eine erhebliche Gefahr für die Geschädigte und für Dritte ausgehe.
Die Kammer hat in dieser Sache und in der Hauptsache mündlich verhandelt. Die Klage wurde mit Urteil vom 14. Dezember 2016 abgewiesen.
Wegen der weiteren Einzelheiten verweist das Gericht auf die Gerichtsakte, auch im Hauptsacheverfahren, die vorgelegte Behördenakte, die beigezogene Strafakte im Verfahren … … … sowie die Niederschrift der mündlichen Verhandlung.
II.
Der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Ausweisungsverfügung hat keinen Erfolg, weil er unbegründet ist.
1. Der zulässige, insbesondere statthafte Antrag gemäß § 80 Abs. 5 VwGO ist unbegründet, weil der Antragsgegner die Voraussetzungen für die Anordnung der sofortigen Vollziehung nach § 80 Abs. 3 VwGO beachtet hat (1.1.) und die gemäß § 80 Abs. 5 VwGO erforderliche gerichtliche Interessenabwägung ergibt, dass das öffentliche Interesse am Sofortvollzug das private Interesse des Antragstellers überwiegt (1.2.).
1.1. Der Antragsgegner hat die Voraussetzungen für die Anordnung der sofortigen Vollziehung einer Ausweisung nach § 80 Abs. 3 VwGO beachtet.
Für die Anordnung der sofortigen Vollziehung einer Ausweisung, die schwerwiegend in die Rechte des Betroffenen eingreift und deren Gewicht durch die Anordnung der sofortigen Vollziehung zusätzlich verschärft wird, ist ein besonderes öffentliches Interesse erforderlich, das über jenes Interesse hinausgeht, das den Verwaltungsakt selbst rechtfertigt. Der Rechtschutzanspruch des Bürgers ist dabei umso stärker und darf umso weniger zurückstehen, je schwerwiegender die ihm auferlegte Belastung ist und je mehr die Maßnahme der Verwaltung Unabänderliches bewirkt (vgl. BVerfG, B.v. 10.5.2007 – 2 BvR 304/07 – juris Rn. 29).
Der Antragsgegner hat die Anordnung der sofortigen Vollziehung schriftlich angeordnet und dabei den Ausnahmecharakter einer sofortigen Vollziehung ausdrücklich erkannt. Seine Begründung trägt auch in der Sache.
Der Antragsgegner hat ausgeführt, dass ohne die Anordnung der sofortigen Vollziehung der Ausweisung in Kauf genommen werden müsse, dass sich die – im Einzelnen und ausführlich zuvor dargelegte – hohe Wiederholungsgefahr noch während eines laufenden gerichtlichen Verfahrens realisieren könne. Er hat bei seiner Bewertung ausdrücklich die möglichen Haftentlassungstermine im Sommer 2017 in Betracht gezogen. Der Antragsgegner stellt zutreffend darauf ab, dass beim Antragsteller aufgrund seines bislang gezeigten Verhaltens, das zuvor im Einzelnen und ausführlich dargestellt worden war, zu befürchten sei, dass er die mit der Ausweisung bezweckte Verhinderung erneuter Straftaten vereiteln werde. Zuvor hat der Antragsgegner u.a. ausführlich dargestellt, dass der Antragsteller sich seit Mitte 2011 gegenüber seiner geschiedenen Ehefrau gewalttätig verhalten und sich von der Fortsetzung seines Tuns weder durch zwei strafrechtliche Verurteilungen und zwei Bewährungsaussetzungen noch durch die Vollstreckung einer mehrmonatigen Freiheitsstrafe habe abhalten lassen. Zuletzt habe es nach der Haftentlassung nur vier Monate bis zur Begehung einer weiteren Straftat gegenüber seiner Ehefrau gedauert.
Die Voraussetzungen des § 80 Abs. 3 VwGO sind damit erfüllt.
1.2. Bei seiner eigenständigen Interessenabwägung kommt das Gericht vorliegend zum Ergebnis, dass das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der Ausweisung das private Rechtsschutzinteresse des Antragstellers überwiegt. Die Ausweisungsentscheidung des Antragsgegners ist sowohl unter Berücksichtigung der zwischenzeitlich erfolgten Scheidung und der familiären Bindungen des Antragstellers als auch unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten rechtlich nicht zu beanstanden.
Im Rahmen der bei der Entscheidung nach § 80 Abs. 5 VwGO anzustellenden Interessenabwägung hat das Verwaltungsgericht insbesondere die Erfolgsaussichten der Klage einzubeziehen. Wird die Klage voraussichtlich erfolglos bleiben, so überwiegt regelmäßig das öffentliche Interesse am Sofortvollzug das private Interesse des Antragstellers, da kein schutzwürdiges Interesse daran besteht, von dem Vollzug eines rechtmäßigen Verwaltungsaktes verschont zu bleiben (vgl. Schmidt in: Eyermann, Verwaltungsgerichtsordnung, 14. Aufl., 2014, Rn. 76).
1.3. Gemessen an diesen Maßstäben erweist sich der Bescheid des Antragsgegners vom 11. Juli 2016 bei gebotener summarischer Prüfung als rechtmäßig und verletzt den Antragsteller nicht in seinen Rechten (§ 113 Absatz ein Satz 1 VwGO). Der Antragsgegner hat die Ausweisungsverfügung zutreffend auf §§ 53 ff. AufenthG gestützt.
1.3.1. Das Verwaltungsgericht kommt wie der Antragsgegner zu dem Ergebnis, dass die nach § 53 Abs. 1 AufenthG vorausgesetzte Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung durch den Antragsteller im Zeitpunkt der Entscheidung gegeben ist.
Der Antragsteller hat seit Juni 2011 wiederholt und nachdrücklich unter Beweis gestellt, dass ihn zunächst weder die Trennung von seiner geschiedenen Ehefrau noch eine strafrechtliche Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe auf Bewährung mit Urteil vom 23. Oktober 2012 von der Begehung einer weiteren Gewalttat am 20. November 2012 unter laufender Bewährung haben abhalten können. Er hat sich auch in der Folge nicht durch eine weitere strafrechtliche Verurteilung, den Bewährungswiderruf und die Verbüßung einer mehrmonatigen Haftstrafe beeindrucken lassen, sondern vielmehr unter Steigerung der Gefährlichkeit seiner Straftat nur vier Monate nach seiner Haftentlassung ebenfalls unter laufender Bewährung eine weitere massive Straftat, diesmal nicht allein gegen die geschiedene Ehefrau, sondern gegen die Allgemeinheit gerichtet, begangen. Zu diesem Zeitpunkt hatte seine Ehefrau bereits die Scheidung beantragt. Die Massivität der Straftaten hat sich erhöht. Die Rückfallgeschwindigkeit ist enorm.
Aufgrund seines in der Vergangenheit gezeigten Verhaltens besteht auch in Zukunft die Gefahr, dass der Antragsteller sich nicht an die geltenden Strafbestimmungen halten wird. Er hat bereits nachdrücklich einen Mangel an Respekt gegenüber der hiesigen Rechtsordnung dokumentiert. Dass der Antragsteller mittlerweile geschieden ist, beseitigt die Wiederholungsgefahr nicht. Weder die Trennung von der Familie noch das im Jahr 2013 durch die Ehefrau eingeleitete Scheidungsverfahren hatten positiven Einfluss auf das klägerische Verhalten. Ausweislich des Beschlusses des Oberlandesgerichts … vom 10. Oktober 2016 ging der Kläger zuletzt im Juli 2016 immer noch davon aus, dass er für seine Taten Anlass gehabt habe.
1.3.2. Die im Rahmen der Prüfung der Ausweisungsverfügung nach § 53 Abs. 1 AufenthG anzustellende Abwägung des öffentlichen Ausweisungsinteresses gegenüber dem privaten Bleibeinteresse des Antragstellers fällt zu Lasten des Antragstellers aus.
Bei der Abwägung nach § 53 Abs. 1 AufenthG sind neben dem Ausweisungsinteresse nach § 54 AufenthG und dem Bleibeinteresse nach § 55 AufenthG gemäß § 53 Abs. 2 Aufenthaltsgesetz nach den Umständen des Einzelfalls insbesondere die Dauer des Aufenthalts, die persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der ausländerrechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen.
1.3.3. Der Antragsteller erfüllt die Voraussetzungen für ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse gemäß § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG, weil er vom Amtsgericht … mit Urteil vom 11. März 2015 wegen einer vorsätzlichen Straftat rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von 2 Jahren verurteilt wurde. Daneben erfüllt der Antragsteller ein schwerwiegendes Ausweisungsinteresse, weil er am 13. Januar 2014 rechtskräftig wegen vorsätzlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Beleidigung in Tatmehrheit mit Verstößen gegen das Gewaltschutzgesetz zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr auf Bewährung verurteilt wurde (§ 54 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG). Schließlich erfüllt der Antragsteller ein weiteres schwerwiegendes Ausweisungsinteresse, weil er wegen vorsätzlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Beleidigung und mit Sachbeschädigung in Tatmehrheit mit vorsätzlicher Körperverletzung mit rechtskräftigem Urteil vom 23. Oktober 2012 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Monaten auf Bewährung verurteilt wurde (§ 54 Abs. 2 Nr. 1a AufenthG).
Dem steht ein besonders schwerwiegendes Bleibeinteresse des Antragstellers gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 1 Aufenthaltsgesetz gegenüber, da er eine Niederlassungserlaubnis besitzt und sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat.
Zugunsten des Antragstellers berücksichtigt das Gericht die vereinbarte Ausübung des Umgangs mit seinen minderjährigen, deutschen Töchtern auch als besonders schwerwiegendes Bleibeinteresse i.S.v. § 55 Abs. 1 Nr. 4 Alt. 3 AufenthG (vgl. aber hierzu BeckOK AuslR/Graßhof, § 55 Rn. 28). Dass der Antragsgegner die Belange der Töchter nur als schwerwiegendes Bleibeintresse i.S.v. § 55 Abs. 2 Nr. 5 AufenthG berücksichtigt hat, ist nicht maßgeblich und wirkt sich auf das Ergebnis der Abwägung nicht zu Gunsten des Antragstellers aus. Denn die Intensität des Schutzes des Bleibeinteresses hängt in erster Linie von der tatsächlichen Ausgestaltung der Beziehung ab, wobei es maßgeblich auf die Sicht des Kindes ankommt und zu untersuchen ist, ob im Einzelfall eine persönliche Verbundenheit besteht, auf deren Aufrechterhaltung das Kind zu seinem Wohl angewiesen ist (BeckOK AuslR/Graßhof, § 55 Rn. 28 unter Verweis auf BVerfG, B.v. 23.1.2006 – 2 BvR 1935/05 – NVwZ 2006, 682). Grundsätzlich haben die Folgen einer vorübergehenden Trennung von einem Elternteil ein hohes Gewicht, wenn noch sehr kleine Kinder betroffen sind (BVerfG, B.v. 5.6.2013 – 2 BvR 586/13 – juris Rn. 13).
1.3.4. Die Abwägung des Gerichts führt unter Beachtung der Ausweisungs- und Bleibeinteressen und unter umfassender Würdigung aller Umstände des Einzelfalls – auch unter Berücksichtigung von Art. 6 GG, Art. 8 EMRK und des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes – zu dem Ergebnis, dass das öffentliche Ausweisungsinteresses das private Bleibeinteresse überwiegt und die Ausweisung des Antragstellers sich somit als rechtmäßig erweist.
Der Antragsteller lebt seit 24 Jahren im Bundesgebiet, war überwiegend selbstständig als Autohändler erwerbstätig und ist Vater zweier minderjähriger deutscher Töchter, für die er nicht sorgeberechtigt ist und sowohl in der Vergangenheit keinen Unterhalt keinen Unterhalt gezahlt hat bzw. auch aktuell nicht zahlt. Er hat auch einen im Bundesgebiet lebenden volljährigen, verheirateten Sohn, Geschwister und sonstige Verwandte. Auf der anderen Seite hat der Antragsteller nach wie vor auch zahlreiche soziale Bindungen (Vater, vier Brüder und zwei Schwestern) in seinem Heimatland.
Der Antragsteller verliert durch die Ausweisung nicht seine berufliche oder wirtschaftliche Existenz. Seinen Autohandel hat er 2012 aufgegeben. Von Mai 2012 bis August 2013 hat er zuletzt Leistungen nach dem SGB II bezogen. Von August 2013 bis März 2014 war der Antragsteller inhaftiert, ebenso wieder seit August 2014. Über eine abgeschlossene Berufsausbildung verfügt der Kläger nicht. Nach seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung hat er Schulden i.H.v. 50.000 €.
Auch die Berücksichtigung des Wohls der Kinder führt nicht zum Überwiegen des privaten Bleibeinteresses des Antragstellers. Im Zeitpunkt der Haftentlassung Mitte 2017 werden die beiden minderjährigen Töchter 16 bzw. zwölf Jahre alt sein. Ein gemeinsames Familienleben findet bereits seit Dezember 2011 nicht mehr statt, jedenfalls nicht kontinuierlich und nicht gewaltfrei. Zur jüngsten Tochter besteht seit August 2014 überhaupt kein Kontakt mehr. Die ältere Tochter hat den Antragsteller im mehr als zweijährigen Zeitraum von August 2014 bis zur Entscheidung des Gerichts dreimal in der Justizvollzugsanstalt besucht. Der Kläger wusste in der mündlichen Verhandlung nicht, welche Schule, Schulart und Schulklasse seine ältere Tochter besucht. Der Umfang der Anteilnahme des Antragstellers am Leben seiner Töchter erscheint nicht nur vor diesem Hintergrund eingeschränkt. Auch im Hinblick auf das Alter der Töchter kann nicht davon ausgegangen werden, dass sie auf die persönliche Anwesenheit des Antragstellers im Bundesgebiet in überwiegender Weise zu ihrem Wohl angewiesen sind. Sofern die Aufrechterhaltung eines Kontakts gewünscht wird, ist dies problemlos telefonisch, via Skype, per E-Mail, per WhatsApp und in den Ferienzeiten durch Besuche im Kosovo bzw. durch Besuche des Antragstellers im Bundesgebiet im Rahmen evtl. zu erteilender Betretenserlaubnisse möglich und ausreichend.
Zwar sind auch die Beziehung zum volljährigen, verheirateten Sohn und der Wunsch des Antragstellers, mit diesem gemeinsam nach der Haftentlassung einen Autohandel betreiben zu wollen, zu berücksichtigen. Jedoch fällt dieser Belang in der Abwägung nicht schwerwiegend ins Gewicht. Der Sohn hat als Zeuge im Klageverfahren ausgesagt, seinen Vater zuletzt im Juli 2015 besucht zu haben und im Übrigen Briefkontakt zu ihm zu haben.
Des Weiteren hat der Sohn berichtet, dass seine Mutter den Verbleib des Antragstellers im Bundesgebiet befürworte. Dies fällt jedoch ebenfalls nicht entscheidend ins Gewicht, insbesondere da die geschiedene Ehefrau es nicht für nötig gehalten hat, dem Gericht trotz dessen Bitte um Erscheinen zum Termin ihre Gründe für diesen Wunsch selbst darzulegen.
Anhaltspunkte dafür, dass sich die Ausweisung nach alledem als unverhältnismäßig darstellt, sind nicht ersichtlich.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
3. Die Streitwertfestsetzung folgt aus §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG in Verbindung mit Nr. 1.5, 8.2. des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.

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