Verwaltungsrecht

Erfolgloser Eilantrag gegen Entlassung aus dem Beamtenverhältnis auf Widerruf

Aktenzeichen  M 5 S 19.1393

Datum:
30.9.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 25550
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 3, Abs. 5
BeamtStG § 23 Abs. 4 S. 2

 

Leitsatz

1. Das Gericht ist nicht auf die Überprüfung der Begründung der Vollzugsanordnung gemäß § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO beschränkt, sondern hat im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO unter Abwägung der öffentlichen Belange gegen den Rechtsanspruch des Einzelnen selbst zu beurteilen, ob ein besonderes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts besteht (Rn. 35). (redaktioneller Leitsatz)
2. § 23 Abs. 4 Satz 2 BeamtStG schränkt die Entlassbarkeit eines Beamten auf Widerruf nur dort ein, wo der Vorbereitungsdienst eine Zugangsvoraussetzung auch für Berufe außerhalb des Beamtenverhältnisses bildet, wenn also die beamtenrechtliche Ausbildung noch weitere Berufsmöglichkeiten eröffnet (Rn. 40 – 43). (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 4012,72 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller wendet sich gegen die sofortige Vollziehbarkeit seiner Entlassung aus dem Beamtenverhältnis auf Widerruf durch den Antragsgegner.
Der 1993 geborene Antragsteller wurde am … … 2016 zum Steuerinspektoranwärter im Beamtenverhältnis auf Widerruf im Vorbereitungsdienst (3. Qualifikationsebene) ernannt.
Nach mehreren Vorfällen, die u.a. zu einem Personalgespräch am … September 2017, einer Disziplinarverfügung vom … Juli 2018 (Geldbuße in Höhe von 200 Euro) und der Feststellung des Verlusts der Besoldung mit Bescheid vom *. Oktober 2018 (beides für schuldhaftes Fernbleiben vom Dienst am …7.2017) führten, berichtete das Finanzamt E. dem Bayerischen Landesamt für Steuern (Landesamt) mit Schreiben vom *. November 2018 über das dienstliche Verhalten des Antragstellers (Arbeitszeitverstöße sowie Verstoß gegen Attestpflicht ab dem ersten Krankheitstag) mit der Bewertung, dass dieser für jegliche Art von Beamtenverhältnis ungeeignet und daher auch für eine Weiterbeschäftigung im Widerrufsbeamtenverhältnis nicht tragbar sei.
Nach Anhörung mit Schreiben vom … November 2018 und ergänzend vom … Januar 2019, Stellungnahme der Bevollmächtigten des Antragstellers vom 22. Januar 2019, antragsgemäßer Beteiligung des Bezirkspersonalrats beim Landesamt sowie dessen Zustimmung zur beabsichtigten Entlassung mit Schreiben vom … Februar 2019 entließ das Landesamt den Antragsteller mit Bescheid vom … Februar 2019, ihm zugestellt am … Februar 2019 bzw. seiner Bevollmächtigten zugestellt am … Februar 2019, mit Ablauf des … März 2019 aus dem Beamtenverhältnis auf Widerruf (Nr. 1 des Bescheids) und ordnete die sofortige Vollziehung der Entlassung an (Nr. 2).
Zur Begründung wurde nach ausführlicher Darlegung der dem Antragsteller zu Last gelegten Vorfälle im Wesentlichen ausgeführt, dass für eine Entlassung aus dem Beamtenverhältnis auf Widerruf gemäß § 23 Abs. 4 Satz 1 Beamtenstatusgesetz (BeamtStG) jeder sachliche Grund genüge. Solche könnten sich sowohl aus der dienstlichen Sphäre als auch aus der Person oder dem Verhalten des Beamten ergeben. Für die Entlassung genügten schon berechtigte Zweifel, ob der Beamte die persönliche Eignung, zu der auch die charakterliche Eignung gehöre, besitzt. Insoweit verfüge der Dienstherr über einen Beurteilungsspielraum, da die Einschätzung der persönlichen und charakterlichen Eignung ein personenbezogenes Werturteil voraussetze. Derartige Eignungsmängel müssten nicht positiv festgestellt werden. Die Entlassung aus dem Beamtenverhältnis auf Widerruf sei auch nicht von dem Nachweis eines konkreten Dienstvergehens abhängig.
Die Zweifel an der persönlichen Eignung des Antragstellers würden auf Leistungsmängel, die jedenfalls auch auf einem „Nichtwollen“ beruhten, sowie auf charakterliche Mängel gestützt.
Die fachtheoretischen Leistungen seien zum Teil derart gravierend mangelhaft gewesen, dass diese den Schluss nahelegten, dass eine Leistungsverweigerung vorliege bzw. dass der Antragsteller – in eklatanter Weise – nicht den erforderlichen Lerneinsatz bei der Vorbereitung auf die Aufsichtsarbeiten gezeigt habe. Er habe dies auch eingeräumt und geäußert, dass er insgesamt „zur Faulheit neige“. Im Ergebnis gefährdeten die gravierenden Defizite in Verbindung mit dem anzunehmenden nicht hinreichenden Einsatz auch die ordnungsgemäße Durchführung des Vorbereitungsdienstes und rechtfertigten daher die Entlassung aus dem Beamtenverhältnis auf Widerruf.
Des Weiteren sei der Antragsteller als in sehr hohem Maße unzuverlässig zu charakterisieren. Seine Dienstauffassung sei ebenfalls erheblich zu beanstanden. So sei er der angeordneten Pflicht zur Vorlage eines ärztlichen Zeugnisses ab dem ersten Tag einer Erkrankung für den … Oktober 2018 nicht nachgekommen. Er habe außerdem – sukzessive und fortlaufend – gegen die Arbeitszeitverordnung und die diesbezügliche Dienstvereinbarung des Finanzamts E. verstoßen. Bereits der bloße Aufbau erheblicher Zeitrückstände werfe in Anbetracht der erst kürzlich ergangenen Disziplinarverfügung, der Belehrungen und Hinweise und nicht zuletzt der dargestellten Aussagen im Personalgespräch ein ausgeprägt schlechtes Licht auf ihn. Ein hinreichendes „Pflicht- und Verantwortungsbewusstsein“ im Hinblick auf die Arbeitszeitregelungen der gleitenden Arbeitszeit könne bei ihm nicht festgestellt werden.
Die Zweifel an seiner Dienstauffassung und Zuverlässigkeit würden durch weitere Vorfälle bestätigt. So habe er im November 2018 an mehreren Tagen, entgegen seiner Verpflichtung, nicht die ihm im Finanzamt zugewiesene Stelle aufgesucht. Ferner sei er im Amtsgebäude mehrfach über wesentliche Zeiträume nicht auffindbar gewesen. Auf sein Verhalten angesprochen, habe er keinerlei Unrechtsbewusstsein gezeigt.
Seine Fähigkeit, mit Kollegen und Vorgesetzten zusammenzuarbeiten, sei ebenfalls als defizitär zu beurteilen. Der bewusste Versuch des „Entziehens“ von einer Sanktion wegen eines Vorfalls der Ruhestörung am … Dezember 2016 durch Angabe eines falschen Namens und die damit verbundene zumindest billigende Inkaufnahme, dass ein anderer Anwärter für sein Fehlverhalten zur Rechenschaft gezogen werde, offenbare auch Zweifel an seiner Teamfähigkeit bzw. der Zusammenarbeit mit Kollegen und Vorgesetzten.
Der Antragsteller habe sich zum Teil einsichtig gezeigt, dann wiederum genervt von den Aussagen der Vorgesetzten. Mit einem Anwärter, der mehrfach Anweisungen des Dienstherrn nicht beachte und innerdienstlich wiederholt falsche bzw. widersprüchliche Angaben mache, sei keine geregelte Zusammenarbeit möglich. Eine hinreichende Loyalität im Sinne einer (von einem Vernunftsinteresse geleiteten) inneren Verbundenheit und deren Ausdruck in seinem Verhalten gegenüber dem Dienstherrn werde in Zweifel gezogen, was sich schon aus seinen „genervten“ Reaktionen ergebe. Seine Aufrichtigkeit sei ebenfalls zu beanstanden. Selbst nach Einleitung eines Entlassungsverfahrens habe er keine Beanstandungsfreiheit in seinem Verhalten gezeigt.
Jeder der dargestellten Vorfälle bzw. Beanstandungen habe bereits für sich genommen einen sachlichen Grund für die Entlassung aus dem Beamtenverhältnis auf Widerruf gebildet. Jedenfalls in der Gesamtheit (sogenannter „Summeneffekt“) sei eine Entlassung wegen persönlicher bzw. charakterlicher Nichteignung gerechtfertigt.
Im Rahmen der gebotenen Gesamtbetrachtung sei besonders herauszustellen, dass aufgrund des Personalgesprächs und des Disziplinarverfahrens eine erhebliche Steigerung seiner gezeigten Initiative, seiner Dienstauffassung sowie seiner Zuverlässigkeit nötig gewesen wäre, die Zweifel an seiner persönlichen Eignung auszuräumen. Diese Steigerung sei jedoch nicht nur unterblieben. Die Zweifel hätten sich – im Gegenteil – verfestigt. Mit bloßen „Missverständnissen“ sei sein Verhalten nicht zu erklären. Anzahl und Schwere des Fehlverhaltens ließen auch keine Relativierung mehr als jugendtypisches Verhalten zu. Diese Zweifel hätten auch durch seine Stellungnahmen nicht hinreichend ausgeräumt werden können. Seine Auffassung, dass bestimmte Vorfälle nicht aufgetreten wären, wenn kein Entlassungsverfahren eingeleitet worden wäre, werde nicht geteilt. Insbesondere der bisherige Ausbildungsverlauf spreche gegen diese Einschätzung und hiermit werde eine Fiktion kreiert, die bereits für sich genommen für eine Eignungsprognose ungeeignet sei.
Die Entlassung sei auch ermessensgerecht.
Das Ermessen werde durch § 23 Abs. 4 Satz 2 BeamtStG nicht weiter eingeschränkt, da der Vorbereitungsdienst keine Zugangsvoraussetzungen für Berufe außerhalb des Beamtenverhältnisses schaffe und keine weiteren Berufsmöglichkeiten eröffne. Der Einwand, mit der abgeschlossenen Ausbildung könne beispielsweise in Steuerberatungsbüros eine Anstellung gefunden werden, könne im Einzelfall zwar zutreffend, sei aber hypothetisch.
Es sei dem Antragsteller zuzugeben, dass sein Vorbereitungsdienst bereits relativ fortgeschritten sei. Sein weiteres Verbleiben im Vorbereitungsdienst sei dem Dienstherrn jedoch unzumutbar. Der Vorbereitungsdienst sei kein Platz, auf dem man auf Kosten der Allgemeinheit und zum Nachteil der nachrückenden Bewerber bis zum Eintritt in das eigentliche Berufsleben möglichst lange verweilen solle, denn das Beamtenverhältnis auf Widerruf diene in erster Linie der (zügigen und erfolgreichen) Ableistung des Vorbereitungsdienstes geeigneter Anwärter und nicht der Unterhaltssicherung. Eine Weiterbeschäftigung würde darüber hinaus noch zu einer zusätzlichen, erheblichen Belastung für den gesamten (Vorbereitungs-) Dienstbetrieb und den Ausbildungsablauf führen. Insgesamt sei daher kein milderes Mittel angezeigt oder geeignet. Dem Dienstherrn und der Öffentlichkeit sei ein Verbleiben des Antragstellers im Beamtenverhältnis nicht zuzumuten, da er das vom Dienstherrn in ihn gesetzte und für die Aufrechterhaltung des Beamtenverhältnisses, eines Treueverhältnisses, notwendige Vertrauen nachhaltig und erheblich, letztlich irreparabel, erschüttert habe.
Seine Einschätzung, dass „angenommen“ werden könne, dass er den Vorbereitungsdienst erfolgreich abschließen würde, werde im Übrigen nach dem bisherigen Leistungsverlauf nicht geteilt.
Die Anordnung der sofortigen Vollziehung wurde im Wesentlichen damit begründet, dass es im öffentlichen Interesse liege, die knappen Ausbildungsressourcen nur Beamten zur Verfügung zu stellen, die aufgrund ihrer Eignung auch für eine spätere Übernahme in das Beamtenverhältnis auf Probe und Lebenszeit in Betracht kämen und bei denen zu erwarten sei, dass diese die Qualifikationsprüfung bestehen könnten. Das sei beim Antragsteller nicht der Fall. Auch sei es dem Finanzamt E., der Hochschule und der Öffentlichkeit nicht zuzumuten, einen Anwärter, der mangelnde Dienstauffassung und Aufrichtigkeit sowie erhebliche und fortwährende Unzuverlässigkeit gezeigt habe und bei dem eine Weiterführung der Ausbildung so letztlich „aussichtslos“ sei, über den Entlassungszeitpunkt weiter zu beschäftigen. Dies gelte auch und gerade vor dem Hintergrund der von Juni bis September 2019 stattfindenden schriftlichen und mündlichen Teile der Qualifikationsprüfung. Dem Dienstherrn sei es vor dem Hintergrund der Bedarfsausbildung und im Hinblick auf den Haushaltsgrundsatz der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit nicht zuzumuten, den damit verbundenen erheblichen Kosten- und Personalaufwand in Kauf zu nehmen. Es bestehe auch ein nicht unbeachtliches finanzielles Risiko, die Rückzahlung weiter geleisteter Anwärterbezüge zu verwirklichen. Schließlich liege die Anordnung des Sofortvollzugs auch im Interesse des Antragstellers. Da seine Übernahme in das Beamtenverhältnis auf Probe oder Lebenszeit nicht möglich sein würde und die Fortsetzung der Ausbildung aussichtslos sei. Eine Fortsetzung der Ausbildung sei für sein berufliches Fortkommen ohne Nutzen. Insgesamt überwiege damit das besondere öffentliche Interesse des Dienstherrn an der sofortigen Vollziehung der Entlassung deutlich. Hinter diesen öffentlichen Interessen müsse sein privates Interesse, bis zur rechtskräftigen Entscheidung von dem Verwaltungsakt nicht betroffen zu werden und eine „Option“ auf den erfolgreichen Abschluss des Vorbereitungsdienstes zu erlangen, zurücktreten.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gründe des Bescheids verwiesen.
Mit Schriftsatz vom 11. März 2019, beim Verwaltungsgericht München eingegangen am 12. März 2019, erhob die Bevollmächtigte des Antragstellers für diesen dagegen Klage mit dem Ziel der Aufhebung des Bescheids (M 5 K 19.1173). Über diese Klage ist noch nicht entschieden.
Mit Schriftsatz ebenfalls vom 11. März 2019, beim Verwaltungsgericht München eingegangen am 22. März 2019, hat die Bevollmächtigte des Antragstellers außerdem beantragt,
die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers gegen den Bescheid des Antragsgegners vom … Februar 2019 wieder herzustellen.
Die Entlassungsverfügung sei rechtswidrig. Die Ermessensentscheidung sei fehlerhaft, weil teilweise von einem unzutreffend dargestellten Sachverhalt ausgegangen werde. Aussagen des Antragstellers seien zum Teil aus dem Kontext gerissen, zum Teil auch unzutreffend wiedergegeben worden. So habe der Antragsteller nicht gesagt, er „neige zur Faulheit“. Er sei auch gegenüber anderen Anwärtern ungerecht benachteiligt worden, zum Beispiel bei der späten Zuweisung zum Hauptstudium. Die Studienleistungen des Antragstellers hätten sich auch deutlich verbessert.
Die Interessen des Antragstellers würden überwiegen. Dieser befindet sich seit 2016 in der Ausbildung, die im Sommer 2019 hätte abgeschlossen werden sollen. Würde er im Vorbereitungsdienst verbleiben, würde er keinem anderen Bewerber einen Platz wegnehmen. Deshalb solle ihm die Möglichkeit gegeben werden, seine Ausbildung abzuschließen. Nach erfolgreichem Abschluss wäre es vorstellbar, dass er eine Anstellung in einem anderen Bundesland finden würde. Aber auch für Tätigkeiten außerhalb des öffentlichen Dienstes würde ihm der Abschluss erhebliche Vorteile bieten. Er würde beispielsweise bei einem Steuerberater, Rechtsanwälten oder Unternehmensberatern arbeiten oder nach dreijähriger Berufstätigkeit sich auch weiter qualifizieren können, zum Beispiel zum Steuerberater.
Das Landesamt hat für den Antragsgegner mit Schriftsatz vom 3. April 2019 beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Es lägen keine Ermessensfehler vor, denn der Entscheidung seien zutreffend und vollständig ermittelte Sachverhalte zu Grunde gelegt worden. Die Einwendungen des Antragstellers dagegen seien weder substantiiert dargelegt noch glaubhaft gemacht worden. Die Aussage hinsichtlich seiner „Faulheit“ habe der Antragsteller sehr wohl getätigt, was sich aus der Niederschrift vom 23. April 2018 über das Gespräch vom … März 2018 ergebe.
Eine nachträgliche leichte Verbesserung der fachlichen Leistung werde nicht angezweifelt, dennoch verbleibe in der Gesamtschau eine negative Tendenz. Zudem komme es auf den Zeitpunkt der angefochtenen Entscheidung an.
Der Vorbereitungsdienst sei keine Zugangsvoraussetzungen für Berufe außerhalb des Beamtenverhältnisses. Für die genannten beruflichen Tätigkeiten gebe es jeweils eigene Ausbildungswege.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird ergänzend auf die Gerichtsakten im vorliegenden Antrags- und im zugehörigen Klageverfahren sowie auf die vorgelegte Behördenakte verwiesen.
II.
Der zulässige Antrag ist unbegründet.
1. Nach § 80 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) haben Widerspruch und Anfechtungsklage aufschiebende Wirkung. Diese Bestimmung stellt eine zentrale Norm der Verwaltungsrechtspflege dar, denn der Bürger hat nach Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland (GG) Anspruch auf eine tatsächlich wirksame Kontrolle der Verwaltung. Art. 19 Abs. 4 GG gewährleistet die aufschiebende Wirkung von Widerspruch und Anfechtungsklage aber nicht schlechthin. Die Behörde darf sie gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO durch Anordnung der sofortigen Vollziehung beseitigen, wenn dafür ein besonderes öffentliches Interesse besteht, das grundsätzlich über jenes Interesse hinauszugehen hat, welches den Verwaltungsakt selbst rechtfertigt.
Dieses besondere öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts ist nach § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO schriftlich zu begründen.
Die Begründung der Vollzugsanordnung in Nr. 2 des angefochtenen Bescheids vom … Februar 2019 genügt diesem gesetzlichen Erfordernis. Sie ist nicht lediglich formelhaft, sondern lässt erkennen, dass die Behörde eine Einzelfallprüfung vorgenommen und die unterschiedlichen, einander widerstreitenden Interessen der Beteiligten gegeneinander abgewogen hat. Insbesondere hat die Behörde nicht nur einseitig auf die Interessenlage der öffentlichen Hand abgestellt, sondern auch die Interessen des Antragstellers berücksichtigt.
Über diese Feststellung hinaus bedarf es keiner weiteren Erörterung der von der Behörde genannten Gründe, da das Gericht nicht auf die Überprüfung dieser Gründe beschränkt ist, sondern im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO unter Abwägung der öffentlichen Belange gegen den Rechtsanspruch des Einzelnen selbst zu beurteilen hat, ob ein besonderes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts besteht. Soweit dabei die Erfolgsaussichten des eingelegten Rechtsbehelfs oder der Klage bereits absehbar sind, hat das Gericht sie zu berücksichtigen. Ergibt diese im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes notwendigerweise summarische Prüfung, dass der Rechtsbehelf oder die Klage voraussichtlich erfolglos sein wird, so scheidet, sofern ein öffentliches Interesse für den sofortigen Vollzug spricht, ein Vorrang der privaten Interessen von vornherein aus, da an der Aussetzung eines offensichtlich rechtmäßigen Verwaltungsakts in der Regel kein überwiegendes privates Interesse bestehen kann (vgl. BayVGH vom 4.10.1982 – 19 AS 82 A.2049 – BayVBl 1983, 23).
2. Die summarische Überprüfung der Sach- und Rechtslage zum maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses bzw. der Zustellung der angefochtenen Entlassungsverfügung vom … Februar 2019 ergibt im vorliegenden Fall, dass keine durchgreifenden Bedenken gegen deren Rechtmäßigkeit bestehen.
a) Zur Begründung wird zunächst auf die umfangreichen und zutreffenden rechtlichen Ausführungen des Landesamts im angefochtenen Bescheid verwiesen, denen das Gericht vollumfänglich folgt (§ 117 Abs. 5 VwGO).
Das Landesamt hat jedenfalls hinsichtlich der charakterlichen Ungeeignetheit in rechtlich nicht zu beanstandender Weise ausgeführt, warum es sein Ermessen dahingehend ausgeübt hat, den Antragsteller gemäß § 23 Abs. 4 Satz 1 BeamtStG aus dem Beamtenverhältnis auf Widerruf zu entlassen.
b) Ergänzend ist anzumerken, dass nicht ersichtlich ist, dass das Landesamt von einem unvollständig ermittelten oder – zu Lasten des Antragstellers – unzutreffend dargestellten Sachverhalt ausgegangen wäre. Den ausführlichen Darstellungen des Landesamts zu den einzelnen Vorfällen, die in der vorgelegten Akte entsprechend ausführlich dokumentiert sind, setzt der Antragsteller lediglich seine eigenen Versionen der Vorfälle entgegen, die teilweise schon unsubstantiiert dargelegt und im Übrigen gänzlich nicht glaubhaft gemacht wurden. Hierauf kann der Vorwurf einer ermessensfehlerhaften Entscheidung nicht gestützt werden.
c) Der Entlassung des Antragstellers steht nicht entgegen, dass nach § 23 Abs. 4 Satz 2 BeamtStG die Gelegenheit zur Beendigung des Vorbereitungsdienstes und zur Ablegung der Prüfung gegeben werden soll.
Diese Regelung schränkt die Entlassbarkeit eines Beamten auf Widerruf nur dort ein, wo der Vorbereitungsdienst eine Zugangsvoraussetzung auch für Berufe außerhalb des Beamtenverhältnisses bildet, wenn also die beamtenrechtliche Ausbildung noch weitere Berufsmöglichkeiten eröffnet. Diese Einschränkung greift vorliegend, nachdem es sich um die spezifische Ausbildung für den Steuerdienst handelt, nicht (BayVGH, B.v. 12.12.2011 – 3 CS 11.2397 – juris Rn. 34; vgl. auch BayVGH, B.v. 9.7.2013 – 3 CS 13.302 – Rn. 14 [Justizvollzugsdienst]; B.v. 13.11.2014 – 3 CS 14.1864 – juris Rn. 21 [Steuerdienst]).
Dem folgt die erkennende Kammer weiterhin (VG München, B.v. 23.2.2018 – M 5 E 17.5721 – juris Rn. 43 ff.), auch wenn das Oberverwaltungsgericht für das Land Schleswig-Holstein – ausdrücklich entgegen der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs – der Ansicht ist, dass § 23 Abs. 4 Satz 2 BeamtStG auch bei einer bedarfsorientierten Ausbildung als Voraussetzung für den Erwerb der Laufbahnbefähigung und damit als Zugangsvoraussetzung für ein öffentliches Amt im Sinne des Art. 33 Abs. 2 Grundgesetz (GG) zu beachten sei. Denn der Entscheidung, ob jemand einen einmal begonnenen Vorbereitungsdienst vollenden und mit der Laufbahnprüfung abschließen könne, komme unter dem Aspekt des Art. 12 Abs. 1 GG und des Art. 33 Abs. 2 GG Grundrechtsbezug zu (B.v. 5.1.2018 – 14 MB 2/17 – juris Rn. 4 ff., 7).
Ohnehin ist auch das Oberverwaltungsgericht der Ansicht, dass Personen, die nach leistungsbezogener Auswahl in den (bedarfsorientierten) Vorbereitungsdienst eingestellt wurden, nur dann ein Rechtsanspruch auf Ableistung des Vorbereitungsdienstes nach Maßgabe der geltenden Vorschriften erwachsen kann, soweit keine Umstände auftreten oder (nachträglich) bekannt werden, die sie für den Vorbereitungsdienst und die spätere Beamtenlaufbahn als ungeeignet erscheinen lassen (a.a.O., juris Rn. 8). Solches ist aber bei dem Antragsteller gerade der Fall, wie sich aus obigen Ausführungen ergibt.
3. Das persönliche Interesse des Antragstellers an einer Beendigung des Vorbereitungsdienstes – auch im Hinblick auf die von ihm genannten möglichen beruflichen Tätigkeiten – muss daher hinter dem vom Landesamt im Bescheid ausführlich und sorgfältig begründeten Interesse der Allgemeinheit an der sofortigen Vollziehung der Entlassungsverfügung zurücktreten.
4. Der Antragsteller hat als unterlegene Beteiligter nach § 154 Abs. 1 VwGO die Kosten des Verfahrens zu tragen.
5. Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 6 Satz 1 Nr. 2, Satz 2 und 3, § 40 Gerichtskostengesetz (GKG). Die Jahresbezüge des Antragstellers im Jahr 2019 hätten sich inklusive jährlicher Sonderzahlung bei einem Anwärtergrundbetrag (A 9 bis A 11) von monatlich 1263,65 EUR auf insgesamt 16.050,89 EUR summiert, wovon die Hälfte 8025,45 EUR beträgt. Eine weitere Halbierung auf 4012,72 EUR erfolgt, weil im vorliegenden Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nur die Hälfte des Streitwerts eines Hauptsacheverfahrens anzusetzen ist (Nr. 1.5 Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit; abgedruckt in Kopp/Schenke, VwGO, 25. Auflage 2019, Anh. § 164 Rn. 14).

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