Aktenzeichen M 21 S 17.43339
AsylG AsylG § 3e, § 30 Abs. 1, § 36 Abs. 4, § 77 Abs. 2
Leitsatz
Dem Antragsteller – der bei Ausreise erst 13 oder 14 Jahre alt und nicht selbst in Auseinandersetzungen involviert war – steht eine innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung. Er kann unerkannt in einem anderen Landesteil der Elfenbeinküste leben und als gesunder junger, alleinstehender Mann ohne Kinder seinen Lebensunterhalt dort sicherstellen. (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Gründe
I.
Der nicht ausgewiesene Antragsteller ist nach eigenen Angaben ivorischer Staatsangehöriger. Er reiste am 1. Januar 2015 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 21. April 2016 bei dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) einen Asylantrag.
Bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt am 24. März 2017 führte der Antragsteller zur Begründung seines Asylbegehrens aus, er sei bei der Frau des besten Freundes seines Vaters aufgewachsen. Sein Vater und sein Freund seien Gendarmen gewesen und hätten im Krieg gekämpft. Sein Vater sei dabei getötet worden. Der Mann seiner Ziehmutter habe dann gesagt, dass sie alle das Land verlassen sollten. In Burkina Faso und im Niger hätten sie dann etwa 19 Monate in großer Armut gelebt. Seine Ziehmutter habe dann entschieden, dass sie ausreisen sollten. In Libyen sei er von Arabern eingesperrt worden, die Geld für seine Freilassung erpressen wollten. Dann seien sie nach Italien geflohen.
Mit Bescheid vom 29. Mai 2017, zugestellt am 31. Mai 2017, lehnte das Bundesamt den Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, auf Asylanerkennung sowie auf subsidiären Schutz als offensichtlich unbegründet ab. Es wurde festgestellt, dass Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen. Der Antragsteller wurde aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe dieser Entscheidung zu verlassen, andernfalls wurde die Abschiebung in die Elfenbeinküste angedroht. Schließlich wurde das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet.
Zur Begründung heißt es in dem Bescheid, eine eigene und individuelle Bedrohung habe der Antragsteller im Sinne des § 3 AsylG nicht geltend gemacht. Hierzu lägen auch keine anderen Anhaltspunkte vor. Selbst auf Nachfrage habe der Antragsteller ausgeführt, dass es keine Probleme gegeben habe und dass er nicht persönlich verfolgt worden sei. So habe es keinerlei Verfolgungshandlungen gegen den Antragsteller gegeben noch seien zukünftige durch einen der in § 3c AsylG benannten Akteure absehbar. Der Sachvortrag, dass dem Antragsteller wegen der Gendarmentätigkeit seines Vaters bei der Rückkehr eine Verfolgung drohe sei zweifelhaft, da diese Geschehnisse mehr als 6 Jahre zurücklägen und der Antragsteller als alleinstehender Mann in einer Großstadt wie Abidjan in der Anonymität untertauchen könne. Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz1 AufenthG lägen entsprechend der allgemeinen Lage in der Elfenbeinküste und unter Berücksichtigung der individuellen Umstände des Antragstellers nicht vor.
Der Antragsteller hat am 31. Mai 2017 privatschriftlich Klage erhoben (M 21 K 17.43339, mit der er (sinngemäß) beantragt,
den Bescheid vom 29. Mai 2017 aufzuheben und die Antragsgegnerin zu verpflichten, ihm die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, hilfsweise den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen sowie weiter hilfsweise festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliegen.
Gleichzeitig beantragt er,
die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
Zur Begründung bezieht er sich auf sein bisheriges Vorbringen.
Das Bundesamt hat mit Schreiben vom 19. Juni 2017 die Akten vorgelegt und sich weder zu der Klage noch zu dem Antrag geäußert.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten in diesem und im Klageverfahren sowie auf die vorgelegten Behördenakten verwiesen.
II.
Der Antrag, die kraft Gesetzes (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO, § 75 AsylG) ausgeschlossene aufschiebende Wirkung der erhobenen Klage nach § 80 Abs. 5 VwGO anzuordnen, ist zulässig, aber nicht begründet.
Nach § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG darf die Aussetzung der Abschiebung in den Fällen der Ablehnung eines Asylantrags als offensichtlich unbegründet nur angeordnet werden, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen, wobei Tatsachen und Beweismittel, die von den Beteiligten nicht angegeben worden sind, unberücksichtigt bleiben, es sei denn, sie sind gerichtsbekannt oder offenkundig (§ 36 Abs. 4 Satz 2 AsylG). Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist der Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts, § 77 Abs. 1 Satz 1 2. Alt. AsylG. Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes liegen vor, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die Abschiebungsandrohung einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhält (BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1516/93 – BVerfGE 94, 166 ff.). Die gerichtliche Überprüfung der vom Bundesamt getroffenen Offensichtlichkeitsfeststellung hat im Hinblick auf den nach Art .19 Abs. 4 GG gebotenen effektiven Rechtsschutz aufgrund der als asylerheblich vorgetragenen oder zu erkennenden Tatsachen und in Anwendung des materiellen Asylrechts erschöpfend, wenngleich mit Verbindlichkeit allein für das Eilverfahren zu erfolgen (BVerfG, B.v. 19.6.1990 – 2 BvR 369/90 – juris Rn. 20). Die Anforderungen entsprechen insofern denjenigen der Ablehnung einer asylrechtlichen Klage als offensichtlich unbegründet (BVerfG, B.v. 19.6.1990 a.a.O. – juris Rn. 21).
Anknüpfungspunkt zur Frage der Bestätigung oder Verwerfung des Sofortvollzugs durch das Gericht muss daher die Prüfung sein, ob das Bundesamt den Antrag zu Recht als offensichtlich unbegründet abgelehnt hat und ob diese Ablehnung auch weiterhin Bestand haben kann.
Das Gericht hat im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes auch die Einschätzung des Bundesamtes, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (§ 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AsylG), zum Gegenstand der Prüfung zu machen. Dies ist zwar der gesetzlichen Regelung des § 36 AsylG nicht ausdrücklich zu entnehmen, jedoch gebieten die verfassungsrechtlichen Gewährleistungen der Art. 19 Abs. 4 GG und Art. 103 Abs. 1 GG die diesbezügliche Berücksichtigung auch im Verfahren nach § 36 AsylG (vgl. zur vergleichbaren Rechtslage nach § 51 Ausländergesetz 1990 BVerfG, U. v. 14.5.1996 – 2 BvR 1516/93 – BVerfGE 94, 166/221).
Ein Asylantrag ist gemäß § 30 Abs. 1 AsylG offensichtlich unbegründet, wenn die Voraussetzungen für eine Anerkennung als Asylberechtigter und die Voraussetzungen für die Flüchtlingseigenschaft (einschließlich der Voraussetzungen für subsidiären Schutz) offensichtlich nicht vorliegen. Dies ist dann anzunehmen, wenn an der Richtigkeit der tatsächlichen Feststellungen vernünftigerweise keine Zweifel bestehen und sich bei einem solchen Sachverhalt nach allgemein anerkannter Rechtsauffassung die Ablehnung des Antrags geradezu aufdrängt (BVerfG, B.v. 21.7.2000 – 2 BvR 1429/98 – juris Rn. 3).
Entsprechend diesem Maßstab begegnet die Entscheidung des Bundesamts keinen ernstlichen Zweifeln. Das Gericht folgt insoweit den Gründen des angefochtenen Bescheids, nimmt auf diesen Bezug (§ 77 Abs. 2 AsylG) und weist ergänzend auf Folgendes hin:
Ungeachtet des Umstandes, dass das Gericht, den Vortrag des Antragstellers als wahr unterstellt, davon ausgeht, dass dem Antragsteller angesichts der politischen Lage in der Elfenbeinküste keine Gefahr (mehr) droht, stand und steht ihm nach Überzeugung des Gerichts jedenfalls eine innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung (§ 3e AsylG). Nach dieser Vorschrift wird dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft trotz sonst zu bejahender Anspruchsvoraussetzungen nicht zuerkannt, wenn er (1.) in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d AsylG hat und (2.) sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt.
Diese Voraussetzungen sind vorliegend gegeben.
Die innenpolitische Lage in Côte d’ivoire hat sich deutlich stabilisiert. Es finden keine Kampfhandlungen mehr statt. Zwar ist es in der Vergangenheit auch zu Inhaftierungen von Anhängern Gbagbos gekommen, allerdings ist die ivorische Regierung insoweit um Aufklärung bemüht. Zudem kehren immer wieder führende Mitglieder der Gbagbo-Regierung aus dem Exil zurück, ohne dass seitens der ivorischen Sicherheitsbehörden irgendwelche Maßnahmen ergriffen würden. Das Gericht ist daher davon überzeugt, dass dem Antragsteller, der bei seiner Ausreise erst 13 oder 14 Jahre alt und nicht selbst in die Auseinandersetzungen in seinem Heimatland involviert gewesen ist, bei einer Rückkehr in sein Heimatland keinerlei Gefahr droht. Es ist noch nicht einmal wahrscheinlich, dass er in seiner Heimatstadt mit ihren etwa 4,4 Millionen Einwohnern überhaupt wiedererkannt würde. Überdies kann er auch unerkannt in einem anderen Landesteil leben. Das Gericht geht auch davon aus, dass der Antragsteller als gesunder junger, alleinstehender Mann ohne Kinder – etwa durch die Aufnahme von Hilfsarbeitertätigkeiten – seinen Lebensunterhalt dort sicherstellen kann.
Die auf der Ablehnung des Asylantrags als offensichtlich unbegründet beruhende Abschiebungsandrohung mit der einwöchigen Ausreisefrist nach §§ 34, 36 Abs. 1 Satz 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG ist damit nicht zu beanstanden.
Der Antrag ist daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen. Ge-richtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).