Verwaltungsrecht

Erfolgloser Eilrechtsschutz gegen Untersagungsanordnung

Aktenzeichen  22 CS 17.2112

Datum:
1.12.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BImSchG § 20 Abs. 3 Satz 1 BImSchG

 

Leitsatz

Eine Beschwerde gegen die Ablehnung der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung einer Klage bleibt erfolglos, wenn gegenüber einer Untersagungsanordnung lediglich ein milderes Mittel (Standortverschiebung) vorgebracht wird. Denn dadurch allein wird noch kein Verstoß gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz oder ein Ermessenfehler dargestellt, wenn nicht sicher ist, dass das mildere Mittel geeignet wäre, das von der Behörde angestrebte Ziel zu erreichen. (Rn. 11 – 12) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

RN 7 S 17.1093 2017-09-29 Bes VGREGENSBURG VG Regensburg

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren und – insoweit unter Abänderung der Nummer III des Beschlusses des Verwaltungsgerichts vom 29. September 2017 – auch für das Verfahren im ersten Rechtszug auf jeweils 7.500 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Das Landratsamt Rottal-Inn erteilte dem Antragsteller zuletzt durch Bescheid vom 1. Dezember 2005 die immissionsschutzrechtliche Genehmigung für die Errichtung und den Betrieb einer Anlage zur Zwischenlagerung und Aufbereitung von Bauschutt und Asphalt.
Durch insoweit für sofort vollziehbar erklärten Bescheid vom 8. März 2017 untersagte das Landratsamt dem Antragsteller mit sofortiger Wirkung den Betrieb dieser Anlage mit Ausnahme von Abwicklungsvorgängen (Nummer 1 des Bescheidstenors). Begründet wurde dieser auf § 20 Abs. 3 Satz 1 BImSchG gestützte Ausspruch damit, dass der Antragsteller seit Jahren Verpflichtungen, die sich u. a. aus Nebenbestimmungen zum Bescheid vom 1. Dezember 2005, ferner aus einer Anordnung des Landratsamts vom 11. Juli 2006 (sie diente der Umsetzung des Leitfadens „Anforderungen an die Verwertung von Bauschutt in technischen Bauwerken“) und aus einem am 3. Juni 2013 erlassenen Änderungsbescheid zur Genehmigung vom 1. Dezember 2005 ergäben und die ihn u. a. dazu verpflichteten, in bestimmten Abständen Grundwasseruntersuchungen durchführen zu lassen und ihre Ergebnisse dem Landratsamt mitzuteilen, nicht oder unkorrekt erfüllt habe. Aus diesem Grund seien gegen ihn seit 2007 sechsmal Geldbußen in einer Gesamthöhe von 2.900 € verhängt und neun immissionsschutzrechtliche Anordnungen erlassen worden; seit 2008 habe das Landratsamt zudem fünfmal Zwangsgelder in Höhe von insgesamt 2.150 € fällig gestellt.
Über die vom Antragsteller gegen den Bescheid vom 8. März 2017 erhobene Klage (Az. des Verwaltungsgerichts: RN 7 K 17.554) wurde noch nicht entschieden.
Den Antrag, die aufschiebende Wirkung dieser Klage wiederherzustellen, lehnte das Verwaltungsgericht durch Beschluss vom 29. September 2017 ab, da die Anordnung der sofortigen Vollziehung der Nummer 1 des Bescheids vom 8. März 2017 dem gesetzlichen Begründungserfordernis (§ 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO) genüge und die Betriebsuntersagung rechtmäßig sei. Unzuverlässig im Sinn von § 20 Abs. 3 Satz 1 BImSchG sei der Antragsteller deshalb, weil er die vorerwähnten bescheidsmäßig getroffenen Regelungen nur im Jahr 2015 von sich aus erfüllt habe. In den Jahren von 2006 bis 2014 sei er diesen Vorgaben demgegenüber nicht rechtzeitig, seit 2016 überhaupt nicht mehr nachgekommen. Ermessensfehler seien im Hinblick auf die lange Dauer der Pflichtverletzungen des Antragstellers und in Anbetracht des jedenfalls abstrakten Gefährdungspotentials seiner Anlage nicht erkennbar. Zu dem Einwand des Antragstellers, das Landratsamt habe seinen mit Schreiben vom 25. Februar 2015 (Bl. 785 ff. der Behördenakte) gestellten, einen Vorschlag des Wasserwirtschaftsamts Deggendorf aufgreifenden Antrag nicht verbeschieden, ihm eine Verlegung der Anlage nach Norden hin zu ermöglichen, da der Abstand zum Grundwasser dort 5 m (und nicht – wie am bisherigen Standort – nur 1 m) betrage, merkte das Verwaltungsgericht an, dieser Gesichtspunkt sei ohne Belang, da Gegenstand des anhängigen Verfahrens allein die wegen Unzuverlässigkeit des Antragstellers erfolgte Untersagung des Anlagenbetriebs am gegenwärtigen Standort sei.
Mit der von ihm eingelegten Beschwerde beantragt der Antragsteller,
den angefochtenen Beschluss aufzuheben und die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Untersagungsanordnung in der Nummer 1 des Bescheids vom 8. März 2017 wiederherzustellen.
Der Antragsgegner beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Auf die Beschwerdebegründung vom 1. November 2017 wird ebenso verwiesen wie auf die Beschwerdeerwiderung der Landesanwaltschaft Bayern vom 10. November 2017 und die mit Schriftsatz des Bevollmächtigten des Antragstellers vom 28. November 2017 erfolgte Replik hierauf.
II.
Die zulässige Beschwerde bleibt ohne Erfolg. Die zur Begründung dieses Rechtsmittels innerhalb der Frist des § 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO vorgebrachten Gesichtspunkte erfordern keine Abänderung der angefochtenen Entscheidung. Auf ihre Prüfung ist der Verwaltungsgerichtshof gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO insoweit beschränkt, als Umstände inmitten stehen, die sich zu Gunsten des Antragstellers auswirken können (vgl. dazu HessVGH, B.v. 23.10.2002 – 9 TG 2712/02 – NVwZ-RR 2003, 458/459; ThürOVG, B.v. 28.7.2011 – 1 EO 1108/10 – juris Rn. 15 – 18 m.w.N.).
Innerhalb offener Beschwerdebegründungsfrist hat der Antragsteller lediglich geltend gemacht, gegenüber der erlassenen Untersagungsanordnung sei es das mildere Mittel, ihm die beantragte Verschiebung der Anlage nach Norden hin zu ermöglichen. Es stellt jedoch weder einen Verstoß gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz noch einen dem Bescheid vom 8. März 2017 anhaftenden Ermessensfehler dar, wenn sich das Landratsamt stattdessen dafür entschieden hat, den weiteren Betrieb der verfahrensgegenständlichen Anlage am vorhandenen Standort durch den Antragsteller zu untersagen.
Hierfür spricht zum einen, dass keineswegs gesichert ist, nach der vom Antragsteller erwähnten Verlagerung würden keine Grundwasserbeprobungen mehr notwendig werden. Im Schreiben seiner Bevollmächtigten vom 28. November 2017 hat der Antragsteller selbst eingeräumt, seiner Auffassung nach würde sich als Folge einer solchen Standortverschiebung die Zahl der notwendigen Grundwasseruntersuchungen lediglich „deutlich verringern“; er gehe davon aus, dass an der in Aussicht genommenen Stelle derartige Maßnahmen einmal pro Jahr ausreichen „könnten“. Auch der Antragsgegner hat in der Beschwerdeerwiderung darauf hingewiesen, dass an dem Alternativstandort der Anlage u. U. ebenfalls Grundwasserbeprobungen erforderlich seien. Da der bisherige und der in Rede stehende neue Standort selbst dann in unmittelbarer Nähe zueinander lägen, wenn die Darstellung im Schreiben des Antragstellers vom 25. Februar 2015 zutreffen sollte, die vorhandene Lagerfläche sei in den damals eingereichten Plänen nicht an der richtigen Stelle eingezeichnet worden, spricht hierfür auch unabhängig von den im Kern übereinstimmenden Einschätzungen beider Beteiligter eine nicht geringe Wahrscheinlichkeit. Damit aber wäre eine Standortverschiebung nicht geeignet, das von der Behörde angestrebte Ziel zu erreichen. Denn der Antragsteller hat in der Beschwerdebegründung nicht die Einschätzung entkräften können, dass er angesichts der kontinuierlichen, rund ein Jahrzehnt lang andauernden Missachtung der ihm gegenüber vor allem zum Zweck des Grundwasserschutzes erlassenen Anordnungen unzuverlässig ist. Würde ihm der Betrieb der verfahrensgegenständlichen Anlage an anderer Stelle erlaubt, so ginge das günstigstenfalls mit einer gewissen Verringerung der nachteiligen Folgen seines Fehlverhaltens einher; an der Tatsache als solcher, dass diese Anlage nach ihrer Verlegung an den vorgeschlagenen Alternativstandort voraussichtlich deshalb weiterhin Belange der Allgemeinheit beeinträchtigen würde, weil ihr Betreiber nicht die Gewähr für die korrekte Befolgung umweltbezogener behördlicher Vorgaben bietet, würde sich nichts ändern. Denn auch der ehedem bestehenden Pflicht, nur einmal pro Jahr eine Grundwasseruntersuchung durchführen zu lassen und deren Ergebnisse dem Landratsamt zu übermitteln (erst im Änderungsbescheid vom 3.6.2013 wurde die zweimal jährliche Vornahme dieser Handlungen gefordert), ist der Antragsteller allenfalls auf erheblichen behördlichen Druck hin nachgekommen.
Zum anderen durfte das Landratsamt den streitgegenständlichen Bescheid deshalb ohne Rücksicht auf den Wunsch des Antragstellers erlassen, seine Anlage geringfügig nach Norden hin zu verlegen, weil die Beendigung des umweltschutzrechtlichen Missstands, der aus der langandauernden Pflichtverletzung des Antragstellers resultiert, keinen weiteren Aufschub duldet, eine Verschiebung des Anlagenstandorts jedoch – sollte sie überhaupt realisierbar sein – nur mit erheblichem zeitlichem Vorlauf durchführbar wäre.
In seinem Schreiben vom 22. Dezember 2015 hat das Wasserwirtschaftsamt die Ergebnisse der Grundwasseruntersuchung, die der Antragsteller dem Landratsamt am 16. Dezember 2015 verspätet hatte zukommen lassen (sie wäre bis zum 1.12.2015 einzureichen gewesen), dahingehend kommentiert, dass bei einzelnen Parametern (z.B. Sulfat, Calcium, Magnesium, Natrium, DOC) weiterhin eine merkliche Grundwasserbelastung erkennbar sei; hinzu kämen neuerdings im Grundwasser nachweisbare polycyclische aromatische Kohlenwasserstoffe. Diese Grundwasserbelastung werde „eindeutig“ durch den Betrieb des Antragstellers verursacht. Vor diesem Hintergrund muss davon ausgegangen werden, dass die verfahrensgegenständliche Anlage nicht nur abstrakt gefährlich ist, sondern sie bereits zu einer konkreten Beeinträchtigung des hochrangigen Umweltmediums „Grundwasser“ geführt hat. Das Wasserwirtschaftsamt hat es sich deshalb im Schreiben vom 22. Dezember 2015 – abhängig von den Ergebnissen der weiterhin durchzuführenden Grundwasserüberwachung – ausdrücklich vorbehalten, in Bezug auf die Anlage des Antragstellers Sanierungsmaßnahmen zu verlangen.
Eine solche Sanierung könnte zwar, wie im gleichen Schreiben des Wasserwirtschaftsamts zum Ausdruck gebracht wurde, ggf. auch in einer Standortverlagerung bestehen. Das Landratsamt ging jedoch zutreffend davon aus, dass hierdurch eine Untersagung des Weiterbetriebs der Anlage durch den Antragsteller nicht entbehrlich wird. Denn da vor allem die wasserwirtschaftlichen Auswirkungen einer Anlage, die der Zwischenlagerung und Aufbereitung von Bauschutt und Asphalt dient, nicht „offensichtlich gering“ im Sinn von § 16 Abs. 1 Satz 2 BImSchG sind, bedarf es gemäß § 16 Abs. 1 Satz 1 BImSchG vor einer Standortverlegung zunächst einer immissionsschutzrechtlichen Änderungsgenehmigung. Bereits die Abwicklung dieses Verwaltungsverfahrens benötigt eine gewisse Zeitspanne; ob der vom Antragsteller in Aussicht genommene Standort genehmigungsfähig ist, kann selbst dann nicht als zweifelsfrei gesichert gelten, wenn diese Stelle von einem Amtsträger des Wasserwirtschaftsamtes vorgeschlagen worden sein sollte. Sollte eine Änderungsgenehmigung erteilt werden können, verginge bis zur tatsächlichen Umsiedlung der Anlage an den neuen Standort weitere Zeit. Vor allem aber bestehen erhebliche Zweifel, ob der Antragsteller eine solche Maßnahme wirtschaftlich darstellen könnte. Denn er ist nicht einmal in der Lage, die gegen ihn verhängten Zwangs- und Bußgelder bei Fälligkeit zu begleichen; seine diesbezügliche Rückstände beliefen sich nach Aktenlage am 27. Januar 2014 auf 1.553,50 €, am 7. März 2016 auf 2.323,00 €. Ein vom Landratsamt am 27. Januar 2014 an das Finanzamt Eggenfelden gerichtetes Ersuchen, den erstgenannten Betrag im Vollstreckungswege beizutreiben, reichte diese Behörde mit dem Bemerken zurück, ein am 6. März 2014 unternommener Pfändungsversuch sei erfolglos verlaufen. Das Landratsamt räumte ihm daraufhin die Möglichkeit ein, die ausstehenden Bußgelder in Raten zu entrichten (vgl. Blatt 836 Rückseite der Behördenakte), sah sich bei einer Unterredung mit dem Antragsteller am 7. März 2016 jedoch veranlasst, ihn unter Hinweis auf ein laufendes, die Anordnung von Erzwingungshaft betreffendes Verfahren auf die Notwendigkeit regelmäßiger, unaufgeforderter Zahlungen hinzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 52 Abs. 1 i.V.m. § 47 Abs. 1 und 2, § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG. Da der angefochtene Bescheid zur Folge hat, dass der Antragsteller die verfahrensgegenständliche Anlage selbst nicht mehr betreiben darf und sie nur weitergeführt werden kann, wenn es ihm gelingt, für den von ihm bereits in Aussicht genommenen neuen Betriebsleiter (vgl. das Schreiben seines Bevollmächtigten vom 28.11.2017) eine Erlaubnis nach § 20 Abs. 3 Satz 2 BImSchG zu erhalten, ähnelt er von seinen rechtlichen und praktischen Auswirkungen her einer auf das konkret ausgeübte Gewerbe beschränkten Gewerbeuntersagung (§ 35 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 GewO). Der vom Verwaltungsgericht für das Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO angesetzte Streitwert von 2.500 € entspricht vor diesem Hintergrund nicht der Bedeutung der Sache für den Antragsteller im Sinn von § 52 Abs. 1 GKG. Zutreffend erscheint es vielmehr, den Streitwert der Hauptsache entsprechend der Empfehlung in der Nummer 54.2.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit auf 15.000 € zu veranschlagen und diesen Betrag im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO gemäß der Empfehlung in der Nummer 1.5 Satz 1 des Streitwertkatalogs zu halbieren. Die Befugnis des Verwaltungsgerichtshofs, den erstinstanzlichen Streitwert von Amts wegen abzuändern, folgt aus § 63 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GKG.

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