Verwaltungsrecht

Erfolgloser vorläufiger Rechtsschutzantrag eines Salafisten gegen Ausweisung wegen Terrorismusunterstützung

Aktenzeichen  M 25 S 16.5917

Datum:
13.1.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 126470
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG § 53
AufenthG § 54 Abs. 1 Nr. 2
AufenthG § 55 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 2 Nrn. 3 und 5
AufenthG § 56

 

Leitsatz

1 Die Anordnung der sofortigen Vollziehung einer Ausweisung, die schwerwiegend in die Rechte des Betroffenen eingreift und deren Gewicht durch die Anordnung der sofortigen Vollziehung zusätzlich verschärft wird, erfordert ein besonderes öffentliches Interesse, das über jenes Interesse hinausgeht, das den Verwaltungsakt selbst rechtfertigt. Der Rechtsschutzanspruch des Bürgers ist dabei umso stärker und darf umso weniger zurückstehen, je schwerwiegender die ihm auferlegte Belastung ist und je mehr die Maßnahme der Verwaltung Unabänderliches bewirkt (BVerfG BeckRS 2007, 23775). (Rn. 54) (red. LS Clemens Kurzidem)
2 Eine terroristische Vereinigung liegt dann vor, wenn eine Organisation Gewaltakte von erheblicher Schwere gegen die Zivilbevölkerung und staatliche Einrichtungen einsetzt, auf eine Art und Weise, die Angst in der Zivilbevölkerung verbreitet, mit dem Ziel, die bestehenden politischen oder gesellschaftlichen Verhältnisse zu ändern (vgl. VGH BW BeckRS 2016, 41711). Gemessen an diesen Grundsätzen ist der Islamische Staat eine derartige terroristische Vereinigung. (Rn. 70) (red. LS Clemens Kurzidem)
3 Als Unterstützen im Sinne von § 54 Abs. 1 Nr.2 AufenthG ist jede Tätigkeit eines Ausländers anzusehen, die sich positiv auf die Aktionsmöglichkeiten der Vereinigung, die den internationalen Terrorismus unterstützt, auswirkt. Dazu zählt auch jedes Tätigwerden eines Nichtmitglieds, das die innere Organisation und den Zusammenhalt der Vereinigung, ihren Fortbestand oder die Verwirklichung ihrer auf die Unterstützung terroristischer Bestrebungen gerichtete Ziele fördert und damit ihre potentielle Gefährlichkeit festigt und ihr Gefährdungspotential stärkt; auf einen beweis- und messbaren Nutzen für die Verwirklichung der missbilligten Ziele kommt es ebenso wenig an, wie auf eine subjektive Vorwerfbarkeit (vgl. VGH BW BeckRS 2016, 41711). (Rn. 72) (red. LS Clemens Kurzidem)
4 Die Weiterleitung der Aufforderung, sich dem Islamischen Staat anzuschließen und hierfür einen konkreten Ansprechpartner zu kontaktieren, stellt eine Rekrutierungsmaßnahme dar, für den Islamischen Staat weitere Personen als (kämpfende) Mitglieder zu gewinnen. (Rn. 73) (red. LS Clemens Kurzidem)
5 Nach § 55 Abs. 2 Nr. 3 AufenthG kann in Verbindung mit § 1685 Abs. 2 S. 1 BGB auch eine enge Bezugsperson zu einem Kind ein Umgangsrecht haben, wenn diese für das Kind tatsächlich Verantwortung trägt oder getragen hat (sozio-familiäre Beziehung), wobei nach § 1685 Abs. 2 S. 2 BGB eine Übernahme tatsächlicher Verantwortung in der Regel anzunehmen ist, wenn die Person mit dem Kind längere zeit in häuslicher Gemeinschaft zusammengelebt hat. (Rn. 83) (red. LS Clemens Kurzidem)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Streitwert wird auf 2.500 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller begehrt die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen die Ausweisung sowie mehrere Anordnungen, welche die Antragsgegnerin für den Fall getroffen hat, dass er seiner Ausreisepflicht nicht bis zum 10. Januar 2017 nachkommt.
Am 21. September 1991 reiste der am … 1988 in … (Kosovo) geborene Antragsteller mit seinen Eltern sowie drei Geschwistern erstmalig in das Bundesgebiet ein und beantragte Asyl.
Mit Bescheid vom 25. Februar 1992 lehnte das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (nunmehr: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge; im Folgenden: Bundesamt) die Anerkennung der Familie als Flüchtlinge ab. Mit Bescheid vom 10. April 1992 forderte die damals zuständige Ausländerbehörde die Familie unter Abschiebungsandrohung zur Ausreise auf, mit der Folge, dass der Antragsteller vollziehbar ausreisepflichtig wurde.
In der Folge stellte die damals zuständige Ausländerbehörde dem Antragsteller und dessen Familie Grenzübertrittsbescheinigungen aus, die nach Ablauf erneuert und später in Form von Duldungen verlängert wurden.
Auch drei Asylfolgeanträge samt eingelegten Rechtsmitteln gegen ablehnende Bescheide des Bundesamtes (zuletzt ablehnender Bescheid vom 21. August 2002) blieben ohne Erfolg.
Am 24. Januar 2006 änderte die Antragsgegnerin die Duldung und erlaubte dem Antragsteller, eine Berufsausbildung zu beginnen, die dieser nach eigenen Angaben abschloss.
Am 13. März 2007 erteilte die Antragsgegnerin dem Antragsteller erstmals, gestützt auf § 25 Abs. 4 AufenthG, eine Aufenthaltserlaubnis für die Dauer von einem Jahr. Diese wurde in der Folge, später gestützt auf § 25 Abs. 5 AufenthG, mehrmals verlängert, letztmals bis zum 7. Oktober 2017.
Am 26. März 2012 legte der Antragsteller der Antragsgegnerin in dem Verfahren um die Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis unter anderem ein „Travel Document issued for a single Journey“ und ein „Certificate of Citizenship“ der Republik Kosovo vor.
Am 28. August 2012 legte der Antragsteller der Antragsgegnerin die Kopie eines am 24. Juli 2012 ausgestellten serbischen Reisepasses, gültig bis zum 24. August 2022, vor.
Strafrechtlich trat der Antragsteller – unter anderem – wie folgt in Erscheinung:
Mit Urteil vom 20. Oktober 2004 sprach das Amtsgericht … den Antragsteller der Beleidigung in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung schuldig, da er einen anderen Jugendlichen beleidigt und anschließend ins Gesicht geschlagen hatte, und verurteilte ihn zu sieben Stunden Sozialdienst nach Weisung der Katholischen Jugendfürsorge …
Mit Urteil vom 2. August 2007 sprach das Jugendschöffengericht beim Amtsgericht … den Antragsteller des versuchten Raubes schuldig, da er einen verdeckt ermittelnden Polizeibeamten im Rahmen eines vorgespiegelten Rauschgiftgeschäfts niedergeschlagen hatte, und verurteilte ihn zu einer Jugendstrafe von 1 Jahr und 6 Monaten, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde.
Mit Urteil vom 7. Dezember 2009 sprach das Amtsgericht … den Antragsteller zweier tatmehrheitlicher Fälle des versuchten Diebstahls in einem besonders schweren Fall in Mittäterschaft und in einem Fall in Tateinheit mit Sachbeschädigung in Mittäterschaft schuldig und verurteilte ihn zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 9 Monaten.
Unter Abänderung des vorgenannten Urteils sprach das Landgericht … mit Urteil vom 7. Oktober 2010 den Antragsteller der Beihilfe zum Diebstahl mit Sachbeschädigung schuldig und verurteilte ihn zu einer Gesamtgeldstrafe von 180 Tagessätzen à 40,00 Euro. Diese Verurteilung ist aktuell im Bundeszentralregister gespeichert.
Am … 2015 wurde der Sohn des Antragstellers und der bosnischen Staatsangehörigen …, …, in … geboren. Dieser besitzt die bosnisch-herzegowinische, die kosovarische und die serbische Staatsangehörigkeit. Mutter und Sohn verfügen derzeit über eine bis zum 18. Januar 2018 gültige Aufenthaltserlaubnis. Der Antragsteller lebt mit Frau …, dem Sohn … und deren übrigen drei Kindern, darunter auch ein deutsches Kind, zusammen in häuslicher Gemeinschaft.
Im Sommer 2016 reiste der Antragsteller mit … und den vier Kindern nach Bosnien und Herzegowina.
Mit Beschluss vom 3. Juli 2016 wies das bosnische Ministerium für Sicherheit, Amt für Ausländerangelegenheiten, den Antragsteller aus Bosnien und Herzegowina aus und belegte ihn mit einem fünfjährigen Wiedereinreiseverbot. Grundlage hierfür waren Informationen des nationalen Sicherheits- und Nachrichtendienstes, aus denen hervorgehe, dass die Anwesenheit des Antragstellers eine Bedrohung für die öffentliche Ordnung und nationale Sicherheit Bosniens und Herzegowina darstelle.
Am 4. Juli 2016 erschien in der serbischen Tageszeitung … ein Bericht, wonach der Antragsteller, ein Salafist, wegen Bedrohung für die nationale Sicherheit von Bosnien und Herzegowina nach Serbien ausgewiesen und mit einem Einreiseverbot von fünf Jahren belegt worden sei. Am 5. Juli 2016 erschien in der Zeitung … ein Bericht, wonach der Antragsteller, ein Mitglied der radikalen Salafistenbewegung, am gestrigen Tag am Grenzübergang … übergeben worden sei. Die Nachricht wurde auch im Radio … gesendet.
Aufgrund dessen unterzogen deutsche Sicherheitsbehörden den Antragsteller am 5. Juli 2016 am … Flughafen einer sicherheitsrechtlichen Befragung.
Am 28. Juli 2016 bat die Antragsgegnerin verschiedene Behörden um Mitteilung von Erkenntnissen mit Staatsschutzbezug sowie um Prüfung, ob der Antragsteller eine Gefährdung für die Sicherheit und Ordnung darstelle.
Am 5. August 2016 nahm das Kriminalfachdezernat … der Bayerischen Polizei Stellung und fasste – unter anderem – folgende Erkenntnisse über den Antragsteller von Mitte 2013 bis zum Sommer 2016 zusammen:
Am 7. September 2015 übersandte der Antragsteller in einem Einzelchat über einen Kurznachrichtdienst an eine andere Person folgenden Text:
„Ich lade euch alle ein zum Islamischen Staat. Verrichtet eure Hijra zum Darul Islam, in Gehorsam zu Allah swt und verschwendet nicht eure Zeit und euer Potentzial im Daul Kufur. Wallahi ihr verpasst was gewaltiges. Leben in Izzah unter dem Schatten der Shariah. Schenkt den Aussagen der Heuchler und Rufer zu den Toren der Hölle keine Aufmerksamkeit. Sie sind in der Irre und führen andere in die Irre. Wer Fragen oder Hilfe braucht für seine Hijra soll sich „surespot“ runterladen und sich bei mir melden“.
Der Antragsteller erläuterte:
„Von dem Bruder. Für jeden den er kennt.“
Dazu übersandte er ein Foto einer Person (genannt …), die im Verdacht steht, Mitte des Jahres 2015 nach Syrien gereist zu sein, um sich dem Islamischen Staat anzuschließen.
Am 17. Februar 2016 ergab eine Durchsuchung bei einer weiteren Person, dass der Antragsteller in einem Einzelchat über einen Kurznachrichtendienst mit dieser Person als sein Profilbild ein Foto von „…“ verwendet hatte, einem kuwaitisch-britischen Mitglied des Islamischen Staates, der in verschiedenen im Internet verbreiteten Videos an der Hinrichtung von Geiseln des Islamischen Staates beteiligt gewesen war und globale Bekanntheit erlangt hatte.
Der Antragsteller richtete am 23. März 2016 mit vier anderen Personen über einen Kurznachrichtendienst einen Gruppen-Chat ein, die bis zum 3. Mai 2016 aktiv war. Die Gruppe beschloss, dass sie einen „… brauche“. In dem Gruppen-Chat waren Bezüge zu dem Islamischen Staat gegenwärtig, so wurden beispielsweise Audiovorträge von … (genannt …) verteilt, der laut Medienberichten am 13. Juli 2016 in der Republik Österreich wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung zu 20 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt wurde, ein Loblied auf den Islamischen Staat und eine Ausgabe des Online-Magazins des Islamischen Staates „…“ diskutiert.
Der Antragsteller versandte des Weiteren am 18. März 2016 in einem Einzel-Chat über einen Kurznachrichtendienst an eine Person, die auch Mitglied des Gruppen-Chat war, eine Einladung zu einem Seminar mit … in … Am gleichen Tag bezeichnete diese Person den Antragsteller in einem Einzel-Chat als „…“.
Am 24. März 2016 nahm der Antragsteller an dem Seminar des … in der „…“ in … teil.
Am 27. März 2016 fragte eine Person im Einzel-Chat den Antragsteller, ob sie eine Zusammenfassung eines Ausschnitts des …-Seminars in den Gruppen-Chat einstellen könne. Der Antragsteller verneinte dies.
Am 28. März 2016 bat der Antragsteller in dem Gruppen-Chat um die Übersendung der „Dawlatna Mansura“, ein Loblied auf den Islamischen Staat, er habe sie, finde sie aber gerade nicht.
Am 29. März 2016 kündigte der Antragsteller in dem Gruppenchat an, dass er bald wieder zu … hinfahren werde, und zitierte dazu einen längeren Text von …, dem Vorgänger von …, dem Anführer des Islamischen Staates im Irak. Der Text richtete sich auch gegen Kreuzzügler und Shiiten. Nach dem Versenden der Nachricht empfahl er der Gruppe, den Text aus dem Verlauf wieder zu löschen. Die Nachricht enthielt die Hashtags der Portale „…“ und „…“. Diese stellen nicht das offizielle Portal des Islamischen Staats dar, verzeichnen jedoch Inhalte pro Islamischer Staat.
Am 14. April 2016 versandte der Antragsteller im Gruppen-Chat eine Einladung zu einem weiteren …-Seminar.
Auf die Nachricht eines Teilnehmers der Gruppe hin, die ein Bild mit zwei befreundeten Frauen zeigt, die eine Shiitin und die andere Sunnitin, und darunter einen Mann mit dem Text: „Ich bin … und ich werde euch beide töten“, antwortete der Antragsteller: „Möge Allah uns das Wort nach dem wir es gehört haben taten folgen lassen“. Ein weiterer Gruppenteilnehmer veröffentlicht daraufhin ein Bild, auf dem ein bewaffneter Mann dargestellt ist mit dem Text: „Ich werde Dich finden und töten“. Der Antragsteller antwortete zustimmend mit „Allahume amin“.
Am 30. April 2016 kündigte der Antragsteller im Gruppen-Chat an, dass das …-Seminar nun vom 6. bis 8. Mai 2016 in … stattfinden werde.
Aus dem Gruppenchat am 21. April 2016 geht hervor, dass der Antragsteller in der Zwischenzeit eine weitere Person zu dem Gruppenchat hinzugefügt hatte.
Vom 6. Mai 2016 bis zum 8. Mai 2016 nahm der Antragsteller an dem …-Seminar teil.
Bei der Befragung am 5. Juli 2016 gab der Antragsteller unter anderem an, sich in … in Begleitung eines „…“ befunden zu haben, der für ihn übersetzt habe. In einer Moschee habe es Streit gegeben, weil … sich aufgeregt habe. Der Streit sei eskaliert, weil der Antragsteller fotografiert worden sei. Außerdem sagte der Antragsteller unter anderem auf Nachfrage aus, dass er sich in Bosnien in einer Wohnung unter anderem auch mit einem Syrienrückkehrer getroffen habe, den er auch schon einmal zu sich eingeladen habe. Diese Person sei geläutert gewesen, habe die Einstellung geändert und lehne den Islamischen Staat jetzt ab. Die Person habe aber nur Bosnisch gesprochen, und er könne nichts Näheres zu der Person mitteilen.
Hinsichtlich des von dem Antragsteller erwähnten Begleiters in Bosnien verwies das Kriminalfachdezernat auf „…“ und nahm hierzu Bezug auf Einträge des englischsprachigen Internet-Blogs „…“. Am 13. November 2014 war dort ein Eintrag erschienen, wonach die bosnische State Intelligence and Protection Agency (SIPA) elf Personen verhaftet habe, von denen vermutet werde, dass sie kürzlich für den Islamischen Staat gekämpft hätten. Darunter sei nach der Zeitung „…“ auch ein … gewesen. Bei der Verhaftung seien nach der Zeitung „…“ auch Waffen und Sprengstoff gefunden worden. Am 14. November 2014 war ein weiterer Eintrag in dem Blog erschienen, wonach sich – nach Rücksprache mit den bosnischen Behörden – herausgestellt habe, dass (fünf namentlich genannte) Personen nachweislich bereits für den Islamischen Staat gekämpft hätten, bei den anderen (im Umkehrschluss auch …) vermute man dies.
Bei der Befragung sagte der Antragsteller, dass die Anschläge nicht in Ordnung seien, aber Frankreich habe sich die Anschläge selbst zuzuschreiben und die Anschläge seien deshalb nachzuvollziehen. Der Islamische sei ein Staat, der mehr von sich für die Leute im Irak und Syrien gebe als viele Länder, die ihn bekämpften.
Das Kriminalfachdezernat kommt insgesamt zu dem Schluss, dass der Antragsteller eine erhebliche Gefährdung für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstelle. Es sei zu befürchten, er werde zur Durchsetzung seiner ideologischen Ziele Gewalt einsetzen.
Am 4. Oktober 2016 nahm das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz Stellung und stellte zusammenfassend fest, dass es einen weiteren Aufenthalt im Bundesgebiet nicht befürworte.
Mit Schreiben vom 17. Oktober 2016 gab die Antragsgegnerin dem Antragsteller zu der beabsichtigten Ausweisung Gelegenheit zur Stellungnahme.
Mit Pressemitteilung vom 8. November 2016 teilt die Bundesanwaltschaft mit, dass sie aufgrund von Haftbefehlen des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 26. Oktober 2016 unter anderem den 32-jährigen irakischen Staatsangehörigen … A., genannt … (von den Medien genannt „Prediger ohne Gesicht“), wegen des dringenden Verdachts der Unterstützung der ausländischen terroristischen Vereinigung „Islamischer Staat“ gemäß § 129a Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 5, § 129b Abs. 1 StGB habe festnehmen lassen. Ziel des von ihm angeführten Netzwerks sei laut Haftbefehl gewesen, Personen an den Islamischen Staat nach Syrien zu vermitteln (vgl. Generalbundesanwalt, Pressemitteilung v. 8.11.2016, abrufbar unter: https://www.generalbundesanwalt.de/de/showpress.php?newsid=638).
Mit Schriftsatz vom 21. November 2016 ließ der Antragsteller durch seinen Prozessbevollmächtigten zu der beabsichtigen Ausweisung Stellung nehmen.
Mit Schreiben vom 5. Dezember 2016 ergänzte das Kriminalfachdezernat seine Stellungnahme wie folgt: Man habe das Mobiltelefon des Antragstellers ausgewertet und einen regelmäßigen Kontakt zu einer bosnisch-herzegowinischen Rufnummer festgestellt. Nach Auskunft der lokalen Behörden könne dieser regelmäßige Kontakt „…“ zugeordnet werden. Es handele sich um den …, der zusammen mit anderen wegen des Verdachts der Unterstützung einer terroristischen Organisation und der Beteiligung am „Jihad in Syrien und im Irak“ festgenommen worden sei.
Mit Bescheid vom 9. Dezember 2016 traf die Antragsgegnerin folgende Regelung:
„1. Sie werden aus der Bundesrepublik Deutschland ausgewiesen.
2. Die Wirkungsdauer der Sperrwirkung der Ausweisungsverfügung (Wiedereinreise- und Aufenthaltsverbot sowie Verbot der Erteilung eines Aufenthaltstitels) wird auf acht Jahre befristet. Die Frist beginnt mit der Ausreise aus der Bundesrepublik Deutschland.
3. Sie haben das Bundesgebiet bis zum 10.01.2017 zu verlassen. Sollten Sie nicht fristgerecht ausreisen, werden Sie in den Kosovo abgeschoben. Die Abschiebung kann auch in einen anderen Staat erfolgen, in den Sie einreisen dürfen oder der zu Ihrer Rückübernahme verpflichtet ist.
4. Für den Fall, dass Sie das Bundesgebiet nicht innerhalb der Ihnen unter Ziffer 3 gesetzten Frist verlassen haben, sind Sie verpflichtet, sich zum 11.01.2017 bis 16:00 Uhr in die Gemeinschaftsunterkunft in …, …r Str. … zu begeben, dort Ihren Wohnsitz zu nehmen und bis zu Ihrer Ausreise aus dem Bundesgebiet in der vorbezeichneten Gemeinschaftsunterkunft zu wohnen.
5. Für den Fall, dass Sie das Bundesgebiet nicht innerhalb der Ihnen unter Ziffer 3 gesetzten Frist verlassen haben, ist Ihr Aufenthalt ab 11.01.2017 bis zu Ihrer Ausreise auf das Stadtgebiet … beschränkt.
6. Für den Fall, dass Sie das Bundesgebiet nicht innerhalb der Ihnen unter Ziffer 3 gesetzten Frist verlassen haben, sind Sie verpflichtet, sich ab 11.01.2017 bis zu Ihrer Ausreise einmal täglich zwischen 10.00 Uhr und 12.00 Uhr unter Vorlage eines amtlichen Identifikationspapiers bei der zuständigen Polizeiinspektion in …, …straße …, zu melden.
7. Sie werden mit sofortiger Wirkung bis zu Ihrer Ausreise verpflichtet, folgende Kommunikationsmittel nicht zu nutzen:
– EDV-gestützte Kommunikationsmittel (wie beispielsweise Internet, E-Mails, Newsgroups, soziale Netzwerke, Kommunikationsdienste)
– Mobiltelefone aller Art
– öffentliche und private Fernsprecher aller Art
– Faxgeräte aller Art
Von diesem Verbot ausgenommen ist die Nutzung eines nicht-internetfähigen Mobiltelefons, nachdem Sie der Ausländerbehörde … dessen Telefon-, Karten- und Gerätenummer (IMEI) angezeigt haben.
8. Die sofortige Vollziehung der Ziffern 1, 5 und 6 dieses Bescheides wird angeordnet.
9. Für den Fall, dass Sie Ihrer Verpflichtung aus Ziffer 4 dieses Bescheides nicht freiwillig nachkommen, wird diese Verpflichtung ab dem 12.01.2017 mit unmittelbarem Zwang durchgesetzt.
10. Falls Sie gegen die in Ziffer 5 dieses Bescheides angeordnete Aufenthaltsbeschränkung verstoßen, wird ein Zwangsgeld in Höhe von 100,00 Euro fällig.
11. Für den Fall, dass Sie Ihre Verpflichtung unter Ziffer 6 dieses Bescheides nicht beachten, wird ein Zwangsgeld in Höhe von 100,00 Euro fällig.
12. Für den Fall, dass Sie gegen die unter Ziffer 7 angeordnete Verpflichtung verstoßen, wird ein Zwangsgeld in Höhe von 100,00 Euro fällig.
13. Für die Entscheidung über die Befristung der Sperrwirkungen der Ausweisung wird eine Gebühr in Höhe von 30,00 Euro erhoben. Im Übrigen ergeht der Bescheid kostenfrei. Die Kosten einer Abschiebung hätten Sie zu tragen.“
Auf die Begründung des umfangreichen und ausführlichen Bescheides der Antragsgegnerin wird Bezug genommen.
Mit Schriftsatz vom 23. Dezember 2016 (Eingang: 23.12.2016) erhob der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers Klage (M 25 K 16.5916) mit dem Antrag,
den Bescheid der Antragstellerin aufzuheben.
Gleichzeitig beantragte er,
die aufschiebende Wirkung der Klage gemäß § 80 Abs. 5 VwGO anzuordnen.
Zur Begründung führte er im Wesentlichen – den Vortrag aus dem Schriftsatz vom 21. November 2011 wiederholend – Folgendes an: Der angegriffene Bescheid sei rechts- und ermessensfehlerhaft. Die Antragsgegnerin verkenne, dass der Antragsteller mit 3 Jahren in das Bundesgebiet eingereist sei. Die gesamte Familie des Antragstellers, die Eltern und die Geschwister, wohnten im Bundesgebiet. Er habe eine Bäckerlehre abgeschlossen und arbeite derzeit als Maler. Er habe einen behinderten Bruder, der bei einer Pflegefamilie lebe, zu dem er über seine Eltern Kontakt habe. Er sei nach islamischem Recht mit der bosnischen Staatsangehörigen Frau … verheiratet, mit der er den gemeinsamen am … 2015 geborenen Sohn habe. Frau … verfüge über eine Aufenthaltserlaubnis. Er übe zusammen mit ihr das gemeinsame Sorgerecht aus. Eine Sorgerechtserklärung werde in Kürze erstellt und vorgelegt. Er sei mit der Familie nach Bosnien gereist, um Behördengänge zu erledigen. Der Kläger sei der Landessprache in Bosnien nicht oder nur sehr unzureichend mächtig gewesen, er habe sich in Begleitung einer Person befunden, die für ihn übersetzt habe. Nähere Hintergründe zu dieser Person seien dem Antragsteller nicht bekannt gewesen. In Begleitung dieser Person habe er eine Moschee besucht. Es sei zu Auseinandersetzungen dieser Person mit Dritten gekommen. Aufgrund des Streits seien Polizeibeamte hinzugekommen. Als Grund für seine Ausweisung vermutete der Antragsteller das fehlende Visum für Bosnien und Herzegovina.
Die Vorhaltungen, der Antragsteller habe Kontakt zu Predigern mit salafistischem Hintergrund, gewaltbereiten islamistischen Personen, dem Koran-Verteilungsprojekt … sowie ausreisewilligen Islamistischen beziehungsweise Rückkehrern, habe der Prozessbevollmächtigte namens und im Auftrag des Antragstellers wie folgt zurückzuweisen beziehungsweise klarzustellen: Es solle nicht in Abrede gestellt werden, dass der Antragsteller an religiösen Seminaren teilgenommen habe. Daraus sei nicht zu schließen, dass er eine gewaltbereite islamistische Ideologie/Religion unterstütze. Der Antragsteller habe Personen kennengelernt, die bereit gewesen seien, ins Ausland zu gehen und für islamistische Gruppen zu kämpfen. Diese Personen habe er versucht, davon abzubringen, durchaus mit Erfolg. Keine der Personen, die zum Beispiel früher im Koran-Verteilungsprojekt … tätig gewesen seien, und darüber hinaus bereit gewesen seien, sich islamistischen Kämpfern im Ausland anzuschließen, hätten dies tatsächlich getan. Auch sei namens und im Auftrag des Antragstellers zurückzuweisen, dass dieser im Internet zu entsprechenden Aktionen aufgerufen oder islamistische Propaganda unterstützt habe. Der Antragsteller habe gegenüber den Behörden angegeben, dass er zwar nicht bereit sei, als Spitzel zu arbeiten, aber, sofern er über geplante oder bevorstehende Anschläge in Deutschland erfahre, diese anonym zu melden. Die Nachteile, die dem Antragsteller bei einer Rückkehr in die Heimat drohten, sowie bei Erfüllung der unter Sofortvollzug gestellten Anordnungen, insbesondere hinsichtlich seiner familienrechtlichen Situation als Vater eines 1 Jahr und 3 Monate alten Kindes überwögen das öffentliche Interesse – auch unter Berücksichtigung der Strafbarkeit des Antragstellers in der Jugend – an der Erfüllung des streitgegenständlichen Bescheides.
Beigefügt waren schriftliche Bestätigungen der von dem Prozessbevollmächtigten als „Lebensgefährtin“ bezeichneten Frau … sowie deren Kinder … und … Frau … bezeichnet den Antragsteller in dem Schreiben als „Lebenspartner“.
Mit Fax vom 3. Januar 2017 beantragte die Antragsgegnerin, den Antrag des Antragstellers abzulehnen.
Am 4. und 5. Januar 2017 stellte sie dem Verwaltungsgericht die Behördenakten elektronisch zur Verfügung.
Am 12. Januar 2016 bestellte sich ein weiterer Prozessbevollmächtigter des Antragstellers bei dem Verwaltungsgericht.
Im Übrigen wird auf die Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.
II.
1. Der Antrag des Antragstellers auf Anordnung beziehungsweise Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gemäß § 80 Abs. 5 VwGO ist zulässig, aber unbegründet.
a) Die Antragsgegnerin hat die Voraussetzungen einer Anordnung der sofortigen Vollziehung nach § 80 Abs. 3 VwGO beachtet. Für die Anordnung der sofortigen Vollziehung einer Ausweisung, die schwerwiegend in die Rechte des Betroffenen eingreift und deren Gewicht durch die Anordnung der sofortigen Vollziehung zusätzlich verschärft wird, ist ein besonderes öffentliches Interesse erforderlich, das über jenes Interesse hinausgeht, das den Verwaltungsakt selbst rechtfertigt. Der Rechtsschutzanspruch des Bürgers ist dabei umso stärker und darf umso weniger zurückstehen, je schwer wiegender die ihm auferlegte Belastung ist und je mehr die Maßnahme der Verwaltung Unabänderliches bewirkt (vgl. BVerfG, B.v. 20.5.2007 – 2 BvR 304/07 – juris Rn. 29).
Die Begründung für die Anordnung der sofortigen Vollziehung der Ausweisung, der Aufenthaltsbeschränkung und der Meldepflicht (Ziffern 1., 5. und 6. des Bescheides) trägt in der Sache. Die Antragstellerin hat hierbei insbesondere darauf abgestellt, dass der in der salafistisch-jihadistischen Szene vernetzte Antragsteller in … eine besondere Stellung einnimmt. Des Weiteren hat sie berücksichtigt, dass der Antragsteller die Gelegenheit zur Stellungnahme im behördlichen Anhörungsverfahren nicht im Ansatz dazu genutzt hat, sich inhaltlich mit den dort aufgeführten konkreten Unterstützungshandlungen auseinanderzusetzen und sich glaubhaft und eindeutig von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln zu distanzieren. Die Antragsgegnerin hat des Weiteren darauf abgestellt, dass die sicherheitsrechtlichen Erkenntnisse über den Antragsteller nachträglich aus Verfahren und Maßnahmen gegen andere Personen zutage getreten sind. Dass tagesaktuell keine sicherheitsgefährdenden Aktivitäten des Antragstellers dokumentiert sind, hat die Antragstellerin damit begründet, dass sie zuletzt in der salafistisch-jihadistischen Szene verstärkt ausländerrechtliche Maßnahmen ergriffen hat und dass der Antragsteller nach der Ausweisung aus Bosnien und Herzegovina und seit seiner Befragung am 5. Juli 2016 wusste, dass er Gegenstand polizeilicher Ermittlungen ist. Die Antragstellerin hat schließlich maßgeblich darauf abgestellt, dass fortgesetzte Unterstützungshandlungen für den Islamischen Staat eine Gefahr für überragend wichtige Rechtsgüter von Verfassungsrang, Leib und Leben der Bevölkerung und die Funktionsfähigkeit staatlicher Einrichtungen, begründen. Dies erscheint angesichts aller Umstände im vorliegenden Fall als ausreichend.
b) Im Rahmen der bei der Entscheidung nach § 80 Abs. 5 VwGO anzustellenden Interessenabwägung hat das Verwaltungsgericht insbesondere die Erfolgsaussichten der Klage einzubeziehen. Wird die Klage voraussichtlich erfolglos bleiben, so überwiegt regelmäßig das öffentliche Interesse am Sofortvollzug das private Interesse des Antragstellers, da kein schutzwürdiges Interesse daran besteht, von dem Vollzug eines rechtmäßigen Verwaltungsaktes verschont zu bleiben (vgl. Schmidt in Eyermann, Verwaltungsgerichtsordnung, 14. Aufl., 2014, Rn. 76).
Gemessen an diesen Maßstäben wird im vorliegenden Fall die Klage voraussichtlich keinen Erfolg haben. Bei gebotener summarischer Prüfung ist der Bescheid der Antragsgegnerin vom 9. Dezember 2016 rechtmäßig und verletzt den Antragsteller nicht nach § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO in seinen Rechten.
Die Abwägung führt zu dem Ergebnis, dass das öffentliche Vollzugsinteresse an einer Ausreise des Antragstellers sowie an den anderen getroffenen Anordnungen das private Interesse des Antragstellers an einem weiteren Verbleib im Bundesgebiet überwiegt.
aa) Die Antragsgegnerin hat die Ausweisungsverfügung in Ziffer 1. des Bescheides zutreffend auf § 53 ff. AufenthG gestützt.
(1) Das Verwaltungsgericht kommt zu dem Ergebnis, dass die nach § 53 Abs. 1 AufenthG vorausgesetzte Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Zeitpunkt der Entscheidung gegeben ist. Nach § 53 Abs. 1 AufenthG wird ein Ausländer ausgewiesen, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt. An die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts sind dabei umso geringere Anforderungen zu stellen, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden wäre.
Im Falle des weiteren Verbleibs des Antragstellers im Bundesgebiet ist die Gefahr zu prognostizieren, dass dieser mindestens fortfährt, den Islamischen Staat zu unterstützen und damit die Begehung von Terrorakten in Deutschland zu erleichtern, indem er insbesondere dazu beiträgt, dass Personen sich dem Islamischen Staat anschließen und Delikte beispielsweise nach §§ 89a, 89b StGB verüben.
Die Gefahrenprognose stützt sich auf eine Gesamtschau der Aktivitäten, insbesondere auch auf die virtuelle und persönliche Kommunikation sowie die mannigfaltigen Kontakte des Antragstellers zu Personen mit Verbindungen zum Islamischen Staat und mit terroristischem Hintergrund.
Zu nennen sind insbesondere die konkreten Unterstützungshandlungen des Antragstellers für den Islamischen Staat. Darunter fällt die Weiterleitung der Aufforderung, sich dem Islamischen Staat anzuschließen und hierzu einen konkreten Ansprechpartner zu kontaktieren, an eine andere Person. Dazu zählt auch die Verwendung eines Fotos des als „…“ bekannt gewordenen Mitglieds des Islamischen Staates als eigenes Profilbild im Einzel-Chat gegenüber einer anderen Person. Darunter ist zudem die Einrichtung und die Administration des Gruppen-Chats fassen, über den die Teilnehmer Propagandamaterial des Islamischen Staates austauschten, wobei der als „…“ bezeichnete Antragsteller über die Einstellung von Inhalten entschied, selbst Propagandamaterial einstellte, die Aufmerksamkeit der Teilnehmer auf Propagandamaterial des Islamischen Staates lenkte sowie Dritte zu dem Gruppen-Chat hinzufügte.
Sie stützt sich zudem in der Gesamtschau auf die mannigfaltigen Kontakte des Antragstellers zu Personen mit Verbindungen zu dem Islamischen Staat. So hat der Antragsteller beispielsweise nach eigenen Angaben in Bosnien eine von ihm selbst als Syrienrückkehrer bezeichnete Person getroffen, die er auch einmal zu sich eingeladen habe. Unter Syrienrückkehrer versteht man eine Person, die nach Syrien gereist ist, um auf Seiten des Islamischen Staates in Syrien zu kämpfen, und wieder in ihr Heimatland zurückkehrt. Selbst wenn man sich auf den Standpunkt stellen sollte, dass ein Syrienrückkehrer auch auf Seiten einer anderen Konfliktpartei als der des Islamischen Staates gekämpft haben kann, erscheint dies im vorliegenden Fall angesichts aller Umstände ausgeschlossen. Der Antragsteller sah sich außerstande, diese Person – über die Eigenschaft als Syrienrückkehrer hinaus – näher zu beschreiben oder andere sozialadäquate Gründe für den Kontakt zu nennen. Dem Antragsteller kam es daher vorrangig auf die Eigenschaft der Person als Syrienrückkehrer an, mithin einer Person, die zur Durchsetzung der Ziele des Islamischen Staates Gewalt angewendet hat. Nicht glaubhaft und widersprüchlich ist der Vortrag des Antragstellers, dass er wegen behaupteter Sprachbarrieren nichts Näheres zu der Person des Syrienrückkehrers, der Bosnisch gesprochen habe, sagen könne. Die Familie des Antragstellers stammt aus dem ehemaligen Jugoslawien. Kinder, die in einer fremdsprachigen Familie im Bundesgebiet aufwachsen, lernen grundsätzlich auch die Sprachen des Herkunftslandes (vgl. näher unter II., 1., b) aa), (5) (c), S. 31 f.). Überdies bleibt im Dunkeln, wie der Antragsteller einerseits erfahren hat, dass der Syrienrückkehrer geläutert gewesen sei und den Islamischen Staat ablehne, andererseits wegen Sprachbarrieren nichts Näheres über ihn wisse. Das behauptete Nichtwissen steht auch im Widerspruch zu der ausgesprochenen Einladung, da man üblicherweise niemanden einlädt, den man nicht kennt, über den man nichts weiß und mit dem man sich nicht unterhalten kann. Die Gefahrenprognose stützt sich insbesondere auch darauf, dass der Antragsteller zu Seminaren von … eingeladen und selbst an Seminaren des … teilgenommen hat, der mittlerweile aufgrund eines Haftbefehls des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs wegen des dringenden Verdachts der Unterstützung des Islamischen Staates nach § 129a Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 5, § 129b Abs. 1 StGB festgenommen wurde.
Die Gefahrenprognose stützt sich in der Gesamtschau überdies auf die immer wieder Gewalt als Mittel billigende und sich wechselseitig der eigenen Gewalt-, ja sogar Tötungsbereitschaft versichernde Kommunikation des Antragstellers mit Dritten, insbesondere im Gruppen-Chat.
Sie stützt sich schließlich auch auf die strafgerichtliche Verurteilung des Antragstellers wegen vollendeter vorsätzlicher Körperverletzung vom 22. Juni 2004 und die strafgerichtliche Verurteilung wegen versuchten Raubes (wobei die darin inbegriffene Körperverletzung vollendet wurde) vom 2. August 2007. Diese zeigen, dass der Antragsteller bereits in der Vergangenheit tatsächlich zu dem Mittel der Gewalt gegriffen hat, um seine Ziele zu erreichen, um den Preis, dass das Rechtsgut der körperlichen Unversehrtheit Dritter verletzt wird.
(2) Die nach § 53 Abs. 1 AufenthG anzustellende Abwägung geht zu Lasten des Antragstellers aus. Bei der Abwägung nach § 53 Abs. 1 AufenthG sind neben dem Ausweisungsinteresse nach § 54 AufenthG und dem Bleibeinteresse nach § 55 AufenthG nach den Umständen des Einzelfalles insbesondere die Dauer des Aufenthalts, die persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen.
(3) Erfüllt sind die Voraussetzungen des § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG, wonach ein besonders schwer wiegendes Ausweisungsinteresse im Sinne von § 53 Abs. 1 AufenthG vorliegt, wenn der Ausländer die freiheitliche demokratische Grundordnung oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, wovon – unter anderem – auszugehen ist, wenn Tatsachen die Schlussfolgerung rechtfertigen, dass er einer Vereinigung angehört oder angehört hat, die den Terrorismus unterstützt oder er eine derartige Vereinigung unterstützt oder unterstützt hat, es sei denn, der Ausländer nimmt erkennbar und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand.
Die von dem Antragsteller entfalteten Aktivitäten stellen sich in der Gesamtschau als Unterstützungshandlungen für eine terroristische Vereinigung dar.
(a) Eine terroristische Vereinigung liegt – zusammengefasst – insbesondere vor, wenn eine Organisation Gewaltakte von erheblicher Schwere gegen die Zivilbevölkerung und staatliche Einrichtungen einsetzt, auf eine Art und Weise, welche Angst in der Zivilbevölkerung verbreitet und mit dem Ziel, die bestehenden politischen oder gesellschaftlichen Verhältnisse zu ändern (vgl. VGH BW, U.v. 13.1.2016 – 11 S 889/15 – juris Rn. 53 ff. mwN). Gemessen an diesen Grundsätzen ist der Islamische Staat eine derartige terroristische Vereinigung.
(b) Die von der Antragsgegnerin angeführten Tatsachen, die substantiiert, vollständig im Sinne einer eine Gesamtschau ermöglichenden Darstellung, und in sich widerspruchsfrei dargelegt sind, begründen die Annahme, dass dieser den Islamischen Staat unterstützt hat.
Als Unterstützen im Sinne von § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG ist jede Tätigkeit eines Ausländers anzusehen, die sich positiv auf die Aktionsmöglichkeiten der Vereinigung, die den internationalen Terrorismus unterstützt, auswirkt. Dazu zählt zum Beispiel auch jedes Tätigwerden eines Nichtmitglieds, das die innere Organisation und den Zusammenhalt der Vereinigung fördert, ihren Fortbestand oder die Verwirklichung ihrer auf die Unterstützung terroristischer Bestrebungen gerichteten Ziele fördert und damit ihre potenzielle Gefährlichkeit festigt und ihr Gefährdungspotenzial stärkt. Auf einen beweis- und messbaren Nutzen für die Verwirklichung der missbilligten Ziele kommt es ebenso wenig an wie auf eine subjektive Vorwerfbarkeit (vgl. VGH BW, U.v. 13.1.2016 – 11 S 889/15 – juris Rn. 82). Neben dem gezielten Werben um Mitglieder und Unterstützer ist auch das Werben für die jeweilige Ideologie und die jeweiligen Ziele eine Unterstützungshandlung (Sympathiewerbung). Anknüpfungspunkt für eine Ausweisung sind auch in der Vergangenheit liegende Unterstützungshandlungen (vgl. noch zu der Vorgängervorschrift des § 54 Nr. 5 AufenthG a.F.: BVerwG, U.v. 25.10.2011 – 1 C 13/10 – juris Rn. 20 f.).
Die Weiterleitung der Aufforderung, sich dem Islamischen Staat anzuschließen und hierfür einen konkreten Ansprechpartner zu kontaktieren, an einen Dritten am 7. September 2015 stellt eine Rekrutierungsmaßnahme dar, für den Islamischen Staat weitere Personen als (kämpfende) Mitglieder zu gewinnen. Eine derartige Mitgliederwerbung dient der personellen Erweiterung der Organisation und erhöht die Gefährlichkeit des Islamischen Staates. Sie ist als eine Unterstützungshandlung zu werten. Dass der Antragsteller die Aufforderung nur an eine Person weiterleitete, die dem Aufruf bislang nicht nachgekommen zu sein scheint, ist unbeachtlich, da die Unterstützungshandlung nicht, wie ausgeführt, zu einem messbaren Nutzen führen muss. Die Erläuterung des Antragstellers zeigt zudem, dass dieser die Absicht des ursprünglichen Absenders hinsichtlich der Weiterleitung der Mitgliederwerbung an eine Vielzahl von Personen kannte, billigte und auch gegenüber dem Adressaten kommunizierte, mit der Folge, dass sich die Gefahr einer Weiterleitung vervielfachte.
Die Verwendung eines Bildes des als „…“ bekannt gewordenen Mitglieds des Islamischen Staates als eigenes Profilbild im Einzel-Chat gegenüber einem Dritten ist eine Sympathiewerbung für den Islamischen Staat. Mit ihr bekundet der Antragsteller seine Verehrung und Identifikation mit „…“. „…“ (Kampfname: …) hat mit Videos von brutalen Hinrichtungen (Enthauptungen) von Geiseln des Islamischen Staates globale Bekanntheit erreicht. Die Person des „…“ ist zu einem Sinnbild des Terrors des Islamischen Staates geworden. „…“ ist untrennbar mit der Organisation, der Ideologie und den Zielen des Islamischen Staates verbunden. Die Verwendung des Bildes von „…“ steht damit gleichsam stellvertretend für die mittlerweile unter der Strafdrohung des § 86a StGB stehende Verwendung von Kennzeichen des Islamischen Staates im Bundesgebiet. Die Verwendung des „…“-Profilbildes ist daher ebenfalls als Unterstützungshandlung zu werten.
Mit der Einrichtung und Administration des Gruppen-Chats vom 23. März bis zum 3. Mai 2016, der von den Teilnehmern genutzt wurde, um auch Propagandamaterial des Islamischen Staates auszutauschen, wurde ein Forum geschaffen, in dem sich die Teilnehmer wechselseitig ihre Gewalt-, ja sogar Tötungsbereitschaft versicherten. Dies ist ebenfalls als eine Unterstützungshandlung zu werten. Der als „…“ bezeichnete Antragsteller hat über die Einstellung von Inhalten entschieden, selbst Propagandamaterial von Repräsentanten des Islamischen Staates eingespeist, namentlich das Zitat von …, er hat Propagandamaterial des Islamischen Staates zum Gesprächsgegenstand des Gruppen-Chats gemacht und die Aufmerksamkeit auf sie gelenkt, etwa auf die „Dawlatna Mansura“, das musikalische Loblied auf den Islamischen Staat (vgl. Center for Middle East Policy at Brookings, Here to stay and growing: Combating ISIS propaganda networks, US.-Islamic World Forum papers 2015, S. 5, Fn. 16: Dawlatuna Mansura „Our State is Victorious“), und er hat Dritte zu dem Gruppen-Chat und damit zu einer Teilhabe an dem dort ausgetauschten Propagandamaterial hinzugefügt.
Diese konkreten Unterstützungshandlungen werden bei wertender Gesamtschau durch die mannigfaltigen Kontakte des Antragstellers zu Personen mit Verbindungen zum Islamischen Staat und terroristischem Hintergrund gestützt.
(c) Demgegenüber stellt sich das Vorbringen des Antragsgegners als vage dar. Der Antragsteller hat in der Antragsbegründung den Bescheid der Antragsgegnerin lediglich als rechts- und ermessensfehlerhaft gerügt und den Vorwurf zurückgewiesen, dass er „im Internet zu entsprechenden Aktionen“, mithin dem Anschluss zu islamischen Kämpfern im Ausland, aufgerufen und islamistische Propaganda unterstützt habe. Damit hat der Antragsteller indes die geschilderten konkreten Aktionen, die konkreten Daten, Orte und Mittel samt den konkret involvierten Personen, welche die Antragsgegnerin, gestützt auf die Stellungnahmen der Sicherheitsbehörden, zusammengetragen hat, nicht negiert, geschweige denn ihnen einen anderslautenden Sachverhalt entgegengestellt. Es ist zweifelhaft, ob angesichts der vagen Formulierung („im Internet“) darin ein einfaches Bestreiten zu sehen ist. Jedenfalls hat der Antragsteller die von der Antragstellerin angeführten Tatsachen nicht substantiiert bestritten.
Im Übrigen ist der Vortrag des Antragstellers auch lückenhaft und in sich widersprüchlich. So hat er in der Antragsbegründung von sich gewiesen, Kontakte zu gewaltbereiten islamistischen Personen, dem Koran-Verteilungsprojekt … sowie zu ausreisewilligen Personen gehabt zu haben. Sodann hat er indes ausgeführt, er habe zwar Personen kennengelernt, die bereit gewesen seien, ins Ausland zu gehen und für islamistische Gruppen zu kämpfen, diese jedoch versucht davon abzubringen. Keine der Personen, die bei dem Koran-Verteilungsprojekt … mitgemacht hätten, hätten sich islamistischen Kämpfern im Ausland angeschlossen. Diese Ausführungen stehen im Widerspruch zu der Aussage, er habe gar keine Kontakte zu derartigen Personen und Projekten gehabt. Nicht aufgeklärt hat der Antragsteller zudem den Widerspruch zwischen seiner Aussage einerseits, dass er die Hintergründe der als „…“ bezeichneten Person, die für ihn in Bosnien in der Moschee übersetzt habe, nicht gekannt habe, und andererseits den Erkenntnissen der Sicherheitsbehörden, wonach er regelmäßig in Bosnien telefonisch zu „…“ Kontakt gehabt habe. Es ist nicht glaubhaft, dass der Antragsteller überhaupt eines Dolmetschers bedurft haben soll. Nicht aufgeklärt hat der Antragsteller den Widerspruch zwischen der Aussage bei der Befragung vom 5. Juli 2016, wonach auch er an der Eskalation des Streits in der Moschee involviert war, und der Aussage in der Antragsbegründung, wonach nur die übersetzende Person als Verantwortliche des Streits genannt wird.
Der Antragsteller war seit dem behördlichen Anhörungsverfahren rechtsanwaltlich vertreten. Dabei ist zu berücksichtigen, dass im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes wegen dessen Eilbedürftigkeit nur der Vortrag der Beteiligten und die präsenten Unterlagen zu verwerten sind.
(d) Der Antragsteller hat bislang auch nicht glaubhaft und erkennbar von seinem sicherheitsgefährdendem Handeln im Sinne von § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG Abstand genommen. Zwar hat er sich bei der Befragung am 5. Juli 2016 von dem Islamischen Staat distanziert und auf Nachfrage in Aussicht gestellt, dass er, sofern er über geplante oder bevorstehende Anschläge in Deutschland erfahre, davon anonym Meldung machen werde. Damit hat er sich jedoch nicht von den beschriebenen konkreten Unterstützungshandlungen distanziert. Den Islamischen Staat hat er bei der Befragung am 5. Juli 2016 als Staat bezeichnet, der mehr von sich für die Leute im Irak und Syrien gebe als viele Länder, die ihn bekämpften. Die in Frankreich verübten Anschläge habe Frankreich sich selbst zuzuschreiben, die Anschläge seien nachvollziehbar. Die erforderliche Glaubhaftigkeit und Eindeutigkeit einer Abstandnahme liegt damit nicht vor.
(4) Dem Ausweisungsinteresse stehen ein besonders schwer wiegendes Bleibeinteresse gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG sowie ein schwer wiegendes Bleibeinteresse gemäß § 55 Abs. 2 Nrn. 3 und 5 AufenthG gegenüber.
Die Voraussetzungen für ein besonders schwerwiegendes Bleibeinteresse gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG liegen vor, da der Antragsteller als Minderjähriger in das Bundesgebiet eingereist ist und sich seit über fünf Jahren, hier seit der erstmaligen Erteilung der Aufenthaltserlaubnis am 13. März 2007, rechtmäßig aufhält.
Das schwerwiegende Bleibeinteresse gemäß § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG hat neben § 55 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG keine eigenständige Bedeutung. Außerdem liegen die Voraussetzungen nach § 55 Abs. 2 Nr. 3 AufenthG vor. § 55 Abs. 2 Nr. 3 AufenthG setzt ein „Personensorgerecht“ beziehungsweise ein „Umgangsrecht“ voraus. Entgegen ausdrücklicher Ankündigung hat der Antragsteller bislang allerdings die für das „Personensorgerecht“ erforderliche gemeinsame Sorgeerklärung für den Sohn … nicht vorgelegt. Eine solche ist grundsätzlich ohne Weiteres vor einem Notar oder einer Urkundsperson des zuständigen Jugendamtes zu erlangen. Für diesen ihn begünstigenden Umstand der Personensorge trägt der Antragsteller die Darlegungs- und Beweislast. Allerdings kann nach § 55 Abs. 2 Nr. 3 AufenthG in Verbindung mit § 1685 Abs. 2 Satz 1 BGB auch eine enge Bezugsperson zu einem Kind ein Umgangsrecht haben, wenn diese für das Kind tatsächliche Verantwortung tragen oder getragen haben (sozial-familiäre Beziehung), wobei nach § 1685 Abs. 2 Satz 2 BGB eine Übernahme tatsächlicher Verantwortung in der Regel anzunehmen ist, wenn die Person mit dem Kind längere Zeit in häuslicher Gemeinschaft zusammengelebt hat. Hiervon ist aufgrund der dokumentierten häuslichen Lebensgemeinschaft auszugehen. Aus diesem Grund liegen auch die Voraussetzungen des § 55 Abs. 2 Nr. 5 AufenthG vor, der auf „Kindeswohl“ und „Kindesbelange“ abstellt.
(5) Die Ausweisung erweist sich unter Berücksichtigung der in § 53 Abs. 2 AufenthG aufgeführten – nicht abschließenden – Belange und mit Blick auf die Anforderungen des Art. 6 GG und 2 GG sowie des Art. 8 EMRK als verhältnismäßig.
(a) Zu Gunsten des Antragstellers ist zunächst zu berücksichtigen, dass in Deutschland seine Eltern und Geschwister leben.
Die Bindungen zwischen dem Antragsteller und seinen Eltern unterfallen dem Schutzbereich des Art. 6 Abs. 1 GG. Dabei ist zu berücksichtigen, dass sich aus Art. 6 Abs. 1 GG kein unmittelbarer Anspruch auf Aufenthalt ergibt, sondern dass er die Behörden verpflichtet, bei der Entscheidung über aufenthaltsbeendende Maßnahmen die familiären Bindungen des ausgewiesenen Ausländers an Personen, die sich in berechtigterweise im Bundesgebiet aufhalten, entsprechend dem Gewicht dieser Bindung Rechnung zu tragen. Die Ausweisung greift in diese Familienbeziehungen gemäß Art. 6 Abs. 1 GG ein. Ihnen darf in der grundrechtlich gebotenen Abwägung jedoch regelmäßig ein geringeres Gewicht beigemessen werden als im Verhältnis von Eltern zu minderjährigen Kindern. In Bezug auf Bindungen zu volljährigen Familienangehörigen gebieten es die Schutzwirkungen des Art. 6 Abs. 1 GG daher regelmäßig nicht, einwanderungspolitische Gründe oder sonstige öffentliche Belange, die gegen einen angestrebten Daueraufenthalt sprechen, zurückzustellen (vgl. OVG LSA, U.v. 15.5.2014 – 2 L 136/12 – juris Rn. 32). Gleiches gilt aus den entsprechenden Gründen für die Beziehungen des Antragstellers zu seinen Geschwistern am Maßstab des Art. 2 Abs. 1 GG. Im vorliegenden Fall reduziert sich das Gewicht der Beziehungen des Antragstellers zu seinen Eltern auf eine reine Begegnungsgemeinschaft.
Bindungen zwischen erwachsenen Personen genießen nicht unbedingt den Schutz nach Art. 8 Abs. 1 EMRK, es sei denn, es sind zusätzliche Elemente der Abhängigkeit dargelegt, die über die gefühlsmäßigen Bindungen hinausgehen (vgl. EGMR, U.v. 17.4.2003 – 52853/99 Yilmaz/Deutschland – juris Rn. 44). In Bezug auf den an einer Herzschwäche und einer geistigen Behinderung leidenden Bruder …, auf den sich der Antragsteller beruft, ist darauf hinzuweisen, dass dieser Bruder nie mit der Familie des Antragstellers zusammengelebt hat, weil diese den Bruder nach dessen Geburt in eine Pflegefamilie gegeben hat. Die Familie des Antragstellers hat kaum jemals den Kontakt zu dem Bruder gepflegt. Es ist daher nicht davon auszugehen, dass eine zwischen dem Antragsteller und dem Bruder beachtliche Abhängigkeiten bestehen. Eine Abhängigkeitsbeziehung hinsichtlich der Eltern ist weder dargelegt noch anderweitig ersichtlich.
Zu Gunsten des Antragstellers sind zudem auch die – Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 8 Abs. 1 EMRK unterfallenden – Bindungen zu seinem am 18. August 2015 geborenen Sohn … zu werten. Dieses Kind ist derzeit noch sehr klein, nämlich erst circa ein Jahr und fünf Monate alt. Wenn ein noch ein sehr kleines Kind betroffen ist, haben die Folgen einer vorübergehenden Trennung zu einem Elternteil grundsätzlich ein hohes Gewicht (vgl. BVerfG, B.v. 5.6.2013 – 2 BvR 586/13 – juris Rn. 13).
Zu Gunsten des Antragstellers sind zudem auch die ebenfalls nach Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 8 Abs. 1 EMRK geschützten Bindungen zu der bosnischen Staatsangehörigen Frau … zu werten, die mit ihm, dem gemeinsamen Sohn … und den drei anderen Kindern in häuslicher Lebensgemeinschaft lebt. Die Beziehung zu Frau … ist dabei allerdings nicht als rechtsgültige Ehe einzustufen. Der Antragsteller hat erstmals konfrontiert mit der in Aussicht gestellten Ausweisungsverfügung im Anhörungsverfahren vorgetragen, dass er mit ihr nach islamischem Recht die Ehe geschlossen hat. Eine Ehe kann im Inland gemäß Art. 13 Abs. 3 EGBGB nur in der hier vorgeschriebenen Form geschlossen werden. Der Antragsteller hat nicht vorgetragen, wann und wo er geheiratet hat. Dementsprechend hat er auch nicht vorgetragen, dass das Recht am Ort der Eheschließung oder das Heimatrecht beider Ehegatten hinsichtlich der Form der Eheschließung gewahrt wurde, wie es Art. 13 Abs. 1 EGBGB voraussetzt. Für den ihn begünstigenden Umstand der (rechtsgültigen) Eheschließung trägt der Antragsteller die Darlegungs- und Beweislast. Im Übrigen deuten die Umstände darauf hin, dass eine zu berücksichtigende Ehe nicht besteht, sondern lediglich eine nichteheliche Lebenspartnerschaft. Nach dem Ausdruck aus dem Meldeprogramm … vom 27. Juli 2016 in den Behördenakten war der Antragsteller als ledig gemeldet. Frau … hat sich selbst im behördlichen Anhörungsverfahren lediglich als „Lebensgefährtin“ bezeichnet. Auch in dem Schreiben an das Verwaltungsgericht hat sie den Antragsteller lediglich als „Lebenspartner“ bezeichnet. Da Frau … die Mutter des gemeinsamen Sohnes … ist, genießt diese Beziehung als familiäre Bindung den Schutz des Art. 6 GG und des Art. 8 Abs. 1 EMRK, dem auch ein maßgebliches Gewicht zukommt.
In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass im Fall der Ausreise des Antragstellers die Lebensgefährtin des Antragstellers und deren Kinder aufenthaltsrechtlich von dem Antragsteller unabhängig sind, da sie über eigene Aufenthaltstitel verfügen. Die Lebensgefährtin und das Kind … sind jeweils im Besitz einer befristeten Aufenthaltserlaubnis bis zum 18. Januar 2018. Im Fall der Ausreise des Antragstellers kann auch das deutsche Kind von Frau … weiterhin in Deutschland leben und hat weiterhin die Unterstützung seiner beiden in Deutschland lebenden Elternteile.
Des Weiteren ist zu berücksichtigen, dass der Antragsteller im Falle der Ausreise mit dem Sohn …, der Lebensgefährtin und deren weiteren Kindern, den Eltern und den Geschwistern den Kontakt mit modernen Kommunikationsmitteln wie Skype, Kurznachrichtendiensten und sozialen Netzwerken sowie mit herkömmlichen Kommunikationsmitteln wie Brief und Telefon sowie durch persönliche und gegebenenfalls längere Besuche im Kosovo aufrechterhalten und pflegen kann.
(b) Für den Antragsteller spricht des Weiteren unter dem Gesichtspunkt des Art. 2 Abs. 1 GG und des Art. 8 Abs. 1 EMRK, dass dieser bereits als Dreijähriger in das Bundesgebiet eingereist ist, mithin nahezu sein ganzes Leben in Deutschland verbracht hat. Er befand sich während der besonders prägenden Kinderjahre im Bundesgebiet. Er hat hier ein Netzwerk an sozialen Beziehungen aufgebaut. Zu Gunsten des Antragstellers ist zu werten, dass dieser sich zunächst auch wirtschaftlich integriert hat, indem er nach eigenen Angaben die Hauptschule besucht, nach Absolvierung eines Berufsvorbereitungsjahres den Ausbildungsberuf des Bäckers erlernt und auch einige Zeit im Bäckerhandwerk gearbeitet hat. Für den Antragsteller spricht zudem, dass er sich nach jahrelangen Duldungen seit dem 9. März 2007, dem Tag des Erlasses der erstmaligen befristeten Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen, rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält.
Eine Ausreise in den Kosovo erscheint für den Antragsteller indes persönlich zumutbar. Der Antragsteller verfügt im Kosovo über Familie. So hat er bei der Befragung am 5. Juli 2016 angegeben, im Kosovo Familie zu haben. Dies deckt sich mit den Angaben, welche die Eltern des Antragstellers nach den Feststellungen in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 22. Oktober 1992 im Rahmen den verwaltungsgerichtlichen Asylverfahren im Jahr 1993 gemacht hatten. Danach hat der Vater des Antragstellers vorgetragen, dass er einen Onkel … in (…) … (im Nordkosovo) und einen Bruder … in … (auch genannt … im Zentralkosovo) habe. Die Mutter des Antragstellers hat vorgetragen, dass ihre Eltern in (…) … (im Nordkosovo) lebten.
Dabei ist davon auszugehen, dass sich der Antragsteller in zumindest einer der zwei Landessprachen im Kosovo, Albanisch und Serbisch, verständigen kann. Die Familie des Antragstellers stammt aus dem ehemaligen Jugoslawien. Kinder, die in einer fremdsprachigen Familie im Bundesgebiet aufwachsen, lernen grundsätzlich auch die Sprache des Herkunftslandes. Noch im Jahr 2006 hat die Antragsgegnerin in einem Verfahren unwidersprochen festgestellt, dass die deutschen Sprachkenntnisse der Eltern „gering“ seien. Nach den Feststellungen in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 22. Oktober 1992 haben die Eltern des Antragstellers bei der verwaltungsbehördlichen Anhörung im Rahmen der Vorprüfung im Jahr 1991 „verschiedene Unterlagen in serbokroatischer Sprache vorgelegt“. Der Vater des Antragstellers verfügte über – wenngleich herabgesetzte – Kenntnisse der albanischen Sprache. Außerdem hat der Antragsteller mit Schriftsatz vom 26. März 2012 vortragen lassen, zwei Mal bei dem kosovarischem Konsulat in … vorgesprochen zu haben. Er hat ein „Travel Document issued for a single Journey“ sowie ein „Certificate of Citizenchip“ erwirkt, hat also sein Anliegen erfolgreich kommuniziert. In dem erwähnten Schriftsatz hat er sich bereit erklärt, zum Zweck der Ausstellung eines Nationalpasses in den Kosovo zu reisen. Der Antragsteller hatte sich folglich in der Lage gefühlt, vor Ort im Kosovo Behördengänge zu erledigen. Außerdem hat er sich einen serbischen Nationalpass beschafft. Dies lässt auf ordentliche Kenntnisse der Landessprachen des Kosovo schließen, die er vor Ort verbessern und ausbauen kann.
Es ist davon auszugehen, dass der Antragsteller, der ein erwachsener, gesunder junger Mann ist, noch dazu mit einer praktischen Berufsausbildung, in der Lage sein wird, ein eigenständiges Leben im Kosovo zu führen und, wenngleich unter Umständen nach anfänglichen Schwierigkeiten, sein Auskommen zu finden. Es ist davon auszugehen, dass die dort ansässige Familie ihn unterstützen wird.
(c) Zum Nachteil des Antragstellers ist – unter Berücksichtigung sämtlicher hier einschlägiger grundrechtlicher Schranken, namentlich des Art. 2 Abs. 1 GG, des Art. 8 Abs. 2 EMRK und des kollidierenden Verfassungsgerichts in Bezug auf Art. 6 GG – zu werten, dass die wirtschaftliche Integration nicht nachhaltig war. Nach längerer Arbeitslosigkeit vom 1. Juni 2013 bis zum 11. September 2014 und einer Anstellung im Sicherheitsgewerbe ist der Antragsteller zwar seit dem 1. September 2015 als Maler tätig. Jedoch bezieht er nach Auskunft des zuständigen Jobcenters seit dem 6. Oktober 2015 ergänzende Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch II. Dies bedeutet, dass er lediglich teilweise in der Lage ist, den Lebensunterhalt zu sichern.
Unter diesen Vorzeichen fällt bei der Abwägung weiterhin zu Ungunsten des Antragstellers ins Gewicht, dass es ihm nicht gelungen ist, sich sozial in die Wertegemeinschaft der Bundesrepublik Deutschland zu integrieren. Der Antragsteller ist wiederholt strafrechtlich in Erscheinung getreten, insbesondere auch wegen Gewaltdelikte. Der Antragsteller ist zwei Mal von Strafgerichten wegen Gewaltdelikte verurteilt worden. Dem Urteil des Jugendschöffengerichts vom 2. August 2007 wegen versuchten Raubes lag zudem ein Geschäft mit sozialschädlichen Drogen zugrunde.
Zum Nachteil des Antragstellers ist des Weiteren zu werten, dass er sich nun schon über mehrere Jahre hinweg der salafistischen und gewaltbefürwortenden jihadistischen Ideologie gewidmet hat und ihr stetig mehr Raum in seinem Leben eingeräumt hat. Der national und international vernetzte Antragsteller ist zudem Teil eines Zirkels, dessen Mitglieder Gewalttaten nicht nur billigen und heroisieren, sondern sich kontinuierlich wechselseitig ihre eigene Gewalt-, ja sogar Tötungsbereitschaft versichern. Dazu sucht er weiterhin Terrorakte, zu denen sich der Islamische Staat bekannt hat, wie beispielsweise die Terrorakte in Frankreich, als nachvollziehbar darzustellen und zu rechtfertigen. Eine Einsicht des Antragstellers, dass Terrorakte verabscheuungswürdig sind und als Mittel zur Erreichung eines religiösen oder politischen Ziels ausscheiden, ist nicht erkennbar. Dies spricht im Fall des Verbleibs des Antragstellers im Bundesgebiet für einen erhöhten Grad an Wahrscheinlichkeit der Gefahr, dass dieser auch in Zukunft den Islamischen Staat mindestens unterstützt und dadurch die Begehung von Terrorakten erleichtert.
Zum Nachteil des Antragstellers ist schließlich folgende Erwägung zu berücksichtigen, die für die Abwägung von ausschlaggebender Bedeutung ist: Fährt der Antragsteller damit fort, den Islamischen Staat im Bundesgebiet mindestens zu unterstützen und damit die Begehung von Terrorakten durch den Islamischen Staat zu erleichtern, gefährdet dies überragend wichtige Rechtsgüter von Verfassungsrang, nämlich Leib und Leben einer Vielzahl von Rechtsgutsträgern sowie die Funktionsfähigkeit staatlicher Einrichtungen. Der Verlust der Rechtsgüter Leib und Leben ist unwiederbringlich.
Die Ausweisung verfolgt insofern den spezialpräventiven Zweck zu verhindern, dass der Antragsteller den Islamischen Staat im Bundesgebiet wieder unterstützt. Sie dient gleichzeitig auch dem Zweck zu verhindern, dass andere Personen, die sich in einer vergleichbaren Situation befinden wie der Antragsteller, ausländische junge Männer mit langer Aufenthaltsdauer im Bundesgebiet, es ihm nachtun, indem sie zeigt, dass ein derartiges Verhalten aufenthaltsrechtliche Folgen zeitigt (vgl. zur Zulässigkeit: BayVGH, B.19.9.2016 – 19 CS 15.1600 – juris Rn. 34; U.v. 28.6.2016 – 10 B 15.1854 – juris Rn. 38 und B.v. 3.3.2016 – 10 ZB 14.844 – juris Rn. 10).
Angesichts des Grades der Wiederholungsgefahr sowie der Hochrangigkeit der bedrohten Rechtsgüter im Falle eines Verbleibs des Antragstellers im Bundesgebiet erscheint das private Interesse des Antragstellers gegenüber dem öffentlichen Vollzugsinteresse an einer Ausreise des Antragstellers nachrangig.
b) Hinsichtlich der übrigen von Gesetzes wegen sofort vollziehbaren Anordnungen (Ziffern 3. bis 4, 7, 9 bis 12 des Bescheides) gemäß § 84 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG, Art. 21a VwZVG, § 56 Abs. 3 i.V.m. Abs. 5 Satz 2 AufenthG und § 56 Abs. 4 i.V.m. Abs. 5 Satz 2 AufenthG und der für sofort vollziehbar erklärten Anordnungen (Ziffer 8 i.V.m. Ziffern 5 und 6 des Bescheides) gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO i.V.m. § 56 Abs. 2 und Abs. 1 AufenthG sind Bedenken weder vorgetragen noch bei der gebotenen summarischen Prüfung anderweitig ersichtlich. Insbesondere nicht zu beanstanden sind die auf § 56 Abs. 2 und Abs. 1 AufenthG gestützte Aufenthaltsbeschränkung und die Meldepflicht. Diese Maßnahmen erscheinen geeignet, erforderlich und angemessen, um die von dem Antragsteller ausgehenden beschriebenen Gefahren für den Zeitraum bis zu der Durchsetzung der Ausreise soweit als möglich zu beseitigen.
Im Übrigen wird auf die ausführliche und umfangreiche Begründung des Bescheides der Antragsgegnerin verwiesen.
2. Der Antrag war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen.
3. Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG in Verbindung mit dem Streitwertkatalog.

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