Aktenzeichen 10 ZB 18.794
FreizügG/EU § 4a, § 6 Abs. 4
StGB § 64
Leitsatz
1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils bestehen dann, wenn der Kläger im Berufungszulassungsverfahren einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung des Erstgerichts mit schlüssigen Gegenargumenten infrage stellt. (Rn. 3 – 4) (redaktioneller Leitsatz)
2. Solange der Kläger eine Drogentherapie nicht erfolgreich abgeschlossen und darüber hinaus die damit verbundene Erwartung eines künftig drogen- und straffreien Verhaltens auch nach Therapieende nicht glaubhaft gemacht hat, kann von einem Fortfall der Wiederholungsgefahr nicht ausgegangen werden. (Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
M 4 K 17.763 2018-02-20 Urt VGMUENCHEN VG München
Tenor
I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000 Euro festgesetzt.
Gründe
Mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt der Kläger seine in erster Instanz erfolglose Anfechtungsklage gegen die mit Bescheid der Beklagten vom 25. Januar 2017 erfolgte Feststellung des Verlusts seines Rechts auf Einreise und Aufenthalt in die Bundesrepublik Deutschland, das auf acht Jahre befristete Einreise- und Aufenthaltsverbot und die Abschiebungsandrohung nach Österreich weiter.
Der zulässige Antrag bleibt in der Sache ohne Erfolg, weil sich aus dem der rechtlichen Überprüfung durch den Senat allein unterliegenden Vorbringen im Zulassungsantrag nicht die geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) ergeben.
Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils im Sinne dieser Bestimmung bestünden dann, wenn der Kläger im Zulassungsverfahren einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung des Erstgerichts mit schlüssigen Gegenargumenten infrage gestellt hätte (BVerfG, B.v. 10.9.2009 – 1 BvR 814/09 – juris Rn. 11; BVerfG, B.v. 9.6.2016 – 1 BvR 2453/12 – juris Rn. 16). Dies ist jedoch nicht der Fall.
Der Einwand in der Zulassungsbegründung, das Verwaltungsgericht sei zu Unrecht davon ausgegangen, dass er sich nicht auf den besonderen Schutz gemäß § 6 Abs. 4 FreizügG/EU berufen könne, weil er kein Daueraufenthaltsrecht (§ 4a FreizügG/EU) erworben habe, ist nicht geeignet, einen tragenden Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung des Verwaltungsgerichts ernstlich in Zweifel zu ziehen. Denn das Erstgericht hat selbständig tragend festgestellt, dass sich die angefochtene Verlustfeststellung der Beklagten selbst bei Annahme eines Daueraufenthaltsrechts des Klägers gemäß § 6 Abs. 4 FreizügG/EU als rechtmäßig erweise, weil aufgrund der Drogendelikte des Klägers schwerwiegende Gründe im Sinne dieser Bestimmung vorlägen; illegaler Drogenhandel gehöre unter anderem zu den in Art. 83 Abs. 1 Unterabs. 2 AEUV angeführten Straftaten im Bereich der besonders schweren Kriminalität. Letzteres wird vom Kläger auch nicht infrage gestellt.
Der Kläger wendet sich vielmehr gegen die Richtigkeit der vom Verwaltungsgericht angestellten negativen Gefahrenprognose. Entgegen der Auffassung des Erstgerichts, das auf die bisherige Rückfallgeschwindigkeit bei seinen Straftaten und die noch nicht abgeschlossene Therapie verweise, habe er seine Drogentherapie erfolgreich absolviert. Er habe im Klinikum H. sämtliche erforderlichen Therapiestufen seiner seit 2. August 2016 durchgeführten Maßnahme nach § 64 StGB mit Erfolg abgeschlossen und könne deshalb nunmehr am Wochenende regelmäßig zuhause übernachten. Die Anordnung und der Vollzug einer Maßnahme nach § 64 StGB setzten die hinreichend konkrete Aussicht voraus, die süchtige Person zu heilen oder über eine erhebliche Zeitspanne vor einem Rückfall in den suchtbedingten Rauschmittelkonsum zu bewahren; das Strafgericht habe somit die begründete Aussicht bejaht, den Kläger durch die Drogentherapie von seiner Rauschmittelsucht zu heilen bzw. zumindest über einen erheblichen Zeitraum vor einem Rückfall zu bewahren und von der Begehung weiterer erheblicher Straftaten abzuhalten. Aktuell werde von der Staatsanwaltschaft ein Entlassungsgutachten erstellt. Die Entlassung auf Bewährung stehe damit unmittelbar bevor. Zu diesen Umständen verhalte sich das angefochtene Urteil nicht.
Dieses Vorbringen vermag jedoch nicht zur Zulassung der Berufung zu führen. Denn das Verwaltungsgericht ist in Übereinstimmung mit der ständigen Rechtsprechung des Senats (vgl. z.B. BayVGH B.v. 20.10.2017 – 10 ZB 17.993 – juris Rn. 6, B.v. 20.3.2018 – 10 ZB 17.2512 – Rn. 5) zu Recht davon ausgegangen, dass von einem Fortfall der Wiederholungsgefahr nicht ausgegangen werden kann, solange der Kläger nicht eine Drogentherapie erfolgreich abgeschlossen und darüber hinaus die damit verbundene Erwartung künftig drogen- und straffreien Verhaltens auch nach Therapieende glaubhaft gemacht hat. Hiervon kann beim Kläger trotz seines positiven Therapieverlaufs bis heute nicht ausgegangen werden. Denn er konnte bzw. musste sich bislang nicht außerhalb des Maßregelvollzugs bewähren. Er befindet sich derzeit erst in der Phase des Probewohnens. Der Kläger konsumiert bereits seit 2006 Kokain und Marihuana; bis zu seiner Verhaftung im Mai 2015 nahm er zuletzt drei Gramm Kokain in der Woche und zusätzlich erhebliche Mengen Alkohol (u.a. ca. ein halber Liter Schnaps täglich) zu sich. Nachdem er bereits 2010 in Österreich wegen eines Drogendelikts (Schmuggel von ca. fünf kg Kokain) zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren sechs Monaten verurteilt und die Reststrafe im Mai 2013 zur Bewährung ausgesetzt worden war, wurde er vom Landgericht München I am 25. Juli 2016 wegen des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in Tatmehrheit mit unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit unerlaubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer (erneuten) Freiheitsstrafe von vier Jahren und zehn Monaten verurteilt; zugleich wurde seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt gemäß § 64 StGB angeordnet. Daneben hat das Verwaltungsgericht bei seiner Gefährdungsprognose auch darauf abgestellt, dass es der Kläger schon seit langer Zeit nicht mehr geschafft hat, sich seinen Unterhalt auf Dauer oder zumindest über einen längeren Zeitraum durch eigene Arbeit zu finanzieren, und erhebliche Schulden in Höhe von fast 60.000 Euro hat, was die Wiederholungsgefahr bei ihm zusätzlich erhöhe. Vor diesem Hintergrund ist es trotz des bisher erfolgreichen Verlaufs der Drogentherapie im Hinblick auf die längerfristig angelegte ausländerrechtliche Gefahrenprognose und den Schutz besonders wichtiger Rechtsgüter hinreichend wahrscheinlich, dass der Kläger sich entweder zur Finanzierung seines Lebensunterhalts oder seiner – nicht dauerhaft überwundenen – Betäubungsmittelsucht erneut dem Drogenhandel zuwenden wird.
Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 und 3 sowie § 52 Abs. 2 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).