Verwaltungsrecht

Erfolgloses Eilbegehren eines Nigerianers gegen sofort vollziehbare Abschiebungsandrohung bei als offensichtlich unbegründet abgelehntem Schutzersuchen

Aktenzeichen  M 9 S 17.47613

Datum:
30.4.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 7560
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 5 S. 1
AsylG § 30, § 34 Abs. 1, § 36 Abs. 4
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7, § 60a Abs. 2

 

Leitsatz

Die Gefahr der Erblindung auf einem Auge genügt nicht zur Begründung einer lebensbedrohlichen Erkrankung. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gründe

I.
Der Antragsteller wendet sich gegen die Ablehnung seines Asylantrags als offensichtlich unbegründet.
Der Antragsteller ist (vgl. die in der Bundesamtsakte enthaltene Kopie eines abgelaufenen nigerianischen Passes, Bl. 34f. der Bundesamtsakte) nigerianischer Staatsangehöriger, geboren am 16. Dezember 1973, er reiste nach eigenen Angaben (Bl. 62 der Bundesamtsakte) im Juli 2009 mit einem deutschen Visum zur medizinischen Behandlung in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 24. April 2013 Asylantrag.
Die Anhörung vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) erfolgte am 7. Oktober 2016. Der Antragsteller gab dort an, er habe vor seiner Ausreise aus Nigeria und der Einreise zum Zweck der medizinischen Behandlung in Deutschland eine Infektion am linken Auge gehabt. Er sei in Nigeria bei allen guten Krankenhäusern gewesen, aber keiner habe ihm helfen können. Zur Begründung des Asylbegehrens machte der Antragsteller ausschließlich (vgl. Bl. 64 der Bundesamtakte) die gesundheitlichen Beschwerden am Auge geltend, deretwegen er auch bereits in London in der plastischen Chirurgie operiert worden sei. Nach der Rückkehr nach Nigeria habe sich der Zustand des Auges wieder verschlechtert. Ein Angehöriger der „Ärzte ohne Grenzen“ habe ihm geraten, nach Deutschland zu gehen, weil dem Antragsteller dort bestimmt geholfen werden könne. Auf die Frage nach dem jetzigen Zustand des Auges gab der Antragsteller an, der Zustand habe sich stabilisiert. Auf Frage, inwieweit er gesundheitlich eingeschränkt sei, gab der Antragsteller an, er leide emotional sehr darunter, das gehe auf sein Psyche. Auf die Frage, ob er einer gewöhnlichen Arbeit nachgehen könne, bejahte der Antragsteller. Auf die Niederschrift über die Anhörung im Übrigen wird Bezug genommen (Bl. 60 – 66 bzw. Bl. 70 – 76 der Bundesamtsakte), ebenso auf die im Rahmen der Anhörung vorgelegten ärztlichen Unterlagen (Bl. 77 – 80 der Bundesamtsakte).
Mit Schreiben an die Bevollmächtigten des Antragstellers vom 4. April 2017 forderte das Bundesamt zur Beantwortung mehrerer Fragen zur gesundheitlichen Situation des Antragstellers auf. Mit Ausnahme mehrerer Fristverlängerungsgesuche erfolgte keine Antwort.
Mit Bescheid vom 28. Juli 2017 lehnte das Bundesamt den Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, auf Asylanerkennung sowie auf subsidiären Schutz jeweils als offensichtlich unbegründet ab (Nrn. 1 bis 3), stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 4), forderte den Antragsteller zum Verlassen der Bundesrepublik innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe der Entscheidung auf und drohte die Abschiebung nach Nigeria an (Nr. 5). Unter der Nr. 6 des Bescheids wurde das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG befristet. Auf den Bescheid und seine Begründung wird Bezug genommen.
Der Akte lässt sich entnehmen, dass innerhalb des Bundesamts unklar war, ob der Bescheid ausgelaufen ist. Deshalb wurde entschieden, den Bescheid zur Sicherheit noch einmal zu versenden (Bl. 130 der Bundesamtsakte). Der Bescheid wurde ausweislich eines in der Bundesamtsakte enthaltenen Ab-Vermerks am 22. August 2017 zur Post gegeben.
Der Antragsteller ließ bereits mit Schreiben seiner Bevollmächtigten zu 1) vom 9. August 2017 Klage erheben (M 9 K 17.46856) mit dem Antrag,
unter Aufhebung des Bescheids vom 28. Juli 2017 die Antragsgegnerin zu verpflichten, den Antragsteller als Asylberechtigten anzuerkennen, ihm die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, ihm den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen und festzustellen, dass bei ihm Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 bis Abs. 7 AufenthG bei ihm vorliegen.
Außerdem wurde beantragt,
die aufschiebende Wirkung der Klage gemäß § 80 Abs. 5 VwGO anzuordnen.
Mit Schreiben vom 20. Oktober 2017 bestellte sich die Bevollmächtigte zu 2) und übersandte drei ärztliche Schreiben der LMU Klinik für Augenheilkunde (vom 11.11.2016, 24.8.2016 und 4.9.2017), auf die Bezug genommen wird.
Die Antragsgegnerin hat mit Schreiben vom 29. März 2018 die Akten vorgelegt und Antragsablehnung beantragt. Auch im Hinblick auf die vorgelegten Atteste werde an der im Bescheid getroffenen Einschätzung festgehalten. Die erlittenen Beeinträchtigungen am Auge führten nicht zu einer lebensbedrohenden Gesundheitsgefährdung.
Mit Schreiben vom 13. April 2018 wurde ein Bericht einer Frau Wank von „Handicap International“ vom 12. April 2018, auf den Bezug genommen wird, übersandt.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten in diesem und im dazugehörigen Klageverfahren sowie der vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
II.
Der Antrag hat keinen Erfolg.
Der zulässige Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage nach § 80 Abs. 5 VwGO hinsichtlich der nach § 75 AsylG kraft Gesetzes sofort vollziehbaren Abschiebungsandrohung ist unbegründet.
Nach § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG darf die Aussetzung der Abschiebung in den Fällen der Ablehnung eines Asylantrags als offensichtlich unbegründet nur angeordnet werden, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen, wobei Tatsachen und Beweismittel, die von den Beteiligten nicht angegeben worden sind, unberücksichtigt bleiben, es sei denn, sie sind gerichtsbekannt oder offenkundig (§ 36 Abs. 4 Satz 2 AsylG). Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist der Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts, § 77 Abs. 1 Satz 1 Hs. 2 AsylG. Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes liegen vor, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die Abschiebungsandrohung einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhält (BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1516/93 – BVerfGE 94, 166 ff.). Die gerichtliche Überprüfung der vom Bundesamt getroffenen Offensichtlichkeitsfeststellung hat im Hinblick auf den nach Art. 19 Abs. 4 GG gebotenen effektiven Rechtsschutz aufgrund der als asylerheblich vorgetragenen oder zu erkennenden Tatsachen und in Anwendung des materiellen Asylrechts erschöpfend, wenngleich mit Verbindlichkeit allein für das Eilverfahren zu erfolgen (BVerfG, B.v. 19.6.1990 – 2 BvR 369/90 – juris Rn. 20). Die Anforderungen entsprechen insofern denjenigen der Ablehnung einer asylrechtlichen Klage als offensichtlich unbegründet (BVerfG, B.v. 19.6.1990 a.a.O. juris Rn. 21).
Anknüpfungspunkt für die Bestätigung oder Verwerfung des Sofortvollzugs durch das Gericht ist daher die Prüfung, ob das Bundesamt den Antrag zu Recht als offensichtlich unbegründet abgelehnt hat und ob diese Ablehnung auch weiterhin Bestand haben kann.
Das Gericht hat im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes auch die Einschätzung des Bundesamtes, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (§ 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AsylG), zum Gegenstand der Prüfung zu machen. Dies ist zwar der gesetzlichen Regelung des § 36 AsylG nicht ausdrücklich zu entnehmen, jedoch gebieten die verfassungsrechtlichen Gewährleistungen der Art. 19 Abs. 4 GG und Art. 103 Abs. 1 GG die diesbezügliche Berücksichtigung auch im Verfahren nach § 36 AsylG (vgl. zur insoweit vergleichbaren Rechtslage nach § 51 Ausländergesetz 1990 BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1516/93 – BVerfGE 94, 166/221).
Der Antragsteller hat aller Voraussicht nach weder Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß §§ 3 ff. AsylG, Anerkennung als Asylberechtigter, Art. 16a Abs. 1 GG, subsidiären Schutzes nach § 4 AsylG noch auf Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Der ablehnende Bescheid des Bundesamtes vom 28. Juli 2017, auf den gemäß § 77 Abs. 2 AsylG Bezug genommen wird, ist unter Zugrundelegung des Prüfungsumfangs des Verfahrens auf vorläufigen gerichtlichen Rechtsschutz rechtmäßig und verletzt den Antragsteller nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
Nach Maßgabe der oben dargelegten Grundsätze bestehen auch keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Offensichtlichkeitsurteils. Die Begründung des Offensichtlichkeitsurteils ist nach der Maßgabe von § 30 Abs. 1 AsylG sowie § 30 Abs. 2 AsylG nicht zu beanstanden.
Ein Asylantrag ist gemäß § 30 Abs. 1 AsylG offensichtlich unbegründet, wenn die Voraussetzungen für eine Anerkennung als Asylberechtigter und die Voraussetzungen für die Flüchtlingseigenschaft (einschließlich der Voraussetzungen für subsidiären Schutz) offensichtlich nicht vorliegen. Dies ist dann anzunehmen, wenn an der Richtigkeit der tatsächlichen Feststellungen vernünftigerweise keine Zweifel bestehen und sich bei einem solchen Sachverhalt nach allgemein anerkannter Rechtsauffassung die Ablehnung des Antrags geradezu aufdrängt (BVerfG, B.v. 21.7.2000 – 2 BvR 1429/98 – juris Rn. 3). Der Antragsteller hat bezogen auf ein Asylbegehren, den Flüchtlingsschutz, und auch den subsidiären Schutz überhaupt nichts vorgetragen. Er hat selbst in seiner Anhörung vor dem Bundesamt gesagt, dass er ausschließlich zur Behandlung seines Augenleidens nach Deutschland gekommen ist. Sowohl die Stellung eines Asylantrags als auch die im zum hiesigen Antragsverfahren gehörenden Klageverfahren gestellten Anträge sind vor diesem Hintergrund nicht nachvollziehbar. Die vorgetragenen Umstände weisen bereits keine Anknüpfung an Umstände auf, die asyl- oder flüchtlingsrelevant sein könnten, da es daran fehlt, dass die geschilderten Geschehnisse an ein asylerhebliches Merkmal i.S.v. §§ 3 Abs. 1 Nr. 1, 3b AsylG anknüpften.
Die Bewertung des Bundesamts, dass beim Antragsteller die Voraussetzungen gemäß § 30 Abs. 1 AsylG vorliegen, ist vor diesem Hintergrund nicht zu beanstanden.
Ebenso liegen, wie das Bundesamt ebenfalls zu Recht annimmt, auch die Voraussetzungen gemäß § 30 Abs. 2 AsylG vor.
Auch ein Anspruch auf Zuerkennung des subsidiären Schutzes liegt unter Berücksichtigung der obigen Ausführungen und unter Bezugnahme auf die entsprechenden Ausführungen im streitgegenständlichen Bescheid offensichtlich nicht vor.
Auch ein Abschiebungsverbot auf der Grundlage von § 60 Abs. 5 oder § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG kommt nicht in Betracht; insofern wird gemäß § 77 Abs. 2 AsylG auf die auch diesbezüglich zutreffenden Ausführungen im angegriffenen Bescheid, dort insbesondere auf Seite 5 unter 4. bis Seite 9 unten Bezug genommen.
Es liegen auch ansonsten keine Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG vor. Das gilt insbesondere für das geltend gemachte krankheitsbedingte Abschiebungsverbot. Dabei kann davon ausgegangen werden, dass die geltend gemachte Beeinträchtigung des linken Auges grundsätzlich besteht. Die Diagnose ist, so, wie sie aus den vorgelegten ärztlichen Unterlagen hervorgeht, nicht ganz klar. Es wird durchgehend gesprochen (als Diagnose!) von einem „Zustand [scill.: des Auges] nach Lidverletzung und Descemetocele (massive Ausdünnung) der Hornhaut, Zustand nach Lidrekonstruktion, Zustand nach perforierender Ketoplastik. Herabsetzung der unkorrigierten Sehschärfe auf 0,05.“ Wodurch die ursprüngliche Lidverletzung hervorgerufen wurde, wird nicht gesagt, ebenso wenig wird Näheres zur durchgeführten Ketoplastik ausgeführt. Aus den Unterlagen geht aber hervor, dass aktuell „ein stabiler Befund“ bestehe. Derzeit würden nur Tränenersatzmittel angewendet. Nach den Inhalten von allen vorgelegten Unterlagen besteht kein gesundheitlich begründetes Abschiebungsverbot, das die Schwelle von § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG erreicht. Weder geht aus den vorgelegten ärztlichen Schreiben eine lebensbedrohende Erkrankung hervor noch ist eine solche nach den Beschreibungen in den ärztlichen Schreiben denkbar. Daran ändert sich nichts dadurch, dass es „auch jahrelang nach Keratoplastik […] zu Abstoßungsreaktionen kommen“ kann. Fernliegende oder spekulative Möglichkeiten – eine bestimmte, ausreichende Wahrscheinlichkeit geht aus den vorgelegten Unterlagen nicht hervor – reichen nicht aus für die Bejahung eines Abschiebungsverbots aus einer konkreten Erkrankung. Insbesondere aber fehlt jeglicher Hinweis auf eine lebensbedrohliche Erkrankung. Selbst eine Erblindung auf dem linken Auge – unabhängig davon, dass eine solche derzeit medizinisch belegt nicht im Raum steht – würde dafür nicht genügen. Die vom Antragsteller geäußerte Befürchtung, dass im Fall einer Rückkehr nach Nigeria die Gefahr bestünde, dass auch das rechte Auge von einer – ggf. erneuten, die Ursache der Augenerkrankung steht nach wie vor nicht fest – Infektion betroffen sein könnte, ist ebenfalls Spekulation. Da mithin mangels ausreichend belegter Lebensbedrohlichkeit jedenfalls kein krankheitsbedingtes Abschiebungsverbot vorliegt, kann offen bleiben, ob die vorgelegten ärztlichen Schreiben den Anforderungen gemäß § 60a Abs. 2c AufenthG, die auch im vorliegenden Fall gelten (BayVGH, B.v. 24.1.2018 – 10 ZB 18.30105 – juris Rn. 7; B.v. 10.1.2018 – 10 ZB 16.30735 – juris Rn. 8), genügen.
Die auf der Ablehnung des Asylantrags als offensichtlich unbegründet beruhende Abschiebungsandrohung mit der einwöchigen Ausreisefrist nach §§ 34, 36 Abs. 1 Satz 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG ist nach alledem nicht zu beanstanden.
Der Antrag wird daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abgelehnt. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).

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