Aktenzeichen W 8 S 19.31343
Leitsatz
1. Die Rücknahme eines Asylantrages ist als verfahrensgegenständliche Willenserklärung – in Parallele zur Unanfechtbarkeit einer Klagerücknahme – von Ausnahmen abgesehen aus Gründen der Rechtssicherheit nicht anfechtbar oder widerrufbar. (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Gründe
I.
Der Antragsteller ist algerischer Staatsangehöriger, der nach eigenen Angaben am 12. Juni 2019 in die Bundesrepublik Deutschland eingereist ist und am 3. Juli 2019 einen Asylantrag gestellt hat. Am 5. Juli 2019 nahm der Antragsteller seinen Asylantrag zurück.
Mit Bescheid vom 8. Juli 2019 stellte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge das Asylverfahre ein (Nr. 1). Weiter stellte es fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 2). Der Antragsteller wurde aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe dieser Entscheidung zu verlassen. Ihm wurde die Abschiebung nach Algerien bzw. in einem anderen Staat angedroht (Nr. 3). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG wurde auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet.
Der Antragsteller erhob zu Protokoll des Urkundsbeamten am 18. Juli 2019 im Verfahren W 8 K 19.31342 Klage gegen den streitgegenständlichen Bescheid und beantragte gleichzeitig im vorliegenden Sofortverfahren:
Die aufschiebende Wirkung der Klage wird angeordnet.
Zur Antragsbegründung verwies der Antragsteller auf die Anhörung beim Bundesamt und führte weiter im Wesentlichen aus: Er wolle nun doch Asyl haben. Er wolle sein Asylverfahren fortsetzen. Er könne nicht zurück nach Algerien. Er habe in Algerien keine Familie mehr und niemand, der ihn unterstützen könnte. Er wäre bei einer Rückkehr allein in Algerien. Er sei als junger Mensch nach Frankreich gekommen und danach sei er in die Schweiz.
Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte (einschließlich der Akte in der Hauptsache W 8 K 19.31342) und die beigezogenen Behördenakte Bezug genommen.
II.
Der Antrag ist zulässig, aber unbegründet.
Der Antrag gemäß § 80 Abs. 5 VwGO, der sich bei sachgerechter Auslegung gegen die Nr. 3 des streitgegenständlichen Bescheides richtet, ist statthaft, weil der in der Hauptsache erhobenen Klage nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 75 Abs. 1 AsylG keine aufschiebende Wirkung zukommt, da die Ausreisefrist im Falle der Rücknahme des Asylantrags gemäß § 38 Abs. 2 AsylG eine Woche beträgt.
Im Verfahren nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO hat das Gericht eine eigenständige Abwägung der widerstreitenden Interessen vorzunehmen, wobei insbesondere auch auf die Erfolgsaussichten in der Hauptsache abzustellen ist. Der Maßstab des § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG, nach dem die Aussetzung der Abschiebung angeordnet werden darf, wen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen, ist vorliegend nicht anwendbar (vgl. auch VG Bremen, B.v. 23.3.2018 – 6 V 606/18 – AuAS 2018, 117).
Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hat das Asylverfahren zu Recht nach § 32 Satz 1 AsylG infolge der Antragsrücknahme eingestellt, weil der Antragsteller seinen Asylantrag wirksam zurückgenommen hat. Die vom Antragsteller unterschriebene Rücknahmeerklärung befindet sich in der Behördenakte (Bl. 97 der Bundesamtsakte).
Die Rücknahme ist als verfahrensgegenständliche Willenserklärung – in Parallele zur Unanfechtbarkeit einer Klagerücknahme – von Ausnahmen abgesehen aus Gründen der Rechtssicherheit nicht anfechtbar oder widerrufbar. Für das Vorliegen von Ausnahmen, wie arglistige Täuschung, Drohung, unzulässiger Druck, unzutreffende Empfehlung oder Belehrung durch das Bundesamt oder die Ausländerbehörde bzw. Vorliegen von Wiederaufgreifensgründen oder offensichtliches Versehen, ist weder etwas von Antragstellerseite vorgebracht noch sonst ersichtlich. Eine Meinungsänderung, die der Antragsteller in der Antragsbegründung geltend macht, wonach er nun doch Asyl haben und sein Asylverfahren fortsetzen wolle, genügt nicht. Dem Antragsteller bleibt nur die Möglichkeit einen neuen Antrag zu stellen, der als Folgeantrag zu qualifizieren ist und die betreffenden Voraussetzungen erfüllen muss (vgl. Heusch in BeckOK, AuslR, Kluth/Heusch, 22. Edition, Stand: 1.5.2019, § 32 AsylG Rn. 16 und 21 m.w.N.).
Des Weiteren liegen keine Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 bzw. Abs. 7 Satz 1 AufenthG vor. Der Antragsteller hat insoweit nur vorgebracht, dass er in Algerien keine Familie mehr habe und ihn niemand unterstützen könnte Er wäre bei einer Rückkehr allein in Algerien. Er sei als junger Mensch (mit 9 Jahren) nach Frankreich gekommen und später in die Schweiz gegangen. Denn diese Umstände stehen einer Rückkehr des Antragstellers nach Algerien nicht entgegen.
Das Gericht hat insbesondere keine durchgreifenden Zweifel, dass dem Antragsteller im Anschluss an seiner Rückkehr die Sicherung seiner wirtschaftlichen Existenz möglich sein wird. Dem Antragsteller ist es zuzumuten, sich eine Arbeit zu suchen, wobei ihm womöglich auch seine in Europa erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten zu Gute kommen mögen, so dass er sich jedenfalls sein Existenzminimum sichern kann. Gegenteiliges folgt auch nicht aus der wirtschaftlichen und sozialen Lage Algeriens. In Algerien ist die Grundversorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln und auch die medizinische Grundversorgung gewährleistet (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Demokratischen Volksrepublik Algerien vom 25.6.2019, Stand: Mai 2019, S. 8 f., 20 f.; BFA, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Algerien vom 12.3.2018, S. 24 ff.). Der Antragsteller ist noch jung und erwerbsfähig; ihm ist zuzumuten, zur Sicherung seines Existenzminimums den notwendigen Lebensunterhalt durch Erwerbstätigkeit zu verdienen bzw. auch auf sonstige Hilfemöglichkeiten in Algerien zurückzugreifen. Letztlich ist dem Antragsteller eine (Re-)Integration in die Lebensverhältnisse seines Heimatstaates möglich und zumutbar (im Ergebnis ebenso BVerwG, U.v. 15.4.2019 – 1 C 46/18 – juris; U.v. 27.3.2018 – 1 A 5/17 – Buchholz 402.242, § 58a AufenthG Nr, 12; VG Stade, U.v. 1.4.2019 – 3 A 32/18 – juris; VG Magdeburg, U.v. 6.12.2018 – 8 A 206/18 – juris; VG Minden, U.v. 28.3.2017 – 10 K 883/16.A – juris; U.v. 22.8.2016 – 10 K 821/16.A – juris; VG Köln, B.v. 24.8.2016 – 3 L 1612/16.A – juris).
Der Antrag war daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).