Aktenzeichen W 1 K 16.31583
Leitsatz
1 Das Erpressen von Lebensmitteln durch die Taliban ist nicht so gravierend, dass hierin eine schwerwiegende Verletzung grundlegender Menschenrechte gesehen werden kann, soweit die betroffene Familie dadurch nicht jeder Lebensgrundlage beraubt wird. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
2 Lebt die Familie des Asylsuchenden weiterhin unbehelligt am Herkunftsort (in der Provinz Laghman), kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Taliban aktuell nach ihm suchen und seiner habhaft werden wollen, zumal der Kläger sich bei einer Rückkehr in der Millionenstadt Kabul niederlassen könnte. (Rn. 25 – 26) (redaktioneller Leitsatz)
3 Kann der Kläger sicher und legal nach Kabul reisen und sich dort niederlassen, wird trotz der knappen Ressourcen und der schlechten Wirtschaftslage von ihm erwartet werden können, dass er zumindest eine Hilfstätigkeit ausübt, um ein kleines, ausreichendes Einkommen zu erzielen. (Rn. 31 – 32) (redaktioneller Leitsatz)
4 Seine finanzielle Situation im Heimatland kann der Kläger zusätzlich dadurch verbessern, dass er Start- und Reintegrationshilfen für ausreisewillige Personen in Anspruch nimmt. (Rn. 32) (redaktioneller Leitsatz)
5 Selbst bei Annahme eines bewaffneten Konflikts kann für die Ost- und Zentralregion Afghanistans nicht davon ausgegangen werden, dass praktisch jede Zivilperson schon allein aufgrund ihrer Anwesenheit dort einer ernsthaften Bedrohung für Leib und Leben infolge militärischer Gewalt ausgesetzt wäre. (Rn. 36) (redaktioneller Leitsatz)
6 Trotz der schlechten Versorgungslage in Afghanistan kann nicht angenommen werden, dass ein alleinstehender arbeitsfähiger männlicher Rückkehrer alsbald in eine extreme Gefahrenlage geraten würde, die eine Abschiebung verfassungsrechtlich als unzumutbar erscheinen ließe. (Rn. 41) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Gründe
Die Klage, über die in Abwesenheit des Klägers und dessen Bevollmächtigtem sowie eines Vertreters der Beklagten verhandelt und entschieden werden konnte (§ 102 Abs. 2 VwGO) ist zulässig, jedoch nicht begründet. Dem Kläger stehen die geltend gemachten Ansprüche nicht zu. Der Bescheid des Bundesamtes vom 26. August 2016 ist einschließlich der darin enthaltenen Abschiebungsandrohung rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1, Abs. 1 Satz 1 VwGO).
I.
Der Antragsteller hat keinen Anspruch auf seine Anerkennung als Asylberechtigter nach Art. 16a GG. Ein solcher Anspruch scheitert bereits an Artikel 16a Abs. 2 Satz 1 GG, wonach sich auf Abs. 1 der Vorschrift nicht berufen kann, wer aus einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften oder aus einem anderen Drittstaat einreist, in dem die Anwendung des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten sichergestellt ist. Nachdem der Kläger im Rahmen seiner Anhörung beim Bundesamt selbst angegeben hat, über Österreich nach Deutschland eingereist zu sein (vgl. Bl. 35 der Behördenakte), kann der Kläger nicht als Asylberechtigter anerkannt werden
II.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG.
Rechtsgrundlage der begehrten Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ist vorliegend § 3 Abs. 4 und Abs. 1 AsylG. Danach wird einem Ausländer, der Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylG ist, die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, soweit er keinen Ausschlusstatbestand nach § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG erfüllt. Ein Ausländer ist Flüchtling i.S.d. Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (Genfer Konvention – GK), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will. Nach § 77 Abs. 1 AsylG ist vorliegend das Asylgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. September 2008 (BGBl. I S. 1798), das zuletzt durch Artikel 2 des Gesetzes vom 20. Juli 2017 (BGBl. I S. 2780 ff.) geändert worden ist (AsylG), anzuwenden. Dieses Gesetz setzt in §§ 3 bis 3e AsylG – wie die Vorgängerregelungen in §§ 3 ff. AsylVfG – die Vorschriften der Art. 6 bis 10 der Richtlinie 2011/95/EU vom 28. August 2013 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (Amtsblatt Nr. L 337, S. 9) – Qualifikationsrichtlinie (QRL) im deutschen Recht um. Nach § 3a Abs. 1 AsylG gelten als Verfolgung i.S.d. § 3 Abs. 1 AsylG Handlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Art. 15 Abs. 2 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 – EMRK (BGBl 1952 II, S. 685, 953) keine Abweichung zulässig ist (Nr. 1), oder die in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nr. 1 beschriebenen Weise betroffen ist (Nr. 2). Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 AsylG muss die Verfolgung an eines der flüchtlingsrelevanten Merkmale anknüpfen, die in § 3b Abs. 1 AsylG näher beschrieben sind, wobei es nach § 3b Abs. 2 AsylG ausreicht, wenn der betreffenden Person das jeweilige Merkmal von ihren Verfolgern zugeschrieben wird. Nach § 3c AsylG kann eine solche Verfolgung nicht nur vom Staat, sondern auch von nicht-staatlichen Akteuren ausgehen.
1. Soweit der Kläger zu seiner Vorverfolgung in Afghanistan vorträgt, dass die Taliban immer wieder zur Familie des Klägers gekommen seien und nach Essen verlangt bzw. Gewalt angedroht hätten, wenn sie nichts bekämen, so liegt hierin bereits keine Verfolgungshandlung nach § 3a AsylG, da ein solches Erpressen von Nahrungsmitteln, welche den Taliban von der Familie des Klägers offensichtlich übergeben wurden (vgl. Schriftsatz des Klägerbevollmächtigten vom 17. Oktober 2016), nicht so gravierend ist, dass hierin eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte läge. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass der Kläger nichts dafür vorgetragen hat, dass seine Familie und er selbst dadurch jeglicher Lebensgrundlage beraubt worden wären.
Wenn der Klägerbevollmächtigte in diesem Zusammenhang weiter erklärt, dass sich die Herausgabe von Nahrungsmitteln für die afghanische Regierung als Unterstützung einer staatsfeindlichen Gruppe darstelle und dies eine Bestrafung bis hin zur Todesstrafe nach sich ziehen könne, so ist hierzu festzustellen, dass der Kläger im Rahmen seiner Anhörung vor dem Bundesamt hierzu nichts vorgetragen hat, sodass der diesbezüglich spätere Vortrag des Klägerbevollmächtigten eine nicht nachvollziehbare Steigerung im Sachvortrag darstellt, da für diese Steigerung und den diesbezüglichen Nichtvortrag vor dem Bundesamt keine Begründung angegeben wurden. Desweiteren ist nichts dafür vorgetragen oder ersichtlich, dass die Nahrungsmittelabgaben – welche im Gebirge erfolgt seien, da die Familie dort gelebt hat – bei staatlichen Stellen überhaupt bekannt geworden sind. Überdies erscheint es auch nicht lebensnah nachvollziehbar, dass die afghanische Regierung Personen ohne Unterscheidung danach bestrafen soll, ob eine Unterstützung von staatsfeindlichen Gruppierungen aus freien Stücken oder unter Erpressung durch diese erfolgt ist. Der Erkenntnismittellage ist hierfür nichts zu entnehmen. Es ist somit nicht davon auszugehen, dass der insoweit nicht vorverfolgte Kläger nach seiner Rückkehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit durch staatliche afghanische Stellen wegen der Abgabe von Nahrungsmitteln an die Taliban i.S.d. § 3 AsylG erfolgt würde.
Darüber hinaus schildert der Kläger vor dem Bundesamt eine Vorverfolgung dahingehend, dass sein Bruder durch die Taliban erschossen worden sei und diese im Nachgang geglaubt hätten, dass er deswegen eine polizeiliche Anzeige erstattet hätte, was jedoch nicht zutreffend sei. Sein Vater sei von den Taliban mitgenommen worden und habe ein Schreiben unterzeichnen sollen, wonach die Taliban nicht für den Mord an seinem Bruder verantwortlich seien. In Wirklichkeit hätten sie die Familie nur zu sich locken wollen, um sie zu töten. Sie hätten dann viele Drohbriefe von den Taliban erhalten. Der Kläger habe dann noch einen weiteren Drohbrief erhalten, wonach die Taliban verlangt hätten, dass er zu ihnen komme. An seiner Stelle sei jedoch sein Vater zu ihnen gegangen und dort geschlagen worden. Sein Vater habe ihm dann befohlen zu fliehen, weil die Taliban dies von ihm verlangt hätten.
Zwar schildert der Kläger die Ereignisse um den Tod des Bruders in der Gesamtschau relativ eingehend und detailreich, sodass man den gewaltsamen Tod des Bruders durch die Taliban als solchen als glaubhaft zu Grunde legen kann. Allerdings enthalten die Angaben, wonach es nachfolgend zu einer Verfolgung des Klägers gekommen sein soll, eine Reihe von Ungereimtheiten, die die Vorverfolgung des Klägers letztlich nicht glaubhaft erscheinen lassen. Wenn der Kläger in diesem Zusammenhang angibt, dass die Taliban „sie“ (wohl die Familie) in Wirklichkeit hätten zu sich locken wollen, um sie zu töten, so erscheint dies übertrieben und bereits aus dem Grunde nach nicht stimmig, da sein Vater zweimal bei den Taliban vorstellig geworden sein soll und dabei gerade nicht getötet wurde, obwohl diese bei den beiden Aufeinandertreffen ausreichend Gelegenheit hierzu gehabt hätten. Es ging diesen offensichtlich allein darum, sich von der Verantwortung für den Tod des Bruders des Klägers freizuzeichnen. Hierzu hätten sie vom Vater die Unterschrift unter ein Schreiben verlangt, wonach die Taliban nicht die Mörder des Bruders seien. Ein derartiger nötigender Akt stellt jedoch noch keine Verfolgungshandlung i.S.d. § 3a AsylG dar, da eine gravierende Menschenrechtsverletzung hierin nicht zu erblicken ist. Zudem betraf dieser Zwang gerade nicht den Kläger persönlich. Wenn der Kläger sodann von Drohbriefen berichtet, so fällt auf, dass er im freien Vortrag zu seinen Fluchtgründen zunächst angegeben hat, dass „wir“ (also wohl wiederum die Familie) viele Drohbriefe erhalten hätten. Erst auf Nachfrage des Anhörenden, ob die Drohbriefe nur an den Kläger gerichtet gewesen seien, hat er erklärt, dass diese nur für ihn gedacht gewesen seien, da die Taliban geglaubt hätten, dass er eine Anzeige bei der Polizei gemacht habe. Demgegenüber hat er in seinem freien Vortrag angegeben, dass die Taliban erfahren hätten, dass „wir“ eine Anzeige bei der Polizei gemacht haben. Hieraus ergibt sich nach Überzeugung des Gerichts, dass der Kläger offensichtlich die Frage des Anhörenden nach einer persönlichen Betroffenheit aus asyltaktischen Gründen nicht verneinen wollte und daher die Drohbriefe dann ausschließlich auf sich selbst bezogen hat, obwohl dies nicht der Realität entspricht. Bezeichnenderweise hat der Kläger auch keinen der „vielen“ Drohbriefe beim Bundesamt oder bei Gericht vorgelegt. In Kombination mit der Tatsache, dass der Kläger auch zu den Inhalten dieser Drohbriefe keine Angaben gemacht hat, ist das Gericht in der Gesamtschau davon überzeugt, dass derartige Drohbriefe gegenüber dem Kläger überhaupt nicht ergangen sind. Der Kläger hat zudem auch nicht die Möglichkeit genutzt, hierzu in der mündlichen Verhandlung Stellung zu beziehen, da er dort trotz ordnungsgemäßer Ladung nicht erschienen ist.
Soweit der Kläger darüber hinaus von einem weiteren gesondert benannten Drohbrief berichtet, wonach er habe zu den Taliban kommen sollen, so liegt in der reinen Aufforderung, dort zu erscheinen, noch keine Verfolgungshandlung i.S.d. § 3a AsylG. Dies gilt auch unter Berücksichtigung der Tatsache, dass der Kläger weiter angegeben hat, dass sein Vater, der statt seiner zu den Taliban gegangen sei, von diesen geschlagen worden sei. Denn wie das Aufeinandertreffen abgelaufen wäre, wenn sich der Kläger zu den Taliban begeben hätte, ist nicht bekannt und ein Gleichlauf der Ereignisse kann aufgrund der Personenverschiedenheit, deren spezifischer Reaktionen und einer Vielzahl weiterer unbekannter Faktoren in der Entwicklung eines solchen Treffens nicht unterstellt werden. Auch kann nicht angenommen werden, dass mit der Aufforderung, „dass er zu den Taliban komme“, ein Zwangsrekrutierungsversuch durch diese vorgenommen werden sollte. Dem steht bereits grundlegend entgegen, dass der Vater des Klägers nach seiner Rückkehr von den Taliban die zentrale Botschaft mitbrachte, dass diese von ihm verlangt hätten, dass der Kläger wegfliehe, was wohl weiterhin vor dem Hintergrund der angeblich unterstellten polizeilichen Anzeige zu sehen ist. Diese Aufforderung jedenfalls stellt das direkte Gegenteil einer gewünschten Zusammenarbeit dar.
Schließlich spricht gegen eine Vorverfolgung, dass klägerischen Angaben zufolge seine Eltern und auch seine drei Onkel mütterlicherseits weiterhin am Herkunftsort, an welchem sich die Vorfälle zugetragen haben sollen, leben können. Denn wenn die Taliban weiterhin ein Verfolgungsinteresse haben sollten, so wäre davon auszugehen, dass sich zumindest der an den Geschehnissen zentral mitbeteiligte Vater dort nicht längerfristig aufhalten könnte. Auch wird nicht von einer Nachsuche nach dem Kläger durch die Taliban nach seiner Ausreise berichtet, was zwingend anzunehmen wäre, wenn diese seiner weiterhin habhaft werden wollten.
Nach alledem ist der Kläger unverfolgt aus seinem Heimatland ausgereist und es ist auch nichts dafür ersichtlich, dass ihm im Falle seiner Rückkehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgung droht.
2. Unabhängig von den vorstehenden Ausführungen bestünde jedoch für den Kläger in Afghanistan die Möglichkeit eines internen Schutzes nach § 3e AsylG in Kabul, wenn man – entgegen obiger Ausführungen – davon ausginge, dass der Kläger vorverfolgt aus seinem Heimatland ausgereist wäre, indem der Kläger von den Taliban Drohbriefe im Hinblick auf eine unterstellte Anzeige wegen der Ermordung seines Bruders erhalten hat.
Einem Ausländer wird die Flüchtlingseigenschaft nach § 3e AsylG nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zum Schutz vor Verfolgung nach § 3d AsylG hat und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt. Hierbei sind die allgemeinen Gegebenheiten im Herkunftsland und die persönlichen Umstände des Ausländers gemäß Art. 4 der Qualifikationsrichtlinie zu berücksichtigen.
Das Gericht geht – auch unter Berücksichtigung des Art. 4 Abs. 4 der Qualifikationsrichtlinie – davon aus, dass der Kläger in der afghanischen Hauptstadt Kabul internen Schutz erlangen kann und dort keine Verfolgungsgefahr zu befürchten hat. Es sprechen nämlich stichhaltige Gründe dagegen, dass der Kläger erneut von einer Verfolgung bedroht würde, wie er sie in seinem Asylverfahren vorgetragen hat. Dem steht insbesondere auch nicht das Gutachten des Dr. … an das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht vom 30. April 2013 entgegen. Der Gutachter stellt darin nämlich nicht fest, dass die Taliban über Netzwerke verfügen, die gezielt nach Personen in Kabul suchen, die sich einer Zwangsrekrutierung entzogen haben. Er führt hierzu vielmehr nur aus, dass er davon ausgehen müsse, dass die Taliban mindestens in der Lage seien, viele der Personen, die eine Zwangsrekrutierung abgelehnt hätten, zu finden. Konkret sind dem Gutachter jedoch nur fünf derartige Fälle bekannt geworden. In der Anfragebeantwortung von ACCORD hinsichtlich der „Fähigkeit der Taliban, Personen (insbesondere Dolmetscher, die für die US-Armee gearbeitet haben) in ganz Afghanistan aufzuspüren und zu verfolgen“ vom 15. Februar 2013 wird festgehalten, dass Angriffe auf Kollaborateure sich selbst in Städten, in geringerem Ausmaß auch in Kabul, ereignen würden. Personen, die geflüchtet seien und ihren Arbeitsplatz aufgegeben hätten, schienen jedoch in Städten nicht aktiv angegriffen worden zu sein. Personen, die geflüchtet seien und nicht mehr mit der Regierung zusammenarbeiten würden, würden für die Taliban ein Angriffsziel mit niedriger Priorität darstellen. Diese würden Informationen über Zielpersonen von Angriffen scheinbar nicht systematisch von einem Gebiet in ein anderes übermitteln. Es sei bekannt, dass die Taliban im Stadtzentrum von Kabul ein Netzwerk von Informanten unterhielten, um Botschaften und Regierungsgebäude zu beobachten. Dieses Netzwerk richte sich klar gegen hochrangige Ziele und Kollaborateure. Auch das Profil einer Person entscheide teilweise darüber, ob die Taliban jemanden, der in einen anderen Landesteil geflohen sei, aufspüren würden. Wichtige Personen seien hierbei gefährdeter zum Ziel der Taliban zu wählen. Wenn eine Person innerhalb eines Distrikts oder einer Provinz umsiedle, sei sie exponierter als bei einer Umsiedlung in eine in einem anderen Landesteil gelegene Provinz. In Kabul seien die Taliban schlechter in der Lage, Personen aufzuspüren, da dort Polizei und Sicherheitskräfte scheinbar besser ausgebildet und Personen anonymer seien. Nichtsdestotrotz könnten die Taliban in der Lage sein, jemanden in Kabul aufzuspüren. Die UNAMA schließe die Möglichkeit, dass die Taliban gegen wichtige Personen in Kabul vorgehen würden, nicht aus. Allerdings sei es unwahrscheinlich, dass die Taliban das Aufspüren von Personen von geringerer Bedeutung in Kabul zu einer Priorität machten bzw. dazu die Möglichkeit hätten.
Dies zugrunde gelegt ist das Gericht davon überzeugt, dass die Taliban vorliegend kein Interesse daran haben, den Kläger ausfindig zu machen und gegen diesen vorzugehen. Dies ergibt sich bereits grundlegend daraus, dass die Taliban vom Vater des Klägers schließlich verlangt haben, dass dieser seine Heimat verlässt. Dieser Forderung würde der Kläger gerade nachkommen, indem er sich in Kabul und damit weit entfernt von seinem Heimatort niederlässt. Wie bereits ausgeführt lebt zudem sowohl seine Familie weiterhin unbehelligt am Herkunftsort noch hat der Kläger davon berichtet, dass die Taliban in seiner Heimat nach ihm gesucht hätten, was eindeutig dafür spricht, dass diese des Klägers nach seinem von ihnen verlangten Weggang aus dem Heimatort nicht mehr habhaft werden wollen; denn andernfalls wäre zwingend zu erwarten, dass die Taliban bei seiner Familie vorstellig werden, um seinen Aufenthaltsort ausfindig zu machen bzw. sich stellvertretend an Familienmitgliedern gerächt hätten. Schließlich könnten der Kläger und seine Familie eine Verfolgung zudem auch dadurch ausschließen, dass sie – wie von den Taliban gewünscht – einen Freibrief hinsichtlich des Todes des Bruders unterzeichnen. Darüber hinaus stellt der Kläger auch ganz eindeutig kein hochrangiges Angriffsziel für die Taliban dar. Er hat sich selbst in keiner Weise aktiv gegen die Taliban engagiert oder aktiv gegen diese gearbeitet, sondern – nach Auffassung der Taliban – lediglich eine polizeiliche Anzeige – wie sie angesichts der Umtriebe der Taliban gerichtsbekannt in großer Zahl vorkommen – wegen eines nach klägerischen Angaben tatsächlich erfolgten Tötungsdelikts erstattet. Schließlich wechselt der Kläger seinen Wohnsitz nicht nur innerhalb seiner Heimatprovinz, sondern über die Provinzgrenze hinweg in die Millionenstadt Kabul, was seine Sicherheit weiter signifikant erhöht. Nach alledem sprechen stichhaltige Gründe dagegen, dass der Kläger im Falle seiner Rückkehr in sein Heimatland in Kabul erneut von einer Verfolgung der vorgetragenen Art bedroht wäre.
Der Kläger könnte darüber hinaus sicher und legal nach Kabul reisen. Schließlich kann von ihm vernünftigerweise erwartet werden, dass er sich in Kabul niederlässt. Erforderlich ist hierfür, dass am Ort des internen Schutzes die entsprechende Person durch eigene, notfalls auch wenig attraktive und ihrer Vorbildung nicht entsprechende Arbeit, die grundsätzlich zumutbar ist, oder durch Zuwendungen von dritter Seite nach Überwindung von Anfangsschwierigkeiten das zu ihrem angemessenen Lebensunterhalt erforderliche erlangen kann. Zu den danach zumutbaren Arbeiten gehören auch Tätigkeiten, für die es keine Nachfrage auf den allgemeinen Arbeitsmarkt gibt, die nicht überkommenen Berufsbildern entsprechen, etwa weil sie keinerlei besondere Fähigkeiten erfordern, und die nur zweiweise, etwa zur Deckung eines kurzfristigen Bedarfs, beispielsweise in der Landwirtschaft oder im Bausektor ausgeübt werden können. Nicht zumutbar sind hingegen jedenfalls die entgeltliche Erwerbstätigkeit für eine kriminelle Organisation, die in der fortgesetzten Begehung von oder Teilnahme an Verbrechen besteht. Der Zumutbarkeitsmaßstab geht im Rahmen des internen Schutzes über das Fehlen einer im Rahmen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG beachtlichen existenziellen Notlage hinaus (vgl. BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15.12 – juris; OVG Nordrhein-Westfalen, B.v. 6.6.2016 – 13 A 18182/15.A – juris).
Die diesbezügliche aktuelle Lage in Afghanistan und in der Hauptstadt Kabul stellen sich wie folgt dar:
Das Auswärtige Amt führt in seinem Lagebericht vom 19. Oktober 2016 (a.a.O. S. 21 ff.) aus, dass Afghanistan eines der ärmsten Länder der Welt sei und trotz Unterstützung der internationalen Gemeinschaft, erheblicher Anstrengungen der Regierung und kontinuierlicher Fortschritte im Jahr 2015 lediglich Rang 171 von 187 im Human Development Index belegt habe. Die afghanische Wirtschaft ringe in der Übergangsphase nach Beendigung des NATO-Kampfeinsatzes zum Jahresende 2014 nicht nur mit der schwierigen Sicherheitslage, sondern auch mit sinkenden internationalen Investitionen und der stark schrumpfenden Nachfrage durch den Rückgang internationaler Truppen um etwa 90%. So seien ausländische Investitionen in der ersten Jahreshälfte 2015 bereits um 30% zurückgegangen, zumal sich die Rahmenbedingungen für Investoren in den vergangenen Jahren kaum verbessert hätten. Die wirtschaftliche Entwicklung bleibe durch die schwache Investitionstätigkeit geprägt. Ein selbsttragendes Wirtschaftswachstum scheine kurzfristig nicht in Sicht. Rund 36% der Bevölkerung lebe unterhalb der Armutsgrenze. Die Grundversorgung sei für große Teile der Bevölkerung eine tägliche Herausforderung, was für Rückkehrer naturgemäß verstärkt gelte. Dabei bestehe ein eklatantes Gefälle zwischen urbanen Zentren wie z.B. Kabul und ländlichen Gebieten Afghanistans. Das rapide Bevölkerungswachstum stelle eine weitere Herausforderung für die wirtschaftliche und soziale Entwicklung des Landes dar. Zwischen den Jahren 2012 und 2015 werde das Bevölkerungswachstum auf rund 2,4% pro Jahr geschätzt, was in etwa einer Verdoppelung der Bevölkerung innerhalb einer Generation gleichkomme. Die Schaffung von Arbeitsplätzen bleibe eine zentrale Herausforderung. Nach Angaben des afghanischen Statistikamtes sei die Arbeitslosenquote im Oktober 2015 auf 40% gestiegen. Die internationale Gemeinschaft unterstütze die afghanische Regierung maßgeblich in ihren Bemühungen, die Lebensbedingungen der Menschen in Afghanistan zu verbessern. Aufgrund kultureller Bedingungen seien die Aufnahme und die Chancen außerhalb des eigenen Familien- bzw. Stammesverbandes vor allem in größeren Städten realistisch. Aus dem angekündigten Zwischenbericht des Auswärtigen Amtes zur Sicherheitslage in Afghanistan soll sich im Kern nichts hiervon Abweichendes ergeben (vgl. http://www.auswaertiges-amt.de/DE/_ElementeStart / Sprecher_node.html).
Die Schweizerische Flüchtlingshilfe (Afghanistan: Update – Die aktuelle Si-cherheitslage vom 30. September 2016, Seite 24 ff.) führt aus, Afghanistan bleibe weiterhin eines der ärmsten Länder weltweit. Die bereits sehr hohe Arbeitslosenrate sei seit dem Abzug der internationalen Streitkräfte Ende 2014 wegen des damit zusammenhängenden Nachfrageschwundes rasant angestiegen, das Wirtschaftswachstum betrage nur 1,5%. Die Analphabetenrate sei noch immer hoch und der Pool an Fachkräften bescheiden. Die Landwirtschaft beschäftige bis zu 80% der Bevölkerung, erziele jedoch nur etwa 25% des Bruttoinlandprodukts. Vor allem in Kabul gehöre wegen des dortigen großen Bevölkerungswachstums die Wohnraumknappheit zu den gravierendsten sozialen Problemen. Auch die Beschäftigungsmöglichkeiten hätten sich dort rapide verschlechtert. Nur 46% der afghanischen Bevölkerung verfüge über Zugang zu sauberem Trinkwasser und lediglich 7,5% zu einer adäquaten Abwasserentsorgung. Unter Verweis auf den UNHCR sähen sich Rückkehrende beim Wiederaufbau einer Lebensgrundlage in Afghanistan mit gravierenden Schwierigkeiten konfrontiert. Geschätzte 40% seien verletzlich und verfügten nur über eine unzureichende Existenzgrundlage sowie einen schlechten Zugang zu Lebensmitteln und Unterkunft. Außerdem erschwere die prekäre Sicherheitslage die Rückkehr. Gemäß UNHCR verließen viele Rückkehrende ihre Dörfer innerhalb von zwei Jahren erneut. Sie wichen dann in die Städte aus, insbesondere nach Kabul.
Trotz dieser geschilderten schwierigen Bedingungen ist von dem Kläger vernünftigerweise zu erwarten, dass er sich in Kabul niederlässt. Aufgrund seiner in Europa erworbenen Erfahrungen befindet er sich in einer vergleichsweise guten Position. Mit diesen Erfahrungen und Kenntnissen ist davon auszugehen, dass der Kläger auch ohne nennenswertes Vermögen und ohne familiären Rückhalt im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan in der Lage wäre, zumindest durch Gelegenheitsarbeiten wenigstens ein kleines ausreichendes Einkommen zu erzielen. Das entspricht auch der Auffassung des UNHCR – auf den die Schweizerische Flüchtlingshilfe hinsichtlich der Situation der Rückkehrenden Bezug nimmt –, wonach bei alleinstehenden leistungsfähigen Männern – wie dem 20-jährigen Kläger – eine Ausnahme vom Erfordernis der externen Unterstützung in Betracht kommt (vgl. UNHCR-Richtlinien vom 19.4.2016, S. 9). An dieser Einschätzung des Gerichts ändert sich auch durch die Anmerkungen des UNHCR zur Situation in Afghanistan vom Dezember 2016 nichts. Der UNHCR weist zwar in seiner Stellungnahme darauf hin, dass sich die Sicherheitslage seit April 2016 insgesamt nochmals deutlich verschlechtert habe, was damit einher gehe, dass sich der Konflikt in Afghanistan im Laufe des Jahres 2016 weiter ausgebreitet habe und die Zahl der zivilen Opfer im ersten Halbjahr 2016 gegenüber dem Vorjahreszeitraum um weitere 4% gestiegen sei. Die Zahl der intern Vertriebenen habe im Jahr 2016 auf Rekordniveau gelegen; zudem sei auch aus den Nachbarländern Pakistan und Iran eine große Zahl von Menschen nach Afghanistan zurückgekehrt, was zu einer extremen Belastung der ohnehin bereits überstrapazierten Aufnahmekapazitäten in den wichtigsten Städten der Provinzen und Distrikte in Afghanistan geführt habe. Dies gelte auch für die Stadt Kabul, wo nur begrenzte Möglichkeiten der Existenzsicherung, eine extrem angespannte Wohnraumsituation sowie mangelnder Zugang zu grundlegenden Versorgungsleistungen bestehe, sodass die Verfügbarkeit einer internen Schutzalternative im Umfeld eines dramatisch verschärften Wettbewerbs um den Zugang zu knappen Ressourcen unter Berücksichtigung der besonderen Umstände jedes einzelnen Antragstellers geprüft werden müsse. Abgesehen davon, dass der UNHCR für die beschriebene Einschätzung seine eigenen Maßstäbe zugrunde legt, hält dieser auch gleichzeitig ausdrücklich an seinen Richtlinien von April 2016 fest, wonach bei alleinstehenden leistungsfähigen Männern eine Ausnahme vom Erfordernis der externen Unterstützung in Betracht kommt, wovon das Gericht auch bei dem hiesigen Kläger ausgeht.
Der Kläger ist zwar Analphabet, jedoch trifft dies auf eine sehr große Zahl von Menschen in Afghanistan zu, sodass dies nicht weiter negativ ins Gewicht fällt, wobei eine Vielzahl zumindest von Hilfstätigkeiten existiert, bei denen das Lesen und Schreiben und eine Berufsausbildung nicht von Bedeutung sind. Der Kläger hat darüber hinaus bereits berufliche Erfahrungen in seinem Heimatland sammeln können, auf die er gewinnbringend im Falle einer Rückkehr wird zurückgreifen können, indem er dort im landwirtschaftlichen Sektor, der in Afghanistan breiten Raum einnimmt, tätig war. Bis zu seiner Ausreise hat der Kläger zudem mehr als 18 Jahre lang in Afghanistan gelebt und kennt infolgedessen die gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Verhältnisse seines Heimatlandes. Neben seiner eigenen Erwerbsfähigkeit kann der Kläger darüber hinaus nach Überzeugung des Gerichts im Bedarfsfalle auch auf die Unterstützung durch seine Familie, d.h. seinen Vater, der Arbeit hat, und seine drei Onkel, zurückgreifen. Denn es ist im Kulturkreis des Klägers absolut üblich, dass in Notsituationen über derartige Kontakte Unterstützung geleistet wird und es ist nichts dafür ersichtlich, dass dies vorliegend nicht geschehen würde. Darüber hinaus kann der Kläger seine finanzielle Situation zusätzlich auch dadurch verbessern, dass er Start- und Reintegrationshilfen in Anspruch nimmt. So können afghanische ausreisewillige Personen seit dem Jahr 2016 Leistungen aus dem REAG-Programm sowie aus dem GARP-Programm erhalten, die Reisebeihilfen im Wert von 200,00 EUR und Starthilfen im Umfang von 500,00 EUR beinhalten. Darüber hinaus besteht seit Juni 2016 das Reintegrationsprogramm ERIN. Die Hilfen aus diesem Programm umfassen z.B. Service bei Ankunft, Beratung und Begleitung zu behördlichen, medizinischen und caritativen Einrichtungen, berufliche Qualifizierungsmaßnahmen, Arbeitsplatzsuche sowie Unterstützung bei einer Geschäftsgründung. Die Unterstützung wird weitgehend als Sachleistung gewährt. Der Leistungsrahmen für rückgeführte Einzelpersonen beträgt dabei ca. 700 EUR (vgl. Auskunft des Bundesamts vom 12.8.2016 an das VG Ansbach; VG Augsburg, U.v. 18.10.2016 – AU 3 K 16.30949 – juris). Der Kläger könnte sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, dass die genannten Start- und Reintegrationshilfen ganz oder teilweise nur für freiwillige Rückkehrer gewährt werden, also teilweise nicht bei einer zwangsweisen Rückführung. Denn nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts kann ein Asylbewerber, der durch eigenes zumutbares Verhalten – wie insbesondere durch freiwillige Rückkehr – im Zielstaat drohende Gefahren abwenden kann, nicht vom Bundesamt die Feststellung eines Abschiebungsverbots verlangen (vgl. BVerwG, U.v. 15.4.1997 – 9 C 38.96 – juris; VGH BW, U.v. 26.2.2014 – A 11 S 2519/12 – juris). Dementsprechend ist es dem Kläger möglich und zumutbar, gerade zur Über-brückung der ersten Zeit nach einer Rückkehr nach Afghanistan freiwillig Zurückkehrenden gewährte Reisehilfen sowie Reintegrationsleistungen in Anspruch zu nehmen. Ebenfalls nicht entgegenstehend für die Annahme internen Schutzes ist der Umstand, dass der Kläger längere Zeit in Europa verbracht hat. Vielmehr wirkt sich dies eher begünstigend auf seine Erwerbsperspektive in Afghanistan aus (vgl. auch OVG NRW, B.v. 20.7.2015 – 13 A 1531/15 A – juris). Eine Rückkehr nach Afghanistan scheitert nach der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (vgl. etwa BayVGH, B.v. 4.1.2017 – 13a ZB 16.30600 – juris), der sich das Gericht anschließt, grundsätzlich auch nicht an einem langjährigen Aufenthalt in Europa oder Drittländern. Maßgeblich ist vielmehr, dass der Betroffene den größten Teil seines Lebens in einer islamisch geprägten Umgebung verbracht hat und eine der beiden Landessprachen spricht, was vorliegend der Fall ist. Vor diesem Hintergrund folgt das Gericht auch nicht der Einschätzung von Frau Friederike Stahlmann, wonach die Annahme, dass alleinstehende junge gesunde Männer und kinderlose Paare ihr Überleben aus eigener Kraft sichern könnten, durch die derzeitige humanitäre Lage inzwischen grundlegend infrage gestellt sei (vgl. Friederike Stahlmann, Überleben in Afghanistan, Asylmagazin 3/2017, S. 73 ff. (77 f.). Denn nach Überzeugung des Gerichts bieten die geschilderten persönlichen Verhältnisse und Ressourcen des Klägers ausreichende und realistische Möglichkeiten dafür, zumindest für den hiesigen Kläger ein Leben in Kabul zumutbar erscheinen zu lassen.
Nach alledem kann der Kläger internen Schutz in der Hauptstadt Kabul in Anspruch nehmen, so dass auch aus diesem Grunde ein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ausscheidet.
III.
1. Der Kläger hat weiterhin auch keinen Anspruch auf Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus gemäß § 4 Abs. 1 AsylG. Dieser scheitert vorliegend bereits daran, dass die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus nicht beantragt worden ist (vgl. Klageschrift vom 13. September 2016). Ein diesbezüglicher richterlicher Hinweis, § 86 Abs. 3 VwGO, konnte nicht ergehen, nachdem der Klägerbevollmächtigte in der mündlichen Verhandlung ohne vorherige Mitteilung nicht erschienen ist.
Dem Kläger droht nach Überzeugung des Gerichts weder die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AsylG noch droht ihm ein ernsthafter Schaden durch unmenschliche oder erniedrigende Behandlung i.S. von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG. Es fehlt insoweit bereits an einem glaubhaften Vortrag, zumindest aber besteht für den Kläger die Möglichkeit internen Schutzes in Kabul nach § 4 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 3e AsylG. Auf die diesbezüglichen Ausführungen zu § 3 AsylG wird vollumfänglich verwiesen.
2. Dem Kläger droht auch keine individuelle und konkrete Gefahr eines ernsthaften Schadens i.S. des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG aufgrund der Sicherheitslage in seiner Herkunftsregion, der Provinz Laghman. Dasselbe gilt für die Hauptstadt Kabul als inländischer Fluchtalternative entsprechend obiger Ausführungen. In der Ostregion, zu der die Provinz Nangarhar gehört, wurden im Jahre 2016 1.595 Zivilpersonen getötet oder verletzt und in der Zentralregion, zu der die Provinz Kabul zählt, 2.348 Zivilpersonen (vgl. UNAMA, Annual Report 2016 Afghanistan, Februar 2017, S. 11 f.). Die Anschlagswahrscheinlichkeit sowohl für die Ostregion als auch für die Zentralregion lag damit im Jahr 2016 bei deutlich unter 1:800 und damit nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts weit von der Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit, in dem betreffenden Gebiet verletzt oder getötet zu werden, entfernt (vgl. BVerwG, U.v. 17.11.2011 – 10 C 13/13 – juris). Im Jahr 2017 hat sich diese Zahl (unter Verdoppelung der Halbjahreszahlen) bis zur Jahresmitte in der Ostregion leicht verringert, während sie sich in der Zentralregion leicht erhöht hat. In der Ostregion wurden im ersten Halbjahr 2017 bisher 702 Zivilpersonen getötet oder verletzt, während dies in der Zentralregion bei 1.254 Zivilpersonen der Fall war (vgl. UNAMA, Midyear Report 2017, Juli 2017, S. 10). Damit ist derzeit nicht davon auszugehen, dass bei Unterstellung eines bewaffneten Konflikts praktisch jede Zivilperson schon allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dem betreffenden Gebiet einer ernsthaften Bedrohung für Leib und Leben infolge militärischer Gewalt ausgesetzt wäre. Individuelle gefahrerhöhende Umstände in der Person des Klägers sind darüber hinaus nicht erkennbar. Auch insoweit wird auf die obigen Ausführungen in vollem Umfang verwiesen.
IV.
Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG.
1. Ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG kommt nicht in Betracht, da dem Kläger keine gegen Art. 3 EMRK oder ein anderes Grundrecht nach der EMRK verstoßende Behandlung droht. Auch in diesem Zusammenhang wird auf die obigen Ausführungen zu den §§ 3, 4 AsylG vollinhaltlich verwiesen. Die allgemeine Versorgungslage in Afghanistan stellt darüber hinaus ebenfalls keine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung i.S.d. Art. 3 EMRK dar. Zwar können schlechte humanitäre Bedingungen im Abschiebezielstaat in besonderen Ausnahmefällen in Bezug auf Art. 3 EMRK ein Abschiebungsverbot begründen. In Afghanistan ist die Lage für alleinstehende männliche arbeitsfähige afghanische Staatsangehörige jedoch nicht so ernst, dass eine Abschiebung ohne weiteres eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellen würde (BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15.12 – NVwZ 2013, 1167; BayVGH, U.v. 12.2.2015 – 13a B 14.30309 – juris). Es ist hierbei in Bezug auf den Gefährdungsgrad das Vorliegen eines sehr hohen Niveaus erforderlich, denn nur dann liegt ein außergewöhnlicher Fall vor, in dem die humanitären Gründe gegen eine Ausweisung „zwingend“ sind. Wenn das Bundesverwaltungsgericht (a.a.O.) die allgemeine Lage in Afghanistan nicht als so ernsthaft einstuft, dass ohne weiteres eine Verletzung des Art. 3 EMRK angenommen werden kann, weist dies ebenfalls auf die Not-wendigkeit einer besonderen Ausnahmesituation hin (vgl. BayVGH, U.v. 21.11.2014 – 13a B 14.30285 – juris). Eine solche ist bei dem Kläger vorliegend nicht gegeben; besondere Umstände, die vorliegend eine andere Beurteilung gebieten würden, sind nicht ersichtlich.
2. Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG liegt ebenfalls nicht vor. Nach dieser Vorschrift soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Gemäß § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG sind die Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen. Nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG kann die oberste Landesbehörde anordnen, dass die Abschiebung für längstens sechs Monate ausgesetzt wird. Eine Abschiebestopp-Anordnung besteht jedoch für die Personengruppe, der der Kläger angehört, nicht.
Dem Kläger droht auch aufgrund der unzureichenden Versorgungslage in Afghanistan keine extreme Gefahr infolge einer Verdichtung der allgemeinen Gefahrenlage, die zu einem Abschiebungsverbot im Sinne der verfassungskonformen Auslegung des § 60 Abs. 7 AufenthG führen könnte. Wann allgemeine Gefahren von Verfassungswegen zu einem Abschiebungsverbot führen, hängt wesentlich von den Umständen des Einzelfalles ab und entzieht sich einer rein quantitativen oder statistischen Betrachtung. Die drohenden Gefahren müssen jedoch nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sein, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den betroffenen Ausländer die begründete Furcht ableiten lässt, selbst in erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden. Bezüglich der Wahrscheinlichkeit des Eintritts der drohenden Gefahren ist von einem im Vergleich zum Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit erhöhten Maßstab auszugehen. Die Gefahren müssen dem Ausländer daher mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen. Dieser Wahrscheinlichkeitsgrad markiert die Grenze, ab der seine Abschiebung in den Heimatstaat verfassungsrechtlich unzumutbar erscheint. Das Erfordernis des unmittelbaren – zeitlichen – Zusammenhangs zwischen Abschiebung und drohender Rechtsgutverletzung setzt zudem für die Annahme einer extremen Gefahrensituation wegen der allgemeinen Versorgungslage voraus, dass der Ausländer mit hoher Wahrscheinlichkeit alsbald nach seiner Rückkehr in sein Heimatland in eine lebensgefährliche Situation gerät, aus der er sich weder allein noch mit erreichbarer Hilfe anderer befreien kann (BayVGH, U.v. 12.2.2015 – 13a B 14.30309 – juris Rn. 16; Bergmann in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 11. A. 2016, § 60 AufenthG Rn. 54). Das bedeutet nicht, dass im Falle der Abschiebung der Tod oder schwerste Verletzungen sofort, gewissermaßen noch am Tag der Abschiebung, eintreten müssten. Vielmehr besteht eine extreme Gefahrenlage auch dann, wenn der Ausländer mangels jeglicher Lebensgrundlage dem baldigen sicheren Hungertod ausgeliefert würde (vgl. BVerwG, U.v. 29.6.2010 – 10 C 10.09 – BVerwGE 137, 226).
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs sowie weiterer Oberverwaltungsgerichte, der sich das erkennende Gericht anschließt, ergibt sich aus den Erkenntnismitteln zu Afghanistan derzeit nicht, dass ein alleinstehender arbeitsfähiger männlicher Rückkehrer mit hoher Wahrscheinlichkeit alsbald nach einer Rückkehr in eine derartige extreme Gefahrenlage geraten würde, die eine Abschiebung in den Heimatstaat verfassungsrechtlich als unzumutbar erscheinen ließe. Zwar ist die Versorgungslage in Afghanistan schlecht, jedoch ist im Wege einer Gesamtgefahrenschau nicht anzunehmen, dass bei einer Rückführung nach Afghanistan alsbald der sichere Tod drohen würde oder alsbald schwere Gesundheitsbeeinträchtigungen zu erwarten wären. Der Betroffene wäre selbst ohne nennenswertes Vermögen und ohne familiären Rückhalt in der Lage, durch Gelegenheitsarbeiten wenigstens ein kleines Einkommen zu erzielen und sich damit zumindest ein Leben am Rand des Existenzminimums zu finanzieren (st. Rspr., z.B. BayVGH, B.v. 19.6.2017 – 13a ZB 17.30400 – juris; B.v. 6.4.2017 – 13a ZB 17.30254 – juris; BayVGH, B.v. 23.1.2017 – 13a ZB 17.30044 – juris; B.v. 27.7.2016 – 13a ZB 16.30051 – juris; B.v. 15.6.2016 – 13a ZB 16.30083 – juris; U.v. 12.2.2015 – 13a B 14.30309 – juris Rn. 17 m.w.N..; B.v. 30.9.2015 – 13a ZB 15.30063 – juris; OVG NW, U.v. 3.3.2016 – 13 A 1828/09.A – juris Rn. 73 m.w.N.; SächsOVG, B.v. 21.10.2015 – 1 A 144/15.A – juris; NdsOVG, U.v. 20.7.2015 – 9 LB 320/14 – juris).
Auch aus den aktuellsten Erkenntnismitteln ergibt sich nichts anderes. Insoweit kann auf die Ausführungen unter I. 2. verwiesen werden. Nachdem das Gericht davon ausgeht, dass für den Kläger eine interne Schutzmöglichkeit in Kabul besteht und deren Voraussetzungen über diejenigen im Rahmen des Vorliegens einer extremen Notlage nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinausgehen, ist auch ein Anspruch auf ein Abschiebungsverbot nach dieser Vorschrift abzulehnen. Entsprechend obiger Ausführungen liegt bei dem Kläger auch keine schwerwiegende Erkrankung i.S.d. § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG vor.
Schließlich bestehen auch gegen die Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung einschließlich der Zielstaatsbestimmung im Hinblick auf § 34 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG keine Bedenken.
Nach alledem war die Klage mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO ab-zuweisen. Das Verfahren ist gerichtskostenfrei, § 83b AsylG.