Aktenzeichen W 1 K 16.32148
Leitsatz
1 Enthält die Rechtsbehelfsbelehrung, die dem angefochtenen Bescheid beigefügt ist, den Passus, dass “die Klage in deutscher Sprache abgefasst sein muss”, ist diese unrichtig und kann die Klagefrist nicht in Lauf setzen. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
2 Für Familienangehörige von Armeezugehörigen können sich in Einzelfällen eigene Gefährdungen ergeben, etwa aufgrund von Bedrohungen oder Zwangsrekrutierungsversuchen durch die Taliban. Dazu bedarf es aber eines glaubhaften und substantiierten Vortrags. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
3 Der unverfolgt aus der Provinz Nangarhar ausgereiste Kläger kann in der afghanischen Hauptstadt Kabul internen Schutz vor den befürchteten Nachstellungen durch die Taliban erhalten. Zwar unterhalten die Taliban in Kabul ein Netzwerk von Informanten, das sich aber nur gegen hochrangige Angriffsziele und Kollaborateure richtet. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
4 Trotz der schwierigen humanitären und wirtschaftlichen Lebensbedingungen in Kabul kann dem Kläger aufgrund seines Bildungsstandes sowie seiner in Europa erlangten Kenntnisse und Erfahrungen zugemutet werden, sich dort niederzulassen und zumindest durch Gelegenheitsarbeiten ein kleines ausreichendes Einkommen zu sichern. (Rn. 29) (redaktioneller Leitsatz)
5 Der Kläger kann nicht nur auf familiäre Hilfen zurückgreifen, sondern zur Überbrückung der ersten Zeit nach seiner Rückkehr die freiwillig Zurückkehrenden gewährten Reisehilfen und Integrationsleistungen in Anspruch nehmen. (Rn. 30) (redaktioneller Leitsatz)
6 Es kann derzeit nicht davon ausgegangen werden, dass bei Unterstellung eines bewaffneten Konflikts in der Hauptstadt und der Herkunftsregion des Klägers praktisch jede Zivilperson schon aufgrund ihrer Anwesenheit in dem betroffenen Gebiet einer ernsthaften Bedrohung für Leib und Leben infolge militärischer Gewalt ausgesetzt wäre. (Rn. 34) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Gründe
Die Klage, über die in Abwesenheit eines Vertreters der Beklagten verhandelt und entschieden werden konnte (§ 102 Abs. 2 VwGO) ist zulässig, jedoch nicht begründet. Dem Kläger stehen die geltend gemachten Ansprüche nicht zu. Der Bescheid des Bundesamtes vom 7. September 2016 ist einschließlich der darin enthaltenen Abschiebungsandrohung rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1, Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Die Klage ist zulässig, insbesondere nicht verfristet, obwohl dem Kläger der angegriffene Bescheid bereits im Wege der Ersatzzustellung nach § 181 ZPO am 14. September 2016 zugestellt wurde. Denn die dem Bescheid beigefügte Rechtsbehelfsbelehrung:enthielt den Passus, dass „die Klage in deutscher Sprache abgefasst sein müsse“. Aufgrund dessen war die Rechtsbehelfsbelehrung:nicht geeignet, die zweiwöchige Klagefrist nach § 74 Abs. 1 1. Halbsatz AsylG in Lauf zu setzen, da diese mit der zitierten Passage unrichtig erteilt worden ist, § 58 Abs. 2 VwGO. Denn mit dieser Formulierung ist die Rechtsbehelfsbelehrung:geeignet, bei dem Betroffenen den – im Widerspruch zum Gesetz stehenden – Eindruck zu erwecken, dass die Klage gegen den Bundesamtsbescheid bei dem Verwaltungsgericht schriftlich eingereicht werden muss und dass der Betroffene selbst für die Schriftform zu sorgen hat (vgl. VGH Baden-Württemberg, U.v. 18.4.2017 – A 9 S3 133/17 – juris). Der Kläger hat den Bescheid sodann am 11. November 2016 ausgehändigt erhalten und noch am gleichen Tage Klage erhoben, so dass die Klageerhebung rechtzeitig erfolgt ist, § 58 Abs. 2 VwGO.
I.
Die Klage ist jedoch nicht begründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG.
Rechtsgrundlage der begehrten Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ist vorliegend § 3 Abs. 4 und Abs. 1 AsylG. Danach wird einem Ausländer, der Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylG ist, die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, soweit er keinen Ausschlusstatbestand nach § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG erfüllt. Ein Ausländer ist Flüchtling i.S.d. Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (Genfer Konvention – GK), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will. Nach § 77 Abs. 1 AsylG ist vorliegend das Asylgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. September 2008 (BGBl I S. 1798), das zuletzt durch Artikel 2 des Gesetzes vom 20. Juli 2017 (BGBl I S. 2780 ff.) geändert worden ist (AsylG), anzuwenden. Dieses Gesetz setzt in §§ 3 bis 3e AsylG – wie die Vorgängerregelungen in §§ 3 ff. AsylVfG – die Vorschriften der Art. 6 bis 10 der Richtlinie 2011/95/EU vom 28. August 2013 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (Amtsblatt Nr. L 337, S. 9) – Qualifikationsrichtlinie (QRL) im deutschen Recht um. Nach § 3a Abs. 1 AsylG gelten als Verfolgung i.S.d. § 3 Abs. 1 AsylG Handlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Art. 15 Abs. 2 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 – EMRK (BGBl 1952 II, S. 685, 953) keine Abweichung zulässig ist (Nr. 1), oder die in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nr. 1 beschriebenen Weise betroffen ist (Nr. 2). Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 AsylG muss die Verfolgung an eines der flüchtlingsrelevanten Merkmale anknüpfen, die in § 3b Abs. 1 AsylG näher beschrieben sind, wobei es nach § 3b Abs. 2 AsylG ausreicht, wenn der betreffenden Person das jeweilige Merkmal von ihren Verfolgern zugeschrieben wird. Nach § 3c AsylG kann eine solche Verfolgung nicht nur vom Staat, sondern auch von nicht-staatlichen Akteuren ausgehen.
1. Der Kläger hat bereits nicht glaubhaft vorgetragen, dass er in Afghanistan eine Vorverfolgung erlitten hat. Zwar kann dem Kläger abgenommen werden, dass sein Vater und zwei seiner Onkel (aktuell nur noch einer der Onkel) bei der afghanischen Nationalarmee beschäftigt sind. Bezüglich des Vaters ergibt sich dies glaubhaft insbesondere aus einem vorgelegten Mitgliedsausweis, welcher am 23. Juli 2016 ausgestellt wurde, und wonach der Vater den Dienstrang eines Oberleutnants bekleidet. Hieraus kann sich für Familienangehörige des Armeezugehörigen in Afghanistan zwar eine eigene Gefährdung ergeben, jedoch ist dies keineswegs zwangsläufig, sondern nur im Einzelfall der Fall (vgl. etwa UNHCR Richtlinien vom 19.4.2016, S. 47). Ein solcher ist in Bezug auf den Kläger nach Überzeugung des Gerichts jedoch vorliegend nicht gegeben. Dies ergibt sich für das Gericht bereits aus dem außerordentlich knappen und oberflächlichen Vortrag zu seinen Fluchtgründen vor dem Bundesamt sowie auch in der mündlichen Verhandlung. Dieser erschöpft sich darin, dass der Kläger angegeben hat, dass der Vater beim Militär arbeite und ihnen deshalb von den Taliban und dem IS vorgeworfen worden sei, dass sie Spione für die Regierung seien. Erst auf explizite Nachfrage vor dem Bundesamt, ob der Kläger persönlich bedroht worden sei, erklärte er hierzu, dass er des Öfteren direkt angesprochen und als Spion bezeichnet worden sei; er solle damit aufhören und stattdessen mit ihnen kämpfen. Diese knappe Aussage erscheint allein situationsangepasst, um auf die gestellte Nachfrage auch eine direkte Bedrohung der eigenen Person ins Feld führen zu können. Dass es sich hierbei um tatsächliche eigene Erlebnisse gehandelt hat, ist angesichts der fehlenden näheren Beschreibung und Einordnung der Vorfälle nicht ersichtlich. Diese Einschätzung wird sodann auch durch die Aussagen des Klägers zu seinen Fluchtgründen in der mündlichen Verhandlung noch einmal deutlich bestätigt, da er dort nämlich zu einer direkten Ansprache durch Taliban oder IS und diesbezüglichen Drohungen oder Aufforderungen nichts mehr berichtet hat. Ein Zwangsrekrutierungsversuch durch die genannten Organisationen oder eine direkte Bedrohung dem Kläger gegenüber wurde damit nicht glaubhaft gemacht.
Eine andere Einschätzung ergibt sich diesbezüglich auch nicht aus den beiden vorgelegten Drohbriefen. Diese sind an den Kläger und seine Brüder gerichtet und knüpfen inhaltlich an die Tätigkeit des Vaters beim Militär an, welche beendet werden soll. Daneben wird den Brüdern insbesondere im zeitlich späteren Brief vom 26. Oktober 2014 vorgeworfen, ihr Dorf ausspioniert zu haben. Aus diesem Grunde und wegen der Tätigkeit des Vaters wird ihnen der Tod angedroht. Für eine eigene Spionagetätigkeit des Klägers, wie in dem zeitlich späteren Drohbrief erwähnt, finden sich im Übrigen in den Aussagen des Klägers oder anderweitig keinerlei Hinweise. Vielmehr hat er auf eine diesbezügliche Frage in der mündlichen Verhandlung erklärt, dass der Spionagevorwurf wohl auf der Tätigkeit von Vater und Onkel beim Militär basiere, sodass ein eigenes aktives Verhalten des Klägers gegen die Taliban zu keiner Zeit gegeben war. Auffällig ist, dass der Kläger auf Nachfrage des erkennenden Einzelrichters, wann er die Briefe erhalten habe, angegeben hat, dass der Vater die Briefe bekommen habe. Darauf stünden die Daten, er selbst kenne diese nicht. Dies steht im Widerspruch dazu, dass die Drohbriefe sich ihrem Inhalt nach eindeutig an den Kläger und seine Brüder richten, zumal der Kläger sodann auf weitere Frage auch angegeben hat, dass die Briefe nachts in ihr Haus geworfen worden seien und der Vater nach klägerischen Angaben sich ohnehin nur selten zu Hause aufhält. Auch wenn er sodann auf erneute Nachfrage den Zeitraum des Erhalts der Briefe etwa korrekt angeben kann, so wäre doch zu erwarten gewesen, dass er den Zeitpunkt des Erhalts deutlich konkreter benennen kann, zumal diese Briefe der zentrale Auslöser für seine Flucht nach Europa gewesen sind und ihm darin der Tod angedroht wurde. In der Gesamtschau sind die Drohbriefe – auch unter Berücksichtigung der insgesamt sehr vagen Schilderung der Fluchtgründe – nicht geeignet, eine Vorverfolgung des Klägers glaubhaft zu machen. Dies gilt gerade auch vor dem Hintergrund der Ausführungen des Auswärtigen Amtes im Lagebericht vom 19. Oktober 2016 (vgl. dort S. 25), wonach echte Dokumente unwahren Inhalts in Afghanistan in erheblichem Umfang existieren und es daher kaum Bedarf an gefälschten Dokumenten gebe. Schließlich vermag der Vortrag des Klägers zu seiner Vorverfolgung in Form der Drohbriefe auch deshalb nicht zu überzeugen, da es nicht lebensnah nachvollziehbar erscheint, dass der Kläger nach Erhalt des zweiten Drohbriefs, der ausdrücklich als „letzte Warnung“ bezeichnet wird, noch rund sechs Monate an seinem Heimatort verbleibt. Bei einer tatsächlich existierenden Lebensgefahr wäre zu erwarten gewesen, dass der Kläger seinen Heimatort deutlich früher verlassen hätte, nachdem andere Gründe für ein Zuwarten auch nicht ins Feld geführt wurden oder ersichtlich sind. Ebenso wenig nachvollziehbar erscheint es, dass die Taliban bzw. der IS nach einer „letzten Warnung“ sechs Monate lang nicht gegen den Kläger oder seine Brüder vorgehen. Nach alledem hält das Gericht den Vorverfolgungsvortrag für nicht glaubhaft und misst den vorgelegten Drohbriefen keinerlei Beweiskraft bei.
Dem nicht vorverfolgt ausgereisten Kläger droht nach Überzeugung des Gerichts bei einer jetzigen Rückkehr nach Afghanistan auch nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgung nach § 3a AsylG. Hiergegen spricht zentral auch, dass der Kläger von einer Nachsuche durch die Taliban oder den IS nach seiner Ausreise nichts berichtet, was jedoch zwingend anzunehmen wäre, wenn diese seiner weiterhin habhaft werden wollten. Auch leben die Mutter sowie ein 18-jähriger Bruder weiterhin am Herkunftsort und auch der Vater ist zumindest sporadisch kurzzeitig zu Hause. Wenn aber die Taliban und der IS weiterhin ein Verfolgungsinteresse hätten, so wäre davon auszugehen, dass sich der Bruder sowie der Vater (die Brüder und der Vater werden in den Drohbriefen genannt) dort nicht aufhalten könnten.
2. Unabhängig von den vorstehenden Ausführungen bestünde jedoch für den Kläger in Afghanistan die Möglichkeit eines internen Schutzes nach § 3e AsylG in Kabul, wenn man – entgegen obiger Ausführungen – davon ausginge, dass der Kläger vorverfolgt aus seinem Heimatland ausgereist wäre, indem der Kläger von den Taliban Drohbriefe im Hinblick auf die Tätigkeit des Vaters in der Nationalarmee und die diesbezüglich unterstellte Spionage für die Regierung erhalten hat.
Einem Ausländer wird die Flüchtlingseigenschaft nach § 3e AsylG nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zum Schutz vor Verfolgung nach § 3d AsylG hat und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt. Hierbei sind die allgemeinen Gegebenheiten im Herkunftsland und die persönlichen Umstände des Ausländers gemäß Art. 4 der Qualifikationsrichtlinie zu berücksichtigen.
Das Gericht geht – auch unter Berücksichtigung des Art. 4 Abs. 4 der Qualifikationsrichtlinie – davon aus, dass der Kläger in der afghanischen Hauptstadt Kabul internen Schutz erlangen kann und dort keine Verfolgungsgefahr zu befürchten hat. Es sprechen nämlich stichhaltige Gründe dagegen, dass der Kläger erneut von einer Verfolgung bedroht würde, wie er sie in seinem Asylverfahren vorgetragen hat. Dem steht insbesondere auch nicht das Gutachten des Dr. D. an das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht vom 30. April 2013 entgegen. Der Gutachter stellt darin nämlich nicht fest, dass die Taliban über Netzwerke verfügen, die gezielt nach Personen in Kabul suchen, die sich einer Zwangsrekrutierung entzogen haben. Er führt hierzu vielmehr nur aus, dass er davon ausgehen müsse, dass die Taliban mindestens in der Lage seien, viele der Personen, die eine Zwangsrekrutierung abgelehnt hätten, zu finden. Konkret sind dem Gutachter jedoch nur fünf derartige Fälle bekannt geworden. In der Anfragebeantwortung von ACCORD hinsichtlich der „Fähigkeit der Taliban, Personen (insbesondere Dolmetscher, die für die US-Armee gearbeitet haben) in ganz Afghanistan aufzuspüren und zu verfolgen“ vom 15. Februar 2013 wird festgehalten, dass Angriffe auf Kollaborateure sich selbst in Städten, in geringerem Ausmaß auch in Kabul, ereignen würden. Personen, die geflüchtet seien und ihren Arbeitsplatz aufgegeben hätten, schienen jedoch in Städten nicht aktiv angegriffen worden zu sein. Personen, die geflüchtet seien und nicht mehr mit der Regierung zusammenarbeiten würden, würden für die Taliban ein Angriffsziel mit niedriger Priorität darstellen. Diese würden Informationen über Zielpersonen von Angriffen scheinbar nicht systematisch von einem Gebiet in ein anderes übermitteln. Es sei bekannt, dass die Taliban im Stadtzentrum von Kabul ein Netzwerk von Informanten unterhielten, um Botschaften und Regierungsgebäude zu beobachten. Dieses Netzwerk richte sich klar gegen hochrangige Ziele und Kollaborateure. Auch das Profil einer Person entscheide teilweise darüber, ob die Taliban jemanden, der in einen anderen Landesteil geflohen sei, aufspüren würden. Wichtige Personen seien hierbei gefährdeter zum Ziel der Taliban zu wählen. Wenn eine Person innerhalb eines Distrikts oder einer Provinz umsiedle, sei sie exponierter als bei einer Umsiedlung in eine in einem anderen Landesteil gelegene Provinz. In Kabul seien die Taliban schlechter in der Lage, Personen aufzuspüren, da dort Polizei und Sicherheitskräfte scheinbar besser ausgebildet und Personen anonymer seien. Nichtsdestotrotz könnten die Taliban in der Lage sein, jemanden in Kabul aufzuspüren. Die UNAMA schließe die Möglichkeit, dass die Taliban gegen wichtige Personen in Kabul vorgehen würden, nicht aus. Allerdings sei es unwahrscheinlich, dass die Taliban das Aufspüren von Personen von geringerer Bedeutung in Kabul zu einer Priorität machten bzw. dazu die Möglichkeit hätten.
Dies zugrunde gelegt ist das Gericht davon überzeugt, dass die Taliban vorliegend kein Interesse daran haben, den Kläger ausfindig zu machen und gegen diesen vorzugehen. Dies ergibt sich bereits grundlegend daraus, dass – wie bereits ausgeführt – sowohl die Mutter als auch ein 18-jähriger Bruder weiterhin dauerhaft und offensichtlich unbehelligt am Herkunftsort des Klägers leben können. Dies deutet eindeutig darauf hin, dass die Taliban kein Interesse daran haben, aktuell noch Familienangehörige des Vaters wegen seiner Armeezugehörigkeit zu verfolgen. Selbst der Vater kommt nach klägerischen Angaben immer wieder von Zeit zu Zeit (wenn auch heimlich) für einige Tage nach Hause, ohne dass er dort von den Taliban oder dem IS verfolgt worden wäre, was anzunehmen wäre, wenn es sich bei dem Vater in deren Augen um ein hochrangiges Angriffsziel handeln würde. Umso weniger handelt es sich bei dem Kläger um ein hochrangiges Angriffsziel, da dieser sich zu keiner Zeit und in keiner Weise aktiv gegen die Taliban engagiert oder gegen diese gearbeitet hat. Dies wird auch dadurch bestätigt, dass zu einer Nachsuche nach dem Kläger nach seiner Ausreise nichts berichtet wurde. Wenn die Taliban noch ein Interesse an der Verfolgung des Klägers hätten, wäre zwingend zu erwarten gewesen, dass diese bei seiner Familie vorstellig werden, um seinen Aufenthaltsort ausfindig zu machen bzw. sich stellvertretend an Familienmitgliedern zu rächen. Schließlich wechselt der Kläger seinen Wohnsitz nicht nur innerhalb seiner Heimatprovinz, sondern über die Provinzgrenze hinweg in die Millionenstadt Kabul, was seine Sicherheit weiter signifikant erhöht. Nach alledem sprechen stichhaltige Gründe dagegen, dass der Kläger im Falle seiner Rückkehr in sein Heimatland in Kabul erneut von einer Verfolgung der vorgetragenen Art bedroht wäre.
Der Kläger könnte darüber hinaus sicher und legal nach Kabul reisen. Schließlich kann von ihm vernünftigerweise erwartet werden, dass er sich in Kabul niederlässt. Erforderlich ist hierfür, dass am Ort des internen Schutzes die entsprechende Person durch eigene, notfalls auch wenig attraktive und ihrer Vorbildung nicht entsprechende Arbeit, die grundsätzlich zumutbar ist, oder durch Zuwendungen von dritter Seite nach Überwindung von Anfangsschwierigkeiten das zu ihrem angemessenen Lebensunterhalt erforderliche erlangen kann. Zu den danach zumutbaren Arbeiten gehören auch Tätigkeiten, für die es keine Nachfrage auf den allgemeinen Arbeitsmarkt gibt, die nicht überkommenen Berufsbildern entsprechen, etwa weil sie keinerlei besondere Fähigkeiten erfordern, und die nur zweiweise, etwa zur Deckung eines kurzfristigen Bedarfs, beispielsweise in der Landwirtschaft oder im Bausektor ausgeübt werden können. Nicht zumutbar sind hingegen jedenfalls die entgeltliche Erwerbstätigkeit für eine kriminelle Organisation, die in der fortgesetzten Begehung von oder Teilnahme an Verbrechen besteht. Der Zumutbarkeitsmaßstab geht im Rahmen des internen Schutzes über das Fehlen einer im Rahmen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG beachtlichen existenziellen Notlage hinaus (vgl. BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15.12 – juris; OVG Nordrhein-Westfalen, B.v. 6.6.2016 – 13 A 18182/15.A – juris).
Die diesbezügliche aktuelle Lage in Afghanistan und in der Hauptstadt Kabul stellen sich wie folgt dar:
Das Auswärtige Amt führt in seinem Lagebericht vom 19. Oktober 2016 (a.a.O. S. 21 ff.) aus, dass Afghanistan eines der ärmsten Länder der Welt sei und trotz Unterstützung der internationalen Gemeinschaft, erheblicher Anstrengungen der Regierung und kontinuierlicher Fortschritte im Jahr 2015 lediglich Rang 171 von 187 im Human Development Index belegt habe. Die afghanische Wirtschaft ringe in der Übergangsphase nach Beendigung des NATO-Kampfeinsatzes zum Jahresende 2014 nicht nur mit der schwierigen Sicherheitslage, sondern auch mit sinkenden internationalen Investitionen und der stark schrumpfenden Nachfrage durch den Rückgang internationaler Truppen um etwa 90%. So seien ausländische Investitionen in der ersten Jahreshälfte 2015 bereits um 30% zurückgegangen, zumal sich die Rahmenbedingungen für Investoren in den vergangenen Jahren kaum verbessert hätten. Die wirtschaftliche Entwicklung bleibe durch die schwache Investitionstätigkeit geprägt. Ein selbsttragendes Wirtschaftswachstum scheine kurzfristig nicht in Sicht. Rund 36% der Bevölkerung lebe unterhalb der Armutsgrenze. Die Grundversorgung sei für große Teile der Bevölkerung eine tägliche Herausforderung, was für Rückkehrer naturgemäß verstärkt gelte. Dabei bestehe ein eklatantes Gefälle zwischen urbanen Zentren wie z.B. Kabul und ländlichen Gebieten Afghanistans. Das rapide Bevölkerungswachstum stelle eine weitere Herausforderung für die wirtschaftliche und soziale Entwicklung des Landes dar. Zwischen den Jahren 2012 und 2015 werde das Bevölkerungswachstum auf rund 2,4% pro Jahr geschätzt, was in etwa einer Verdoppelung der Bevölkerung innerhalb einer Generation gleichkomme. Die Schaffung von Arbeitsplätzen bleibe eine zentrale Herausforderung. Nach Angaben des afghanischen Statistikamtes sei die Arbeitslosenquote im Oktober 2015 auf 40% gestiegen. Die internationale Gemeinschaft unterstütze die afghanische Regierung maßgeblich in ihren Bemühungen, die Lebensbedingungen der Menschen in Afghanistan zu verbessern. Aufgrund kultureller Bedingungen seien die Aufnahme und die Chancen außerhalb des eigenen Familienbzw. Stammesverbandes vor allem in größeren Städten realistisch.
Aus der Lagebeurteilung des Auswärtigen Amtes für Afghanistan vom 28. Juli 2017 ergibt sich insoweit nichts grundlegend Abweichendes: In fast allen Regionen werde von der Bevölkerung die Arbeitslosigkeit als das größte Problem genannt. Die Zahl der neu hinzugekommenen Binnenvertriebenen sei im ersten Halbjahr 2017 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um fast 25% gesunken. Die afghanische Regierung habe unter Beteiligung der internationalen Geberschaft sowie internationaler Organisationen mit der Schaffung einer Koordinierungseinheit zur Reintegration der Binnenflüchtlinge und Rückkehrer reagiert. Ein Großteil der internationalen Geberschaft habe zudem beschlossen, die Finanzmittel für humanitäre Hilfe im Rahmen eines Hilfsappells des UN-Koordinierungsbüros für humanitäre Angelegenheit OCHA aufzustocken. Trotz internationaler Hilfe übersteige der derzeitige Versorgungsbedarf allerdings das vorhandene Maß an Unterstützungsmaß-nahmen seitens der Regierung.
Die Schweizerische Flüchtlingshilfe (Afghanistan: Update – Die aktuelle Sicherheitslage vom 30. September 2016, Seite 24 ff.) führt aus, Afghanistan bleibe weiterhin eines der ärmsten Länder weltweit. Die bereits sehr hohe Arbeitslosenrate sei seit dem Abzug der internationalen Streitkräfte Ende 2014 wegen des damit zusammenhängenden Nachfrageschwundes rasant angestiegen, das Wirtschaftswachstum betrage nur 1,5%. Die Analphabetenrate sei noch immer hoch und der Pool an Fachkräften bescheiden. Die Landwirtschaft beschäftige bis zu 80% der Bevölkerung, erziele jedoch nur etwa 25% des Bruttoinlandprodukts. Vor allem in Kabul gehöre wegen des dortigen großen Bevölkerungswachstums die Wohnraumknappheit zu den gravierendsten sozialen Problemen. Auch die Beschäftigungsmöglichkeiten hätten sich dort rapide verschlechtert. Nur 46% der afghanischen Bevölkerung verfüge über Zugang zu sauberem Trinkwasser und lediglich 7,5% zu einer adäquaten Abwasserentsorgung. Unter Verweis auf den UNHCR sähen sich Rückkehrende beim Wiederaufbau einer Lebensgrundlage in Afghanistan mit gravierenden Schwierigkeiten konfrontiert. Geschätzte 40% seien verletzlich und verfügten nur über eine unzureichende Existenzgrundlage sowie einen schlechten Zugang zu Lebensmitteln und Unterkunft. Außerdem erschwere die prekäre Sicherheitslage die Rückkehr. Gemäß UNHCR verließen viele Rückkehrende ihre Dörfer innerhalb von zwei Jahren erneut. Sie wichen dann in die Städte aus, insbesondere nach Kabul.
Trotz dieser geschilderten schwierigen Bedingungen ist von dem Kläger vernünftigerweise zu erwarten, dass er sich in Kabul niederlässt. Aufgrund seiner in Europa erworbenen Erfahrungen befindet er sich in einer vergleichsweise guten Position. Mit diesen Erfahrungen und Kenntnissen ist davon auszugehen, dass der Kläger auch ohne nennenswertes Vermögen und ohne familiären Rückhalt im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan in der Lage wäre, zumindest durch Gelegenheitsarbeiten wenigstens ein kleines ausreichendes Einkommen zu erzielen. Das entspricht auch der Auffassung des UNHCR – auf den die Schweizerische Flüchtlingshilfe hinsichtlich der Situation der Rückkehrenden Bezug nimmt –, wonach bei alleinstehenden leistungsfähigen Männern – wie dem 20-jährigen Kläger – eine Ausnahme vom Erfordernis der externen Unterstützung in Betracht kommt (vgl. UNHCR-Richtlinien vom 19.4.2016, S. 9). An dieser Einschätzung des Gerichts ändert sich auch durch die Anmerkungen des UNHCR zur Situation in Afghanistan vom Dezember 2016 nichts. Der UNHCR weist zwar in seiner Stellungnahme darauf hin, dass sich die Sicherheitslage seit April 2016 insgesamt nochmals deutlich verschlechtert habe, was damit einher gehe, dass sich der Konflikt in Afghanistan im Laufe des Jahres 2016 weiter ausgebreitet habe und die Zahl der zivilen Opfer im ersten Halbjahr 2016 gegenüber dem Vorjahreszeitraum um weitere 4% gestiegen sei. Die Zahl der intern Vertriebenen habe im Jahr 2016 auf Rekordniveau gelegen; zudem sei auch aus den Nachbarländern Pakistan und Iran eine große Zahl von Menschen nach Afghanistan zurückgekehrt, was zu einer extremen Belastung der ohnehin bereits überstrapazierten Aufnahmekapazitäten in den wichtigsten Städten der Provinzen und Distrikte in Afghanistan geführt habe. Dies gelte auch für die Stadt Kabul, wo nur begrenzte Möglichkeiten der Existenzsicherung, eine extrem angespannte Wohnraumsituation sowie mangelnder Zugang zu grundlegenden Versorgungsleistungen bestehe, sodass die Verfügbarkeit einer internen Schutzalternative im Umfeld eines dramatisch verschärften Wettbewerbs um den Zugang zu knappen Ressourcen unter Berücksichtigung der besonderen Umstände jedes einzelnen Antragstellers geprüft werden müsse. Abgesehen davon, dass der UNHCR für die beschriebene Einschätzung seine eigenen Maßstäbe zugrunde legt, hält dieser auch gleichzeitig ausdrücklich an seinen Richtlinien von April 2016 fest, wonach bei alleinstehenden leistungsfähigen Männern eine Ausnahme vom Erfordernis der externen Unterstützung in Betracht kommt, wovon das Gericht auch bei dem hiesigen Kläger ausgeht.
Individuell ist bei dem Kläger positiv zu berücksichtigen, dass er in Afghanistan zwölf Jahre lang die Schule besucht hat und damit über einen Bildungsstand verfügt, mit dem er gegenüber der großen Mehrheit der Afghanen klar im Vorteil ist ein wesentlich breiteres Spektrum an beruflichen Tätigkeiten auszuüben imstande ist. Auch aufgrund seiner in Europa erworbenen Kenntnisse und Erfahrungen befindet sich der Kläger in einer vergleichsweise guten Position. In beruflicher Hinsicht hat der Kläger in seinem Heimatland zumindest bereits gewisse Erfahrungen sammeln können, indem er in der Stadt als Händler Geld verdient und auf diesem Wege gezeigt hat, dass er in der Lage ist, Strategien für ein wirtschaftliches Überleben in Afghanistan zu entwickeln und umzusetzen; es ist nichts dafür ersichtlich, dass ihm dies nach einer Rückkehr nach Afghanistan nicht wieder gelingen würde. Insbesondere ist der Kläger nicht arbeitsunfähig; soweit im Schriftsatz des Klägerbevollmächtigten vom 26. September 2017 erstmals auf einen schlechten Gesundheitszustand des Klägers hingewiesen wird, so bestehen hierfür keinerlei weitere Hinweise oder Anhaltspunkte. Der Kläger hat weder vor dem Bundesamt noch in der mündlichen Verhandlung auf gesundheitliche Probleme hingewiesen, geschweige denn ärztliche Unterlagen hierzu vorgelegt. Bis zu seiner Ausreise hat der Kläger zudem mehr als 18 Jahre lang in Afghanistan gelebt und kennt infolgedessen die gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Verhältnisse seines Heimatlandes. Neben seiner eigenen Erwerbsfähigkeit kann der Kläger darüber hinaus nach Überzeugung des Gerichts im Bedarfsfalle auch auf die Unterstützung durch Familienmitglieder, insbesondere seinen Vater, zurückgreifen. Denn klägerischen Angaben zufolge ist dieser auch weiterhin beim Militär tätig und hat den Kläger auch bereits bei der Finanzierung seiner Fluchtkosten unterstützt, indem ein Landstück der Familie hierfür verpachtet worden ist. Darüber hinaus besitzt der Kläger in Afghanistan einen weiteren Onkel, der in der Nationalarmee tätig ist, einen Onkel, der als Landwirt arbeitet, sowie einen Bruder in Kabul. Eine Unterstützung erscheint angesichts der beruflichen Tätigkeiten der genannten Personen auch realistisch. Seinen Bruder in Kabul könnte der Kläger auch als ersten Anlaufpunkt dort nutzen und zumindest vorübergehend bei diesem unterkommen. Zudem könnte dieser ihm bei der Suche nach einem Arbeitsplatz behilflich sein. Denn es ist im Kulturkreis des Klägers absolut üblich, dass in Notsituationen über derartige Kontakte Unterstützung geleistet wird und es ist nichts dafür ersichtlich, dass dies vorliegend nicht geschehen würde. Darüber hinaus kann der Kläger seine finanzielle Situation zusätzlich auch dadurch verbessern, dass er Start- und Reintegrationshilfen in Anspruch nimmt. So können afghanische ausreisewillige Personen seit dem Jahr 2016 Leistungen aus dem REAG-Programm sowie aus dem GARP-Programm erhalten, die Reisebeihilfen im Wert von 200,00 EUR und Starthilfen im Umfang von 500,00 EUR beinhalten. Darüber hinaus besteht seit Juni 2016 das Reintegrationsprogramm ERIN. Die Hilfen aus diesem Programm umfassen z.B. Service bei Ankunft, Beratung und Begleitung zu behördlichen, medizinischen und caritativen Einrichtungen, berufliche Qualifizierungsmaßnahmen, Arbeitsplatzsuche sowie Unterstützung bei einer Geschäftsgründung. Die Unterstützung wird weitgehend als Sachleistung gewährt. Der Leistungsrahmen für rückgeführte Einzelpersonen beträgt dabei ca. 700,00 EUR (vgl. Auskunft des Bundesamts vom 12.8.2016 an das VG Ansbach; VG Augsburg, U.v. 18.10.2016 – AU 3 K 16.30949 – juris). Der Kläger könnte sich auch nicht mit Erfolg da-rauf berufen, dass die genannten Start- und Reintegrationshilfen ganz oder teilweise nur für freiwillige Rückkehrer gewährt werden, also teilweise nicht bei einer zwangsweisen Rückführung. Denn nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts kann ein Asylbewerber, der durch eigenes zumutbares Verhalten – wie insbesondere durch freiwillige Rückkehr – im Zielstaat drohende Gefahren abwenden kann, nicht vom Bundesamt die Feststellung eines Abschiebungsverbots verlangen (vgl. BVerwG, U.v. 15.4.1997 – 9 C 38.96 – juris; VGH BW, U.v. 26.2.2014 – A 11 S 2519/12 – juris). Dementsprechend ist es dem Kläger möglich und zumutbar, gerade zur Überbrückung der ersten Zeit nach einer Rückkehr nach Afghanistan freiwillig Zurückkehrenden gewährte Reisehilfen sowie Reintegrationsleistungen in Anspruch zu nehmen. Ebenfalls nicht entgegenstehend für die Annahme internen Schutzes ist der Umstand, dass der Kläger längere Zeit in Europa verbracht hat. Vielmehr wirkt sich dies eher begünstigend auf seine Erwerbsperspektive in Afghanistan aus (vgl. auch OVG NRW, B.v. 20.7.2015 – 13 A 1531/15 A – juris). Eine Rückkehr nach Afghanistan scheitert nach der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (vgl. etwa BayVGH, B.v. 4.1.2017 – 13a ZB 16.30600 – juris), der sich das Gericht anschließt, grundsätzlich auch nicht an einem langjährigen Aufenthalt in Europa oder Drittländern. Maßgeblich ist vielmehr, dass der Betroffene den größten Teil seines Lebens in einer islamisch geprägten Umgebung verbracht hat und eine der beiden Landessprachen spricht, was vorliegend der Fall ist. Vor diesem Hintergrund folgt das Gericht auch nicht der Einschätzung von Frau Friederike Stahlmann, wonach die Annahme, dass alleinstehende junge gesunde Männer und kinderlose Paare ihr Überleben aus eigener Kraft sichern könnten, durch die derzeitige humanitäre Lage inzwischen grundlegend infrage gestellt sei (vgl. Friederike Stahlmann, Überleben in Afghanistan, Asylmagazin 3/2017, S. 73 ff. (77 f.). Denn nach Überzeugung des Gerichts bieten die geschilderten persönlichen Verhältnisse und Ressourcen des Klägers ausreichende und realistische Möglichkeiten dafür, zumindest für den hiesigen Kläger ein Leben in Kabul zumutbar erscheinen zu lassen.
Nach alledem kann der Kläger internen Schutz in der Hauptstadt Kabul in Anspruch nehmen, so dass auch aus diesem Grunde ein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ausscheidet.
II.
Der Kläger hat weiterhin auch keinen Anspruch auf Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus gemäß § 4 Abs. 1 AsylG.
1. Dem Kläger droht nach Überzeugung des Gerichts weder die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AsylG noch droht ihm ein ernsthafter Schaden durch unmenschliche oder erniedrigende Behandlung i.S. von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG. Es fehlt insoweit bereits an einem glaubhaften Vortrag, zumindest aber besteht für den Kläger die Möglichkeit internen Schutzes in Kabul nach § 4 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 3e AsylG. Auf die diesbezüglichen Ausführungen zu § 3 AsylG wird vollumfänglich verwiesen.
2. Dem Kläger droht auch keine individuelle und konkrete Gefahr eines ernst-haften Schadens i.S. des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG aufgrund der Sicherheitslage in seiner Herkunftsregion, der Provinz Nangarhar. Dasselbe gilt für die Hauptstadt Kabul als inländischer Fluchtalternative entsprechend obiger Ausführungen. In der Ostregion, zu der die Provinz Nangarhar gehört, wurden im Jahre 2016 1.595 Zivilpersonen getötet oder verletzt und in der Zentralregion, zu der die Provinz Kabul zählt, 2.348 Zivilpersonen (vgl. UNAMA, Annual Report 2016 Afghanistan, Februar 2017, S. 11 f.). Die Anschlagswahrscheinlichkeit sowohl für die Ostregion als auch für die Zentralregion lag damit im Jahr 2016 bei deutlich unter 1:800 und damit nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts weit von der Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit, in dem betreffenden Gebiet verletzt oder getötet zu werden, entfernt (vgl. BVerwG, U.v. 17.11.2011 – 10 C 13/13 – juris). Im Jahr 2017 hat sich diese Zahl (unter Verdoppelung der Halbjahreszahlen) bis zur Jahresmitte in der Ostregion leicht verringert, während sie sich in der Zentralregion leicht erhöht hat. In der Ostregion wurden im ersten Halbjahr 2017 bisher 702 Zivilpersonen getötet oder verletzt, während dies in der Zentralregion bei 1.254 Zivilpersonen der Fall war (vgl. UNAMA, Midyear Report 2017, Juli 2017, S. 10). Damit ist derzeit nicht davon auszugehen, dass bei Unterstellung eines bewaffneten Konflikts praktisch jede Zivilperson schon allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dem betreffenden Gebiet einer ernsthaften Bedrohung für Leib und Leben infolge militärischer Gewalt ausgesetzt wäre. Individuelle gefahrerhöhende Umstände in der Person des Klägers sind darüber hinaus nicht erkennbar.
III.
Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG.
1. Ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG kommt nicht in Betracht, da dem Kläger keine gegen Art. 3 EMRK oder ein anderes Grundrecht nach der EMRK verstoßende Behandlung droht. Auch in diesem Zusammenhang wird auf die obigen Ausführungen zu den §§ 3, 4 AsylG vollinhaltlich verwiesen. Die allgemeine Versorgungslage in Afghanistan stellt darüber hinaus ebenfalls keine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung i.S.d. Art. 3 EMRK dar. Zwar können schlechte humanitäre Bedingungen im Abschiebezielstaat in besonderen Ausnahmefällen in Bezug auf Art. 3 EMRK ein Abschiebungsverbot begründen. In Afghanistan ist die Lage für alleinstehende männliche arbeitsfähige afghanische Staatsangehörige jedoch nicht so ernst, dass eine Abschiebung ohne weiteres eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellen würde (BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15.12 – NVwZ 2013, 1167; BayVGH, U.v. 12.2.2015 – 13a B 14.30309 – juris). Es ist hierbei in Bezug auf den Gefährdungsgrad das Vorliegen eines sehr hohen Niveaus erforderlich, denn nur dann liegt ein außergewöhnlicher Fall vor, in dem die humanitären Gründe gegen eine Ausweisung „zwingend“ sind. Wenn das Bundesverwaltungsgericht (a.a.O.) die allgemeine Lage in Afghanistan nicht als so ernsthaft einstuft, dass ohne weiteres eine Verletzung des Art. 3 EMRK angenommen werden kann, weist dies ebenfalls auf die Notwendigkeit einer besonderen Ausnahmesituation hin (vgl. BayVGH, U.v. 21.11.2014 – 13a B 14.30285 – juris). Eine solche ist bei dem Kläger vorliegend nicht gegeben; besondere Umstände, die vorliegend eine andere Beurteilung gebieten würden, sind nicht ersichtlich.
2. Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG liegt ebenfalls nicht vor. Nach dieser Vorschrift soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Gemäß § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG sind die Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen. Nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG kann die oberste Landesbehörde anordnen, dass die Abschiebung für längstens sechs Monate ausgesetzt wird. Eine Abschiebestopp-Anordnung besteht jedoch für die Personengruppe, der der Kläger angehört, nicht.
Dem Kläger droht auch aufgrund der unzureichenden Versorgungslage in Afghanistan keine extreme Gefahr infolge einer Verdichtung der allgemeinen Gefahrenlage, die zu einem Abschiebungsverbot im Sinne der verfassungskonformen Auslegung des § 60 Abs. 7 AufenthG führen könnte. Wann allgemeine Gefahren von Verfassungswegen zu einem Abschiebungsverbot führen, hängt wesentlich von den Umständen des Einzelfalles ab und entzieht sich einer rein quantitativen oder statistischen Betrachtung. Die drohenden Gefahren müssen jedoch nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sein, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den betroffenen Ausländer die begründete Furcht ableiten lässt, selbst in erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden. Bezüglich der Wahrscheinlichkeit des Eintritts der drohenden Gefahren ist von einem im Vergleich zum Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit erhöhten Maßstab auszugehen. Die Gefahren müssen dem Ausländer daher mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen. Dieser Wahrscheinlichkeitsgrad markiert die Grenze, ab der seine Abschiebung in den Heimatstaat verfassungsrechtlich unzumutbar erscheint. Das Erfordernis des unmittelbaren – zeitlichen – Zusammenhangs zwischen Abschiebung und drohender Rechtsgutverletzung setzt zudem für die Annahme einer extremen Gefahrensituation wegen der allgemeinen Versorgungslage voraus, dass der Ausländer mit hoher Wahrscheinlichkeit alsbald nach seiner Rückkehr in sein Heimatland in eine lebensgefährliche Situation gerät, aus der er sich weder allein noch mit erreichbarer Hilfe anderer befreien kann (BayVGH, U.v. 12.2.2015 – 13a B 14.30309 – juris Rn. 16; Bergmann in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 11. A. 2016, § 60 AufenthG Rn. 54). Das bedeutet nicht, dass im Falle der Abschiebung der Tod oder schwerste Verletzungen sofort, gewissermaßen noch am Tag der Abschiebung, eintreten müssten. Vielmehr besteht eine extreme Gefahrenlage auch dann, wenn der Ausländer mangels jeglicher Lebensgrundlage dem baldigen sicheren Hungertod ausgeliefert würde (vgl. BVerwG, U.v. 29.6.2010 – 10 C 10.09 – BVerwGE 137, 226).
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs sowie weiterer Oberverwaltungsgerichte, der sich das erkennende Gericht anschließt, ergibt sich aus den Erkenntnismitteln zu Afghanistan derzeit nicht, dass ein alleinstehender arbeitsfähiger männlicher Rückkehrer mit hoher Wahrscheinlichkeit alsbald nach einer Rückkehr in eine derartige extreme Gefahrenlage geraten würde, die eine Abschiebung in den Heimatstaat verfassungsrechtlich als unzumutbar erscheinen ließe. Zwar ist die Versorgungslage in Afghanistan schlecht, jedoch ist im Wege einer Gesamtgefahrenschau nicht anzunehmen, dass bei einer Rückführung nach Afghanistan alsbald der sichere Tod drohen würde oder alsbald schwere Gesundheitsbeeinträchtigungen zu erwarten wären. Der Betroffene wäre selbst ohne nennenswertes Vermögen und ohne familiären Rückhalt in der Lage, durch Gelegenheitsarbeiten wenigstens ein kleines Einkommen zu erzielen und sich damit zumindest ein Leben am Rand des Existenzminimums zu finanzieren (st. Rspr., z.B. BayVGH, B.v. 21.8.17 – 13a ZB 17.30529 – juris; B.v. 4.8.2017 – 13a ZB 17.30791 – juris; B.v. 19.6.2017 – 13a ZB 17.30400 – juris; B.v. 6.4.2017 – 13a ZB 17.30254 – juris; BayVGH, B.v. 23.1.2017 – 13a ZB 17.30044 – juris; B.v. 27.7.2016 – 13a ZB 16.30051 – juris; B.v. 15.6.2016 – 13a ZB 16.30083 – juris; U.v. 12.2.2015 – 13a B 14.30309 – juris Rn. 17 m.w.N..; B.v. 30.9.2015 – 13a ZB 15.30063 – juris; OVG NW, U.v. 3.3.2016 – 13 A 1828/09.A – juris Rn. 73 m.w.N.; SächsOVG, B.v. 21.10.2015 – 1 A 144/15.A – juris; NdsOVG, U.v. 20.7.2015 – 9 LB 320/14 – juris).
Auch aus den aktuellsten Erkenntnismitteln ergibt sich nichts anderes. Insoweit kann auf die Ausführungen unter I. 2. verwiesen werden. Nachdem das Gericht davon ausgeht, dass für den Kläger eine interne Schutzmöglichkeit in Kabul besteht und deren Voraussetzungen über diejenigen im Rahmen des Vorliegens einer extremen Notlage nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinausgehen, ist auch ein Anspruch auf ein Abschiebungsverbot nach dieser Vorschrift abzulehnen.
Für das Vorliegen eines Abschiebungsverbotes aus gesundheitlichen Gründen sind – wie bereits oben erwähnt – keinerlei Anhaltspunkte vorhanden. Für eine schwerwiegende oder gar lebensbedrohliche Erkrankung des Klägers und deren wesentlicher Verschlechterung im Falle der Abschiebung ist vorliegend nichts ersichtlich, so dass dem pauschalen Hinweis auf einen schlechten Gesundheitszustand von Seiten des Gerichts nicht nachzugehen war.
Schließlich bestehen auch gegen die Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung einschließlich der Zielstaatsbestimmung im Hinblick auf § 34 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG keine Bedenken.