Aktenzeichen M 10 E 16.5423
Leitsatz
Der erfolgreiche Abschluss einer Drogentherapie widerlegt eine konkrete Wiederholungsgefahr nur, wenn darüber hinaus die damit verbundene Erwartung künftigen drogen- und straffreien Verhaltens auch nach dem Therapieende glaubhaft gemacht wurde (BayVGH BeckRS 2014, 51263). (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert beträgt 2.500 EUR.
Gründe
I.
Der Antragsteller begehrt die Untersagung aufenthaltsbeendender Maßnahmen.
Der Antragsteller wurde am … April 1984 in Tunesien geboren und ist tunesischer Staatsangehöriger. Am 5. August 1984 ist er im Rahmen des Familiennachzugs nach Deutschland eingereist und hält sich dort seitdem ununterbrochen auf. Am 17. Mai 2005 hat der Antragsteller die Mutter seines am 2. Februar 2004 geborenen Sohnes geheiratet. Seit Sommer 2010 leben die Ehegatten getrennt, die Ehe ist seit 10. November 2011 geschieden, das Sorgerecht für den Sohn liegt bei der Mutter.
Am 28. März 2007 verurteilte das Amtsgericht Ingolstadt den Antragsteller wegen gemeinschaftlicher gefährlicher Körperverletzung und vorsätzlichen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln (Heroin) zu einer Haftstrafe von 2 Jahren und 9 Monaten. Zuvor war der Antragsteller bereits vielfach strafrechtlich in Erscheinung getreten, u.a. wegen unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln (Amtsgericht Ingolstadt, 2001), vorsätzlicher Körperverletzung (Amtsgericht Ingolstadt, 2002), vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis tateinheitlich mit fahrlässiger Straßenverkehrsgefährdung (Amtsgericht Ingolstadt, 2002) sowie wegen Diebstahls in fünf Fällen in Tatmehrheit zu unerlaubtem Erwerb von Betäubungsmitteln (Amtsgericht Ingolstadt, 2006). Der Antragsteller stand zum Zeitpunkt der Verurteilung vom 28. März 2007 unter Bewährung, das Amtsgericht Ingolstadt betonte die „kurze Rückfallgeschwindigkeit“ und bewertete das Tatgeschehen als „besonders verwerfliche Lynchjustiz“.
Der Antragsteller konsumierte in der Vergangenheit Betäubungsmittel, u.a. zeitweilig Heroin, zudem Marihuana und Amphetamine; er hat am 18. November 2016 eine halbjährige stationäre Drogentherapie abgeschlossen.
Mit Bescheid vom 25. Juni 2008 wurde der Antragsteller von der Antragsgegnerin ausgewiesen und sein Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis abgelehnt. Zudem legte der Bescheid fest, die Antragsgegnerin werde dem Antragsteller nach Haftentlassung eine Duldung für ein Jahr erteilen, welche bis zu einer Gesamtdauer von 3 Jahren um jeweils ein weiteres Jahr verlängert werde. Nach Ablauf des Duldungszeitraums werde dem Antragsteller nur unter den folgenden Voraussetzungen eine Aufenthaltserlaubnis erteilt: das Fortbestehen der ehelichen Lebensgemeinschaft des Antragstellers, wirtschaftliche und soziale Integration, Nachweis der Drogenfreiheit durch Drogenscreenings und Erfüllen der Unterhaltspflicht. Andernfalls müsse der Antragsteller bis vier Wochen nach Ablauf der Duldung ausreisen. Die Duldung werde während des Duldungszeitraums widerrufen, wenn der Antragsteller wegen einer Straftat verurteilt werde. In diesem Fall sei der Antragsteller ausreisepflichtig innerhalb von vier Wochen nach dem Widerruf. Für beide Fälle der Ausreisepflicht wurde dem Antragsteller die Abschiebung angedroht. Der Bescheid ist mittlerweile bestandskräftig. Der Antragsteller hatte sich über seinen damaligen Bevollmächtigten mit den Bedingungen einverstanden erklärt.
Am 9. März 2009 wurde der Antragsteller aus der Haft entlassen. Seit der Haftentlassung wurde der Antragsteller rechtskräftig verurteilt wegen Beleidigung (Amtsgericht Ingolstadt, 2012), Beihilfe zur unerlaubten Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringen Mengen (2013, Amtsgericht Krefeld) und Unterschlagung (Amtsgericht Köln, 2013). Weitere Strafverfahren wurden eingestellt.
Die letzte Duldung des Antragstellers endete am 15. September 2012.
Am 24. Januar 2013 beantragte der Antragsteller bei der Antragsgegnerin einen Aufenthaltstitel, welcher ihm mit Verweis darauf versagt wurde, dass er die im Bescheid vom 25. Juni 2008 festgelegten Voraussetzungen nicht erfülle. Unter anderem verwies die Antragsgegnerin auf die erneute Straffälligkeit des Antragstellers.
Am 1. Februar 2014 wurde der Antragsteller erneut in Haft genommen und wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Haftstrafe von 2 Jahren und 10 Monaten verurteilt (rechtskräftig nach Berufung zum Landgericht Ingolstadt am 12. März 2015).
Das Verhältnis des Antragstellers zu seinem Sohn beschreiben die Beteiligten unterschiedlich intensiv: Nach eigenen Angaben besuchte der Antragsteller seinen Sohn vor seiner erneuten Inhaftierung mehrfach wöchentlich und beschenkte ihn. Die Antragsgegnerin verweist dagegen auf Aussagen der Kindsmutter, wonach der Antragsteller sich an gerichtliche Besuchszeiten nicht gehalten habe und seine Besuche beim Sohn insgesamt unregelmäßig erfolgten, so dass Mutter und Sohn davon ausgehen würden, der Antragsteller habe kein Besuchsrecht mehr. Der Antragsteller hat im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof Chatnachrichten und Briefe zwischen ihm und seinem Sohn wohl aus dem Sommer und Herbst 2016 vorgelegt.
Mit Beschluss vom 19. September 2016 hat das Verwaltungsgericht München den Antrag des Antragstellers, der Antragsgegnerin aufenthaltsbeendende Maßnahmen zu untersagen, abgelehnt (M 10 E 16.1851). Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat die Beschwerde hiergegen mit Beschluss vom 21. November 2016 (10 CE 16.2047) zurückgewiesen.
Am 2. Dezember 2016 hat der Bevollmächtigte des Antragstellers die einstweilige Verfügung beantragt,
der Antragstellerin zu untersagen, aufenthaltsbeendende Maßnahmen gegen den Antragsteller vorläufig bis zur Entscheidung über die Gewährung einer Aufenthaltserlaubnis durchzuführen.
Zur Begründung wird ausgeführt: Der Antragsteller habe mittlerweile erfolgreich eine Drogentherapie abgeschlossen. Die enge Bindung des Antragstellers an seinen Sohn sei ausreichend glaubhaft gemacht; an Aussagen eines Kindes dürften nicht zu hohe Anforderungen gestellt werden.
Die Antragsgegnerin hat am 19. Dezember 2016 beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Zur Begründung wird ausgeführt: Dem Antragsteller habe das Landgericht Traunstein mit Beschluss vom 7. April 2016 auferlegt, Wohnung unter der Anschrift …str. 87, … … zu nehmen. Dass der Antragsteller sich beim Einwohnermeldeamt der Stadt … bis zum 12. Dezember 2016 nicht angemeldet habe, stelle einen Verstoß gegen die Auflagen des Haftentlassungsbeschlusses dar und zeige mangelndes Bemühen des Antragstellers, seinen Verpflichtungen nachzukommen. Der Aufenthalt des Antragstellers sei unbekannt, es werde aber vorausgesetzt, dass die Antragsgegnerin weiter zuständig sei. Der Antrag des Antragstellers auf eine Aufenthaltserlaubnis löse keine Fiktionswirkung aus. Der Antragsteller sei daher auf Grund des bestandskräftigen Ausweisungsbescheids von 2008 ausreisepflichtig. Der Antragsteller habe das Angebot einer Verlängerung seiner Grenzübertrittsbescheinigung abgelehnt und halte sich daher illegal in Deutschland auf. Auch bei der Passbeschaffung sei der Antragsteller trotz mehrfacher Aufforderung nicht bereit zu kooperieren. Der Antragsteller habe keine neuen Gründe vorgebracht, welche eine wesentliche Änderung des Sachverhalts der abgeschlossenen Gerichtsverfahren darstellen könnten. Die Beendigung der gerichtlich angeordneten Therapie widerlege nicht die Wiederholungsgefahr, die angesichts der bisherigen vertanen Chancen des Antragstellers und seines bisherigen Lebenswandels als hoch einzustufen seien. Nach Auskunft der Bewährungshilfe bestehe dort nur gelegentlicher telefonischer Kontakt zum Antragsteller und dessen Aufenthaltsort sei dort ebenfalls unbekannt.
Wegen des weiteren Vorbringens wird auf die Gerichts- und die Behördenakten verwiesen.
II.
Der Antrag hat keinen Erfolg. Es bestehen bereits Zweifel an der Zulässigkeit, jedenfalls aber ist er unbegründet. Ein Anordnungsanspruch, der durch den Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 VwGO gesichert werden könnte, ist nicht glaubhaft gemacht (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO).
Nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (sog. Sicherungsanordnung) oder auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes, wenn dies nötig erscheint, um wesentliche Nachteile für den Antragsteller abzuwenden (sog. Regelungsanordnung). Wesentliche Nachteile sind u.a. wesentliche rechtliche, wirtschaftliche oder ideelle Nachteile, die der Antragsteller in Kauf nehmen müsste, wenn er das Recht im langwierigen Hauptsacheprozess erstreiten müsste (vgl. Eyermann, VwGO, 14. Auflage 2014, § 123, Rn. 23). Nach § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2, § 294 Abs. 1 ZPO sind sowohl ein Anordnungsanspruch, d.h. der materielle Grund, für den der Antragsteller vorläufig Rechtsschutz sucht, als auch ein Anordnungsgrund, der insbesondere durch die Eilbedürftigkeit der Regelung begründet wird, glaubhaft zu machen. Maßgeblich sind die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung.
Eine einstweilige Anordnung ist nicht nur zu erlassen, wenn mit zweifelsfreier Sicherheit feststeht, dass das materielle Recht besteht, dessen Sicherung der Antragsteller im Fall des § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO erstrebt oder dessen Regelung er im Sinn von § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO erreichen will. Es genügt vielmehr, dass das Bestehen dieses Rechts überwiegend wahrscheinlich ist, so dass der Rechtsschutzsuchende in der Hauptsache voraussichtlich obsiegen würde (vgl. BayVGH, B.v. 16.8.2010 – 11 CE 10.262 – juris Rn. 20 m.w.N.). Grundsätzlich darf das Eilverfahren die Hauptsache nicht vorwegnehmen.
1. Es bestehen bereits Zweifel an der Zulässigkeit des Antrags wegen entgegenstehender Rechtskraft. Das Gericht hat bereits mit Beschluss vom 19. September 2016 (M 10 E 16.1851) festgestellt, dass der vom Antragsteller geltend gemachte Anspruch nicht besteht. Mit Beschluss vom 21. November 2016 (10 CE 16.2047) hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof diesen Beschluss bestätigt. Der Beschluss des Gerichts vom 19. September 2016 ist somit in Rechtskraft erwachsen, so dass es unzulässig ist, denselben Streitgegenstand vor Gericht erneut anhängig zu machen (vgl. Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 121 Rn. 9 m.w.N.). Ob die vom Antragsteller nunmehr vorgetragene Tatsache, er habe seine Therapie erfolgreich abgeschlossen, den Streitgegenstand ändert, kann dahinstehen. Daran bestehen erhebliche Zweifel, angesichts der Tatsache, dass sein Antrag sich allein auf die rechtliche Unmöglichkeit im Sinne von § 60a Abs. 2 AufenthG stützen kann, soweit Art. 6 GG einer Abschiebung im Wege steht. Eine etwaige Drogenfreiheit ist hierfür nur zweifach mittelbar relevant, soweit sie wiederum die Strafbarkeit des Antragstellers als gegenläufigen Belang von geringerem Gewicht darstellen kann. Zudem hatte der Antragsteller zum Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs am 21. November 2016 die Therapie bereits erfolgreich abgeschlossen. Eine Entscheidung kann aber nicht mehr unter Berufung auf Tatsachen in Zweifel gezogen werden, die bereits vorlagen, selbst wenn das Gericht diese nicht kannte (vgl. Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 121 Rn. 14 m.w.N.)
2. Unabhängig davon hat der Antrag jedoch in der Sache keinen Erfolg. Denn der Antragsteller hat keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Es wird zunächst verwiesen auf die Ausführungen in den Gründen des Beschlusses des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 19. September 2016 sowie des Beschlusses des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 21. November 2016. Der Antragsteller hat zu seiner familiären Situation seit dem Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof nichts Neues vorgetragen. Auch der erfolgreiche Abschluss einer Drogentherapie ändert nichts an der rechtlichen Bewertung. Denn nach ständiger Rechtsprechung zur vergleichbaren Problematik bei Ausweisungen widerlegt der erfolgreiche Abschluss einer Drogentherapie eine konkrete Wiederholungsgefahr nur, wenn darüber hinaus die damit verbundene Erwartung künftigen drogen- und straffreien Verhaltens auch nach dem Therapieende glaubhaft gemacht wurde (vgl. BayVGH, B.v. 10.4.2014 – 10 ZB 13.71 – juris Rn. 6 m.w.N.). Allein der Abschluss der Therapie ist damit nicht ausreichend, der Antragsteller muss sich auch in einem längeren Zeitraum danach drogenfrei halten.
3. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 1 GKG i.V.m. dem Streitwertkatalog.