Verwaltungsrecht

Erfolgoser Folgeantrag eines afghanischen Asylbewerbers mangels relevanter Änderung der Sachlage

Aktenzeichen  M 17 S 17.43032

Datum:
22.6.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO VwGO § 80 Abs. 5
AsylG AsylG § 3, § 4 Abs. 1 Nr. 3, § 71
VwVfG VwVfG § 51

 

Leitsatz

1 Eine neue Sachlage iSv § 51 Abs. 1 VwVfG liegt dann nicht vor, wenn der Umstand, dass die Heimatregion eines Asylbewerbers unter Kontrolle der Taliban stehe, bereits in der mündlichen Verhandlung im Erstverfahren hätte vorgetragen werden können. (Rn. 14) (red. LS Clemens Kurzidem)
2 Liegt der Grund für eine mögliche Verfolgung eines afghanischen Asylbewerbers – hier die Tötung eines Cousins durch die Taliban – mehr als fünf Jahre zurück, ist seine aktuelle Gefährdung nicht mehr wahrscheinlich (vgl. BayVGH BeckRS 2013, 52801).  (Rn. 15) (red. LS Clemens Kurzidem)
3 Eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der körperlichen Unversehrtheit eines afghanischen Asylbewerbers iSv § 4 Abs. 1 Nr. 3 AsylG infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines bewaffneten Konflikts kann insbesondere in Kabul als inländischer Fluchtalternative nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit angenommen werden (vgl. BayVGH BeckRS 2017, 107849). (Rn. 21 – 26) (red. LS Clemens Kurzidem)
4 Der Umstand, dass einige Bundesländer einen Abschiebestopp hinsichtlich Afghanistan beschlossen haben und auch die Bundesregierung – mit Ausnahmen – Abschiebungen einstweilen ausgesetzt hat, führt nicht zur Zuerkennung subsidiären Schutzes, da diese Entscheidungen primär auf politischen Erwägungen beruhen (vgl. BayVGH BeckRS 2017, 107851). (Rn. 27) (red. LS Clemens Kurzidem)
5 Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass hinsichtlich der Gefahr einer Zwangsrekrutierung durch die Taliban eine derartige Verfolgungsdichte für junge männliche afghanische Staatsangehörige besteht, dass insoweit von einer “bestimmten sozialen Gruppe” iSv § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG gesprochen werden könnte (wie VG Lüneburg BeckRS 2017, 102918). Insbesondere in Großstädten, die nicht von den Taliban beherrscht werden, sind Zwangsrekrutierungen auch nicht beachtlich wahrscheinlich. (Rn. 28) (red. LS Clemens Kurzidem)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gründe

I.
Der Antragsteller ist Staatsangehöriger Afghanistans und Zugehöriger der Volksgruppe der Paschtunen. Sein Asylantrag wurde mit Bescheid vom 22. April 2015 abgelehnt. Die hiergegen erhobene Klage wurde mit Urteil vom 1. Dezember 2016 abgewiesen (M 25 K 15.31036).
Am 19. April 2017 beantragte der Antragsteller die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens (Folgeantrag). Zur Begründung führte seine Bevollmächtigte im Wesentlichen aus, dass dem Antragsteller in Afghanistan eine erhebliche individuelle und konkrete Gefahr für Leib und Leben drohe. Er stamme aus dem Distrikt … …, der seit August 2016 unter der Kontrolle der Taliban stehe. Die Familie des Antragstellers werde mit dem Widerstand gegen die Taliban in Verbindung gebracht. Die Angaben, dass der Cousin des Antragstellers Kommandant der Antiterrorverteidigung des Dorfes gewesen sei, durch die Aufständischen getötet und das Dorf mittlerweile von den Aufständischen kontrolliert werde, könne der Antragsteller jetzt durch eine entsprechende Bestätigung der Leitstelle für Terrorbekämpfung und den Provinzrat von … belegen. Es handele sich somit um neue Beweismittel. Der Antragsteller sei als Pfleger für seinen noch minderjährigen Bruder bestellt und leide an einer neurologischen Störung der Nervenbahnen des linken Armes, deren Ursache noch nicht abgeklärt sei, einer Angststörung und eine protrahierten PTBS. Eine Behandlung psychischer Erkrankungen sei in Afghanistan nicht möglich. Der Antragsteller habe weder gewusst, dass die Stellung eines Asylfolgeantrags bzw. Wiederaufgreifensantrags möglich sei noch, dass hierfür Fristen einzuhalten seien. Die Sicherheitslage in Afghanistan verschlechtere sich weiter und die Versorgungslage sei kritisch. Dabei wirke sich besonders der Rückkehrdruck auf afghanische Flüchtlinge in Pakistan und Iran aus. Der Antragsteller sei als Rückkehrer auch akut bedroht, Opfer von Erpressung und Entführung durch kriminelle Banden zu werden, die ebenfalls mit wechselnden Allianzen an dem Konflikt beteiligt seien. Rückkehrer aus dem westlichen Ausland stellten eine besondere soziale Gruppe dar. Bei ihnen werde vermutet, dass sie einerseits über finanzielle Ressourcen, andererseits jedoch über keine Protektion verfügten. Es sei auch insoweit von einer veränderten Sachlage zugunsten des Antragstellers auszugehen und ein weiteres Verfahren durchzuführen. Die massive Verschlechterung der Lage habe UNHCR veranlasst, darauf hinzuweisen, dass eine Einzelfallüberprüfung zwingend erforderlich sei und dass es keine sichere inländische Schutzalternative gebe. Es könne sich niemand in Afghanistan irgendwo ansiedeln, ohne dass seine Herkunft minutiös überprüft werde. Mehrere Länder hätten einen Abschiebestopp für Afghanen verfügt. Der Antragsteller sei als junger Mann im wehrfähigen Alter aufgrund Zwangsrekrutierung bedroht. Da er längere Zeit im westlichen Ausland gelebt habe, bestehe ein großes Interesse der Taliban daran, ihn schon aufgrund seiner Sprachkenntnisse zu einer Zusammenarbeit zu motivieren, was nur durch Zwang und Ausübung oder Androhung von Gewalt möglich wäre.
Auf verschiedene Berichte, insbesondere von UNHCR, EASO, Amnesty International, der Welthungerhilfe und der Presse, wurde Bezug genommen. Zudem wurden ärztliche Atteste von Dr. med. …, Ärztin für Neurologie, Schlafmedizin, psychosomatische Grundversorgung, vom … 2016 und … 2017, in denen zuletzt der Verdacht auf posttraumatische Belastungsstörung, mittelgradige depressive Episode und unklare Beschwerden des linken Arm diagnostiziert werden, vorgelegt.
Mit Bescheid vom 29. Mai 2017, per Einschreiben am 30. Mai 2017 zur Post gegeben, lehnte das Bundesamt den Antrag als unzulässig ab (Nr. 1) und lehnte den Antrag auf Abänderung des Bescheides vom 22. April 2015 bezüglich der Feststellung zu § 60 Abs. 5 und 7 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) ebenfalls ab (Nr. 2). Der Antragsteller wurde aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe dieser Entscheidung zu verlassen andernfalls wurde ihm die Abschiebung nach Afghanistan oder in einen anderen Staat, in den er einreisen darf oder der zu seiner Rückübernahme verpflichtet ist, angedroht (Nr. 3)
Zur Begründung führte das Bundesamt insbesondere aus, dass der Antrag unzulässig sei, da die Voraussetzungen für die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens nicht vorlägen. Bezüglich der Annahme, dass aufgrund der veränderten Sicherheitslage in Afghanistan die Sach- und Rechtslage neu bewertet werden solle, müsse darauf verwiesen werden, dass bezüglich des in Afghanistan vorliegenden bewaffneten innerstaatlichen Konflikts keine Sachlagenänderung seit Abschluss des Erstverfahrens, in dem der vorhandene Konflikt bereits berücksichtigt worden sei, ersichtlich sei. Der innerstaatliche Konflikt im gesamten Stadtgebiet sei keine Neuentwicklung, sondern bestehe bereits ohne längere Unterbrechungen in wechselnden Intensitätsgraden seit den frühen 2000er Jahren. Eine Sachlagenänderung ergebe sich auch nicht aus der Stellungnahme des UNHCR vom Dezember 2016. Die Bundesregierung habe in den vergangenen Jahren stets die Auffassung vertreten, dass Rückführungen zumindest in bestimmte Regionen möglich und zu verantworten seien. Bei Zugrundelegung der (unveränderten) obergerichtlichen Maßstäbe zum geforderten Grad willkürlicher Gewalt könne weder für das ganze Land noch für einzelne Gebiete eine extreme Gefahr angenommen werden. Für die Annahme, dass gerade der Antragsteller einer individuell-konkreten Gefahr ausgesetzt sei, fehlten jegliche Anhaltspunkte, sodass eine Sachlagenänderung insoweit nicht vorliege. Bezüglich der Bestätigungen darüber, dass der Cousin des Antragstellers als Kommandant der Antiterrorverteidigung des Dorfes tätig gewesen sei, habe die Bevollmächtigte des Antragstellers nicht schlüssig dargelegt, warum die neuen Beweismittel eine günstigere Entscheidung herbeiführen sollten. Der Flüchtlingsschutz sei im Erstverfahren wegen eines fehlenden Anknüpfungsmerkmals verneint worden. Ein solches Merkmal gehe weder aus den Bestätigungen, zumal sie nicht den Antragsteller selbst betreffen, noch aus der Folgeantragsbegründung hervor. Hinsichtlich des Vorbringens, dass … … unter der Kontrolle der Taliban und das Dorf mittlerweile von den Aufständischen kontrolliert werde, werde auf die im Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 1. Dezember 2016 gewürdigte Begründung einer inländische Fluchtalternative verwiesen. Die Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen zu § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG seien ebenfalls nicht gegeben. Es sei nicht ersichtlich, dass sich die Umstände des Antragstellers in Bezug auf eine Rückkehr in sein Heimatland geändert hätten. Auch die Sachlage im Heimatland stelle sich in Bezug auf die individuellen Umstände des Antragstellers unverändert dar. Es sei zu prüfen gewesen, ob durch die vorgelegten Atteste im Falle einer Rückkehr die Gefahr einer wesentlichen Gesundheitsverschlechterung aufgrund von Umständen, die im Zielstaat der Abschiebung lägen, nachvollziehbar dargelegt worden sei. Bezüglich des aktuellen Attestes vom … … 2017 weise der Antragsteller unklare Beschwerden des linken Armes auf und leide an einer mittelgradigen depressiven Episode. Die Atteste enthielten jedoch keine prognostischen Aussagen im Hinblick auf eine Rückkehr nach Afghanistan. Eine depressive Erkrankung des Antragstellers könne auch in Afghanistan behandelt werden und es sei nicht ersichtlich, dass die Beschwerden des Arms auf eine lebensbedrohliche Krankheit hindeuteten.
Hiergegen erhob die Prozessbevollmächtigte des Antragstellers mit Schriftsatz vom 6. Juni 2016, beim Bayerischen Verwaltungsgericht München eingegangen am 7. Juni 2017 Klage (M 17 K 17.43030) und beantragte gleichzeitig,
die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
Eine Begründung erfolgte bisher nicht.
Die Antragsgegnerin stellte keinen Antrag.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte in diesem Verfahren und im Verfahren M 17 K 17.43030 sowie auf die vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.
II.
Der Antrag, die kraft Gesetzes (§ 75 AsylG) ausgeschlossene aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung im streitgegenständlichen Bescheid des Bundesamtes nach § 80 Abs. 5 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) anzuordnen, ist zulässig, aber unbegründet.
1. Bei dem Asylantrag des Antragstellers vom 19. April 2017 handelt es sich um einen Asylfolgeantrag. Stellt ein Ausländer nach Rücknahme oder unanfechtbarer Ablehnung eines früheren Asylantrags erneut einen Asylantrag, so ist ein weiteres Asylverfahren nur durchzuführen, wenn die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG vorliegen (§ 71 Abs. 1 Satz 1 AsylG). Der vorliegende Eilantrag könnte deshalb nur dann Erfolg haben, wenn der Antragsteller glaubhaft gemacht hätte, dass die Voraussetzungen für die Durchführung eines weiteren Verfahrens, das zur Anerkennung des Antragstellers als Asylberechtigten bzw. zur Feststellung des Vorliegens der Flüchtlingseigenschaft (§ 3 AsylG) oder eines Abschiebungsverbots nach § 4 AsylG, § 60 AufenthG führen wird, überwiegend wahrscheinlich gegeben sind. Gemäß § 71 Abs. 4 i.V.m. § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG darf die Abschiebung nur bei ernstlichen Zweifeln an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts ausgesetzt werden.
2. Derartige ernstliche Zweifel bestehen hier nicht. Das Gericht nimmt insoweit vollumfänglich auf die Begründung des Bundesamts im streitgegenständlichen Bescheid Bezug (§ 77 Abs. 2 AsylG).
Ergänzend wird auf Folgendes hingewiesen:
2.1 Soweit die Klägerseite ausführt, dass der Heimatdistrikt des Antragstellers seit August 2016 unter der Kontrolle der Taliban stehe, handelt es sich schon nicht um eine neue Sachlage im Sinne von § 51 Abs. 1 VwVfG. Dies hätte vielmehr schon im Erstverfahren, insbesondere in der mündlichen Verhandlung am 24. November 2016 im Verfahren M 25 K 15.31036, vorgebracht werden können (vgl. § 51 Abs. 2 VwVfG).
2.2 Die vorgelegten Schreiben, die bestätigen sollen, dass der Cousin des Antragstellers Kommandant der Antiterrorverteidigung des Heimatdorfes des Antragstellers war und getötet wurde, sind nicht geeignet, eine für den Antragsteller günstigere Entscheidung herbeizuführen (§ 51 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG). Abgesehen davon, dass diese Schreiben nicht den Antragsteller selbst betreffen, ändert das Schicksal des Cousins, selbst wenn es den Schilderungen des Antragstellers entspricht, nichts daran, dass für diesen eine inländische Fluchtalternative besteht und nach nunmehr fast fünf Jahren auch eine Gefährdung des Antragstellers nicht mehr wahrscheinlich ist, wie das Verwaltungsgericht München in seinem Urteil vom 1. Dezember 2016 (M 25 K 15.31036, UA S. 8) festgestellt hat (vgl. a. BayVGH, U.v. 21.6.2013 – 13a B 12.30170 – juris Rn. 29 zu einem Zeitraum von drei bzw. fünf Jahren).
2.3 Eine andere rechtliche Beurteilung ergibt sich auch nicht aus dem Umstand, dass der Antragsteller zum Pfleger seines minderjährigen Bruders bestellt wurde. Abgesehen davon, dass der Bruder in weniger als drei Wochen volljährig wird, ist davon auszugehen, dass sich der Kläger bereits vor dieser formalen Bestellung um seinen Bruder gekümmert hat, so dass es sich insoweit ebenfalls nicht um eine geänderte Sachlage i.S.v. § 51 VwVfG handelt.
2.4 Auch die gesundheitlichen Probleme des Antragstellers erfüllen die Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen des Verfahrens nicht.
Zum einen genügen die vorgelegten Atteste insbesondere im Hinblick auf die Grundlagen der Diagnose nicht den Mindestanforderungen des Bundesverwaltungsgerichts (U.v. 11.9.2007 – 10 C 8/07 – juris Rn. 15).
Zum anderen ist der Antragsteller laut Attest vom 27. Dezember 2016 seit 11. Oktober 2016 in ärztlicher Behandlung, so dass er seine Erkrankungen zumindest in der mündlichen Verhandlung am 24. November 2016 im Verfahren M 25 K 15.31036 hätte geltend machen können (vgl. § 51 Abs. 2 VwVfG).
Hinzukommt, dass sich der Antragsteller laut dem letzten Attest vom 30. Januar 2017 psychisch stabilisiert zeigt, so dass nicht von einer schwerwiegenden bzw. lebensbedrohlichen Erkrankung i.S.v. § 60 Abs. 7 AsylG oder einer eingeschränkten Arbeitsfähigkeit, die gegebenenfalls zur Bejahung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AsylG i.V.m. Art. 3 EMRK führen könnte, auszugehen ist.
2.5 Ebenso wenig kann eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit des Antragstellers infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines bewaffneten Konflikts im Sinne von § 4 Abs. 1 Nr. 3 AsylG aufgrund der geänderten Sicherheitslage in Afghanistan angenommen werden.
Insbesondere in … als inländischer Fluchtalternative (vgl. VG München, U.v. 1.12.2016 – M 25 K 15.31036 – UA S. 8) besteht nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine existenzielle Gefährdung, insbesondere die Gefahr einer Verletzung von Leib und Leben: In der Zentralregion Afghanistans, zu der auch … gehört, wurden laut UNAMA (www.unama.unmissions.org; Afghanistan – protection of civilians in armed conflict, annual report 2016) im Jahr 2016 2.348 Zivilpersonen getötet oder verletzt. Ausgehend von einer Einwohnerzahl von insgesamt ca. 6,5 Millionen (vgl. VG Lüneburg, U.v. 6.2.2017 – 3 A 140/16 – juris Rn. 32), ergibt sich ein Risiko von 1:2.768, verletzt oder getötet zu werden. Auch bei einer Verdreifachung der UNAMA-Zahlen aufgrund einer hohen Dunkelziffer ergäbe sich eine Wahrscheinlichkeit von 1:922, was keine erhebliche individuelle Gefahr darstellt (vgl. BVerwG, U.v. 17.11.2011 – 10 C 13.10 – Rn. 22 zu einem Risiko von 1:800).
Selbst wenn die Schwelle der erheblichen Gefahr in der Zentralregion durch den aktuellen Anschlag in … am 31. Mai 2017 mit knapp 500 Toten und Verletzten überschritten sein sollte, wäre es dem Kläger z.B. auch zumutbar, sich in … niederzulassen. In der westlichen Region, in der … liegt, gab es 836 Opfer. Bei einer Einwohnerzahl von ca. 3,5 Millionen ergibt sich ein Risiko von nur ca. 1:4.187 bzw. – bei Berücksichtigung der Dunkelziffer – von 1:1.396 (vgl. VG Lüneburg, U.v. 6.2.2017 – 3 A 140/16 – juris Rn. 35 ff.).
Auch aufgrund des Vierteljahresberichts von UNAMA vom 25. April 2017 kann keine ernsthafte Bedrohung angenommen werden. Danach wurden zwischen 1. Januar 2017 und 31. März 2017 2.181 Zivilpersonen getötet oder verletzt. Hochgerechnet auf das Jahr ergäben sich damit 8.724 Opfer, so dass sich – bezogen auf die Bevölkerungszahl Afghanistans von ca. 33,3 Millionen (vgl. www.wikipedia.org) – ein Risiko von 1:3.817 bzw. 1:1.272 errechnet.
Eine andere Beurteilung ergibt sich auch nicht aus den aktuellen Anmerkungen von UNHCR zur Situation in Afghanistan auf Anfrage des deutschen Bundesministeriums des Innern vom Dezember 2016.
Abgesehen davon, dass auch bei der vom UNHCR geforderten Einbeziehung der individuellen Aspekte des Klägers nicht von einer relevanten Gefahr, aufgrund eines innerstaatlichen Konflikts getötet oder verletzt zu werden, auszugehen ist, beruht die Bewertung in den genannten Anmerkungen auf den vom UNHCR selbst angelegten Maßstäben, die sich nicht mit den Anforderungen des Bundesverwaltungsgerichts an einen bewaffneten Konflikt und eine erhebliche individuelle Gefährdung decken. Konkrete bzw. neuere Zahlen oder Ausgangsdaten, die die bisherige Einschätzung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs, der sich das Gericht anschließt, in Frage stellen könnten, werden nicht genannt (vgl. BayVGH, B.v. 11.4.2017 – 13a ZB 17.30294 – juris Rn. 6 f.; B.v. 4.4.2017 – 13a ZB 17.30231 – juris Rn. 12; B.v. 28.3.2017 – 13a ZB 17.30212 – juris Rn. 5; B.v. 25.1.2017 – 13a ZB 16.30374 – juris Rn. 11; B.v. 20.1.2017 – 13a ZB 16.30996 – juris Rn. 9; VG Augsburg, U.v.19.12.2016 – Au 5 K 16. 31939 – juris Rn. 42).
Schließlich kann auch der Umstand, dass einige Bundesländer hinsichtlich Afghanistans einen Abschiebestopp beschlossen haben und auch die Bundesregierung Abschiebungen – mit Ausnahmen – einstweilig ausgesetzt hat, nicht zur Zuerkennung subsidiären Schutzes führen. Denn diese Entscheidungen basieren primär auf politischen Erwägungen (BayVGH, B.v. 6.4.2017 – 13a ZB 17.30254 – juris Rn. 9).
2.6 Ebenso greift der Einwand, dem Antragsteller drohe die Zwangsrekrutierung, nicht. Abgesehen davon, dass es sich insoweit wohl nicht um eine geänderte Sach- oder Rechtslage handelt, kann nicht davon ausgegangen werden, dass hinsichtlich der Gefahr einer Zwangsrekrutierung durch die Taliban eine solche Verfolgungsdichte für alle jungen männlichen afghanischen Staatsangehörigen besteht, dass insoweit von einer „bestimmten sozialen Gruppe“ im Sinne von § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG gesprochen werden könnte (vgl. a. VG Lüneburg, U.v. 6.2.2017 – 3 A 140/16 – juris Rn. 18 f. m.w.N). Insbesondere in Großstädten wie … oder …, die nicht von den Taliban beherrscht werden, ist eine derartige Zwangsrekrutierung auch nicht beachtlich wahrscheinlich.
Der (gerichtskostenfreie, § 83b AsylG) Antrag gemäß § 80 Abs. 5 VwGO war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen.
Dieser Beschluss ist gemäß § 80 AsylG unanfechtbar

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