Aktenzeichen M 16 K 14.30987
Leitsatz
Häusliche Gewalt ist in Aserbaidschan weit verbreitet und erfüllt den Verfolgungsgrund der geschlechtsspezifischen Verfolgung, wobei der aserbaidschanische Staat derzeit nicht in der Lage ist, den betroffenen Frauen ausreichenden Schutz vor häuslicher oder familiärer Gewalt zu bieten. (Rn. 28 – 29) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I.Der Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 5. August 2014 wird in den Nrn. 1, 3, 4 und 5 aufgehoben.
Die Beklagte wird verpflichtet, der Klägerin zu 1) die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.
Unter der aufschiebenden Bedingung, dass dieses Urteil hinsichtlich der Klägerin zu 1) rechtskräftig wird, wird die Beklagte verpflichtet, dem Kläger zu 2) dementsprechend internationalen Schutz für Familienangehörige (Flüchtlingseigenschaft) zuzuerkennen.
II.Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Kläger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leisten.
Gründe
Über die Klage konnte mit Einverständnis der Beteiligten ohne (weitere) mündliche Verhandlung entschieden werden (§ 101 Abs. 2 VwGO).
Die zulässige Klage ist begründet.
Maßgeblich für die Entscheidung ist die Sach- und Rechtslage in dem Zeitpunkt, in dem die Entscheidung gefällt wird (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 AsylG).
Die Klägerin zu 1) hat einen Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 4 AsylG in Bezug auf ihr Herkunftsland Aserbaidschan. Der angefochtene Bescheid des Bundesamts vom 4. August 2014 erweist sich daher insoweit als rechtswidrig und war in dem ausgesprochenen Umfang aufzuheben (§ 113 Abs. 5 VwGO).
Der Kläger zu 2) hat im Wege des internationalen Schutzes für Familienangehörige gemäß § 26 Abs. 5 Satz 1, Abs. 2 AsylG ebenfalls einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft in Bezug auf sein Herkunftsland Aserbaidschan, sofern das Urteil bezüglich der Klägerin zu 1) rechtskräftig wird. Der angefochtene Bescheid des Bundesamts vom 4. August 2014 erweist sich daher auch insoweit als rechtswidrig und war in dem ausgesprochenen Umfang aufzuheben (§ 113 Abs. 5 VwGO).
Gemäß § 3 Abs. 4 AsylG wird einem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, wenn er Flüchtling im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG ist. Danach ist Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juni 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (Genfer Flüchtlingskonvention – GK), wenn er sich wegen begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischer Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will.
Als Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 gelten Handlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen gemäß Art. 15 Abs. 2 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten – EMRK – keine Abweichung zulässig ist, oder Handlungen, die in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher Weise betroffen ist (vgl. § 3a Abs. 1 AsylG). Als Verfolgung in diesem Sinne kann unter anderem die Anwendung physischer oder psychischer Gewalt, einschließlich sexueller Gewalt gelten (vgl. § 3a Abs. 2 Nr. 1 AsylG). Gemäß § 3a Abs. 3 AsylG muss zwischen den Verfolgungsgründen und den als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen eine Verknüpfung bestehen. Eine nähere Umschreibung der Verfolgungsgründe enthält § 3b AsylG. Dabei kann eine Verfolgung wegen der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe auch vorliegen, wenn sie allein an das Geschlecht oder die geschlechtliche Identität anknüpft (vgl. § 3b Abs. 1 Nr. 4 letzter Halbsatz AsylG).
Eine Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG kann ausgehen von dem Staat, von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder wesentliche Teile des Staatsgebiets beherrschen, oder nichtstaatlichen Akteuren, sofern die vorgenannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor der Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht (vgl. § 3c AsylG). Der Schutz vor Verfolgung muss wirksam sein und darf nicht nur vorübergehender Art sein. Generell ist ein solcher Schutz gewährleistet, wenn die genannten Akteure geeignete Schritte einleiten, um die Verfolgung zu verhindern, beispielsweise durch wirksame Rechtsvorschriften zur Ermittlung, Strafverfolgung und Ahndung von Handlungen, die eine Verfolgung darstellen, und wenn der Ausländer Zugang zu diesem Schutz hat (vgl. § 3d Abs. 2 AsylG).
Gemäß § 3e AsylG wird dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftslands keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d AsylG hat und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt (sog. „interner Schutz“, vgl. § 3e Abs. 1 AsylG Nach Art. 4 Abs. 4 Richtlinie 2011/95/EU ist die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde bzw. von solcher Verfolgung unmittelbar bedroht war, ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet ist, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Antragsteller erneut von solcher Verfolgung bedroht wird. Diese Regelung privilegiert den von ihr erfassten Personenkreis durch eine Beweiserleichterung, nicht aber durch einen herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstab, wie er in der deutschen asylrechtlichen Rechtsprechung entwickelt worden ist. Die Vorschrift begründet für die von ihr begünstigten Antragsteller eine widerlegbare Vermutung dafür, dass sie erneut von einer solchen Verfolgung bedroht sind. Dadurch wird der Vorverfolgte von der Notwendigkeit entlastet, stichhaltige Gründe dafür dazulegen, dass sich die verfolgungsbegründenden Umstände bei Rückkehr in sein Herkunftsland erneut realisieren werden (vgl. BVerwG, U.v. 19.1.2009 – 10 C 5/09 – juris Rn. 23). Die Beweiserleichterung nach Art. 4 Abs. 4 Richtlinie 2011/95/EU kommt dem vorverfolgten Antragsteller dabei auch bei der Prüfung zugute, ob für ihn im Gebiet einer internen Schutzalternative keine begründete Furcht vor Verfolgung besteht (vgl. BVerwG, U.v. 5.5.2009 – 10 C 21/08 – juris Rn. 24 f.). Mit Blick auf den Normzweck der Beweiserleichterung erscheint es nicht nachvollziehbar, der Prüfung internen Schutzes als Ausdruck der Subsidiarität des Flüchtlingsschutzes einen strengeren Maßstab zugrunde zu legen als der systematisch vorgelagerten Stellung der Verfolgungsprognose. Die hinter der Beweiserleichterung stehende Teleologie – der humanitäre Charakter des Asyls – verbietet es, einem Schutzsuchenden, der das Schicksal der Verfolgung bereits einmal erlitten hat, das Risiko einer Wiederholung solcher Verfolgung aufzubürden (BVerwG, U.v. 5.5.2009 – 10 C 21/08 – juris Rn. 25).
Bei der individuellen Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz sind alle mit dem Herkunftsland verbundenen Tatsachen zu berücksichtigen, die zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag relevant sind, einschließlich der Rechts- und Verwaltungsvorschriften des Herkunftslands und der Weise, in der sie angewandt werden, sowie die maßgeblichen Angaben des Antragstellers und die von ihm vorgelegten Unterlagen, einschließlich Informationen zu der Frage, ob er verfolgt worden ist bzw. verfolgt werden könnte (vgl. Art. 4 Abs. 3 Buchst. a und b Richtlinie 2011/95/EU). Weiterhin sind zu berücksichtigen die individuelle Lage und die persönlichen Umstände des Antragstellers, einschließlich solcher Faktoren wie familiärer und sozialer Hintergrund, Geschlecht und Alter, um bewerten zu können, ob in Anbetracht seiner persönlichen Umstände die Handlungen, denen er ausgesetzt war oder ausgesetzt sein könnte, einer Verfolgung gleichzusetzen sind (vgl. Art. 4 Abs. 3 Buchst. c Richtlinie 2011/95/EU).
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts muss auch in Asylstreitigkeiten das Gericht die volle Überzeugung von der Wahrheit – und nicht etwa nur der Wahrscheinlichkeit – des vom Kläger behaupteten individuellen Schicksals erlangen, aus dem er seine Furcht vor politischer Verfolgung herleitet. Wegen der häufig bestehenden Beweisschwierigkeiten des Asylbewerbers kann schon allein sein eigener Sachvortrag zur Asylanerkennung führen, sofern sich das Tatsachengericht unter Berücksichtigung aller Umstände von dessen Wahrheit überzeugen kann (BVerwG, B.v. 21.7.1989 – 9 B 239/89 – juris Rn. 3). Das Tatsachengericht darf dabei berücksichtigen, dass die Befragung von Asylbewerbern aus anderen Kulturkreisen mit erheblichen Problemen verbunden ist (vgl. BVerwG, B.v. 21.7.1989 a. a. O. Rn. 4). Der Asylbewerber befindet sich typischerweise in Beweisnot. Er ist als „Zeuge in eigener Sache“ zumeist das einzige Beweismittel. Auf die Glaubhaftigkeit seiner Schilderung und die Glaubwürdigkeit seiner Person kommt es entscheidend an (vgl. BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1516/93 – juris Rn. 121).
Unter Beachtung dieser Maßstäbe hat die Klägerin zu 1) in ihrem konkreten Einzelfall Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Das Gericht ist auf der Grundlage ihres Vortrags und des in der mündlichen Verhandlung von ihr gewonnenen persönlichen Eindrucks davon überzeugt, dass sie ihr Herkunftsland aus begründeter Furcht vor einer geschlechtsspezifischen Verfolgung durch ihren früheren Ehemann verlassen hat und sie im Falle einer Rückkehr hiervon weiterhin bedroht ist. Dabei kommt der Klägerin die Beweiserleichterung nach Art. 4 Abs. 4 Richtlinie 2011/95/EU zugute und das Gericht kann im Rahmen der freien Beweiswürdigung keine stichhaltigen Gründe für eine Widerlegung der dort geregelten Vermutung erkennen.
Unter Berücksichtigung ihres Herkommens, Bildungsstands und Alters hält das Gericht den Vortrag der Klägerin zu 1) für glaubhaft. Sie hat in überzeugender Weise das Verfolgungsgeschehen und die weiteren Vorkommnisse geschildert. Sie hat in allen Verfahrensstadien hierzu nahezu vollständig übereinstimmende Angaben gemacht, die Geschehnisse unter Nennung von Einzelheiten und zusammenhängend ohne Übertreibungen dargestellt und verbliebene Unklarheiten im Rahmen der informatorischen Anhörung in der mündlichen Verhandlung ohne Zögern nachvollziehbar erläutert. Das Gericht hat keine Zweifel daran, dass die Klägerin zu 1) das von ihr geschilderte Geschehen tatsächlich erlebt hat.
So fällt bereits der äußerst ausführliche und detailreiche Vortrag der Klägerin zu 1) bei ihrer Anhörung vor dem Bundesamt auf. Im Rahmen der mündlichen Verhandlung hat sie ihr Vorbringen weiter vertieft. Danach wurde die Klägerin zu 1) von ihrem früheren Ehemann in ihrem Herkunftsland wiederholt und nachhaltig misshandelt und bedroht und sie konnte sich dem auch nicht durch den erfolgten Umzug entziehen. Ihre Glaubwürdigkeit wird nach Ansicht des Gerichts auch nicht dadurch beeinträchtigt, dass sie den Asylantrag nicht unmittelbar nach ihrer Einreise gestellt hat, da sie zunächst in nachvollziehbarer Weise auf ein ausländerrechtliches Ehegattenaufenthaltsrecht vertraut hat.
Das Gericht sieht den Verfolgungsgrund der geschlechtsspezifischen Verfolgung im Sinne von § 3b Abs. 1 Nr. 4 AsylG im Fall der Klägerin zu 1) als gegeben an (vgl. so auch zu Fällen von häuslicher Gewalt VG Schwerin, U.v. 20.11.2015 – 15 A 1524/13 As – juris Rn. 47; VG Stuttgart, U.v. 13.2.2014 – A 7 K 1457/13 – juris; VG Karlsruhe, U.v. 13.6.2013 – A 9 K 1859/12 – juris; VG Augsburg, U.v. 10.6.2011 – Au 6 K 11.30090 – juris). Diese geht von ihrem früheren Ehemann aus und es besteht eine unmittelbare Verknüpfung zwischen dem Verfolgungsgrund und den Verfolgungshandlungen. Dahinstehen kann daher und war deshalb nicht weiter aufzuklären, ob der Klägerin zu 1) darüber hinaus bei einer Rückkehr in ihr Herkunftsland auch die Festnahme bzw. Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe wegen Kindesentziehung oder Urkundenfälschung mit der Gefahr von Misshandlung oder Vergewaltigung in der Haft konkret drohen würde.
Häusliche Gewalt ist im Herkunftsland der Klägerin zu 1) weit verbreitet. Nach den Erkenntnissen des Lageberichts (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Republik Aserbaidschan vom 29. April 2015, Stand: Januar 2015, S. 17; vgl. auch aktueller Lagebericht vom 6. April 2016, Stand Januar 2016, S. 17) garantiert Art. 25 Abs. 2 der Verfassung die Gleichberechtigung von Mann und Frau. Wie weiter ausgeführt wird, ist dieser Grundsatz (zwar) im Großraum Baku (4 Mio. von 9 Mio. Gesamtbevölkerung) weitestgehend auch in der Praxis realisiert, während (jedoch) auf dem Land traditionelle Vorstellungen des Geschlechterverhältnisses vorkommen. Dies führe beispielsweise dazu, dass nach der Untersuchung einer NGO, die sich für die Rechte der Frauen einsetze, 35% der befragten Opfer häuslicher Gewalt geworden seien. Deren Bekämpfung sei auch die vorrangig genannte Herausforderung für weibliche Kommunalpolitikerinnen.
Nach der dem Gericht zur Verfügung stehenden Erkenntnismittel ist davon auszugehen, dass der Herkunftsstaat derzeit nicht in der Lage ist, den betroffenen Frauen ausreichenden Schutz vor häuslicher oder familiärer Gewalt zu bieten. So wird im Lagebericht des Auswärtigen Amts ausgeführt, Frauen könnten im Fall von Vergewaltigungen innerhalb der Ehe nicht darauf vertrauen, dass die Sicherheitsorgane sie schützen und Ermittlungen aufnehmen würden (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die Asyl- und abschieberelevante Lage in der Republik Aserbaidschan vom 29. April 2015, Stand: Januar 2015, S. 17; vgl. auch aktueller Lagebericht vom 6. April 2016, Stand Januar 2016, S. 17). Die Klägerin hat insoweit auch vorgetragen, sich mehrfach erfolglos an die Polizei gewandt zu haben. Dabei sei zwar beim ersten Mal ihre Anzeige gegen den früheren Ehemann entgegen genommen und dieser befragt worden, es sei jedoch nichts dabei herausgekommen. Dieser habe die Tat geleugnet und eine Gegenanzeige gegen sie erstattet. Zudem berichtete sie von Bestechungen bei der Polizei durch ihren früheren Ehemann, der Immobilienmakler und vermögend gewesen sei. So sei sie auch einmal auf Veranlassung ihres früheren Ehemanns in Polizeigewahrsam gekommen und Anzeigen von ihr seien von der Polizei nicht verfolgt worden. Dies wird auch durch die Erkenntnismittellage gestützt, wo vielfach über Korruption in Aserbaidschan berichtet wird, auch im Bereich der Strafjustiz (vgl. z. B. Bertelsmann Stiftung 2016, Aserbaidschan, Länderbericht zu politischer Partizipation; Rechtsstaatlichkeit; Stabilität demokratischer Institutionen; sozioökonomischer Entwicklung; Wirtschaft; Privateigentum; etc; S. 14, abrufbar unter http://www.ecoi.net). Von einem ausreichenden Zugang zu einem wirksamen staatlichen Schutz im Sinne von § 3d Abs. 2 AsylG kann daher im Fall der Klägerin zu 1) nicht ausgegangen werden.
Als vorverfolgt ausgereist ist die Klägerin zu 1) im Falle einer Rückkehr nach Aserbaidschan von nichtstaatlichen Akteuren im Sinne des § 3c Nr. 3 AsylG bedroht. Insoweit kommt ihr die Beweiserleichterung nach Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2011/95/EU zugute. Stichhaltige Gründe nach Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2011/95/EU dagegen, dass die Klägerin zu 1) erneut von einer solchen Verfolgung bedroht wird, bestehen nicht. Vielmehr hat die Klägerin zu 1) überzeugend dargelegt, dass sich der Verfolgungsdruck noch erhöht hat, da sie zum einen den gemeinsamen Sohn unerlaubt mit Hilfe einer gefälschten Zustimmungserklärung außer Landes gebracht und zudem zwischenzeitlich erneut geheiratet hat, was der frühere Ehemann als ehelichen Betrug betrachten würde.
Für die Klägerin zu 1) besteht auch keine inländische Fluchtalternative im Sinne eines internen Schutzes, § 3e AsylG. Die Beweiserleichterung nach Art. 4 Abs. 4 Richtlinie 2011/95/EU kommt der vorverfolgten Klägerin zu 1) – wie ausgeführt – auch bei der Prüfung zugute, ob für sie im Gebiet einer internen Schutzalternative keine begründete Furcht vor Verfolgung besteht (vgl. BVerwG, U.v. 5.5.2009 – 10 C 21/08 – juris Rn. 24 f.). Dabei ist zudem zu berücksichtigen, dass nach dem Vortrag der Klägerin zu 1) auch die begründete Gefahr besteht, dass ihr früherer Ehemann im Falle einer Rückkehr der Kläger nach Aserbaidschan von dieser Tatsache und von ihrem Aufenthaltsort erfahren würde. Beide gehören der jüdischen Gemeinde an, die (insgesamt) einen Anteil an der Gesamtbevölkerung (ca. 9,5 Millionen) von lediglich 0,1% hat (vgl. unter https://de.wikipedia.org/wiki/Aserbaidschan), so dass es sich um einen relativ kleinen und daher überschaubaren Personenkreis handelt. Die Klägerin zu 1) hat hierzu nachvollziehbar vorgetragen, es werde daher bekannt, wenn jemand umgezogen sei.
Nach alledem war der Klage der Klägerin zu 1) auf Flüchtlingsanerkennung und Aufhebung der entgegenstehenden Nummer 1 des Bescheids des Bundesamts vom 5. August 2014 stattzugeben, so dass über die hilfsweise gestellten Verpflichtungsanträge nicht mehr zu entscheiden war.
Die Klage ist auch begründet, soweit die Aufhebung der Nummern 3 und 4 des angefochtenen Bescheids begehrt wird. Denn die Verpflichtung der Beklagten zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, lässt die negative Feststellung des Bundesamts im Übrigen angesichts des Eventualverhältnisses (vgl. BVerwG, U.v. 15.4.1997 – 9 C 19/96 – juris) gegenstandslos werden, so dass der ablehnende Bescheid auch insoweit aufzuheben ist. Entsprechendes gilt im Hinblick auf die Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung.
Der Hauptantrag des Klägers zu 2), ihm die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, ist im Ergebnis insoweit begründet, als bei ihm die Voraussetzungen des internationalen Schutzes für Familienangehörige nach § 26 Abs. 2 AsylG erfüllt sind. Der angegriffene Bescheid des Bundesamtes ist insoweit rechtwidrig und verletzt den Kläger zu 2) auch in seinen Rechten (vgl. § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO), als ihm nicht die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt worden ist. Aufgrund der Verpflichtung zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft für seine Mutter, der Klägerin zu 1), hat er Anspruch auf internationalen Schutz für Familienangehörige nach Maßgabe des § 26 Abs. 2 und 5 AsylG.
Nach § 26 Abs. 2 AsylG wird ein zum Zeitpunkt seiner Asylantragstellung minderjähriges lediges Kind eines Asylberechtigten auf Antrag als asylberechtigt anerkannt, wenn die Asylanerkennung eines Elternteils unanfechtbar geworden ist. Dies gilt auch für den Anspruch auf internationalen Schutz (vgl. § 26 Abs. 5 Satz 1 AsylG).
Im Fall des 1997 geborenen Klägers zu 2) liegen die Voraussetzungen des § 26 Abs. 2 und 5 AsylG vor. Zum Zeitpunkt der Asylantragstellung am 8. Februar 2013 war er noch minderjährig. Das Gericht hat die Beklagte im ersten Teil des Tenors des vorliegenden Urteils verpflichtet, seiner Mutter, der Klägerin zu 1), die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen. Diese Entscheidung ist noch nicht rechtskräftig. Der in § 26 Abs. 2 AsylG genannten Voraussetzung, dass der Flüchtlingsschutz nach § 3 Abs. 4 AsylG für die stammberechtigte Mutter des Klägers zu 2) unanfechtbar, d. h. im vorliegenden Fall rechtskräftig geworden sein muss, wird dadurch Rechnung getragen, dass die Beklagte lediglich verpflichtet wird, die positive Feststellung zu § 3 Abs. 4 AsylG bezüglich des Klägers zu 2) unter der aufschiebenden Bedingung des Eintritts der Rechtskraft des die Klägerin zu 1) betreffenden Teils des vorliegenden Urteils auszusprechen, um den Eintritt der Voraussetzungen des zu erteilenden Verwaltungsakts zu gewährleisten (vgl. VG Schwerin, U.v. 20.11.2015 – 15 A 1524/13 As – juris Rn. 54; VG Freiburg (Breisgau), U.v. 19.4.2006 – A 1 K 11298/05 -, juris Rn. 10).
Es kann diesbezüglich dahinstehen, ob der Kläger zu 2) zudem einen Anspruch auf Prüfung eigener Asyl- bzw. Fluchtgründe hätet (vgl. VG Schwerin, U.v. 20.11.2015 – 15 A 1524/13 As – juris Rn. 52; bejahend, falls nur internationaler Schutz begehrt wird, Marx, AsylVfG, 8. Aufl. 2014, § 26 Rn. 47), da eine solche Prüfung im Ergebnis keinen weitergehenden Anspruch vermitteln könnte. Da bei dem Kläger zu 2) jedenfalls kein geschlechtsspezifischer (und auch kein sonstiger) Verfolgungsgrund im Sinne von § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG ersichtlich ist, wären die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft bei ihm selbst nicht gegeben. Die Voraussetzungen für die subsidiäre Schutzberechtigung (§ 4 AsylG) dürften hingegen bei ihm vorliegen, ohne dass es für die vorliegende Entscheidung darauf ankäme.
Die Kostenfolge ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nach § 83 b AsylVfG nicht erhoben.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung stützt sich auf § 167 Abs. 1 und 2 VwGO i.V. m. §§ 708 ff. ZPO.