Verwaltungsrecht

Erfolgreiche Klage gegen Abschiebung nach Italien wegen Ablauf der Überstellungsfrist

Aktenzeichen  M 1 K 16.50029

Datum:
18.4.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 5, § 24, § 27a, § 31, § 34a
AufenthG AufenthG § 11 Abs. 1
VwGO VwGO § 42 Abs. 2
VO (EU) 604/2013 Art. 13 Abs. 1, Art. 17 Abs. 7, Art. 22 Abs. 7, 29 Abs. 2

 

Leitsatz

Tenor

I.
Der Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 9. Januar 2016 wird in Nr. 1 und 2 aufgehoben. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II.
Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

I.
Das Gericht entscheidet durch den Einzelrichter, dem das Verfahren durch Beschluss der Kammer vom 15. April 2016 übertragen worden ist, § 76 Abs. 1 AsylG. Mit Einverständnis der Beteiligten ergeht die Entscheidung ohne mündliche Verhandlung, § 101 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
II.
Die Klage hat überwiegend Erfolg.
1. Soweit sie sich gegen Nr. 3 des Bescheids richtet, ist sie unzulässig, da der Kläger insoweit nicht geltend machen kann, möglicherweise in seinen Rechten verletzt zu sein, § 42 Abs. 2 VwGO (vgl. VG München, U. v. 16.12.2015 – M 12 K 15.50770 – juris Rn. 19).
2. Im Übrigen ist sie zulässig, insbesondere ist der Kläger nach § 42 Abs. 2 VwGO klagebefugt. Sollte sich der Bescheid als objektiv rechtswidrig erweisen, ist der Kläger möglicherweise in seinem subjektiv-öffentlichen Recht aus §§ 5, 24, 31 AsylG auf Prüfung seines Schutzgesuchs durch die Beklagte verletzt.
3. Soweit die Klage zulässig ist, ist auch begründet. Der Bescheid vom 9. Januar 2016 ist rechtswidrig (geworden) und verletzt den Kläger in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Denn zum nach § 77 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 AsylG maßgeblichen Zeitpunkt dieser Entscheidung war die Überstellungsfrist bereits abgelaufen.
a) Unabhängig davon, ob der Asylantrag des Klägers tatsächlich unzulässig war und seine Abschiebung nach Italien angeordnet werden durfte, ist die Beklagte jedenfalls aufgrund Zeitablaufs nunmehr für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig.
Nach Art. 29 Abs. 2 Satz 1 Dublin-III-VO ist der zuständige Mitgliedstaat nicht mehr zur Aufnahme oder Wiederaufnahme der betreffenden Person verpflichtet und die Zuständigkeit geht auf den ersuchenden Mitgliedstaat über, wenn die Überstellung nicht innerhalb einer Frist von sechs Monaten durchgeführt wird. Dieser Übergang der Zuständigkeit nach Ablauf der Sechsmonatsfrist stellt keinen fingierten Selbsteintritt, sondern eine besondere Zuständigkeitsnorm dar, die letztlich lediglich vom Ablauf der Frist abhängig ist (BayVGH, B. v. 11.5.2015 – 13a ZB 15.50006 – juris Rn. 5).
Hiernach ist Italien nicht mehr zur Wiederaufnahme des Klägers verpflichtet und die Zuständigkeit für die Prüfung seines Asylantrags ist auf die Beklagte übergegangen. Denn die Überstellungsfrist ist abgelaufen. Nach Art. 29 Abs. 1 Satz 1 Dublin-III-VO beginnt die Frist mit der Annahme des Aufnahme- oder Wiederaufnahmegesuchs durch einen anderen Mitgliedstaat oder der endgültigen Entscheidung über einen Rechtsbehelf oder eine Überprüfung, wenn diese aufschiebende Wirkung hat. Da vorliegend auf das Wiederaufnahmegesuch des Bundesamts vom 16. Juli 2015 an die zuständigen italienischen Behörden keine Reaktion erfolgte, begann die Frist nach Art. 22 Abs. 7 Dublin-III-VO mit Ablauf von zwei Monaten nach Stellung des Aufnahmegesuchs an Italien, also am 17. September 2015, zu laufen und endete am 16. März 2016. Gründe für eine Verlängerung der Frist nach Art. 29 Abs. 2 Satz 2 Dublin-III-VO sind nicht ersichtlich.
b) Der Kläger ist durch den Bescheid in eigenen Rechten verletzt. Zwar begründen die Regelungen der Dublin-III-VO grundsätzlich keine subjektiven Rechte des Schutzsuchenden, sondern dienen allein der internen Verteilung der Lasten und Verantwortung unter den Mitgliedsstaaten. Allerdings hat der Kläger im Fall des Ablaufs der Überstellungsfrist einen Anspruch darauf, dass die nach Art. 29 Abs. 2 Satz 1 Dublin-III-VO zuständige Beklagte das Asylverfahren durchführt. Ihm kann nicht die Aufnahmebereitschaft Italiens entgegengehalten werden, da nicht feststeht, dass Italien ihn aufnehmen und das Asylverfahren durchführen wird (OVG NRW, B. v. 11.11.2015 – 13 A 1692/15.A – juris Rn. 6).
Aus den auf Grundlage der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 zur Festlegung von Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines Asylantrags zuständig ist, den ein Staatsangehöriger eines Drittlandes in einem Mitgliedstaat gestellt hat (Dublin-II-VO) ergangenen Urteilen des Bundesverwaltungsgerichts vom 27. Oktober 2015 (1 C 32.14, 1 C 33.14, 1 C 34.14 – juris) ergibt sich nichts anderes, da sie auf den vorliegenden Fall nicht übertragbar sind. Sie betreffen nicht den Ablauf der Sechsmonatsfrist aus Art. 29 Abs. 2 Satz 1 Dublin-III-VO, sondern den Ablauf der Frist aus Art. 17 Abs. 1 Dublin-II-VO, der für die Stellung eines Aufnahmegesuchs an einen anderen Mitgliedstaat eine Frist von drei Monaten nach Einreichung des Antrags im Sinne von Artikel 4 Absatz 2 Dublin-II-VO vorsieht. Hinzu kommt, dass im zugrunde liegenden Fall der ersuchte Staat (Spanien) trotz Ablaufs der Frist aus Art. 17 Abs. 1 Dublin-II-VO der Wiederaufnahme zugestimmt hatte.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO, da der Kläger nur zu einem geringen Teil unterlegen ist, sowie aus § 83b AsylG. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 ff. Zivilprozessordnung (ZPO).

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