Verwaltungsrecht

Erfolgreiche Klage gegen Entzug von Waffenbesitzkarten wegen vermeintlicher Zugehörigkeit zur sog. “Reichsbürgerbewegung”

Aktenzeichen  24 ZB 18.2349

Datum:
12.5.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 9578
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
WaffG § 45 Abs. 2
VwGO § 108 Abs. 1 S. 1, § 124 Abs. 2 Nr. 1, Nr. 3

 

Leitsatz

1. Allein der Umstand, dass ein Beteiligter die vom Verwaltungsgericht festgestellten und gewürdigten Tatsachen anders gewichtet als dieses und im Ergebnis abweichend bewertet, rechtfertigt keine Zulassung der Berufung auf Grund ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils. (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)
2. Personen, die der sogenannten „Reichsbürgerbewegung“ zugehörig sind oder sich deren Ideologie als für sich verbindlich zu eigen gemacht haben (hier verneint), besitzen nicht die für eine waffenrechtliche Erlaubnis erforderliche Zuverlässigkeit. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

AN 16 K 17.2481 2018-10-15 Urt VGANSBACH VG Ansbach

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Beklagte trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.750 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Der Kläger wendet sich gegen den Widerruf zweier Waffenbesitzkarten.
Das Verwaltungsgericht hat seiner entsprechenden Klage mit Urteil vom 15. Oktober 2018 stattgegeben und den angefochtenen Bescheid des Beklagten vom 7. November 2017 aufgehoben. Dieser sei rechtswidrig, weil der Kläger nicht im waffenrechtlichen Sinne nachträglich unzuverlässig geworden sei. Das Gericht habe beim Kläger kein verbindliches Hinwenden zur Ideologie der sogenannten „Reichsbürgerbewegung“ feststellen können. Dabei verkenne es nicht, dass sich der Kläger in deren Umfeld bewegt habe. Es fehle aber insoweit an belastbaren Sachverhaltsfeststellungen, die sich alleine aus den vom Beklagten herangezogenen Umständen nicht ergäben.
Dagegen wendet sich der Beklagte mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung. Er macht geltend, an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils bestünden ernstliche Zweifel. Außerdem habe die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung.
Der Kläger ist dem Antrag entgegengetreten und verteidigt das erstinstanzliche Urteil.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten beider Instanzen und die vorgelegten Verwaltungsakten Bezug genommen.
II.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Die geltend gemachten Zulassungsgründe gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 1 und 3 VwGO liegen nicht vor.
1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils (vgl. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) bestehen nicht. Der Bescheid des Beklagten vom 7. November 2017, mit dem u.a. der Widerruf der Waffenbesitzkarten des Klägers verfügt wurde, ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 VwGO). Der Senat folgt den zutreffenden Gründen des angefochtenen Urteils und nimmt gem. § 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO darauf Bezug. Lediglich ergänzend ist im Hinblick auf das Zulassungsvorbringen zu bemerken:
Der Beklagte macht geltend, das Verwaltungsgericht gehe zu Unrecht davon aus, der Kläger habe mit seinem Hinweis auf seine Vorfahren und Abstammung hinreichend erklärt, wie die Angaben in seinem Antrag auf Ausstellung eines Staatsangehörigkeitsausweises zustande gekommen seien. Entgegen der Ansicht des Gerichts fehle es deshalb auch nicht an einer belastbaren Sachverhaltsfeststellung im Hinblick auf die Zugehörigkeit des Klägers zur Reichsbürgerszene. Im Übrigen habe es außer Acht gelassen, dass der Kläger seinen Personalausweis bei seiner Heimatgemeinde abgegeben habe.
Mit diesem Vorbringen wendet sich der Beklagte gegen die von ihm für unzutreffend gehaltene Beweiswürdigung, Rechts- und Tatsachenfeststellung des Gerichts, ohne indes einen die Zulassung der Berufung rechtfertigenden Fehler aufzuzeigen. Das Gericht entscheidet gem. § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Es würdigt den Prozessstoff auf seinen Aussage- und Beweiswert für die Feststellung der entscheidungserheblichen Tatsachen nur nach der ihm innewohnenden Überzeugungskraft. Trotz des besonderen Charakters der Tatsachen- und Beweiswürdigung, der einen Wertungsrahmen eröffnet, ist das Gericht nicht gänzlich frei. Die richterliche Überzeugung muss auf rational nachvollziehbaren Gründen beruhen, d. h. sie muss insbesondere die Denkgesetze, die Naturgesetze sowie zwingende Erfahrungssätze beachten. Ein Verstoß gegen § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO liegt vor, wenn das Gericht von einem unrichtigen oder unvollständigen Sachverhalt ausgeht, namentlich Umstände übergeht, deren Entscheidungserheblichkeit sich ihm hätte aufdrängen müssen, oder wenn die Beweiswürdigung objektiv willkürlich ist, gegen die Denkgesetze verstößt oder einen allgemeinen Erfahrungssatz missachtet (stRspr z.B. BayVGH B.v. 14.12.2018 – 21 ZB 16.1678 – juris Rn. 20 n.w.N.).
Derartige Fehler zeigt das Zulassungsvorbringen nicht auf; sie sind auch nicht ersichtlich. Der Beklagte beschränkt sich vielmehr darauf, unter Wiederholung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Vortrags auf die Umstände hinzuweisen, die seiner Auffassung nach eine besondere Nähe des Klägers zur Szene der sogenannten Reichsbürger belegen und damit den Widerruf seiner Waffenbesitzkarten gem. § 45 Abs. 2 WaffG rechtfertigen bzw. erfordern. Allein der Umstand aber, dass der Beklagte die vom Gericht festgestellten und gewürdigten Tatsachen anders gewichtet als dieses und im Ergebnis abweichend bewertet, rechtfertigt keine Zulassung der Berufung auf Grund ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils.
Soweit der Beklagte überdies darauf hinweist, die Bedenken gegen die Richtigkeit des angefochtenen Urteils verstärkten sich hier auch deshalb, weil der Vorsitzende Richter als Einzelrichter und ohne mündliche Verhandlung entschieden habe, überzeugt dies nicht. Der erkennende Senat teilt zwar die Einschätzung des Beklagten, dass es „gerade in vielleicht grenzwertigen Fällen“ sinnvoll und zweckmäßig ist, wenn sich das zuständige Gericht im Rahmen einer mündlichen Verhandlung einen persönlichen Eindruck von dem jeweiligen Kläger verschafft. Allerdings hat sich vorliegend allein der Kläger mit Schreiben seines Prozessbevollmächtigten vom 11. Dezember 2017 einer entsprechenden Anfrage des Gerichts zunächst widersetzt und gebeten, von einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren abzusehen und eine mündliche Verhandlung durchzuführen, „damit sich das Gericht ein eigenes Bild vom Kläger machen und sich davon überzeugen kann, dass dieser keineswegs der „Reichsbürgerbewegung“ angehört“, während der Beklagte (Schreiben vom 4. Januar 2018) sowohl einer Übertragung auf den Einzelrichter als auch einer möglichen Entscheidung im schriftlichen Verfahren vorbehaltlos zugestimmt hat.
2. Die Rechtssache weist auch nicht die geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) auf. Der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung erfordert, dass eine Rechts- oder Tatsachenfrage für die Entscheidung des Rechtsstreits erheblich, bislang höchstrichterlich oder obergerichtlich nicht geklärt und über den entscheidenden Einzelfall hinaus bedeutsam ist; die Frage muss ferner im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Fortentwicklung des Rechts einer berufungsgerichtlichen Klärung zugänglich sein und dieser Klärung auch bedürfen (vgl. zum Ganzen: Eyermann, VwGO, 15. Auflage 2019, § 124 Rn. 35 ff).
Der Beklagte hält für grundsätzlich klärungsbedürftig,
„ob Reichsbürger als Gruppe angesehen werden können, deren Strukturmerkmale auf die waffenrechtlichen Unzuverlässigkeit der dort einzuordnenden Personen schließen lassen“.
Um die gestellte Frage zu beantworten, ist indes keine Durchführung eines Berufungsverfahrens erforderlich. Abgesehen davon, dass das Verwaltungsgericht den Kläger gerade nicht den sogenannten Reichsbürgern zuordnet, ist in der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs bereits geklärt, dass Personen, die der sogenannten „Reichsbürgerbewegung“ zugehörig sind, oder sich deren Ideologie als für sich verbindlich zu eigen gemacht haben, nicht die für eine waffenrechtliche Erlaubnis erforderliche Zuverlässigkeit besitzen (BayVGH, B.v. 4.10.2018 – 21 CS 18.264 – juris Rn. 13; vgl. auch BayVGH, B.v. 10.1.2018 – 21 CS 17.1339 – juris, jeweils m.w.N.).
3. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 52 Abs. 1 GKG, § 47 Abs. 1 u. 3 GKG und Nr. 50.2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Fassung von 2013, abgedruckt bei Eyermann, VwGO, 15. Auflage 2019 und entspricht der Streitwertfestsetzung im erstinstanzlichen Verfahren.
4. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124 a Abs. 5 Satz 4 VwGO).

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