Aktenzeichen M 9 E 17.3293
BeschV BeschV § 6 Abs. 1, § 32 Abs. 2 Nr. 2, Abs. 4
RL 2013/33/EU Art. 15 Abs. 1
VwGO VwGO § 123
Leitsatz
1 Im Wege der einstweiligen Anordnung kann der Ausländerbehörde aufgegeben werden, bis zur Klärung im Klageverfahren vorläufig eine Beschäftigungserlaubnis zu erteilen, auch wenn offen ist, ob das Ermessen bezüglich der Erteilung der Beschäftigungserlaubnis auf Null reduziert ist. Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
2 Einer niedrigen Gesamtschutzquote kommt im Rahmen der Ermessensbetätigung generell keine besondere Aussagekraft zu, wenn der ablehnende Asylbescheid nicht bestandskräftig ist. (Rn. 31) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Der Antragsgegner wird verpflichtet, dem Antragsteller vorläufig bis zur Entscheidung im Klageverfahren (M 9 K 17.3292) die Erlaubnis für die Ausbildung als Eisenbahner im Betriebsdienst, Fachrichtung: Lokführer und Transport zu erteilen.
II. Der Antragsgegner hat die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens zu tragen.
III. Der Gegenstandswert wird auf EUR 2.500 festgesetzt.
Gründe
I.
Der Antragsteller begehrt im Wege der einstweiligen Anordnung die Erteilung einer einstweiligen Ausbildungs- bzw. Beschäftigungserlaubnis.
Der laut eigener Aussage, laut eines ärztlichen Gutachtens (Bl. 64f. d. Behördenakts – i.F.: BA –) und laut einer mit Schriftsatz vom 4. Juli 2017 der Behörde vorgelegten Geburtsurkunde (eingegangen am 6. Juli 2017, Bl. 226ff., insb. Bl. 248 d. BA) am 14. August 1996 geborene Antragsteller reiste nach eigenen Angaben am 14. Juni 2016 in das Bundesgebiet ein (die Bescheinigung über die Meldung als Asylsuchender datiert vom 20. Juni 2013, Bl. 4 d. BA). Er stellte am 4. Juli 2013 beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (i.F.: Bundesamt) förmlich einen Asylantrag (Bl. 27 d. BA), der mit Bescheid vom 14. Februar 2017, Az. 5646624 – 272 abgelehnt wurde (Bl. 168ff. d. BA). Der Antragsteller wandte sich gegen diesen Ablehnungsbescheid mit Klage vom 22. Februar 2017 (M 21 K 17. 33455, vgl. Bl. 195 d. BA). Er ist im Besitz einer bis zum 16. September 2017 gültigen Aufenthaltsgestattung (Bl. 182 d. BA).
Nachdem der Antragsteller bei seiner Arbeitgeberin bereits vom 1. August 2015 bis zum 31. Juli 2016 im Rahmen einer sog. Einstiegsqualifizierung und im Anschluss daran ab 1. August 2016 im Ortsdienst tätig war, stellte er am 17. März 2017 einen (weiteren) Antrag auf Fortsetzung der bisherigen Beschäftigung (Bl. 186ff. d. BA).
Nach Anhörung vom 28. März 2017 (Bl. 196 d. BA) lehnte das Landratsamt, Ausländerwesen (i.F.: Landratsamt) den Antrag ab.
Zwar sei die Wartezeit von drei Monaten erfüllt, gegen die Erteilung der Arbeitserlaubnis spreche aber, dass der Antragsteller weder dem Bundesamt noch dem Landratsamt seinen Pass vorgelegt und damit seine Mitwirkungspflichten verletzt habe. Auch spreche gegen die Erteilung, dass der Asylantrag durch das Bundesamt abgelehnt worden sei; zwar führe diese Ablehnung wegen der gegen den Bescheid erhobenen Klage nicht per se zur Versagung der Erlaubnis, sie sei aber als Prognose über die Bleibewahrscheinlichkeit mit zu berücksichtigen gewesen. Die Gesamtschutzquote für Menschen, deren Herkunftsstaat Sierra-Leone ist, liege laut Bundesamt im Kalenderjahr 2016 bei 7,7%. Deshalb dürfe vermutet werden, dass das Schutzgesuch letztlich ohne Erfolg bleiben werde. Die vorgelegten Schulzeugnisse seien als Nachweise für gute Sprachkenntnisse berücksichtigt worden, es fehle aber an einem Zertifikat bzw. Nachweis nach dem gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen für Sprachen. Es sei auch aus migrationspolitischen Erwägungen zu verhindern, dass das Asylverfahren für Zwecke der Zuwanderung in den Arbeitsmarkt missbraucht werde. Wegen des Bescheidinhalts im Übrigen wird auf diesen Bezug genommen, § 77 Abs. 2 AsylG.
Der Bevollmächtigte des Antragstellers hat unter dem 18. Juli 2017 Klage gegen den Bescheid erhoben. Vorliegend beantragt er, den Antragsgegner im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes zu verpflichten, dem Antragsteller die Erlaubnis für die Ausbildung als Lokführer im Betriebsdienst bei der L. Gesellschaft einstweilen zu erteilen.
Auf den Sachvortrag wird Bezug genommen.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Auf die Stellungnahme vom 7. August 2017 wird Bezug genommen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend Bezug genommen auf die Gerichtssowie die beigezogene Behördenakte.
II.
Der Antrag hat Erfolg.
Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn diese Regelung notwendig erscheint, insbesondere auch, um wesentliche Nachteile abzuwenden. Erforderlich sind danach ein Anordnungsgrund – also: die Eilbedürftigkeit der Sache – sowie ein Anordnungsanspruch – mithin: der zu sichernde materielle Anspruch in der Hauptsache. Anordnungsgrund und -anspruch sind nach § 123 Abs. 1 VwGO, § 920 Abs. 2 ZPO glaubhaft zu machen.
1. Ein Anordnungsgrund bzw. die dafür erforderlichen Tatsachen wurden geltend und hinreichend glaubhaft gemacht. Zwar entspricht es dem Wesen und Zweck einer einstweiligen Anordnung, dass das Verwaltungsgericht in einem Eilverfahren nach § 123 VwGO grundsätzlich nur vorläufige Regelungen treffen und dem Betroffenen nicht schon in vollem Umfang das gewähren kann, was er nur in einem Hauptsacheprozess erreichen könnte. Vorliegend wird die Hauptsache aber nicht in diesem Sinne vorweggenommen, sondern die Erlaubnis zur Ausbildung nur einstweilen erteilt. Das sog. Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache gilt im Übrigen nicht nur zugunsten der Behörde, sondern auch zugunsten des Antragstellers (vgl. z.B. Eyermann, VwGO, Stand: 14. Auflage 2014, § 123 Rn. 66a). Gerade angesichts des verfassungsrechtlichen Gebots effektiven Rechtsschutzes gemäß Art. 19 Abs. 4 GG sind Härten in diesem Zusammenhang in jedem Fall zu vermeiden. Die Dringlichkeit – mithin: der Anordnungsgrund – ergibt sich vorliegend aus zwei Aspekten:
Zum einen hat der Arbeitgeber des Antragstellers ausdrücklich erklärt, den Ausbildungsplatz nur mehr bis zum Stichtag 31. August 2017 für den Antragsteller freihalten zu können.
Zum anderen folgt ein Interesse gerade an diesem konkreten Ausbildungsplatz in diesem konkreten Ausbildungsbetrieb hier daraus, dass der Antragsteller seine Ausbildung über eine sog. Einstiegsqualifizierung bereits dergestalt vorbereitet und – im untechnischen Sinne – begonnen hat, dass ihm der Zeitraum dieser Maßnahme aufgrund der inhaltlichen Übereinstimmung der zu erfüllenden Tätigkeiten im Betrieb der L. GmbH mit acht Monaten auf das erste Lehrjahr angerechnet wird. Dem liegt eine Auskunft der Industrie- und Handelskammer München und Oberbayern vom 4. April 2017 zugrunde, wonach der Berufsausbildungsvertrag – wie vom Antragsteller und seiner Arbeitgeberin beantragt – mit einer Ausbildungszeit vom 10. April 2017 bis zum 31. Juli 2019 in das Verzeichnis der Berufsausbildungsverhältnisse aufgenommen wurde (Bl. 205 d. BA). Das bedeutet, dass die an sich 36-monatige Ausbildung um acht Monate verkürzt wurde, wie es § 8 Abs. 1 BBiG und § 1 Satz 1 der Anordnung des Verwaltungsrates der Bundesagentur für Arbeit zur Förderung der Einstiegsqualifizierung (Einstiegsqualifizierungsförderungs-Anordnung – EQFAO) vom 20. September 2007 (ANBA 2007 Nr. 10 S. 4), zuletzt geändert durch die Dritte Änderungs-Anordnung vom 12. Februar 2016 (ANBA 2016 Nr. 4 S. 5) vorsehen (vgl. dazu auch VGH BW, B.v. 4.1.2017 – 11 S 2301/16 – juris). Dass sich der Zeitpunkt des Wiedereinstiegs – im Antrag vom März 2017 noch auf den 10. April 2017 datiert und so auch im Berufsausbildungsvertrag festgeschrieben – auf August 2017 verschiebt, ist für die Verkürzung des Ausbildungszeitraums insgesamt und auch für die Aufnahme des zweiten Lehrjahrs irrelevant und resultiert laut nachvollziehbarer Stellungnahme der L. GmbH (E-Mail vom 3. August 2017) aus dem Umstand, dass die Genehmigung der Ausländerbehörde ausblieb. Da eine Einstiegsqualifizierung darauf gerichtet ist, dass die Ausbildung im gleichen Unternehmen möglichst bald im Anschluss an die Beendigung der Maßnahme begonnen wird – schließlich dient die Einstiegsqualifizierung gerade auch dazu, dass der Ausbildungsbetrieb seinen künftigen Auszubildenden in der täglichen Praxis kennenlernen kann –, würde eine Wiederaufnahme der Ausbildung erst im Jahr 2018 laut Stellungnahme der L. GmbH vom 17. Juli 2017 im Zweifel dazu führen, dass die Anrechnung der Einstiegsqualifizierung nicht mehr möglich wäre, d.h. nicht mehr anerkannt würde.
Der vorliegende Fall ist damit nicht mit Fällen vergleichbar, in denen erstmals Ausbildungen begonnen werden sollen oder in denen Ausbildungen in beliebigen Unternehmen möglich wären.
Überdies wird der Antragsgegner vorliegend nur dazu verpflichtet, die Ausbildungserlaubnis einstweilen zu erteilen. Das Prozedere gleicht damit bspw. Fällen, in denen Schüler vorläufig zum Unterricht – in höheren Klassen oder an bestimmten Schulen – zugelassen werden, um irreparable Nachteile zu vermeiden (dazu bspw. BayVGH, B.v. 11.12.2013 – 7 CE 13.2063 – juris). Damit besteht keine Präjudizwirkung hinsichtlich des Hauptsacheverfahrens (siehe auch unten).
2. Auch ein Anordnungsanspruch, mithin: ein Anspruch auf Erteilung einer Erlaubnis zur Berufsausbildung gemäß § 61 Abs. 2 AsylG und/oder auf fehlerfreie Ausübung des Ermessens, bzw. die dafür erforderlichen Tatsachen wurden geltend und hinreichend glaubhaft gemacht.
a) Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 61 Abs. 2 AsylG sind erfüllt. Der Antragsteller ist seit 4. Juli 2013 im Besitz einer Aufenthaltsgestattung und hält sich damit seit mehr als drei Monaten gestattet im Bundesgebiet auf. Die behördliche Ablehnung seines Asylantrags ändert daran nichts, da diese Entscheidung noch nicht bestandskräftig ist (vgl. das anhängige Klageverfahren M 21 K 17.33455 beim Bayerischen Verwaltungsgericht München). Nach § 32 Abs. 2 Nr. 2, Abs. 4 der Verordnung über die Beschäftigung von Ausländerinnen und Ausländern (Beschäftigungsverordnung – BeschV) des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz bedarf die Erteilung einer Erlaubnis zur Berufsausbildung in einem staatlich anerkannten Ausbildungsberuf wie dem vorliegenden (vgl. Ziff. 52202 der Bekanntmachung des Verzeichnisses der anerkannten Ausbildungsberufe und des Verzeichnisses der zuständigen Stellen vom 5. Juni 2017 durch das Bundesinstitut für Berufsbildung) keiner Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit. Der Antragsteller stammt auch nicht aus einem sicheren Herkunftsstaat nach § 29a AsylG. Schließlich sind keine Versagungsgründe nach § 40 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 AufenthG ersichtlich.
b) Streitgegenstand des Verfahrens nach § 123 Abs. 1 VwGO ist die vorläufige Sicherung des materiellen Hauptsacheanspruchs; dies kann auch ein Anspruch auf fehlerfreie Ermessensausübung sein. Damit ist irrelevant, dass § 61 Abs. 2 AsylG auf Rechtsfolgenseite Ermessen vorsieht und dass damit ein gebundener Anspruch grundsätzlich nicht besteht; eine Ermessensreduzierung auf Null ist für den Erlass einer Regelungsanordnung gerade nicht notwendig, auch ein Anspruch auf erneute fehlerfreie Ausübung des Ermessens kann mit einer vorläufigen Regelung gesichert werden (vgl. VGH BW, B.v. 27.6.2017 – 11 S 1067/17 – juris; NdsOVG, B.v. 11.6.2008 – 4 ME 184/08 – juris; Eyermann, VwGO, Stand: 14. Auflage 2014, § 123 Rn. 50).
Die die Ablehnungsentscheidung tragenden Ermessensgründe wecken – auch in Ansehung der Vorgaben des IMS vom 1. September 2016, Az. IA2-2081-1-8-19 – bei einem seit mehr als vier Jahren im Bundesgebiet aufhältigen und seit mehr als zwei Jahren hier arbeitenden Asylbewerber hinreichende Zweifel, um die tenorierte vorläufige Regelung zu treffen (vgl. auch VG Berlin, B.v. 14.4.2016 – 11 L 49.16 – juris):
Zwar sind die Ausführungen des Bevollmächtigen zu Art. 15 Abs. 1 RL EU 2013/33 nach der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs, der sich das Gericht anschließt, unzutreffend (vgl. BayVGH, B.v. 21.4.2017 – 10 ZB 16.2281 – juris).
Andererseits aber sprechen gute Gründe für die Erteilung der Beschäftigungserlaubnis: Zum einen wird die Beschäftigung des Antragstellers keine nachteiligen Auswirkungen im Sinne § 61 Abs. 2 Satz 3 AsylG i.V.m. § 39 Abs. 2 AufenthG zeitigen, wie sich aus der Stellungnahme der L. Gesellschaft vom 17. Juli 2017 ergibt: Danach könne der Bedarf an Lokführern derzeit vom Markt nicht gedeckt werden; dass der Ausbildungsplatz nur mehr bis zum 31. August 2017 freigehalten werden könne, steht dazu nicht zwangsläufig in Widerspruch.
Zum anderen lässt sich auch die im Bescheid noch festgestellte Verletzung des § 15 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 AsylG – fehlende Mitwirkung im Asylverfahren – mit Blick auf die vorgelegte Geburtsurkunde nicht mehr ohne Weiteres annehmen, wie auch § 15 Abs. 2 Nr. 6 AsylG zeigt (vgl. zur Geburtsurkunde OVG Hamburg, B.v. 29.9.2014 – 2 So 76/14 – juris; VG Karlsruhe, U.v. 11.1.2017 – A 4 K 2343/16 – juris). Dabei ist zu beachten, dass die Geburtsurkunde dem Landratsamt am 6. Juli 2017 und damit sowohl vor dem 7. Juli 2017 als Zeitpunkt des Bescheiderlasses (die Schlusszeichnung erfolgte ohnehin erst am 10. Juli 2017) als auch geraume Zeit vor Aushändigung des Bescheids (12. Juli 2017) zuging; unabhängig davon, dass der maßgebliche gerichtliche Beurteilungszeitpunkt vorliegend der Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung ist, waren die Ermessenserwägungen bezüglich etwaig versäumter Mitwirkungspflichten somit nicht mehr aktuell. Wenn in der Antragserwiderung vom 7. August 2017 darauf hingewiesen wird, dass die Echtheit der Geburtsurkunde nicht abschließend habe überprüft werden können, so ist das kein durchgreifendes Argument, da das bei entsprechenden Ermittlungen möglich (gewesen) wäre.
Weiter ist zugunsten des Antragstellers zu berücksichtigen, dass er sich bereits seit langem im Asylverfahren befunden hat (vgl. BVerwG, B.v. 28.12.1990 – 1 B 14/90 – juris), dass er eine qualifizierte Berufsausbildung – eine qualifizierte Berufsausbildung setzt im Anschluss an § 6 Abs. 1 BeschV voraus, dass es sich, wie vorliegend, um einen staatlich anerkannten Ausbildungsberuf handelt und dass die Berufsausbildung mindestens zwei Jahre dauert (vgl. Funke-Kaiser, in: GK-AufenthG, Stand: März 2016, § 60a AufenthG, Rn. 288.3) – anstrebt und über die Anrechnung teilweise schon „verwirklicht“ hat, dass er nach mehreren der Ausländerbehörde vorgelegten Schulzeugnissen bereits über gute Sprachkenntnisse verfügt und sich durch (Intensiv-) Deutschkurse weiter fortbildet (siehe aber auch unten, Ziff. 3 des Beschlusses) und dass er nach Angaben seiner Arbeitgeberin (und den vorgelegten Nachweisen) im Rahmen seiner bisherigen Ausbildungsabschnitte gute Leistungen erbracht hat, dem Ausbildungsstand des ersten Lehrjahres deutlich voraus ist und sich stets lern- und integrationswillig gezeigt hat. Auch der Erwerb des qualifizierenden Abschlusses der Mittelschule (Zeugnis vom 24. Juli 2015, Bl. 229 d. BA) streitet für den Antragsteller.
Die Frage, ob der Jahresstatistik des Bundesamts zur Bleibeperspektive des Antragstellers überhaupt ein Aussagewert für das vorliegende Verfahren zu entnehmen ist, ist aus mehreren Gründen zweifelhaft; ihre Klärung im Übrigen bleibt dem Hauptsacheverfahren vorbehalten.
Das IMS vom 1. September 2016, Az. IA2-2081-1-8-19, auf das sich die Ausländerbehörde bei ihrer Entscheidung gestützt hat, enthält dazu unter 2.2.2 „Beschäftigung und Berufsausbildung von Asylbewerbern aus sonstigen Herkunftsstaaten, die außerhalb von Aufnahmeeinrichtungen untergebracht sind“ folgende Aussagen:
„Im Übrigen, also soweit es Asylbewerber aus sonstigen Herkunftsstaaten betrifft, steht die Entscheidung über den Antrag auf Erteilung einer Beschäftigungserlaubnis im Ermessen der Ausländerbehörden.
Dabei können insbesondere folgende (nicht abschließende) Umstände berücksichtigt werden:
a) Für die Erteilung einer Beschäftigungserlaubnis: […] hohe Anerkennungswahrscheinlichkeit im Asylverfahren aufgrund Herkunft aus einem Staat mit hoher Anerkennungsquote des BAMF […]
b) Gegen die Erteilung einer Beschäftigungserlaubnis: Ablehnung des Asylantrages durch das BAMF, falls der Ablehnungsbescheid noch nicht bestandskräftig ist, insbesondere, wenn die Ablehnung als „offensichtlich unbegründet“ i.S.d. § 30 AsylG erfolgte. […]“
Vorab ist klarzustellen, dass eine derartige Statistik nicht letztverbindlich für eine Entscheidung des Einzelfalls sein kann; dies zeigt sich schlicht daran, dass der Antragsgegner eine geringe Bleibeperspektive bei einer hypothetischen Behandlung von 100 Einzelfällen sierra-leonischer Antragsteller – gerundet – acht dieser Einzelfälle zu Unrecht entgegenhalten würde.
Weiter zeigt die Formulierung des IMS vom 1. September 2016, Az. IA2-2081-1-8-19, dass nur eine hohe Anerkennungswahrscheinlichkeit für die Erteilung einer Beschäftigungserlaubnis gewertet werden soll; für den umgekehrten Fall eines noch nicht verbeschiedenen Asylgesuchs eines Antragstellers mit geringer Anerkennungswahrscheinlichkeit findet sich keine Regelung. Weiter würde ein derartiges hypothetisches Ermessenskriterium – geringe Anerkennungswahrscheinlichkeit im Asylverfahren spricht gegen die Erteilung einer Beschäftigungserlaubnis – dann, wenn bereits eine behördliche Ablehnung des Asylantrags erfolgt ist (wie vorliegend), ohnehin von der unter b) zitierten Regelung „konsumiert“. Es wird weiter darauf hingewiesen, dass die (noch nicht bestandskräftige) Ablehnung, anders als vom IMS vom 1. September 2016, Az. IA2-2081-1-8-19 unter b) als „insbesondere“ gegen die Erteilung sprechend zu werten, nicht als offensichtlich unbegründet i.S.v. § 30 AsylG erfolgte, was sich in den Erwägungen der Ausländerbehörde ebenfalls nicht niederschlägt. Die weitergehende „Prognose“ der Ausländerbehörde schließlich, dass eine geringe Anerkennungswahrscheinlichkeit im behördlichen Verfahren gleichsam das gerichtliche Verfahren „präjudiziert“, findet sich weder im IMS, a.a.O. noch wäre dies im Übrigen anzuerkennen, da der Ausgang des Gerichtsverfahrens offen ist.
Mit Blick auf die erhobene Klage kommt der Bundesamt-Statistik nach Ansicht des Gerichts generell keine besondere Aussagekraft mehr zu (vgl. bereits VG München, U.v. 5.4.2017 – M 9 K 17.254 – juris), da sie – soweit ersichtlich –nicht auf die Bestandskraft der Entscheidungen abstellt. Diese Frage bleibt einer (ergänzenden) Klärung im Hauptsacheverfahren vorbehalten.
Nach alledem ist nicht ersichtlich, inwiefern überwiegende Gründe gegen die Erteilung der Beschäftigungserlaubnis sprechen sollten. Etwaige Fernziele wie die Verhinderung einer (weiteren) Verfestigung des Aufenthalts nach § 60a Abs. 2 Satz 4 und 5 AufenthG (sog. 3+2-Regelung) sind bei der Entscheidung über die Erteilung einer Beschäftigungserlaubnis („Parallelverfahren“, vgl. BayVGH, B.v. 25.1.2017 – 10 CE 16.2342 – juris) außer Betracht zu lassen – und verbieten sich nach Ansicht des Gerichts jedenfalls in Fällen wie dem Vorliegenden bereits deshalb, weil gerade die von der Ausländerbehörde erlaubte Einstiegsqualifizierung (Bl. 103 und 114 d. BA) den „Grundstein“ für eine derartige Verfestigung gelegt hat. Dass eine Einstiegsqualifizierung nicht nur – wie es im Bescheid anklingt – dazu dienen soll, gleichsam „generelle berufliche Handlungsfähigkeit“ zu erlangen, sondern gezielt einer Ausbildung im selben Betrieb vorgeschaltet wird, ergibt sich bspw. aus den Informationen, die die Bundesagentur für Arbeit dazu online bereitstellt (https://www3.arbeitsagentur.de/web/content/DE/Unternehmen/ Ausbildung/Ausbildungsvorbereitung/Einstiegsqualifizierung/index.htm): Danach wird eine Einstiegsqualifizierung u.a. nur dann bewilligt, wenn sie ihren Inhalten nach auf einen anerkannten Ausbildungsberuf im Sinne des § 4 Abs. 1 des BBiG, § 25 Abs. 1 Satz 1 der HwO, des Seemannsgesetzes oder des Altenpflegegesetzes vorbereitet. Weiter sei es ausdrückliches Ziel der Einstiegsqualifizierung, dass mehr junge Menschen mit erschwerten Vermittlungsbedingungen eine betriebliche Berufsausbildung aufnehmen und dass diese durch die erfolgreichen Vorerfahrungen gegebenenfalls verkürzt wird. Dies wurde so auch explizit von der dem Antrag auf Bewilligung der Einstiegsqualifizierung beigegebenen Stellenbeschreibung (Bl. 98 d. BA) und von dem entsprechenden Beschäftigungsvertrag (Bl. 93 d. BA) aufgegriffen, die der Bewilligung der Ausländerbehörde zugrunde lagen. Die Wertung der Ausländerbehörde, dass mit der Zulassung zu einer Einstiegsqualifizierung kein Vertrauensschutz begründet würde (Bescheid, S. 7), kann nicht nachvollzogen werden, da sich der vorliegende Fall dadurch gerade abhebt von Fällen, in denen erstmals eine Ausbildung aufgenommen werden soll. Die Ausländerbehörde hätte dem Antragsteller die Zulassung zur Einstiegsqualifizierung verwehren und, wie zwischenzeitlich auch geschehen, schlicht eine Tätigkeit im Ortsdienst – d.h. eine „normale“ Beschäftigung – bewilligen können; durch die Zulassung zu einer Maßnahme aber, die eine Ausbildung vorbereitet und zu einer Anrechnung im Ausbildungszeitraum führt, wird nach Ansicht des Gerichts durchaus in der Ermessensausübung zu berücksichtigender Vertrauensschutz begründet. Dass die Einstiegsqualifizierung einen „Sonder Weg“ darstellt, der selbst bei Antragstellern aus sicheren Herkunftsstaaten zur Erteilung einer Beschäftigungserlaubnis führen kann, zeigt sich auch an den Wertungen des IMS vom 1. September 2016, Az. IA2-2081-1-8-19 (2.2.1 am Ende):
„Im Einzelfall können besondere Umstände vorliegen, die bei Asylbewerbern aus sicheren Herkunftsstaaten, die ihren Asylantrag vor dem 31.08.2015 gestellt ha-ben, im Rahmen der Ausübung des Ermessens die Erteilung einer Beschäfti-gungserlaubnis zulassen. Solche Umstände können sich insbesondere aus dem Vertrauensschutz oder den besonderen berechtigten Interessen des Arbeitgebers bzw. Ausbildungsbetriebs ergeben. Sie können zum Beispiel vorliegen, wenn eine vor Erlass des IMS vom 31.03.2015, Az. IA2-2081-1-8, aufgenommene qualifizierte Berufsausbildung oder Beschäftigung in einem Mangelberuf fortgesetzt werden sollen oder nach einer erfolgreich abgeschlossenen Einstiegsqualifizierung nunmehr eine qualifizierte Berufsausbildung aufgenommen werden soll.“
Ohne dass es tragend darauf ankommt, sei schließlich darauf verwiesen, dass das Landratsamt – Fachbereich Jugend und Sport – selbst den Ausbildungswunsch des Antragstellers aufgegriffen, nachdrücklich unterstützt und begleitet hat (vgl. z.B. Bl. 88ff. d. BA, Bl. 184 d. BA); auch vonseiten der Ausländerbehörde wurde nach Aktenlage noch unter dem 10. März 2015 auf einer entsprechenden Mailanfrage vermerkt, dass auch eine Ausbildung – und nicht nur eine Einstiegsqualifizierung – genehmigt werden könnte (Bl. 88 d. BA).
Ob mit alledem auch eine Ermessensreduzierung auf Null gegeben ist, die Erteilung der Beschäftigungserlaubnis also die einzig richtige Entscheidung dargestellt hätte und darstellt, muss nach Obenstehendem nicht entschieden werden.
3. Unabhängig von Vorstehendem bleibt festzuhalten, dass mit der hiesigen Entscheidung nur eine vorläufige Regelung bis zur Entscheidung des Hauptsacheverfahrens getroffen wird. Der Antragsteller wird im Rahmen des Klageverfahrens v.a. ein entsprechendes Sprachzertifikat nach dem Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen für Sprachen (GER) – mindestens für das Sprachniveau B1 (vgl. § 2 Abs. 11 AufenthG), am besten für die nach seinem Vortrag auch bereits belegten Stufen B2 und C1, da entsprechende Kenntnisse für den Erfolg einer Ausbildung unerlässlich erscheinen – vorzuweisen und nach Möglichkeit einen Pass als Identitätsnachweis zu beschaffen haben (vgl. zu dieser Forderung VG München, U.v. 5.4.2017 – M 9 K 17.254 – juris), um seine Ausbildung weiter vorantreiben zu dürfen. Gerade Letzteres liegt nicht nur mit Blick auf eine mögliche Aufenthaltserlaubnis – bspw. nach § 25a Abs. 1 AufenthG – im ureigenen Interesse des Antragstellers, vgl. § 5 Abs. 1 Nr. 1a AufenthG; für das Gericht sind die Bedenken des Bevollmächtigten im Hinblick „auf das laufende Asylverfahren“ dabei nicht nachvollziehbar, da schließlich auch eine Geburtsurkunde vorgelegt wurde. Sollte ein Pass nicht mehr existieren, wird der Antragsteller alle Urkunden und Unterlagen, die neben dem Pass oder Passersatz für die Feststellung der Identität und Staatsangehörigkeit von Bedeutung sein können, zu besorgen haben, § 15 Abs. 3 Nr. 1 AsylG. Angesichts der beschafften Geburtsurkunde aus 2015 erscheint es dem Gericht nicht glaubhaft, dass es dem Antragsteller mangels (noch lebender?) Verwandter im Heimatland (vgl. Bl. 200 d. BA) nicht möglich sein sollte, sich um weitere Aufklärung zu bemühen. Diesbezüglich und im Anschluss an die oben formulierten Forderungen, denen der Antragsteller bis dato nur teilweise nachgekommen ist und die im Hauptsacheverfahren zu erfüllen sind, werden alle Beteiligten ergänzend auf folgende Passage des IMS vom 1. September 2016, Az. IA2-2081-1-8-19 (2.2.2 am Ende) hingewiesen:
„Wird eine Beschäftigungserlaubnis erteilt, sind bei ungeklärter Identität des Aus-länders dieser und ggf. auch der (Ausbildungs-) Betrieb darüber zu belehren, dass im Falle einer Ablehnung des Asylantrages nach Eintritt der Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht die Beschäftigung bzw. Berufsausbildung abgebrochen werden müsste, wenn der Ausländer bei seiner Identitätsklärung nicht mitwirken sollte, weil dann das absolute Erwerbstätigkeitsverbot nach § 60a Abs. 6 Satz 1 Nr. 2 AufenthG greift, das der Ausländerbehörde kein Ermessen einräumt.“
Abschließend ist klarzustellen, dass die vorliegende Entscheidung keinerlei (positive) Auswirkungen auf das parallele Asylverfahren hat.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b, § 61 AsylG. Der Gegenstandswert wurde nach § 30 Abs. 1 RVG festgesetzt.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 80 AsylG.