Verwaltungsrecht

Erfolgreicher Eilantrag gegen fehlerhafte Einstufung eines Asylantrags als Zweitantrag

Aktenzeichen  Au 3 S 16.32229

Datum:
8.12.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO VwGO § 80 Abs. 5
AsylG AsylG § 34, § 36 Abs. 3 S. 1, Abs. 4, § 71a Abs. 1, Abs. 4
Dublin III-VO Dublin III-VO  Art. 18 Abs. 2
RL 2013/32/EU Art. 28 Abs. 2, Art. 40, Art. 41

 

Leitsatz

1 Der „erfolglose Abschluss des Asylverfahrens“ iSv § 71a Abs. 1 AsylG setzt voraus, dass ein Asylverfahren im anderen Mitgliedstaat endgültig beendet ist und nicht etwa nach dem Recht dieses Mitgliedstaats auf Antrag wiederaufgenommen bzw. fortgesetzt werden könnte (VGH München BeckRS 2016, 41335, VGH BW BeckRS 2015, 46263). (redaktioneller Leitsatz)
2 Der „erfolglose Abschluss des Asylverfahrens“ in einem anderen Mitgliedstaat muss überdies zur Anwendung des § 71a Abs. 1 AsylG gesichert feststehen; bloße Mutmaßungen bzw. Vermutungen einer konkludenten Antragsrücknahme durch Ausreise aus dem anderen Mitgliedstaat genügen insoweit nicht.  (redaktioneller Leitsatz)
3 Kann das Bundesamt trotz aller möglichen und zumutbaren Ermittlungen keine gesicherten Erkenntnisse über den Ausgang des Erstverfahrens erlangen, muss es dem jeweiligen Antragsteller entsprechend den europarechtlichen Vorgaben die Möglichkeit einräumen, das Verfahren fortzuführen, ohne dass es als Folge- bzw. Zweitantrag behandelt wird. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Die aufschiebende Wirkung der Klage (Az. Au 3 K 16.32227) gegen die Abschiebungsandrohung unter Nr. 3 des Bescheids des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 14. Oktober 2016 wird angeordnet.
II.
Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I.
1. Der Antragsteller ist nach eigenen Angaben am … 1993 geboren und pakistanischer Staatsangehöriger. Der Antragsteller wurde am 14. Juli 2015 in … als Asylsuchender registriert, hierbei gab der Antragsteller als Einreisedatum in Deutschland den 8. Juli 2015 an.
Der Antragsteller stellte am 3. Mai 2016 einen förmlichen Asylantrag in der Bundesrepublik Deutschland.
Eine Abfrage des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) vom 9. Mai 2016 ergab für den Antragsteller einen Treffer im Eurodac-System für Ungarn („HU1…“). Mit Schreiben vom 24. Mai 2016 teilten die um Wiederaufnahme des Antragstellers ersuchten ungarischen Behörden mit, dass dieser am 2. Juli 2015 einen Asylantrag in Ungarn gestellt habe, jedoch kurze Zeit später unbekannten Aufenthalts gewesen sei, so dass das Asylverfahren in Ungarn eingestellt worden sei („… his procedure was terminated.“). Aufgrund des Zeitablaufs werde ohne weitere Klärung der Einzelfallumstände keine Zuständigkeit Ungarns für das Asylverfahren des Antragstellers bejaht.
Im Rahmen der nachfolgenden Anhörung – Sprache: Urdu – beim Bundesamt am 24. Mai 2016 gab der Antragsteller u. a. an, dass er der Volksgruppe der Punjabi angehöre. Sein pakistanischer Personalausweis sei im Heimatland zurückgeblieben. Er habe in Pakistan zuletzt im Dorf … (Distrikt …, Provinz …) gelebt. In Pakistan lebten noch sein Vater, ein Bruder, ein Onkel und eine Tante. In Pakistan habe er die Schule nach der neunten Klasse verlassen. Danach habe er als Friseur gearbeitet. Er habe Pakistan zuletzt Ende 2013 verlassen. Er sei über den Iran, die Türkei, Griechenland, Mazedonien, Serbien, Ungarn und Österreich nach Deutschland (Einreise: 8.7.2015) gelangt. Der Grund für die Ausreise aus Pakistan sei gewesen, dass er Anhänger der politischen Partei „Tahriek Ensaf“ gewesen sei. Eines Abends seien er und sein Bruder beim Kleben von Parteiplakaten von Anhängern einer rivalisierenden Partei („Nonlik“) geschlagen worden. Später seien er und sein Bruder in ihrem Friseursalon angegriffen und schwer verletzt worden. Bei ihrer Rückkehr am Abend sei auf sie auch geschossen worden. Eine polizeiliche Anzeige sei erfolglos geblieben, die Polizei sei von der anderen Partei bestochen worden. Ein Vermittlungsversuch zwischen den rivalisierenden Parteien habe im Sommer 2008 in einem gewalttätigen Tumult mit Todesopfern geendet. Daraufhin sei zunächst sein Bruder ausgereist, er lebe nunmehr in Griechenland. Im Jahr 2009 sei auch er selbst in die Türkei gegangen, die türkischen Behörden hätten ihn jedoch zurück nach Pakistan geschickt. Dort habe er sich zunächst in … versteckt. Die Familie habe ihm dann erneut Geld für die Ausreise gegeben, als seine Verfolger seine Rückkehr nach Pakistan bemerkt hätten. Er sei sodann zunächst wieder für ein Jahr in die Türkei gegangen. Da seine Verfolger ihn jedoch auch dort gefunden hätten, sei er weiter nach Europa geflohen. In Griechenland sei er nicht geblieben, da er sich dort nicht sicher vor seinen Verfolgern gefühlt habe. Abschließend gab das Bundesamt dem Antragsteller Gelegenheit, Tatsachen vorzutragen, die bei einer Entscheidung zur Befristung eines Einreise- und Aufenthaltsverbots als schutzwürdige Belange zu berücksichtigen wären. Hierzu trug der Antragsteller nichts vor.
2. Das Bundesamt lehnte sodann den Antrag des Antragstellers mit Bescheid vom 14. Oktober 2016 – zugestellt per Postzustellungsurkunde am 20. Oktober 2016 – als unzulässig ab (Nr. 1). Weiter wurde festgestellt, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 2). Die Abschiebung nach Pakistan wurde angedroht (Nr. 3). Zudem wurde das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf 36 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 4).
Zur Begründung wurde u. a. ausgeführt, dass der Asylantrag des Antragstellers unzulässig sei, da die Voraussetzungen für die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens in Deutschland nicht vorlägen (§ 71a AsylG i. V. m. § 51 VwVfG). Der Asylantrag in Deutschland vom 3. Mai 2016 sei als Zweitantrag i. S. v. § 71a AsylG anzusehen, da der Antragsteller bereits in einem sicheren Drittstaat erfolglos ein Asylverfahren betrieben habe. Insoweit wurde darauf verwiesen, dass der Antragsteller ausweislich des EURODAC-Treffers bereits in Ungarn einen Asylantrag gestellt habe. Soweit das Erstverfahren im anderen Mitgliedstaat noch offen ist oder keine Erkenntnisse über den Verfahrensstand vorliegen, sei mit Blick auf Art. 28 der EU-Asylverfahrensrichtlinie von einer sonstigen Erledigung ohne Schutzgewährung auszugehen. Mit Blick auf die Ausreise des Antragstellers aus Ungarn sei zudem davon auszugehen, dass der Antrag in Ungarn mangels Betreibens des Verfahrens als stillschweigend zurückgenommen gelte. Sollte im Erstverfahren im anderen Mitgliedstaat hingegen eine positive Entscheidung ergangen sein, sei der Asylantrag in Deutschland bereits unzulässig. Wiederaufgreifensgründe i. S. v. § 51 VwVfG seien im Fall des Antragstellers nicht gegeben. Es sei vielmehr davon auszugehen, dass der Antragsteller seine im hiesigen Asylverfahren vorgebrachten Fluchtgründe bereits in Ungarn vorgetragen hat bzw. hätte vorbringen können.
3. Hiergegen hat der Antragsteller am 25. Oktober 2016 Klage erhoben (Az. Au 3 K 16.32227), über die noch nicht entschieden ist. Gleichzeitig beantragt er (sinngemäß),
die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsandrohung unter Nr. 3 des Bescheids des Bundesamts vom 14. Oktober 2016 anzuordnen.
Das Bundesamt habe den Antrag zu Unrecht als Zweitantrag i. S. v. § 71a AsylG behandelt und deshalb das Schutzgesuch als unzulässig abgelehnt. Der Antragsteller habe sich auf seinem Fluchtweg u. a. in Griechenland und für wenige Tage in Ungarn aufgehalten. Asylanträge habe der Antragsteller dort nicht gestellt. Selbst wenn man vom Vorliegen eines Asylantrags in einem anderen EU-Mitgliedstaat ausgehe, sei § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG nicht anwendbar, da es an einem erfolglosen Abschluss eines Asylverfahrens i. S. v. § 71a AsylG fehle. Denn in der Fortsetzung seines Reisewegs von Ungarn nach Deutschland sei keine „stillschweigende Rücknahme“ eines Asylantrags zu sehen; auch eine etwaige Einstellung des Asylverfahrens in Ungarn sei kein erfolgloser Abschluss eines Asylverfahrens i. S. v. § 71a AsylG. Letztlich könne dies jedoch offen bleiben. Denn jedenfalls sei ein erfolgloses Asylverfahren i. S. v. § 71a AsylG nur ein solches Asylverfahren, dass im Einklang mit der Genfer Flüchtlingskonvention sowie der Europäischen Menschenrechtskonvention durchgeführt worden sei. Diese Anforderungen würden in Ungarn nicht gewahrt; das dortige Asylsystem weise systemische Mängel auf. Ohnehin gelte, dass Art. 40 Abs. 2 der EU-Asylverfahrensrichtlinie sich nur auf den Fall beziehe, dass der Zweitantrag in dem EU-Mitgliedstaat gestellt wird, der auch das Erstverfahren durchgeführt hat; auf die in § 71a AsylG geregelte Konstellation beziehe sich die unionsrechtliche Norm nicht. Hieraus folge, dass die Prüfung eines Zweitantrags auf internationalen Schutz – entgegen § 71a AsylG – nicht vom Vorliegen der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG abhängig gemacht werden dürfe. Zudem habe das Bundesamt die Akten des Asylverfahrens aus Ungarn nicht beigezogen; nur so sei jedoch der von § 51 VwVfG vorausgesetzte Vergleich möglich, ob ein neues Vorbringen vorliegt. Die Tatsachengrundlage der vorliegenden Entscheidung des Bundesamts sei daher unzureichend.
4. Mit Schreiben vom 8. November 2016 legte das Bundesamt die Behördenakte vor. Ein Antrag wurde nicht gestellt.
5. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Behördenakte Bezug genommen.
II.
Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO hat Erfolg.
1. Der Antrag ist zulässig.
Der Eilantrag nach § 80 Abs. 5 VwGO richtet sich bei Auslegung des Rechtsschutzbegehrens des Antragstellers nach § 122 Abs. 1 VwGO i. V. m. § 88 VwGO auf die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsandrohung in Nr. 3 des streitgegenständlichen Bescheids (vgl. § 71a Abs. 4 AsylG i. V. m. § 36 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 1 AsylG). Der so verstandene Antrag ist zulässig, da nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i. V. m. § 75 Abs. 1 AsylG Klagen gegen ablehnende Asylentscheidungen nur im Falle einer einfachen Ablehnung i. S. v. § 38 Abs. 1 AsylG aufschiebende Wirkung haben. Dies ist somit bei dem als unzulässig i. S. v. § 71a Abs. 4 AsylG i. V. m. § 36 AsylG abgelehnten Asylantrag des Antragstellers nicht der Fall.
Das Gericht geht gemäß § 122 Abs. 1 VwGO i. V. m. § 88 VwGO in sachgerechter Auslegung des Antrags überdies davon aus, dass sich der Eilantrag nicht gegen das auf § 11 Abs. 1 i. V. m. Abs. 2 AufenthG gestützte Aufenthalts- und Einreiseverbot nach der Abschiebung (Nr. 4 des Bescheids) richtet. Ein derartiger Antrag wäre mangels Rechtsschutzinteresses unzulässig (vgl. NdsOVG, B. v. 14.12.2015 – 8 PA 199/15 – juris Rn. 5; VG München, B. v. 10.6.2016 – M 4 S 16.31042 – juris Rn. 14).
Der Antrag wurde auch rechtzeitig innerhalb der Wochenfrist des § 71a Abs. 4 AsylG i. V. m. § 36 Abs. 3 Satz 1 AsylG gestellt.
2. Der Antrag ist auch begründet.
a) Gegenstand des gerichtlichen Eilverfahrens ist die Abschiebungsandrohung als aufenthaltsbeendende Maßnahme, beschränkt auf die Frage ihrer sofortigen Vollziehbarkeit. Die sofortige Beendigung des Aufenthalts eines Asylbewerbers im Bundesgebiet stützt sich auf die Ablehnung seines Asylantrags als unzulässigen Zweitantrag und ist deren Folge. Anknüpfungspunkt der gerichtlichen Prüfung im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes muss daher die Frage sein, ob das Bundesamt den Asylantrag zu Recht als unzulässigen Zweitantrag abgelehnt hat, ohne dass deshalb der Ablehnungsbescheid selbst zum Verfahrensgegenstand wird (vgl. zum Ganzen: BVerfG, U. v. 14.5.1996 – 2 BvR 1516/93 – BVerfGE 94, 166/189 ff. – juris Rn. 93 – zur Ablehnung als offensichtlich unbegründet).
Im Falle einer Ablehnung des Asylantrags und des Antrags auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft als unzulässige Zweitanträge darf gemäß § 80 Abs. 5 VwGO i. V. m. § 71a Abs. 4 AsylG und § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG die Aussetzung der Abschiebung nur angeordnet werden, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen. Ernstliche Zweifel in diesem Sinne liegen vor, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die Maßnahme einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhält (BVerfG, U. v. 14.5.1996 – 2 BvR 1516/93 – BVerfGE 94, 166/189 ff. – juris Rn. 99 – zur Ablehnung als offensichtlich unbegründet).
Das Gericht hat im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes auch die Einschätzung des Bundesamts, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen, zum Gegenstand der Prüfung zu machen. Dies ist zwar der gesetzlichen Regelung aus § 71a Abs. 4 AsylG i. V. m. § 36 AsylG nicht ausdrücklich zu entnehmen, jedoch gebieten die verfassungsrechtlichen Gewährleistungen der Art. 19 Abs. 4 GG und Art. 103 Abs. 1 GG die diesbezügliche Berücksichtigung auch im Verfahren nach § 36 AsylG (vgl. zur Rechtslage nach dem dem Abschiebungsverbot gemäß § 60 AufenthG entsprechenden § 51 AuslG 1990: BVerfG, U. v. 14.5.1996 – 2 BvR 1516/93 – BVerfGE 94, 166/221; vgl. zum Ganzen: VG München, B. v. 5.7.2016 – M 16 S 16.31362 – juris Rn. 15 – zur Ablehnung als offensichtlich unbegründet).
b) Unter Berücksichtigung obiger Vorgaben und Grundsätze bestehen vorliegend ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Entscheidung des Bundesamts hinsichtlich der Ablehnung des gegenständlichen Antrags als unzulässigen Zweitantrag i. S. v. § 71a AsylG.
Stellt der Ausländer nach erfolglosem Abschluss eines Asylverfahrens in einem sicheren Drittstaat (§ 26a AsylG), für den Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft über die Zuständigkeit für die Durchführung von Asylverfahren gelten oder mit dem die Bundesrepublik Deutschland darüber einen völkerrechtlichen Vertrag geschlossen hat, im Bundesgebiet einen Asylantrag (Zweitantrag), so ist gemäß § 71a Abs. 1 AsylG ein weiteres Asylverfahren nur durchzuführen, wenn die Bundesrepublik Deutschland für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist und die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG vorliegen; die Prüfung obliegt dem Bundesamt.
Vorliegend dürfte es an einem erfolglosen Abschluss eines Asylverfahrens in einem sicheren Drittstaat i. S. v. § 71a Abs. 1 AsylG fehlen.
aa) Ob unter einem „erfolglosen Abschluss eines Asylverfahrens“ i. S. v. § 71a Abs. 1 AsylG nicht nur die rechtskräftige Ablehnung des Asylantrags in der Sache oder die rechtskräftige Einstellung nach ausdrücklicher Rücknahme zu verstehen ist, sondern auch die Einstellung oder die Rücknahmefiktion, die in einem anderen Mitgliedstaat im Falle der bloßen Ausreise aus diesem Mitgliedstaat oder des Nichtbetreibens des Verfahrens erfolgt ist, ist strittig. Die wohl überwiegende Auffassung verneint diese Frage. Denn der zuständige Mitgliedstaat stellt gemäß Art. 18 Abs. 2 UAbs. 2 Satz 1 Dublin-III-VO in den Fällen, in denen über den Erstantrag im anderen Mitgliedstaat vor Rücknahme durch den Antragsteller keine Entscheidung in der Sache getroffen worden war (Art. 18 Abs. 1 lit. c Dublin-III-VO), sicher, dass die Prüfung des Antrags abgeschlossen wird oder der Betroffene einen neuen Antrag stellen kann, der nicht als Folgeantrag gewertet werden darf. Zudem gilt nach Art. 28 Abs. 2 UAbs. 1 EU-Asylverfahrensrichtlinie, dass ein Antragsteller im Fall einer stillschweigenden Rücknahme oder eines Nichtbetreibens des Verfahrens berechtigt ist, um eine Wiedereröffnung des Verfahrens zu ersuchen oder einen neuen Antrag zu stellen, der nicht nach Maßgabe der Art. 40 und 41 EU-Asylverfahrensrichtlinie – d. h. nicht als Folgeantrag – geprüft werden darf (vgl. zum Ganzen: VG Regensburg, B. v. 3.11.2016 – RN 7 S 16.32724 – juris; VG Schleswig, B. v. 14.9.2016 – 1 B 50/16 – juris Rn. 16; VG Schwerin, U. v. 8.7.2016 – 15 A 190/15 As – juris Rn. 18-20; VG Wiesbaden, B. v. 20.6.2016 – 5 L 511/16.WI.A – juris Rn. 20 f.; VG Augsburg, U. v. 10.5.2016 – Au 7 K 16.30181 – Rn. 36 des Entscheidungsumdrucks; VG Oldenburg, U. v. 11.11.2015 – 1 A 1966/15 – S. 6 f. des Entscheidungsumdrucks; VG Ansbach, U. v. 29.9.2015 – AN 3 K 15.30829 – juris Rn. 23; VG Hannover, U. v. 3.9.2015 – 10 A 3550/15 – juris Rn. 21-25; VG Berlin, B. v. 31.7.2015 – 33 L 215.15 A – juris Rn. 14-17; VG Göttingen, B. v. 8.6.2015 – 2 B 115/15 – juris Rn. 7-11; VG Lüneburg, B. v. 11.5.2015 – 2 B 13/15 – juris Rn. 12-14; VG Osnabrück, B. v. 24.4.2015 – 5 B 125/15 – juris Rn. 3-11; VG Cottbus, B. v. 21.1.2015 – 3 L 193/14.A – juris Rn. 24; VG Magdeburg, U. v. 6.10.2014 – 9 A 429/14 – juris Rn. 20-22; Marx, AsylVfG, 8. Aufl. 2014, § 71a Rn. 3 ff., 12 ff.; Bruns in: Hofmann, AusländerR, 2. Aufl. 2016, § 71a AsylG Rn. 3 und 9; offen gelassen in BayVGH, U. v. 3.12.2015 – 13a B 15.50069 u. a. – juris Rn. 26; vgl. auch BayVGH, B. v. 17.3.2015 – 13a ZB 15.50015 – juris: Berufungszulassung wegen grundsätzlicher Bedeutung; VGH BW, U. v. 29.4.2015 – A 11 S 121/15 – juris Rn. 37 f.; a. A. Hailbronner, Ausländerrecht, Stand: Oktober 2015, § 71a AsylVfG Rn. 14 f.; Funke-Kaiser in: GK-AsylVfG, Stand: Oktober 2015, § 71a Rn. 13).
Der „erfolglose Abschluss des Asylverfahrens“ i. S. v. § 71a Abs. 1 AsylG setzt jedenfalls voraus, dass ein Asylverfahren im anderen Mitgliedstaat endgültig beendet ist und nicht etwa nach dem Recht dieses Mitgliedstaats auf Antrag wiederaufgenommen bzw. fortgesetzt werden könnte (vgl. BayVGH, U. v. 3.12.2015 – 13a B 15.50069 u. a. – juris Rn. 24 f.; VGH BW, U. v. 29.4.2015 – A 11 S 121/15 – juris Rn. 36; vgl. auch VG Osnabrück, B. v. 24.4.2015 – 5 B 125/15 – juris Rn. 3-11).
Der „erfolglose Abschluss des Asylverfahrens“ in einem anderen Mitgliedstaat muss überdies zur Anwendung des § 71a Abs. 1 AsylG gesichert feststehen. Bloße Mutmaßungen bzw. Vermutungen einer konkludenten Antragsrücknahme durch Ausreise aus dem anderen Mitgliedstaat genügen insoweit nicht. Angaben des Ausländers selbst zum Verlauf des in einem anderen Mitgliedstaat durchführten Asylverfahrens stellen in aller Regel keine hinreichend verlässliche Tatsachenbasis für eine Zulässigkeitsentscheidung nach § 71a AsylG dar. Ist dem Bundesamt der aktuelle Stand des Verfahrens in dem anderen Mitgliedstaat nicht bekannt bzw. fehlen Kenntnisse darüber, ob überhaupt ein Verfahren einem anderen Mitgliedstaat betrieben wurde oder wird, muss es diesbezüglich daher zunächst von Amts wegen weitere Ermittlungen anstellen (vgl. § 24 VwVfG). Kann das Bundesamt trotz aller möglichen und zumutbaren Ermittlungen keine gesicherten Erkenntnisse über den Ausgang des Erstverfahrens erlangen, muss es dem jeweiligen Antragsteller entsprechend den europarechtlichen Vorgaben die Möglichkeit einräumen, das Verfahren fortzuführen, ohne dass es als Folge- bzw. Zweitantrag behandelt wird; dies folgt aus Art. 28 Abs. 2 UAbs. 1 EU-Asylverfahrensrichtlinie und Art. 18 Abs. 2 UAbs. 2 Satz 1 Dublin-III-VO (vgl. zum Ganzen: BayVGH, U. v. 3.12.2015 – 13a B 15.50069 u. a. – juris Rn. 22; OVG NW, U. v. 16.9.2015 – 13 A 2159/14.A – juris Rn. 141 f.; VG Regensburg, B. v. 3.11.2016 – RN 7 S 16.32724 – juris; VG Schleswig, B. v. 14.9.2016 – 1 B 50/16 – juris Rn. 16; VG Schwerin, U. v. 8.7.2016 – 15 A 190/15 As – juris Rn. 20; VG Wiesbaden, B. v. 20.6.2016 – 5 L 511/16.WI.A – juris Rn. 20; VG Leipzig, B. v. 17.6.2016 – 5 L 224/16.A – juris Rn. 22; VG Augsburg, U. v. 10.5.2016 – Au 7 K 16.30181 – Rn. 30 und 36 des Entscheidungsumdrucks; VG Ansbach, U. v. 7.1.2016 – AN 3 K 15.30960 – juris Rn. 33 f.; U. v. 29.9.2015 – AN 3 K 15.30829 – juris Rn. 23; B. v. 16.6.2015 – AN 4 S 15.30850 – juris Rn. 31; VG Lüneburg, B. v. 11.5.2015 – 2 B 13/15 – juris Rn. 9-17; VG Osnabrück, B. v. 24.4.2015 – 5 B 125/15 – juris Rn. 3-11; Marx, AsylVfG, 8. Aufl. 2014, § 71a Rn. 14; Bruns in: Hofmann, AusländerR, 2. Aufl. 2016, § 71a AsylG Rn. 9; Schönenbroicher in: Beck-OK AuslR, Stand: 15.8.2016, § 71a AsylG Rn. 2).
Maßgeblicher Zeitpunkt für das Vorliegen eines erfolglosen Abschlusses eines Asylverfahrens in einem anderen Mitgliedstaat i. S. v. § 71a Abs. 1 AsylG ist der Zeitpunkt des Zuständigkeitsübergangs nach der Dublin-III-VO. Denn dem unionsrechtlichen Zuständigkeitsübergang infolge einer Fristversäumung ist immanent, dass der zuständig gewordene Mitgliedstaat das Verfahren in dem Stadium übernimmt, den es zum Zeitpunkt des Zuständigkeitsübergangs erreicht hatte (vgl. zum Ganzen: BayVGH, U. v. 3.12.2015 – 13a B 15.50069 u. a. – juris Rn. 25; VGH BW, U. v. 29.4.2015 – A 11 S 121/15 – juris Rn. 36; a.A. VG Cottbus, B. v. 16.9.2016 – 1 L 326/14.A – juris Rn. 7: Asylantrag in Deutschland als maßgeblicher Zeitpunkt; so auch VG Potsdam, U. v. 9.12.2015 – VG 6 K 2153/14.A – juris Rn. 18; Bruns in: Hofmann, AusländerR, 2. Aufl. 2016, § 71a AsylG Rn. 5; in diese Richtung wohl auch VGH BW, B. v. 19.1.2015 – A 11 S 2508/14 – juris Rn. 8).
Ein Asylverfahren i. S. v. § 71a Abs. 1 AsylG ist jedes Asylverfahren, das im Einklang mit den Regeln der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) und der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) durchgeführt wurde; systemische Mängel des Asylsystems im anderen Mitgliedstaat schließen mithin das Vorliegen eines Asylverfahrens i. S. v. § 71a Abs. 1 AsylG aus (vgl. VG München, U. v. 26.10.2016 – M 17 K 15.31601 – juris Rn. 39; VG Aachen, B. v. 4.8.2015 – 8 L 171/15.A – juris Rn. 15).
bb) Hiervon ausgehend ist vorliegend ein erfolgloser Abschluss eines Asylverfahrens in einem sicheren Drittstaat i. S. v. § 71a AsylG wohl nicht gegeben.
Nach Aktenlage ist zwar eindeutig, dass der Antragsteller einen Asylantrag in Ungarn gestellt hat. Dies ergibt sich aus dem EURODAC-Treffer der Kategorie 1 mit dem Beginn „HU1“ (Blatt 31 der Verwaltungsakte), wobei das Länderkürzel „HU“ für Ungarn steht und die nachfolgende „1“ für einen Asylantrag (vgl. hierzu VG München, B. v. 14.4.2014 – M 7 S 14.50106 – juris Rn. 14; VG Osnabrück, B. v. 24.4.2015 – 5 B 125/15 – juris Rn. 4; VG Lüneburg, B. v. 11.5.2015 – 2 B 13/15 – juris Rn. 16).
Auch haben die ungarischen Behörden in ihrem Schreiben vom 24. Mai 2016 (Blatt 48 der Verwaltungsakte) mitgeteilt, dass der Antragsteller am 2. Juli 2015 einen Asylantrag in Ungarn gestellt hat, jedoch kurze Zeit später unbekannten Aufenthalts war, so dass das dortige Asylverfahren eingestellt worden ist („… therefore his procedure was terminated.“).
Das erkennende Gericht schließt sich jedoch jedenfalls im vorliegenden Eilverfahren der wohl überwiegenden Rechtsauffassung an, dass eine solche Verfahrenseinstellung in einem anderen Mitgliedstaat nach bloßer Weiterreise des Antragstellers keinen erfolglosen Abschluss eines Asylverfahrens i. S. v. § 71a Abs. 1 AsylG darstellt.
cc) Nach alledem war der Anwendungsbereich des § 71a AsylG vorliegend wohl nicht eröffnet. Daher durfte die auf § 71a Abs. 4 AsylG i. V. m. § 34 AsylG und § 59 AufenthG gestützte Abschiebungsandrohung wohl nicht ergehen.
3. Nach alledem war dem Antrag mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO stattzugeben. Das Verfahren ist gerichtskostenfrei, § 83b AsylG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).

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