Verwaltungsrecht

Erfolgreicher Eilantrag zu Zweitantragsverfahren

Aktenzeichen  W 8 S 20.30059

Datum:
20.1.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 331
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 5
AsylG § 26a, § 36 Abs. 3, Abs. 4, § 71a Abs. 1
Dublin III-VO Art. 18 Abs. 1 lit. d, Art. 34

 

Leitsatz

1. Die positive Antwort auf Übernahmeersuchen aufgrund des Art. 18 Abs. 1 Buchst. d Dublin III-VO ist zwar ein gewichtiges Indiz, dass das Asylerstverfahren im ersuchten Mitgliedstaat erfolglos abgeschlossen wurde, jedoch kann daraus für sich allein noch nicht zwingend der Schluss gezogen werden, dass das Verfahren auch im Sinne des § 71a Abs. 1 AsylG unanfechtbar erfolglos geblieben ist. (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)
2. Von einer weitergehenden Amtsermittlung kann jedoch abgesehen werden, wenn es keine gegenläufigen Anhaltspunkte gibt und sich die Angaben des Asylbewerbers mit den Behördenangaben decken. (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers gegen die Nr. 3 des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 8. Januar 2020 wird angeordnet.
II. Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I.
Der Antragsteller, nigerianischer Staatsangehöriger, der sein Heimatland nach eigenen Angaben im Juni 2016 verlassen hat, hielt sich in Italien ein Jahr und mehrere Monate auf. In Italien wurde sein Asylantrag abgelehnt. Am 2. April 2019 stellte der Antragsteller einen weiteren Asylantrag in Deutschland.
Mit Bescheid vom 8. Januar 2020 lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) den Antrag als unzulässig ab (Nr. 1). Weiter stellte es fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 2). Der Antragsteller wurde aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe der Entscheidung zu verlassen. Die Abschiebung nach Nigeria oder in einen anderen Staat wurde angedroht (Nr. 3). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG wurde angeordnet und auf 36 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet. Zur Begründung ist unter anderem ausgeführt: Es handele sich um einen Zweitantrag im Sinne des § 71a AsylG. Mit Schreiben vom 15. Mai 2019 habe Italien mitgeteilt, dass das Verfahren zur Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz in Italien erfolglos abgeschlossen worden sei. Sein Asylantrag sei in Italien entsprechend Art. 18 Abs. 1 Buchstabe d Dublin III-VO abgelehnt worden. Die Voraussetzungen für die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens lägen nicht vor. Der Antragsteller habe dieselben Gründe vorgetragen wie schon in Italien. Abschiebungsverbote lägen ebenfalls nicht vor.
Am 15. Januar 2020 erhob der Antragsteller zu Protokoll des Urkundsbeamten im Verfahren W 8 K 20.30058 Klage gegen den streitgegenständlichen Bescheid und b e a n t r a g t e im vorliegenden Verfahren:
Die aufschiebende Wirkung der Klage wird angeordnet.
Zur Begründung verwies der Antragsteller auf die Anhörung beim Bundesamt und brachte im Wesentlichen weiter vor: Er habe in Nigeria keine Familie, die ihn bei der Rückkehr unterstützen könne. Er fürchte, dass er bei einer Rückkehr in sein Heimatland erschossen werde, da er einen Konflikt mit dem politischen Führer seines Heimatdorfes habe. Er habe in Italien gegen die negative Entscheidung Klage erhoben. Das Verfahren sei noch nicht abgeschlossen. Er warte immer noch auf das Ergebnis.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte (einschließlich der Akte des Verfahrens W 8 K 20.30058) sowie die beigezogene Behördenakte Bezug genommen.
II.
Bei verständiger Würdigung des Vorbringens des Antragstellers ist der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen den streitgegenständlichen Bescheid dahingehend auszulegen, dass er der Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen die Abschiebungsandrohung in Nr. 3 des Bundesamtsbescheides vom 8. Januar 2020 begehrt.
Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ist zulässig und begründet, da ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des streitgegenständlichen Bescheides und damit auch an der Abschiebungsandrohung bestehen (§ 36 Abs. 3 und 4 AsylG).
Denn bei summarischer Prüfung liegen die gesetzlichen Voraussetzungen eines Zweitantrags nach § 71a AsylG nicht vor. Nach Überzeugung des Gerichts steht nicht fest, dass das Asylverfahren des Antragstellers im sicheren Drittstaat (§ 26a AsylG), hier Italien, endgültig unanfechtbar erfolglos abgeschlossen ist. § 71a Abs. 1 AsylG setzt zwingend eine bestandskräftige Ablehnung des Asylantrags im sicheren Drittstaat voraus. Das Bundesamt muss zu der gesicherten Erkenntnis gelangen, dass das Asylerstverfahren mit einer für den Asylsuchenden negativen Sachentscheidung abgeschlossen worden ist, um sich in der Folge auf die Prüfung von Wiederaufnahmegründen beschränken zu dürfen. Bloße Mutmaßungen genügen nicht (vgl. VG München, B.v. 13.12.2019 – M 12 S 19.34141 – juris).
Die gesicherte Erkenntnis vom bestandskräftigen erfolglosen Abschluss des Asylerstverfahrens liegt nicht vor. Das Bundesamt beruft sich allein auf das Schreiben der italienischen Behörden vom 15. Mai 2019 im Dublinverfahren auf ein deutsches Übernahmeersuchen hin, in dem sich die italienischen Behörden mit der Übernahme des Antragstellers gemäß Art. 18 Abs. 1 Buchst. d Dublin III-VO einverstanden erklären. Die positive Antwort der italienischen Behörden im Übernahmeersuchen aufgrund Art. 18 Abs. 1 Buchstabe d Dublin III-VO ist zwar ein gewichtiges Indiz, dass das Asylerstverfahren dort erfolglos abgeschlossen wurde. Jedoch kann daraus für sich allein nicht zwingend der Schluss gezogen werden, dass das Verfahren auch im Sinne des § 71a Abs. 1 AsylG unanfechtbar erfolglos geblieben ist, weil es sich hier nur um eine Zuständigkeitsregelung handelt und die Einlegung von Rechtsmitteln grundsätzlich noch möglich ist (vgl. Art. 18 Abs. 2 UA 3 Dublin III-VO), wenn der Antrag nur in erster Instanz abgelehnt worden ist.
Gleichwohl kann von einer weitergehenden Amtsermittlung seitens des Bundesamtes im Rahmen eines Verfahrens nach Art. 34 Abs. 2 Buchst. g und Abs. 3 Dublin III-VO abgesehen werden, wenn es keine gegenläufigen Anhaltspunkte gibt und sich die Angaben des Asylbewerbers mit den Behördenangaben decken (vgl. VG Gelsenkirchen, B.v. 8.2.2019 – 9a L 139/19.A – juris m.w.N.).
Vorliegend decken sich die Angaben jedoch nicht. Vielmehr gibt es durchgreifende Zweifel, weil der Antragsteller ausdrücklich im Rahmen seiner Klage- und Antragsbegründung erklärt hat, er habe gegen die negative Asylentscheidung in Italien Klage erhoben. Dieses Verfahren sei noch nicht abgeschlossen. Er warte immer noch auf das Ergebnis.
Ob der unanfechtbare Abschluss des Asylerstverfahrens möglicherweise mittlerweile erfolgt ist, ist danach offen. Das Bundesamt bezieht sich lediglich auf die ca. acht Monate alte italienische Erklärung vom 15. Mai 2019 im Dublinverfahren gemäß Art. 18 Abs. 1 Buchstabe d Dublin III-VO, die für sich in der vorliegenden Fallkonstellation nicht ausreicht. Vorliegend bedurfte es vielmehr einer weiteren Amtsermittlung durch ein Informationsersuchen an die italienischen Behörden gemäß Art. 34 Abs. 3 Dublin III-VO (vgl. auch VG Hannover, U.v. 11.12.2019 – 10 A 2151/18 – juris).
Nach alledem war dem Sofortantrag stattzugeben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG.

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