Verwaltungsrecht

Erfüllungsübernahme von Schmerzensgeldansprüchen, Tätlicher rechtswidriger Eingriff (hier: verneint), Herausforderungsfall, Fehlen einer unmittelbaren körperlichen Einwirkung

Aktenzeichen  B 5 K 19.1095

Datum:
8.12.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 53098
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayBG Art. 97 Abs. 1 S. 1

 

Leitsatz

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Mit Zustimmung der Beteiligten kann das Gericht nach § 101 Abs. 2 VwGO über die Verwaltungsstreitsache ohne mündliche Verhandlung entscheiden.
I.
Die zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Erfüllungsübernahme nach Art. 97 BayBG. Der Bescheid des Beklagten vom 27.06.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.10.2019 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Dem Kläger steht der von ihm geltend gemachte Anspruch auf Erfüllungsübernahme bzw. auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über die Erfüllungsübernahme nicht zu.
Nach Art. 97 Abs. 1 BayBG kann der Dienstherr die Erfüllung eines rechtskräftig festgestellten Anspruchs auf Schmerzensgeld übernehmen, welcher daraus resultiert, dass ein Beamter in Ausübung des Dienstes oder außerhalb dessen wegen seiner Eigenschaft als Beamter einen tätlichen rechtswidrigen Angriff erleidet. Der Dienstherr kann den Anspruch bis zur Höhe des festgestellten Schmerzensgeldbetrages übernehmen, soweit dies zur Vermeidung einer unbilligen Härte notwendig ist. Eine solche liegt nach Art. 97 Abs. 2 BayBG insbesondere vor, wenn die Vollstreckung über einen Betrag von mindestens 500,00 Euro erfolglos geblieben ist. Die Übernahme der Erfüllung ist innerhalb einer Ausschlussfrist von zwei Jahren nach Rechtskraft des Urteils schriftlich unter Nachweis der Vollstreckungsversuche zu beantragen (Art. 97 Abs. 3 BayBG).
Diese Voraussetzungen der Erfüllungsübernahme sind im vorliegenden Fall nicht gegeben.
Denn der Kläger begehrt vom Beklagten nicht die Erfüllung eines Schmerzensgeldanspruches, welcher aufgrund eines tätlichen rechtswidrigen Angriffs im Sinne des Art. 97 Abs. 1 Satz 1 BayBG entstanden ist.
Von Art. 97 BayBG sind nur diejenigen Schmerzensgeldansprüche erfasst, denen ein tätlicher rechtswidriger Angriff zugrunde liegt, da es nur bei diesen zu einem erheblichen Eingriff in die geschützten Rechtsgüter Leben, körperliche Unversehrtheit oder Gesundheit kommt. Angriff in diesem Sinne ist die von einem Menschen drohende vorsätzliche Verletzung der Rechtsgüter Leben und körperliche Integrität. Der Angriff erfordert eine objektive unmittelbare räumlich-zeitliche Gefährdung (objektives Element) auf Grund einer zielgerichteten Verletzungshandlung (subjektives Element). Räumliche Gefährdung erfordert, dass sich der Beamte in Reichweite des mutmaßlichen Angreifers dergestalt befand, dass dieser in der Lage war, mit den ihm aktuell zur Verfügung stehenden Kenntnissen und Hilfsmitteln das Ziel zu erreichen. An der zeitlichen Gefährdung fehlt es, solange sich der Tatplan des mutmaßlichen Angreifers noch im Vorbereitungsstadium befindet. Für das Vorliegen einer zielgerichteten Verletzungshandlung ist die Sicht des mutmaßlichen Angreifers entscheidend, er muss bei der Vornahme der konkreten Handlung die Schädigung des Beamten zumindest billigend in Kauf nehmen. Tätlicher Angriff ist ein Angriff, der auf einen physischen Schaden gerichtet ist (vgl. Nr. 46.4.1 der Bayerischen Verwaltungsvorschriften zum Versorgungsrecht – BayVV-Versorgung – vom 20.09.2012, Az. 24 – P 1601 – 043 – 38 950/22, FMBl. S. 394). Es bedarf also einer unmittelbaren körperlichen Einwirkung auf den Beamten (vgl. Conrad in: Weiß/Niedermaier/Summer, Beamtenrecht in Bayern, September 2020, Art. 97 BayBG, Rn. 4; LT-Drs. 17/2871, S. 44).
Bei Herausforderungs- bzw. Verfolgungsfällen wie dem vorliegenden besteht die Besonderheit darin, dass der Verletzungserfolg auf eine Willensentscheidung des Geschädigten selbst zurückzuführen ist. Die zivilrespektive deliktsrechtliche Rechtsprechung bejaht in diesen Fällen einen Anspruch bei Vorliegen enger Voraussetzungen. Denn das zivilrechtliche Deliktsrecht will nur vor Fremdschädigungen schützen, nicht jedoch vor Selbstschädigungen. Es stellt sich demnach bereits dort die Frage, inwieweit dem Schädiger noch ein Erfolg zuzurechnen ist, der auf einer eigenen Entscheidung des Geschädigten oder aber auch auf einem Dazwischentreten eines Dritten beruht. Die zivilrechtliche Rechtsprechung prüft derartige Fälle unter dem Schutzzweck der Norm und bejaht einen Anspruch grundsätzlich dann, wenn durch die Verfolgung ein erhöhtes Risiko für die Rechtsgüter des Verfolgers geschaffen wurde und sich dieses herausforderungstypische Risiko auch im eingetretenen Erfolg verwirklicht hat, der Verfolger sich durch das Verhalten des Verfolgten herausgefordert fühlte und dies auch durfte, seine Handlung also eine gewöhnliche Reaktion auf die Verfolgung darstellt und der Verfolgte subjektiv damit rechnen musste, verfolgt zu werden (vgl. Buchard in: BeckOK Beamtenrecht Bayern, Brinktrine/Voitl, 18. Edition, Stand: 30.12.2019, Art. 97 BayBG, Rn.11.2 m.w.N.).
Diese deliktsrechtlichen Grundsätze lassen sich jedoch nicht auf Art. 97 Abs. 1 Satz 1 BayBG übertragen. Denn die Norm spricht ausdrücklich von einem „tätlichen Angriff“. Im Hinblick auf § 114 Abs. 1 StGB, der ebenfalls den Terminus des „tätlichen Angriffs“ verwendet, ist anerkannt, dass dafür eine unmittelbar auf den Körper des Beamten abzielende feindselige Aktion ohne Rücksicht auf ihren Erfolg erforderlich ist (vgl. Eser in: Schönke/Schröder, StGB, 30. Aufl. 2019, § 114, Rn. 4). Gleiches gilt für den Begriff des „tätlichen Angriffes“ in § 1 Abs. 1 OEG. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (U.v. 16.12.2014 – B 9 V 1/13 R – BSGE 118, 83, Ls. 1) setzt ein tätlicher Angriff im Sinne des Opferentschädigungsrechts eine unmittelbar auf den Körper eines anderen zielende, gewaltsame physische Einwirkung voraus. Entscheidend sei insoweit, ob der Primärschaden und eventuelle Folgeschäden gerade die zurechenbare Folge einer körperlichen Gewaltanwendung gegen eine Person seien. Demnach reichen Verhaltensweisen ohne unmittelbare körperliche Einwirkung auf das Opfer nicht für einen tätlichen Angriff im Rahmen des Opferentschädigungsgesetzes aus. Der Terminus „tätlicher Angriff“ erfordert damit ein zielgerichtetes aktives Tun des Schädigers gegenüber dem Geschädigten. Ein bloßes Fluchtverhalten und damit die alleinige Inkaufnahme der Verwirklichung eines herausforderungstypischen Risiko stellt sich demgegenüber als ein qualitatives „Minus“ dar (vgl. Buchard in: BeckOK Beamtenrecht Bayern, Brinktrine/Voitl, 18. Edition, Stand: 30.12.2019, Art. 97 BayBG, Rn. 11.3).
Art. 97 BayBG stellt damit kein bloßes, unselbstständiges Abbild des Schmerzensgeldanspruches des § 253 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) im Beamtenrecht dar, sondern – trotz der zweifelsohne bestehenden Konnexität – einen eigenständigen, beamtenrechtlichen Fürsorgeanspruch mit eigens zu prüfenden Voraussetzungen. Soweit also der Dienstherr die Erfüllung von Schmerzensgeldansprüchen für immaterielle Schäden, die ein Dritter verursacht hat, übernimmt, wollte der Gesetzgeber damit einen Ausnahmetatbestand von den allgemeinen zivilrechtlichen Haftungsregelungen schaffen, der aber nach dem Willen des Gesetzgebers auf die Fälle schwerwiegender Übergriffe beschränkt ist, in denen Beamte ein erhebliches Sonderopfer für die Allgemeinheit erbringen (vgl. LT-Drs. 17/2871, S. 44; Conrad in: Weiß/Niedermaier/Summer, Beamtenrecht in Bayern, September 2020, Art. 97 BayBG, Rn. 3; Buchard in: BeckOK Beamtenrecht Bayern, Brinktrine/Voitl, 18. Edition, Stand: 30.12.2019, Art. 97 BayBG, Rn. 11.3). Im Übrigen gewähren Art. 45ff. BayBeamtVG im Rahmen der Unfallfürsorge den bayerischen Beamten einen umfassenden Ausgleich der durch einen Dienstunfall eingetretenen materiellen und immateriellen Schäden (vgl. Conrad in: Weiß/Niedermaier/Summer, Beamtenrecht in Bayern, September 2020, Art. 97 BayBG, Rn. 1).
Gemessen an diesen Maßstäben fehlt es im vorliegenden Fall an einem tätlichen Angriff im Sinne von Art. 97 Abs. 1 Satz 1 BayBG. Denn ausweislich des zwischen den Beteiligten unstreitigen Sachverhalts erlitt der Kläger die in Rede stehenden Verletzungen, als sein Dienstfahrzeug ohne Einwirkung seitens des flüchtenden Schädigers ins Rutschen geriet und mit einem Baum am Straßenrand kollidierte. Eine unmittelbare körperliche Einwirkungshandlung des Schädigers, die die klägerischen Verletzungsfolgen herbeiführte, lag mithin nicht vor.
Da der Beklagte mangels Vorliegen eines tätlichen Angriffs die Erfüllungsübernahme des Schmerzensgeldanspruchs zu Recht abgelehnt hat, konnte die Klage keinen Erfolg haben.
II.
Der Kläger hat als unterliegender Beteiligter die Kosten des Verfahrens nach § 154 Abs. 1 VwGO zu tragen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11 der Zivilprozessordnung – ZPO -. Wegen der allenfalls geringen Höhe der durch den Beklagten vorläufig vollstreckbaren Kosten ist die Einräumung von Vollstreckungsschutz nicht angezeigt.

Jetzt teilen:

Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen