Aktenzeichen 8 ZB 18.2125
VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 1
Leitsatz
Der dem § 144 Abs. 4 VwGO zugrunde liegende allgemeine Rechtsgedanke, dass allein die fehlerhafte Begründung einer Entscheidung, welche sich im Ergebnis als richtig erweist, dem Rechtsmittel nicht zum Erfolg verhilft, ist auch im Berufungszulassungsverfahren zu berücksichtigen. (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
M 2 K 16.2954 2017-05-23 Urt VGMUENCHEN VG München
Tenor
I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 2.198 Euro festgesetzt.
Gründe
I.
Der Kläger wendet sich gegen die Erhebung eines Anschlussbeitrags für den Neubau seines Einfamilienhauses an die Wasserversorgungsanlage des Beklagten.
Der Kläger ist Eigentümer des Grundstücks FlNr. … der Gemarkung F* … Auf dem Grundstück liegt das landwirtschaftliche Anwesen des Klägers. Das Wohngebäude im westlichen Teil des Grundstücks (N* …straße, früher: W* …dorf, Hausnummer **) wurde etwa um das Jahr 1960 unentgeltlich an die Versorgungsanlage des Rechtsvorgängers des Beklagten angeschlossen. Ein Vertrag zwischen den Rechtsvorgängern der Beteiligten vom 1. Juni 1933 räumt dem jeweiligen Eigentümer des Grundstücks FlNr. … das Recht eines vollständig unentgeltlichen Anschlusses „für sein Anwesen mit Nebengebäuden in W* …dorf, Hs.Nr. …“ ein, sofern ein solcher Antrag bis 31. Dezember 1962 gestellt wird.
Nach Errichtung eines neuen Einfamilienhauses im Osten des Grundstücks FlNr. … (E* …weg *) erhob der Beklagte vom Kläger mit Bescheid vom 19. Juni 2016 einen Anschlussbeitrag in Höhe von 2.198, 74 Euro.
Mit Urteil vom 23. Mai 2017 hat das Verwaltungsgericht München die hiergegen gerichtete Klage abgewiesen. Bereits aus dem eindeutigen Wortlaut des Vertrags vom 1. Juni 1933 ergebe sich, dass sich das Recht auf kostenlosen Anschluss nur auf das alte Anwesen W* …dorf Hausnummer … und nicht auf das Grundstück insgesamt beziehe. Die Angemessenheit des Verhältnisses von Leistung und Gegenleistung könne deshalb offenbleiben.
Mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt der Kläger sein Rechtsschutzbegehren weiter. Das Verwaltungsgericht habe den Begriff des „Anwesens“ nur anhand des Wortlauts des Vertrags ausgelegt, ohne die erstrebte Ausgewogenheit von Leistung und Gegenleistung in den Blick zu nehmen.
II.
Der Zulassungsantrag hat keinen Erfolg. Die vom Kläger geltend gemachten Zulassungsgründe sind nicht hinreichend dargelegt oder liegen nicht vor (§ 124 Abs. 2 Nr. 1, 2 und 3 VwGO, § 124a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO).
1. Aus dem Vorbringen des Klägers ergeben sich keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).
Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Ersturteils im Sinn des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO bestehen nur, wenn einzelne tragende Rechtssätze oder einzelne erhebliche Tatsachenfeststellungen des Verwaltungsgerichts durch schlüssige Gegenargumente infrage gestellt werden (vgl. BVerfG, B.v. 9.6.2016 – 1 BvR 2453/12 – NVwZ 2016, 1243 = juris Rn. 16; B.v. 16.7.2013 – 1 BvR 3057/11 – BVerfGE 134, 106 = juris Rn. 36). Sie sind nicht erst dann gegeben, wenn bei der im Zulassungsverfahren allein möglichen summarischen Überprüfung der Erfolg des Rechtsmittels wahrscheinlicher ist als der Misserfolg (vgl. BVerfG, B.v. 16.1.2017 – 2 BvR 2615/14 – IÖD 2017, 52 = juris Rn. 19; B.v. 3.3.2004 – 1 BvR 461/03 – BVerfGE 110, 77 = juris Rn. 19). Schlüssige Gegenargumente liegen vor, wenn der Antragsteller substanziiert rechtliche oder tatsächliche Umstände aufzeigt, aus denen sich die gesicherte Möglichkeit ergibt, dass die erstinstanzliche Entscheidung unrichtig ist (vgl. BVerfG, B.v. 20.12.2010 – 1 BvR 2011/10 – NVwZ 2011, 546/548 = juris Rn. 19; BayVGH, B.v. 12.10.2017 – 14 ZB 16.280 – juris Rn. 2 m.w.N.). Dabei kommt es grundsätzlich nicht auf einzelne Elemente der Urteilsbegründung an, sondern auf das Ergebnis der Entscheidung, also auf die Richtigkeit des Urteils nach dem Sachausspruch in der Urteilsformel (vgl. BVerwG, B.v. 10.3.2004 – 7 AV 4.03 – DVBl 2004, 838 = juris Rn. 9; BayVGH, B.v. 19.3.2013 – 20 ZB 12.1881 – juris Rn. 2).
Nach diesem Maßstab bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung. Das Verwaltungsgericht ist im Ergebnis zu Recht davon ausgegangen, dass die Rechtsvorgängerin des Beklagten dem Kläger im Vertrag vom 1. Juni 1933 kein Recht auf unentgeltlichen Anschluss seines neu errichteten Einfamilienhauses auf Grundstück FlNr. … eingeräumt hat.
1.1 Dem Zulassungsvorbringen ist zuzugeben, dass das Verwaltungsgericht bei der Auslegung des Vertrags nicht alleine auf dessen (eindeutigen) Wortlaut hätte abstellen dürfen. Maßgebend ist vielmehr der wirkliche Wille der Vertragsparteien (§§ 133, 157 BGB), bei dessen Ermittlung neben dem Erklärungswortlaut insbesondere der mit dem Vertrag verfolgte Zweck und die Interessenlage der Vertragsparteien heranzuziehen sind (vgl. BGH, U.v. 27.4.2016 – VIII ZR 61/15 – NJW-RR 2016, 910 = juris Rn. 27; U.v. 11.11.2014 – VI ZR 18/14 – NJW 2015, 1246 = juris Rn. 9). Auch ein klarer und eindeutiger Wortlaut einer Erklärung bildet keine Grenze für die Auslegung anhand der Gesamtumstände. Der Wortlaut ist zwar der Ausgangspunkt der Auslegung, geht aber dem übereinstimmenden Parteiwillen bzw. den hierfür relevanten Begleitumständen nicht vor (vgl. BGH, B.v. 30.4.2014 – XII ZR 124/12 – juris Rn. 17; vgl. auch Busche in Münchner Kommentar zum BGB, 7. Aufl. 2015, § 133 Rn. 59; Ellenberger in Palandt, BGB, 77. Aufl. 2018, § 133 Rn. 15).
1.2 Allerdings erweist sich das vom Verwaltungsgericht allein aufgrund des (eindeutigen) Wortlauts gewonnene Auslegungsergebnis auch unter Einbeziehung der sonstigen, von der Klägerseite angeführten Umstände als offensichtlich richtig. Der dem § 144 Abs. 4 VwGO zugrunde liegende allgemeine Rechtsgedanke, dass allein die fehlerhafte Begründung einer Entscheidung, welche sich im Ergebnis als richtig erweist, dem Rechtsmittel nicht zum Erfolg verhilft, ist auch im Berufungszulassungsverfahren zu berücksichtigen. Auch ein solches Antragsverfahren soll aus prozessökonomischen Gründen nicht um eines Fehlers willen fortgeführt werden, der mit Sicherheit für das endgültige Ergebnis des Rechtsstreits bedeutungslos bleiben wird (vgl. BVerfG, B.v. 9.6.2016 – 1 BvR 2453/12 – NVwZ 2016, 1243 = juris Rn. 17; BVerwG, B.v. 10.3.2004 – 7 AV 4.03 – DVBl 2004, 838 = juris Rn. 9 f.; BayVGH, B.v. 30.9.2014 – 20 ZB 11.1890 – juris Rn. 19; OVG NW, B.v. 4.7.2014 – 1 A 891/13 – juris Rn. 3; vgl. auch Seibert in Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 124 Rn. 98).
So liegt der Fall hier. Es ist auch bei einer sich nicht nur am Wortlaut orientierenden Interpretation nicht erkennbar, dass die Vertragsparteien den jeweiligen Eigentümer des Grundstücks FlNr. … berechtigen wollten, alle künftig darauf errichteten Wohngebäude kostenfrei an die Versorgungsanlage der Beklagten anschließen zu lassen. Dass ein darauf gerichteter Verpflichtungswille unbedingt notwendig gewesen wäre, um die Ausgewogenheit von Leistung und Gegenleistung herzustellen, vermag der Senat nicht zu erkennen. Der Vorhalt, die vereinbarte Gegenleistung (Berechtigung zu Instandhaltungs- oder Verbesserungsarbeiten an der Quellfassung und Rohrleitung), sei von langfristiger Dauer, weshalb auch das Anschlussrecht nicht nur einmalig ausgeübt werden sollte, greift zu kurz. Denn der Vertrag gewährt dem Kläger daneben ein unbefristetes Recht zum Bezug kostenfreien Trink- und Nutzwassers.
Das Vorbringen des Klägers, auch der Beklagte interpretiere den Vertrag hinsichtlich seines Rechts auf Instandhaltung und Verbesserung der Quellfassung „dynamisch“, weil er die ursprüngliche Quelleinfassung zu einem oberirdischen Brunnenhäuschen mit Zuweg ausgebaut habe, rechtfertigt keine andere Einschätzung. Ob der Beklagte die Reichweite der ihm vertraglich eingeräumten Gegenleistung vertragsgemäß interpretiert hat, ist für die Auslegung des von den Vertragsparteien gewollten Umfangs des kostenfreien Anschlussrechts des Klägers ohne Bedeutung.
1.3 Im Übrigen teilt der Senat die Wertung des Erstgerichts, der Wortlaut des Vertrags spreche eindeutig gegen ein Recht des Klägers auf kostenlosen Anschluss seines Neubaus an die Wasserversorgungsanlage. Der Zusatz „mit Nebengebäuden“ deutet darauf hin, dass die Vertragsparteien das kostenfreie Anschlussrecht nur auf den früheren Gebäudebestand beziehen wollten. Für eine solche Auslegung spricht auch die vereinbarte Ausschlussfrist (31.12.1962), innerhalb derer der Anschluss zu beantragen war. Sinn und Zweck einer solchen Ausschlussfrist ist es, einen zeitlich unbegrenzten Anspruch zu vermeiden; dem stünde eine „zukunftsoffene“ Privilegierung aller künftigen baulichen Nutzungen diametral entgegen.
Auch das Vorbringen des Klägers, sein neu errichtetes Einfamilienhaus sei als Ersatz für das frühere „Zuhaus“ kostenfrei an die Wasserversorgungsanlage anzuschließen, vermag nicht durchzudringen. Dieser Vortrag erfolgte erstmals mit Schriftsatz vom 11. April 2018, also nicht innerhalb der Begründungsfrist nach § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO. Abgesehen davon ist auch in der Sache nicht erkennbar, dass es Wille der Vertragsparteien war, zwei eigenständige Wohngebäude auf dem Grundstück anschlussfrei zu stellen. Der Vortrag des Klägers, im „Zuhaus“ seien in der Vorkriegszeit Pferde gehalten und Maschinen verwahrt, aber auch Bedienstete, Mägde und Knechte untergebracht worden (S. 2 des Schriftsatzes vom 11.4.2018), belegt, dass es sich dabei um ein Nebengebäude des landwirtschaftlichen Anwesens gehandelt hat. Für das neu errichtete Einfamilienhaus gilt dies offensichtlich nicht; weshalb dieses als „Ersatz“ für das frühere „Zuhaus“ angesehen werden sollte, hat der Kläger nicht schlüssig erklären können. Im Übrigen sind die im Zulassungsverfahren vorgelegten Nachweise zu Bewohnern des „Zuhauses“ ab 1943 auch deshalb unerheblich, da sie sich auf einen Zeitraum nach Vertragsschluss (1.6.1933) beziehen.
1.4 Ob der Vorstand des Beklagten dem Kläger im Jahr 2012 den kostenfreien Anschluss seines Neubaus mündlich zugesichert hat, ist nicht entscheidungserheblich. Ein darauf gestützter Zulassungsgrund wurde nicht innerhalb der Frist des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO vorgebracht. Abgesehen davon ließe eine mündliche Zusage, die der Beklagte bestreitet, die Rechtmäßigkeit des angegriffenen Beitragsbescheids mangels Schriftform (Art. 38 Abs. 1 Satz 1 BayVwVfG) unberührt.
2. Die Rechtssache weist auch keine besonderen tatsächlichen und rechtlichen Schwierigkeiten im Sinn des § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO auf. Die Zulassungsbegründung sieht die besonderen Schwierigkeiten der Rechtssache in denselben Fragen, die sie auch zum Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils des Verwaltungsgerichts angeführt hat. Diese Fragen sind jedoch – wie sich aus vorstehenden Darlegungen ergibt – weder komplex noch fehleranfällig (vgl. zu diesem Maßstab BayVGH, B.v. 3.11.2011 – 8 ZB 10.2931 – BayVBl 2012, 147 = juris Rn. 28). Sie können vielmehr ohne Weiteres anhand der einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen und der Rechtsprechung bereits im Zulassungsverfahren geklärt werden. Dass der zwischen den Rechtsvorgängern der Beteiligten geschlossene Vertrag aus dem Jahr 1933 stammt, ändert daran nichts; die Auslegung eines älteren Vertrags ist nicht per se mit besonderen tatsächlichen Schwierigkeiten verbunden.
3. Die Berufung ist auch nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache nach § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zuzulassen.
Grundsätzliche Bedeutung kommt einer Rechtssache zu, wenn eine konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage für die Entscheidung des Rechtsstreits erheblich, bislang höchstrichterlich oder obergerichtlich nicht geklärt und über den zu entscheidenden Einzelfall hinaus bedeutsam ist; die Frage muss ferner im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Fortentwicklung des Rechts einer berufungsgerichtlichen Klärung zugänglich sein und dieser Klärung auch bedürfen (vgl. BVerfG, B.v. 9.6.2016 – 1 BvR 2453/12 – NVwZ 2016, 1243 = juris Rn. 20; BVerwG, B.v. 4.8.2017 – 6 B 34.17 – juris Rn. 3). Die grundsätzliche Bedeutung ist zu verneinen, wenn sich eine Rechtsfrage ohne Weiteres aus der Anwendung anerkannter Auslegungsmethoden beantworten lässt (vgl. BVerfG, B.v. 29.7.2010 – 1 BvR 1634/04 – NVwZ 2010, 1482 = juris Rn. 62).
Vorliegend ist nicht erkennbar, dass die vom Kläger angeführten Fragen zur Auslegung des Begriffs „Anwesen (mit Nebengebäude)“ im Vertrag vom 1. Juni 1933 über den zu entscheidenden Einzelfall hinaus bedeutsam wären. Das Vorbringen, alte Verträge aus längst vergangenen Zeiten seien im Rechtsverkehr immer wieder heranzuziehen und auszulegen, vermag eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutsamkeit nicht zu begründen. Angesichts des Verbots einer sich ausschließlich am Wortlaut orientierenden Interpretation von Verträgen (vgl. oben 1.1) scheidet eine Vorgreiflichkeit für die Auslegung anderer Verträge vielmehr offensichtlich aus.
4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 47 Abs. 3, Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1, § 52 Abs. 3 Satz 1 GKG.
Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).