Verwaltungsrecht

Erledigung des Streits um Belegung eines Nachbarhauses mit Asylsuchenden

Aktenzeichen  15 CE 16.1374

Datum:
28.9.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GKG GKG § 52 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 66 Abs. 3 S. 3
VwGO VwGO § 92 Abs. 3 S. 1, § 123, § 152 Abs. 1, § 154 Abs. 1, § 161 Abs. 2, § 162 Abs. 3, § 173
ZPO ZPO § 269 Abs. 3 S. 1 Hs. 2

 

Leitsatz

Eine einstweilige Anordnung, das Nachbarhaus im Wege des bauaufsichtlichen Einschreitens nicht mit Asylsuchenden zu belegen, erledigt sich, wenn die Belegung tatsächlich erfolgt ist. Maßgeblich hierfür ist, dass die Erledigung mit der Belegung objektiv eingetreten ist, nicht die zutreffende Benennung des Erledigungsgrundes durch den Antragsteller. (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

RO 2 E 16.736 2016-06-20 Bes VGREGENSBURG VG Regensburg

Tenor

I.
Das Verfahren wird eingestellt.
Ziffer I. und II. des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 20. Juni 2016 sind wirkungslos geworden.
II.
Die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen trägt der Antragsgegner.
Der Beigeladene trägt seine außergerichtlichen Kosten selbst.
III.
Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 15.000 € festgesetzt.

Gründe

I. Die Antragsteller begehrten ursprünglich die Feststellung, dass das von ihnen angestrengte Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung erledigt ist.
Nachdem die Antragsteller am 30. März 2016 beim Verwaltungsgericht Regensburg (Az. RO 2 K 16.491) bereits Unterlassungsklage erhoben hatten, haben sie am 6. Mai 2016 im vorläufigen Rechtsschutzverfahren nach § 123 VwGO beim Verwaltungsgericht unter anderem die Unterlassung der Belegung eines benachbarten Wohnhauses mit Asylsuchenden im Wege des bauaufsichtlichen Einschreitens gegen den Beigeladenen beantragt.
Mit Schreiben vom 24. Mai 2016 hat der Antragsgegner dem Verwaltungsgericht mitgeteilt, dass die Belegung des Wohnhauses auf bis zu 25 Asylsuchende beschränkt sei. Das ergebe sich aus dem zwischen ihm und dem Beigeladenen abgeschlossenen Mietvertrag und beruhe letztlich auf der Verpflichtung der öffentlichen Hand zur menschenwürdigen Unterbringung von Asylbewerbern. Diese erfordere, dass jedem Asylbewerber ein individueller Wohnraum von 7 m² zur Verfügung stehe. Das Landratsamt orientiere sich hierbei an den Vorgaben der Regierung der Oberpfalz bei der Belegung von Gemeinschaftsunterkünften, die wiederum auf den Leitlinien des Bayerischen Staatsministeriums für Arbeit und Sozialordnung, Familien und Frauen von April 2010 beruhten. Weiterhin wurde in dem Schreiben mitgeteilt, eine Belegung des Gebäudes mit Asylbewerbern habe soeben bereits stattgefunden und werde im Laufe des folgenden Tags fortgesetzt.
Mit Schriftsatz vom 3. Juni 2016 erklärten die Antragsteller das vorläufige Rechtsschutzverfahren in der Hauptsache für erledigt. Als Grund für die Erledigungserklärung führten sie an, dass zum Einen der Antragsgegner entgegen seiner früher erteilten Erklärungen nun doch von einer Obergrenze für die Zahl der einzuweisenden Asylbewerber ausgehe; zum Anderen bekenne sich der Antragsgegner nun ausdrücklich zu den Leitlinien des Bayerischen Staatsministeriums für Arbeit und Sozialordnung, Familien und Frauen. Der Antragsgegner widersprach der Erledigungserklärung. Er vertrat die Auffassung, dass kein erledigendes Ereignis vorliege.
Mit Beschluss vom 20. Juni 2016 lehnte das Verwaltungsgericht Regensburg den Feststellungsantrag ab. Zur Begründung führte es im Wesentlichen aus: Mit der Erklärung des Antragsgegners vom 24. Mai 2016 sei keine Erledigung des Verfahrens eingetreten. Die Bestätigung in dem Schreiben, dass die Belegung der Asylunterkunft mit maximal 25 Asylbewerbern erfolgen werde, habe dem ursprünglichen Antragsbegehren nicht die Grundlage entzogen, weil die Antragsteller darüber bereits bei einem Ortstermin am 23. März 2016 und im Rahmen des Klageverfahrens Kenntnis erlangt hätten. Auch die Mitteilung, das Landratsamt werde sich bei der Belegung an den Leitlinien des Bayerischen Staatsministeriums für Arbeit und Sozialordnung, Familien und Frauen orientieren, stelle kein erledigendes Ereignis dar.
Hiergegen legten die Antragsteller Beschwerde ein. Am 23. Juni 2016 fand im Klageverfahren vor dem Verwaltungsgericht (Az. RO 2 K 16.491) eine mündliche Verhandlung statt, in der die Beteiligten den Rechtsstreit in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärten. Im Hinblick auf die Beendigung dieses Verfahrens erklärten die Antragsteller auch das einstweilige Anordnungsverfahren in der Hauptsache für erledigt. Der Antragsgegner stimmte der Erledigungserklärung zu. Der Beigeladene hat sich nicht geäußert.
II. Das Verfahren ist in entsprechender Anwendung von § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO einzustellen, weil der Rechtsstreit durch die übereinstimmenden Erklärungen der beiden Hauptbeteiligten in der Hauptsache erledigt ist. Eine Zustimmung des Beigeladenen ist nicht erforderlich (BVerwG, B. v. 30.4.2012 – 2 VR 6/11 – juris Rn. 1; BayVGH, B. v. 23.5.2012 – 8 ZB 12.508 – juris Rn. 2 m. w. N.). Der Beschluss des Verwaltungsgerichts ist in Ziffer I. und Ziffer II. wirkungslos geworden (§ 173 VwGO i. V. m. § 269 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2 ZPO entsprechend).
Über die Kosten des Verfahrens ist nach billigem Ermessen unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstands zu entscheiden (§ 161 Abs. 2 VwGO). In der Regel entspricht es billigem Ermessen, gemäß dem Grundsatz des § 154 Abs. 1 VwGO dem Beteiligten die Verfahrenskosten aufzuerlegen, der ohne die Erledigung in dem Rechtsstreit voraussichtlich unterlegen wäre. Für die notwendige überschlägige Überprüfung des Streitstoffs sind aus Gründen der Prozesswirtschaftlichkeit Beweise nicht mehr zu erheben und schwierige Rechtsfragen nicht mehr zu klären (vgl. BVerwG, B. v. 24.6.2008 – 3 C 5/07 – juris Rn. 2; Kopp/Schenke, VwGO, 21. Aufl. 2015, § 161 Rn. 15).
Nach diesem Maßstab entspricht es billigem Ermessen, die Kosten dem Antragsgegner aufzuerlegen, weil die Beschwerde wohl Erfolg gehabt hätte. Entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts war im Zeitpunkt der Erledigungserklärung der Antragsteller am 3. Juni 2016 der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt.
Ein Rechtsstreit hat sich in der Hauptsache (objektiv) erledigt, wenn der Rechtsschutzsuchende infolge eines nachträglich eingetretenen, außerprozessualen Ereignisses sein Begehren nicht mehr mit Aussicht auf Erfolg weiterverfolgen kann, diesem vielmehr rechtlich oder tatsächlich die Grundlage entzogen ist (vgl. BVerwG, B. v. 3.7.2006 – 7 B 18/06 – juris Rn. 11; U. v. 1.9.2011 – 5 C 21.10 – juris Rn. 12). Es müssen nach Rechtshängigkeit Umstände eingetreten sein, aufgrund derer die Klage bzw. der Antrag jedenfalls jetzt als unzulässig oder unbegründet abgewiesen werden müsste. Darauf, ob der Sachantrag ursprünglich zulässig und begründet war, kommt es nicht an (vgl. BVerwG, U. v. 31.10.1990 – 4 C 7.88 – BVerwGE 87, 62 = juris Rn. 19 f.; B. v. 19.5.1995 – 4 B 247/94 – Buchholz 310 § 161 VwGO Nr. 108 = juris Rn. 14; B. v. 18.6.1999 – 6 P 4/99 – juris Rn. 7).
Nach diesem Maßstab ist hier eine Erledigung der Hauptsache eingetreten. Zwar ist es aus den vom Verwaltungsgericht angeführten Gründen zutreffend, dass weder die Äußerung des Landratsamts vom 24. Mai 2016, die Belegung der Asylunterkunft werde mit maximal 25 Asylbewerbern erfolgen, noch die Mitteilung, man werde sich bei der Belegung an den Leitlinien des Bayerischen Staatsministeriums für Arbeit und Sozialordnung, Familien und Frauen von April 2010 orientieren, ein erledigendes Ereignis darstellt, das dem Rechtsschutzbegehren der Antragsteller nach Rechtshängigkeit ihres vorläufigen Rechtsschutzantrags rechtlich oder tatsächlich die Grundlage entzogen hat. Ein erledigendes Ereignis liegt aber in der tatsächlichen Belegung des streitgegenständlichen Wohnhauses mit Asylbegehrenden, die nach Mitteilung des Landratsamts am 24. und 25. Mai 2016 erfolgt ist. Denn mit der tatsächlichen Belegung des Wohnhauses hätten die Antragsteller ihr Rechtsschutzziel nicht mehr erreichen können, das gerade auf die vorbeugende Verhinderung der Belegung gerichtet war. Für ihren Antrag auf Erlass einer entsprechenden einstweiligen Anordnung ist damit nachträglich das Rechtsschutzbedürfnis entfallen. Ob der Antrag bereits ursprünglich unzulässig oder unbegründet war, ist unerheblich.
Eine andere Beurteilung ergibt sich nicht deswegen, weil die Antragsteller bei ihrer Erledigungserklärung im Schriftsatz vom 3. Juni 2016 diesen Erledigungsgrund nicht ausdrücklich benannt haben, sondern sich erstmals erst im Beschwerdeverfahren hierauf berufen haben. Denn insoweit kommt es nicht auf die Begründung der Erklärenden, sondern allein darauf an, ob eine Erledigung objektiv eingetreten ist (vgl. vgl. BVerwG, B. v. 3.7.2006 – 7 B 18/06 – juris Rn. 11; Neumann in Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Aufl. 2014, § 161 Rn. 130, 132).
Dass der Beigeladene seine außergerichtlichen Kosten selbst trägt, erscheint schon deshalb billig, weil er keinen Antrag gestellt und sich damit selbst keinem Kostenrisiko ausgesetzt hat (vgl. § 154 Abs. 3, § 162 Abs. 3 VwGO).
3. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 Satz 1, § 53 Abs. 2 Nr. 1 und § 52 Abs. 1 GKG. Der Senat folgt der Streitwertfestsetzung des Verwaltungsgerichts im angefochtenen Beschluss, gegen die die Beteiligten keine Einwände erhoben haben.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO; § 68 Abs. 1 Satz 5, § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

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