Aktenzeichen S 17 AS 77/16
SGB II § 40 Abs. 1
SGG § 54 Abs. 1 S. 1, § 60 Abs. 1, § 92, § 96 Abs. 1, § 106 Abs. 1, § 112 Abs. 2 S. 2, § 114 Abs. 2 S. 1, § 123
Leitsatz
1 Zu einer Rücknahme von Bescheiden im Überprüfungsverfahren sind nur die Behörden befugt. Die Befugnisse eines Gerichts reichen im Überprüfungsverfahren nur dahin, einen negativen Überprüfungsbescheid aufzuheben und die Behörde zu verpflichten, den ursprünglichen Bescheid zurückzunehmen sowie ggf. Leistungen zu gewähren. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
2 Meldeterminaufforderungen erledigen sich mit Ablauf des Datums des Meldetermins durch Zeitablauf. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
Die Klage ist unzulässig. Es liegen keine negativen Zugunstenentscheidungen des Beklagten hinsichtlich der Meldeaufforderungen vor.
1. Die Kammer durfte in der Besetzung entscheiden, in der sie letztlich entschieden hat. Das Ablehnungsgesuch der Kläger vom 22.02.2016 wegen Besorgnis der Befangenheit der Vorsitzenden der 17. Kammer nach § 60 Abs. 1 SGG i.V.m. § 42 Zivilprozessordnung (ZPO) ist mit Beschluss vom 03.03.2016 (Az. 1 SF 42/16 AB) zurückgewiesen worden.
2. Die Entscheidung konnte ohne die Kläger in der Hauptsache ergehen, weil die Kläger in der ordnungsgemäß zugestellten Ladung vom 02.09.2016 auf diese Möglichkeit hingewiesen worden sind. Zwar hat das Gericht in der Ladung das persönliche Erscheinen der Kläger angeordnet, jedoch nur zum Zweck der Erörterung der Sach- und Rechtslage mit den Beteiligten, um etwa eine vergleichsweise Erledigung des Rechtsstreits herbeizuführen. Die Anordnung ist in mündlicher Verhandlung durch Kammerbeschluss aufgehoben worden, nachdem die Kläger unentschuldigt nicht zum Termin erschienen sind. Aus der Anordnung des persönlichen Erscheinens ist im vorliegenden Fall nicht darauf zu schließen gewesen, dass ohne das Erscheinen der Kläger eine Sachentscheidung nicht ergehen durfte (vgl. hierzu BSG, Beschl. vom 31.01.2008, B 2 U 311/07 B, juris, Rdnr. 4 f.).
3. Streitgegenständlich ist die Verpflichtung des Beklagten, die angegriffenen Bescheide nach § 44 SGB X zurückzunehmen. Dies ergibt sich aus der Auslegung des Sachvortrages der Kläger.
Gemäß § 123 SGG entscheidet das Gericht über die vom Kläger erhobenen Ansprüche, ohne an die Fassung der Anträge gebunden zu sein. Durch diese Vorschrift wird unter anderem der wesentliche Grundsatz auch des sozialgerichtlichen Verfahrens zum Ausdruck gebracht, dass das Gericht nur über die vom Kläger zur Entscheidung gestellten Anträge entscheiden darf. Diese Bindung des Gerichts bezieht sich auf den erhobenen Anspruch, nicht auf die Fassung der Anträge. Wenn die Klage keinen im Sinne des § 92 SGG bestimmten Antrag enthält, der eine zweifelsfreie Bestimmung des Gewollten ermöglicht, muss das Gericht mit den Beteiligten klären, was gewollt ist, und darauf hinwirken, dass sachdienliche und klare Anträge gestellt werden (§ 106 Abs. 1, § 112 Abs. 2 Satz 2 SGG). Erforderlichenfalls muss der Antrag entsprechend § 133 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) ausgelegt werden; hiernach ist bei der Auslegung einer Willenserklärung der wirkliche Wille zu erforschen und nicht an dem buchstäblichen Sinne des Ausdrucks zu haften. Bei der Auslegung sind das gesamte Vorbringen und alle bekannten Umstände zu berücksichtigen.
Vorliegend ergibt die Auslegung, dass die Kläger eine Verpflichtung des Beklagten begehren, auf der ersten Stufe seine Eingliederungsmaßnahmen in Gestalt von Meldeaufforderungen und Eingliederungsverwaltungsakten und daraus resultierend auf der zweiten Stufe seine Sanktionsbescheide zurückzunehmen und sodann auf der dritten Stufe die einbehaltenen Leistungen zuzüglich eines von den Klägern für angemessen gehaltenen Betrages als Folgenbeseitigung an die Kläger auszuzahlen. Dies haben die Kläger in ihrer Klagebegründung unter ausdrücklicher Bezugnahme auf die Rechtsnormen des § 44 SGB X und § 40 Abs. 1 SGB II klar und unmissverständlich zum Ausdruck gebracht. Da die Kläger bereits in der Vergangenheit sämtliche Versuche des Sozialgerichts Bayreuth sowie des Bayerischen Landessozialgerichts, auf eine aus Sicht der Gerichte sachdienlichere Antragstellung hinzuwirken (vgl. den Schriftverkehr im Zusammenhang mit den Klagen auf Feststellung der Nichtigkeit von Meldeaufforderungen, S 13 AS 825/13 und L 11 AS 734/13 sowie S 13 AS 881/13 und L 11 AS 735/13, unter Hinweis auf den Wortlaut ihrer Anträge) jeweils abgelehnt haben, verbietet sich auch im vorliegenden Fall eine andere Auslegung.
4. Damit ist statthaft hinsichtlich der vor Klageerhebung ergangenen Meldeaufforderungen (21.03.2013 bis 02.12.2015) grundsätzlich die Verpflichtungsklage nach § 54 Abs. 1 Satz 1 SGG, da die Kläger eine Verpflichtung des Beklagten zum Erlass der gewünschten Rücknahmebescheide nach § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X begehren.
Es liegen jedoch keine Entscheidungen des Beklagten vor, durch welche er möglicherweise als Überprüfungsanträge zu deutende Anträge der Kläger abgelehnt hätte. Zu einer Rücknahme von Bescheiden nach § 44 SGB X sind nur die Behörden auf Antrag oder von Amts wegen befugt. Die Befugnisse eines Gerichts reichen im Zugunstenverfahren nur dahin, einen negativen Zugunstenbescheid aufzuheben und die Behörde zu verpflichten, den ursprünglichen Bescheid zurückzunehmen sowie ggf. Leistungen zu gewähren. Die in den Widerspruchsbescheiden enthaltenen Entscheidungen vom 17.12.2014, 18.12.2014, 19.12.2014, 22.12.2014 und 05.01.2015 betrafen lediglich die (von den Klägern nicht beantragte) Überprüfung der Sanktionsbescheide seit 01.07.2013 bis 18.07.2014, nicht jedoch die Überprüfung von Meldeaufforderungen.
Gleichwohl war vorliegend das Verfahren nicht nach § 114 Abs. 2 Satz 1 SGG bis zu einer Entscheidung des Beklagten über Anträge nach § 44 SGB X und über den dann zu erhebenden Widerspruch auszusetzen. Die angegriffenen Meldeaufforderungen bis Klageerhebung haben sich durch Zeitablauf sämtlich erledigt; die letzten Meldeaufforderungen datieren vom 02.12.2015 zu Meldeterminen am 17.12.2015, die Klage wurde am 29.01.2016 erhoben. Die Aufhebung der Meldeaufforderungen wäre daher ohne rechtliche Auswirkung für die Kläger, weshalb nicht ersichtlich ist, welches rechtlich geschützte Interesse die Kläger mit der begehrten Verpflichtung des Beklagten verfolgen, die Meldeaufforderungen zurückzunehmen.
Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ist die Rechtmäßigkeit von Meldeaufforderungen als Vorfrage für die Feststellung eines Meldeversäumnisses inzident im Verfahren gegen den hierauf basierenden Sanktionsbescheid zu überprüfen, weil sich die Meldeaufforderung als solche durch Zeitablauf erledigt hat (vgl. BSG, Urt. vom 29.04.2014, B 14 AS 19/14 R, juris, Rdnr. 30).
Zudem wären Anträge nach § 44 SGB X hinsichtlich der Meldeaufforderungen auch deshalb abzulehnen, weil die Voraussetzung des § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X, dass Sozialleistungen wegen des angegriffenen Verwaltungsaktes zu Unrecht nicht erbracht wurden oder Beiträge zu Unrecht nicht erhoben wurden, nicht erfüllt ist. Die angegriffenen Meldeaufforderungen führen für sich betrachtet nicht dazu, dass Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht werden, da sie eine Regelung über Sozialleistungen nicht treffen, sondern erst das Nichterscheinen der Kläger zu der Meldung ohne wichtigen Grund führt über § 32 SGB II zu einer Minderung ihres Arbeitslosengeldes II und zu einer Feststellung dieser Minderung seitens der Behörde, dem „Sanktionsbescheid“.
5. Meldeaufforderungen nach Klageerhebung sind nicht Streitgegenstand geworden. Nach § 96 Abs. 1 SGG wird ein neuer Verwaltungsakt nach Klageerhebung nur Gegenstand des Klageverfahrens, wenn er nach Erlass des Widerspruchsbescheides ergangen ist und den abgeänderten Verwaltungsakt abändert oder ersetzt. Diese Voraussetzung ist für weitere Meldeaufforderungen des Beklagten nicht erfüllt. Meldeaufforderungen erledigen sich mit Ablauf des Meldetermins durch Zeitablauf und verlieren damit gemäß § 39 Abs. 2 SGB X ihre Wirksamkeit. Eine Abänderung oder Ersetzung eines unwirksamen Verwaltungsaktes kommt denklogisch nicht in Betracht.
6. Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG; sie entspricht im Ergebnis dem Ausgang des Rechtsstreits.