Verwaltungsrecht

Erlöschen der Niederlassungserlaubnis – Überschreiten der 6-Monatsfrist

Aktenzeichen  10 ZB 19.834

Datum:
25.3.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 9466
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 124
AufenthG § 51 Abs. 1 Nr. 7

 

Leitsatz

Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO bestünden dann, wenn der Kläger im Zulassungsverfahren einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung des Erstgerichts mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt hätte.  (Rn. 3) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 12 K 18.4180 2018-12-20 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000,- Euro festgesetzt.

Gründe

Der Antrag auf Zulassung der Berufung, mit dem die Klägerin ihre in erster Instanz erfolglose Klage auf Feststellung, dass ihre Niederlassungserlaubnis nicht erloschen ist, weiterverfolgt, ist zulässig, aber unbegründet.
Die Berufung ist nicht wegen der mit dem Zulassungsantrag der Sache nach geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) zuzulassen.
Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO bestünden dann, wenn der Kläger im Zulassungsverfahren einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung des Erstgerichts mit schlüssigen Gegenargumenten infrage gestellt hätte (BVerfG, B.v. 10.9.2009 – 1 BvR 814/09 – juris Rn. 11; B.v. 9.6.2016 – 1 BvR 2453/12 – juris Rn. 16; B.v. 8.5.2019 – 2 BvR 657/19 – juris Rn. 33). Dies ist jedoch nicht der Fall.
Das Verwaltungsgericht hat die Feststellungsklage im Wesentlichen mit der Begründung abgewiesen, die Niederlassungserlaubnis der Klägerin sei gemäß § 51 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG erloschen. Es könne dahinstehen, ob der Aufenthaltstitel bereits aufgrund der Aufenthalte der Klägerin in N. in den Jahren 2010 bis 2011 bzw. 2015 (richtig: 2013) bis 2015 erloschen sei. Jedenfalls sei die Klägerin im September 2017 aus der Bundesrepublik D. ausgereist und erst am 25. April 2018 durch die norwegischen Behörden zurücküberstellt worden. Ihre Niederlassungserlaubnis sei daher jedenfalls spätestens mit Überschreiten der 6-Monatsfrist am 31. März 2018 erloschen. Auf den Privilegierungstatbestand des § 51 Abs. 2 Satz 1 AufenthG könne sie sich nicht berufen. Zwar habe sie sich mehr als 15 Jahre rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten und es liege auch kein Ausweisungsinteresse nach § 54 AufenthG vor. Jedoch sei ihr Lebensunterhalt im maßgeblichen Zeitpunkt nicht im Sinne von § 51 Abs. 2 Satz 1 AufenthG gesichert gewesen. Maßgeblicher Zeitpunkt für diese Prognose sei der Zeitpunkt des Eintritts der gesetzlichen Erlöschensvoraussetzungen, im Fall des § 51 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG also der Zeitpunkt des Überschreitens der 6-Monatsfrist. Nachweise für die von der Klägerin in der mündlichen Verhandlung angegebene Tätigkeit ab 2011 in D. in zwei Erotikmassagesalons und als Prostituierte in einem Bordell habe sie ebenso wenig erbracht wie Nachweise über die Höhe des dabei erzielten Einkommens und die Legalität dieser Tätigkeiten. Die Klägerin sei vielmehr nach eigenen Angaben in dieser Zeit immer wieder nach N. gereist, wo sie sich illegal aufgehalten und in einem Massagesalon gearbeitet habe. Dies spreche gegen eine Sicherung des Lebensunterhalts in D.. Nachweise oder Belege über ein Einkommen aus einer legalen Beschäftigung oder prognostisch zu erwartende legale Einnahmen seien nicht vorgelegt worden. Auch der Vortrag, der Lebensgefährte und geschiedene Ehemann der Klägerin habe bei Engpässen immer wieder ausgeholfen, führe nicht zur Annahme der Sicherung des Lebensunterhalts. Dieser sei im maßgeblichen Zeitpunkt weder gesetzlich zum Unterhalt verpflichtet gewesen noch habe eine schriftliche Verpflichtungserklärung vorgelegen. Vielmehr spreche die Tatsache, dass der Klägerin aufgrund finanzieller Engpässe immer wieder ausgeholfen werden habe müssen, dafür, dass der Lebensunterhalt zum Zeitpunkt des Eintritts der gesetzlichen Erlöschensvoraussetzungen am „7. November 2011“ nicht gesichert gewesen sei.
Demgegenüber wendet die Klägerin ein, der vom Verwaltungsgericht gezogene Rückschluss, aus der Verlagerung und illegalen Ausübung ihrer Tätigkeit nach bzw. in N. lasse sich nicht zwingend ableiten, sie habe dies nur deshalb gemacht, weil ihr Lebensunterhalt im Bundesgebiet nicht gesichert gewesen sei. Denn sie sei nach N. gegangen, weil sie dort erheblich mehr Geld habe verdienen können als in D.. Ihr Motiv sei die wesentliche Verbesserung ihrer Einkünfte gewesen. Im Übrigen habe die Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht auch vorgetragen, in der Zeit ab 2011 durchgehend im Bundesgebiet immer wieder legal in zwei Massagesalons und als Prostituierte gearbeitet zu haben. Folgerichtig hätte sie ihren Lebensunterhalt auch für den Zeitraum ab März 2018 durch diese Tätigkeiten in ausreichendem Umfang erwirtschaften können. Die Klägerin habe seit ihrem Aufenthalt in D. im Jahr 1999 im Übrigen noch nie staatliche Unterstützung in Anspruch nehmen müssen. Vorgelegt werde ein Bestätigungsschreiben des Massagegeschäfts F. L. vom 2. Mai 2019, wonach die Klägerin dort ab März 2018 eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung in Vollzeit mit einem Bruttogehalt in Höhe von 1.200,- Euro monatlich hätte beginnen können. Die Klägerin hätte bei ihrem geschiedenen Ehemann mietfrei wohnen können. Das Urteil des Verwaltungsgerichts sei auch fehlerhaft, soweit davon ausgegangen werde, dass der Lebensunterhalt der Klägerin zum Zeitpunkt des Eintritts der gesetzlichen Erlöschensvoraussetzungen am 7. November 2011 nicht gesichert gewesen sei. Vielmehr sei schon in der mündlichen Verhandlung vorgetragen worden, dass ihr geschiedener Ehemann bei Bedarf für eine ausreichende finanzielle Versorgung der Klägerin eingestanden hätte. Der Rückschluss des Verwaltungsgerichts, eine finanzielle Unterstützung des geschiedenen Ehemanns in der Vergangenheit spreche für die fehlende Unterhaltssicherung, sei unzulässig und inhaltlich falsch. Die Sicherung des Lebensunterhalts könne auch durch Dritte erfolgen. Die Klägerin habe auch nur dann, wenn es „mal knapp wurde, sicher (im Sinne von immer) auf ihren geschiedenen Ehemann zurückgreifen“ können. Im Zeitpunkt der Ausreise der Klägerin im September 2017 sei ihr Lebensunterhalt gesichert gewesen; hierzu werde der Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2017 (mit dort ausgewiesenen Einkünften aus Gewerbebetrieb als Einzelunternehmer in Höhe von 13.000 Euro) vorgelegt.
Damit wird jedoch die entscheidungstragende Annahme des Verwaltungsgerichts, im maßgeblichen Zeitpunkt des Überschreitens der 6-Monatsfrist (§ 51 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG) am 31. März 2018 könne der Lebensunterhalt der Klägerin nicht als im Sinne des § 51 Abs. 2 Satz 1 AufenthG gesichert angesehen werden, nicht mit schlüssigen Gegenargumenten infrage gestellt. Vielmehr ist das Verwaltungsgericht unter Berücksichtigung der materiellen Beweislast für die Sicherung des Lebensunterhalts zu Recht davon ausgegangen, dass die Klägerin im maßgeblichen Zeitpunkt des Eintritts der gesetzlichen Erlöschensvoraussetzungen weder ein (bestehendes) Einkommen aus einer legalen Beschäftigung noch derartige in nächster Zukunft zu erwartende Einkünfte nachgewiesen habe und dafür auch nichts ersichtlich sei. Die möglicherweise nicht unerheblichen Einkünfte der Klägerin aus ihrer illegalen Tätigkeit in N. hat das Verwaltungsgericht dabei rechtsfehlerfrei nicht berücksichtigt. Irgendwelche Nachweise oder Belege für die behauptete legale Tätigkeit in zwei Erotikmassagesalons und als Prostituierte in München während ihrer Aufenthaltszeiten in D. hat die Klägerin weder vor dem Verwaltungsgericht noch im Zulassungsverfahren vorgelegt; diesbezügliche Einkommensnachweise fehlen ebenso. Der mit der Zulassungsbegründung auszugsweise vorgelegte Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2017 mit dort aufgeführten Einkünften aus Gewerbebetrieb als Einzelunternehmer in Höhe von 13.000 Euro ist ebenfalls (allein) nicht ausreichend, im maßgeblichen Zeitpunkt (März 2018) die Prognose der Sicherung des Lebensunterhalts im Sinne des § 51 Abs. 2 Satz 1 AufenthG zu rechtfertigen. Die von der Klägerin im Zulassungsverfahren vorgelegte Bestätigung der Inhaberin des Massagegeschäfts F.L. Trad. Thai-Massage vom 2. Mai 2019 genügt nicht ansatzweise für eine entsprechend tragfähige Prognose. Denn darin wird lediglich im Nachhinein und unverbindlich erklärt, dass die Klägerin als qualifizierte und zuverlässige Arbeitskraft eingeschätzt werde und ihr „gerne eine sozialversicherungspflichtige Vollzeitstelle bei einem monatlichen Gehalt in Höhe von brutto Euro 1.200 seit März 2018 angeboten“ worden wäre, wegen mangelnder Verfügbarkeit der Klägerin aber andere Beschäftigungsverhältnisse geschlossen worden seien und zur Klägerin ein Kontakt bestehe, weil die Inhaberin sie „in naher Zukunft gerne anstellen“ würde. Auch die weiter vorgelegte eidesstattliche Versicherung des geschiedenen Ehemanns der Klägerin vom 21. Mai 2019 mit der Erklärung, er hätte „seine geschiedene Ehefrau … finanziell in der Vergangenheit unterstützt, wenn sie für die Zeit im November 2017 und darüber hinaus, sowie für die Zeit im März 2018 und darüber hinaus nicht ausreichend für ihren Lebensunterhalt hätte sorgen können“, sowie der Bestätigung ihrer mietzinsfreien Untermiete in der Wohnung in M., ist nicht geeignet, die erforderliche positive Prognose der Sicherung des Lebensunterhalts anstellen zu können. Im Übrigen ergibt sich daraus weder eine gesicherte dauerhafte Unterhalts- bzw. Unterstützungsleistung zur Deckung des gesamten Lebensunterhalts der Klägerin noch etwa eine entsprechende Leistungsfähigkeit des geschiedenen Ehemanns.
Auf die im Kontext der angefochtenen Entscheidung nicht nachvollziehbaren Ausführungen bezüglich des Zeitpunkts „des Eintritts der gesetzlichen Erlöschensvoraussetzungen am 7. November 2011“ sowohl des Verwaltungsgerichts als auch der diesbezüglichen Zulassungsbegründung kommt es demgemäß nicht entscheidungserheblich an.
Unabhängig davon teilt der Senat nicht die Auffassung des Verwaltungsgerichts, die Klägerin habe sich im maßgeblichen Zeitpunkt mehr als 15 Jahre rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten. Denn der mit ihrer Einreise mit einem gültigen Visum zur Eheschließung am 4. Juni 1999 begonnene rechtmäßige Aufenthalt im Bundesgebiet ist nach Auffassung des Senats durch die nachweislichen längeren illegalen Aufenthalte der Klägerin jedenfalls im Zeitraum zwischen 4. Januar 2011 und 7. November 2011 sowie zwischen 5. März 2013 und 1. Dezember 2015 (vgl. BKA-Mitteilungen über Auskünfte von SIRENE N., Bl. 28 u. 38 der Behördenakte) in rechtserheblicher Weise unterbrochen worden. Zwar setzt die Ausnahmeregelung § 51 Abs. 2 Satz 1 AufenthG keinen ununterbrochenen Aufenthalt voraus. Die sich über einen Zeitraum von 2010 bis ins Jahr 2017 erstreckenden längerfristigen illegalen Aufenthalte zur Ausübung einer illegalen Beschäftigung in N. sind jedoch nach Auffassung des Senats nach Art und Umfang geeignet, eine im Sinne des § 51 Abs. 2 Satz 1 AufenthG erhebliche Zäsur und Unterbrechung des Integrationszusammenhangs (vgl. BayVGH, B.v. 25.7.2019 – 19 ZB 17.1149 – juris Rn. 9; zur „Schädlichkeit“ von Auslandsaufenthalten im Hinblick auf § 51 Abs. 1 Nr. 6 AufenthG: BayVGH, U.v. 5.4.2016 – 10 B 16.165 – juris Rn. 22) der Klägerin im Bundesgebiet zu bewirken. Dabei kommt es nicht entscheidend darauf an, ob die Klägerin – ohne dass dafür Nachweise oder sonstige nachvollziehbare Anhaltspunkte sprechen – ihre Aufenthalte in N. für kurzfristige Besuche in D. unterbrochen hat. Ohne dass es vorliegend noch darauf ankäme, liegt nach alledem auch diese Voraussetzung des § 51 Abs. 2 Satz 1 AufenthG nicht vor.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung für das Zulassungsverfahren beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 und 3 und § 52 Abs. 2 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).

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