Verwaltungsrecht

Erlöschen des Aufenthaltsrechts infolge dauerhafter Ausreise aus dem Bundesgebiet

Aktenzeichen  10 CE 16.238

Datum:
19.4.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO VwGO §§ 123 I 1, 88
AufenthG AufenthG §§ 51 I Nr. 6, 60a II 2
EMRK EMRK Art. 8

 

Leitsatz

Ein Antrag nach § 123 I VwGO mit dem Ziel, die Abschiebung (vorläufig) auszusetzen, hat sich infolge zwischenzeitlich erfolgter freiwilliger Ausreise erledigt, weil die (vorübergehende) Aussetzung der Abschiebung nach der Ausreise objektiv unmöglich geworden ist. (redaktioneller Leitsatz)
Weder aus § 60a II AufenthG noch aus Art. 8 EMRK ergibt sich ein Duldungsanspruch für einen Ausländer, dessen (ursprüngliches) Aufenthaltsrecht durch mehrjährigen Aufenthalt außerhalb des Bundesgebiets erloschen ist. (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

Au 1 E 16.16 2016-01-14 Bes VGAUGSBURG VG Augsburg

Tenor

I.
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III.
Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 1.250,- Euro festgesetzt.

Gründe

Die Beschwerde, mit der der Antragsteller den in erster Instanz erfolglosen Antrag weiterverfolgt, die Antragsgegnerin im Rahmen einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 VwGO zu verpflichten, seine Abschiebung (vorläufig) auszusetzen, bleibt ohne Erfolg.
Nach der inzwischen erfolgten (freiwilligen) Ausreise des Antragstellers in die Türkei hat sich der Antrag nach § 123 Abs. 1 VwGO mit diesem Rechtsschutzbegehren erledigt, weil die (vorübergehende) Aussetzung der Abschiebung (§ 60a Abs. 2 AufenthG) nach der Ausreise objektiv unmöglich geworden ist. Der Antragsteller hat sein Rechtsschutzbegehren auch nicht in der Weise umgestellt, der Antragsgegnerin mittels einer Regelungsanordnung nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO aufzugeben, ihm die (vorläufige) Wiedereinreise in das Bundesgebiet zu ermöglichen und anschließend den Aufenthalt (einstweilen) zu dulden (vgl. dazu Funke-Kaiser in GK-AufenthG, Stand: Dezember 2015, II – § 81 Rn. 190).
Selbst wenn man aber das Rechtsschutzersuchen des Antragstellers nunmehr nach § 88 VwGO sachdienlich dahingehend umdeuten und die berechtigten Bedenken bezüglich der Zulässigkeit eines Antrags auf einstweilige Anordnung mit diesem Ziel (für den Fall einer durch die Behörde vollzogenen Abschiebung vgl. BayVGH, B. v. 28.1.2016 – 10 CE 15.2653 – juris Rn. 18 m. w. N.) mit Blick auf den Grundsatz der Gesetz- und Rechtmäßigkeit der Verwaltung nach Art. 20 Abs. 3 GG zurückstellen würde (vgl. dazu BayVGH a. a. O. Rn. 19), bliebe die Beschwerde auch dann ohne Erfolg. Denn der Antragsteller hat den für den Erlass der einstweiligen Anordnung erforderlichen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht hat (§ 123 Abs. 3 VwGO in Verbindung mit § 920 Abs. 2 ZPO). Auch unter Berücksichtigung des Beschwerdevorbringens ist nicht ersichtlich, dass dem Antragsteller vor seiner (freiwilligen) Ausreise ein Anspruch auf vorübergehende Aussetzung der Abschiebung (Duldung) gemäß § 60a Abs. 2 AufenthG zugestanden hatte, der Grundlage für einen entsprechenden Wiedereinreiseanspruch bilden könnte.
Einen Duldungsanspruch zur verfahrensrechtlichen Sicherung des zwischen den Parteien streitigen Aufenthaltsrechts des Antragstellers hat das Verwaltungsgericht unter Bezugnahme auf sein Urteil vom 11. August 2015 (Au 1 K 15.581) verneint; in dieser Entscheidung hat das Verwaltungsgericht festgestellt, dass die Niederlassungserlaubnis des Antragstellers nach § 51 Abs. 1 Nr. 6 und 7 AufenthG erloschen ist.
Der Einwand des Antragstellers, die Frage des Erlöschens dieses Aufenthaltstitels sei nach wie vor als offen anzusehen, weil der Verwaltungsgerichtshof gegen dieses Urteil die Berufung zugelassen habe, greift nicht (mehr) durch. Denn der Senat hat inzwischen die (zugelassene) Berufung mit Urteil vom 5. April 2016 (10 B 16.165) zurückgewiesen und dabei festgestellt, dass die Niederlassungserlaubnis des Antragstellers nach § 51 Abs. 1 Nr. 6 AufenthG infolge einer seiner Natur nach nicht vorübergehenden Ausreise im August 2008 nach Österreich erloschen ist; auf die Gründe dieser Entscheidung wird Bezug genommen. Dass der Senat in seinem Urteil die Revision zum Bundesverwaltungsgericht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen hat, ändert im Übrigen an diesem rechtlichen Befund nichts.
Weiter hat das Verwaltungsgericht in der angefochtenen Entscheidung festgestellt, auch aus Art. 8 EMRK ergebe sich kein Duldungsanspruch des Antragstellers. Da dieser sich von Mitte 2008 bis Mitte 2014 nicht im Bundesgebiet aufgehalten habe, sei sein zunächst bestehendes Aufenthaltsrecht erloschen und die nachhaltige Bindung zum Bundesgebiet von ihm selbst aufgegeben worden. Somit sei der Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 EMRK schon nicht eröffnet.
Dagegen wendet der Antragsteller ein, unabhängig von seinem längeren Aufenthalt in Salzburg habe er die Beziehungen zu Deutschland, zur Stadt A. und zu seinen hier lebenden Familienangehörigen nie aufgegeben. Diese Beziehungen bestünden nach wie vor und müssten auch im Zusammenhang mit seinem Aufenthalt im Bundesgebiet seit 1970 gesehen werden. Das Gewicht seines Aufenthalts in Deutschland sei vom Verwaltungsgericht unzureichend gewürdigt worden. Unter Berücksichtigung des Fehlens tatsächlicher Verbindungen zur Türkei und des geringen Gewichts der bei ihm für eine Aufenthaltsbeendigung sprechenden Gründe erweise sich letztere im konkreten Fall als unverhältnismäßig (Art. 8 Abs. 2 EMRK).
Auch dieses Vorbringen rechtfertigt nicht die Aufhebung oder Abänderung der erstinstanzlichen Entscheidung. Denn selbst wenn man entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts hier den Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 EMRK im Hinblick auf den langjährigen Voraufenthalt des Antragstellers in Deutschland und seine fortbestehenden persönlichen Bindungen noch als eröffnet ansehen würde, ist das von ihm daraus hergeleitete Interesse am Aufenthalt bzw. Verbleib im Bundesgebiet infolge seiner bereits im August 2008 erfolgten dauerhaften Ausreise (mit der Folge des gesetzlichen Erlöschens seines Aufenthaltsrechts) jedenfalls soweit gemindert, dass ihm nunmehr ein (weiterer) Aufenthalt im Ausland bzw. im Staat seiner Staatsangehörigkeit zumutbar ist; demgemäß ist die Verweigerung eines Aufenthalts im Bundesgebiet durch die Antragsgegnerin auch nicht unverhältnismäßig im Sinne von Art. 8 Abs. 2 EMRK.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 1 sowie § 52 Abs. 2 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

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