Aktenzeichen M 12 K 17.728
AufenthG § 9 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 – 3, § 9a Abs. 2 S. 1, § 26 Abs. 4
Leitsatz
1 Stellt ein Ausländer nach unanfechtbarer Ablehnung eines Antrags auf Erteilung eines Aufenthaltstitels erneut einen Antrag auf Erteilung desselben Aufenthaltstitels, der den Fortbestand der bestandskräftigen Ablehnung unmittelbar berührt, so ist dieser ungeachtet seiner Bezeichnung ein Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels unter Wiederaufgreifen des Verfahrens nach Art. 51 Abs. 1 bis 3 BayVwVfG. (Rn. 38) (redaktioneller Leitsatz)
2 Lehnt die Behörde die Wiederaufnahme ab, so ist Streitgegenstand der nachfolgenden Klage zunächst nur der behauptete Anspruch auf das Wiederaufgreifen des Verfahrens. (Rn. 40) (redaktioneller Leitsatz)
3 Lehnt die Behörde ein Wiederaufgreifen im Hinblick auf eine vorangegangene bestandskräftige Entscheidung ab, bedarf es regelmäßig keiner weiteren ins Einzelne gehenden Ermessenserwägungen der Behörde. (Rn. 54) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Gründe
Die zulässige Klage ist unbegründet.
Das Gericht legt den Klageantrag des Klägers gem. § 88 VwGO dahingehend aus, dass er die Verpflichtung der Beklagten begehrt, das Verfahren im Hinblick auf die beantragte Erteilung einer Niederlassungserlaubnis bzw. einer Erlaubnis zum Daueraufenthalt-EU wiederaufzugreifen und seine Anträge in der Sache zu verbescheiden.
1. Die so verstandene Klage ist zulässig.
Die am … Februar 2014 gestellten Anträge des Klägers auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis und einer Erlaubnis zum Daueraufenthalt-EU wurden zwar mit Bescheid der Beklagten vom 3. September 2014 abgelehnt. Dieser Bescheid wurde mit Eintritt der Rechtskraft des Urteils des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 19. Mai 2016 (M 12 K 14.4513) auch bestandskräftig.
Stellt ein Ausländer nach unanfechtbarer Ablehnung eines Antrags auf Erteilung eines Aufenthaltstitels erneut einen Antrag auf Erteilung desselben Aufenthaltstitels, der den Fortbestand der bestandskräftigen Ablehnung unmittelbar berührt, so ist dieser ungeachtet seiner Bezeichnung ein Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels unter Wiederaufgreifen des Verfahrens nach Art. 51 Abs. 1 bis 3 BayVwVfG (zur Aufenthaltserlaubnis: BayVGH, B.v. 1.6.2006 – 24 CE 06.1081 – juris).
Die Beklagte hat die Wiederaufnahme des Verfahrens und damit eine Verbescheidung der Anträge des Klägers in der Sache vorliegend mit Bescheid vom 9. November 2016 unter Hinweis auf ihren bestandskräftigen Bescheid und die mangelnde Änderung der Sach- oder Rechtslage seither abgelehnt.
Lehnt die Behörde die Wiederaufnahme ab, so ist Streitgegenstand der nachfolgenden Klage zunächst nur der behauptete Anspruch auf das Wiederaufgreifen des Verfahrens (vgl. Rennert in Eyermann, VwGO, 13. Aufl. 2010, § 121 Rn. 34). Dieser Streitgegenstand ist ein anderer als im vorangegangenen Verfahren M 12 K 14.4513, so dass die Rechtskraft des Urteils vom 19. Mai 2016 bzw. die Bestandskraft des Bescheids vom 3. September 2014 der Zulässigkeit der Klage nicht entgegensteht.
Die Klage ist auch nicht verfristet, da der Bescheid vom 9. November 2016 keine Rechtsbehelfsbelehrung:enthalten hat, so dass für die Erhebung der Klage die Jahresfrist gem. § 58 Abs. 2 Satz 1 VwGO gilt.
2. Die Klage ist jedoch unbegründet, da der Kläger keinen Anspruch auf Wiederaufgreifen des früheren Verfahrens hat, und zwar weder nach den Vorschriften über das Wiederaufgreifen im engeren Sinne (Art. 51 BayVwVfG) noch im Rahmen eines Anspruchs auf ermessensfehlerfreie Prüfung, ob eine Aufhebung des bestandskräftigen Versagungsbescheids und neue Sachentscheidung nach Art. 48 Abs. 1 oder Art. 49 Abs. 1 BayVwVfG geboten ist (Wiederaufgreifen im weiteren Sinne). Das Gericht legt hierbei jeweils die aktuellen Verhältnisse im Zeitpunkt seiner Entscheidung zu Grunde.
a) Der Kläger hat keinen Anspruch auf Wiederaufgreifen des Verfahrens nach Art. 51 Abs. 1 BayVwVfG. Nach dieser Vorschrift hat die Behörde auf Antrag über die Aufhebung oder Änderung eines unanfechtbaren Verwaltungsakts zu entscheiden, wenn sich die dem Verwaltungsakt zu Grunde liegende Sach- oder Rechtslage nachträglich zu Gunsten des Betroffenen geändert hat (Nr. 1), neue Beweismittel vorliegen, die eine dem Betroffenen günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würden (Nr. 2) oder Wiederaufnahmegründe entsprechend § 580 ZPO gegeben sind (Nr. 3). Letzteres ist hier ersichtlich nicht der Fall, so dass nur die Änderung der Sach- oder Rechtslage oder die Vorlage neuer Beweismittel in Betracht kommt.
Eine Änderung der Sach- oder Rechtslage ist vorliegend weder im Hinblick auf die begehrte Erteilung einer Niederlassungserlaubnis noch einer Erlaubnis zum Daueraufenthalt-EU eingetreten. Auch neue Beweismittel, die geeignet wären, eine für den Kläger günstigere Entscheidung herbeizuführen, wurden nicht vorgelegt.
Zur Niederlassungserlaubnis:
Die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis setzt gem. § 26 Abs. 4 AufenthG u.a. voraus, dass der Kläger seit fünf Jahren eine Aufenthaltserlaubnis besitzt (§ 26 Abs. 4 Satz 1 i.V.m. § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG). Nach dem rechtskräftigen Urteil vom 19. Mai 2016 hat der Kläger zum Zeitpunkt der damaligen Entscheidung diese Voraussetzung nicht erfüllt. An dieser Sachlage hat sich seit dem Urteil vom 19. Mai 2016 nichts geändert. Der Kläger war seither zu keinem Zeitpunkt im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis, da er sich weigert, den hierfür erforderlichen Antrag bei der Beklagten zu stellen. Er verfügt lediglich über eine Duldung. Weitere anrechenbare Zeiten sind demzufolge seit dem Urteil vom 19. Mai 2016 nicht entstanden, so dass es nach wie vor bereits an der Erteilungsvoraussetzung des § 26 Abs. 4 Satz 1 i.V.m. § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG mangelt.
Lediglich ergänzend wird ausgeführt, dass der Kläger nach dem Urteil vom 19. Mai 2016 auch keine Nachweise über die Sicherung seines Lebensunterhalts vorgelegt hat (§ 26 Abs. 4 Satz 1 i.V.m. § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AufenthG). Vielmehr bezieht er nach Aktenlage noch immer öffentliche Leistungen (SGB II-Leistungen bzw. Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz). Von der Erteilungsvoraussetzung des gesicherten Lebensunterhalts ist auch nicht gem. § 26 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. § 9 Abs. 2 Satz 6 i.V.m. Satz 3 AufenthG abzusehen. Die vom Kläger neu vorgelegten ärztlichen Atteste von Dr. W… vom … August 2016, … Januar 2017 und … April 2017 sowie von Dr. W… vom … Juli 2016 bestätigen zwar, dass beim Kläger psychiatrische Erkrankungen bzw. ein Vorhofflattern und ein chronisches Wirbelsäulensyndrom vorliegen; sie lassen aber nicht erkennen, dass der Kläger auf Dauer erwerbsunfähig wäre und er deshalb seinen Lebensunterhalt nicht im Sinne von § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AufenthG sichern könnte.
Schließlich müsste der Kläger gem. § 26 Abs. 4 Satz 1 i.V.m. § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 AufenthG auch mindestens 60 Monate Pflichtbeiträge oder freiwillige Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung geleistet haben. Nachweise hierüber liegen nach wie vor nicht vor. Vielmehr hat der Kläger auch nach dem Urteil vom 19. Mai 2016 öffentliche Leistungen in Anspruch genommen. Meldezeiten der Arbeitsagentur für Arbeit bei der gesetzlichen Rentenversicherung zählen nicht zu den erforderlichen 60 Beitragsmonaten. Von dem Erfordernis ist auch nicht gem. § 26 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. § 9 Abs. 2 Satz 6 i.V.m. Satz 3 AufenthG abzusehen, da die vom Kläger vorgelegten ärztlichen Atteste keine Erwerbsunfähigkeit belegen (s.o.).
Zur Erlaubnis zum Daueraufenthalt-EU:
Die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Daueraufenthalt-EU gem. § 9a Abs. 2 Satz 1 AufenthG setzt u.a. voraus, dass sich der Ausländer seit fünf Jahren mit Aufenthaltstitel im Bundesgebiet aufhält (Nr.1) und dass sein Lebensunterhalt gesichert ist (Nr. 2). Wie sich aus obigen Ausführungen ergibt, erfüllt der Kläger nach wie vor weder die Voraussetzung des fünfjährigen Aufenthalts mit Aufenthaltstitel noch die Sicherung seines Lebensunterhalts.
b) Die Beklagte ist auch nicht nach den allgemeinen Vorschriften über die Rücknahme oder den Widerruf belastender Verwaltungsakte – hierzu zählt auch die Ablehnung eines begünstigenden Verwaltungsakts – verpflichtet, in Ausübung pflichtgemäßen Ermessens den bestandskräftig gewordenen Bescheid vom 3. September 2014 aufzuheben und erneut über die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis bzw. Erlaubnis zum Daueraufenthalt-EU zu entscheiden (Wiederaufgreifen im weiteren Sinne, Art. 51 Abs. 5, Art. 48 Abs. 1 Satz 1, Art. 49 Abs. 1 BayVwVfG).
Die tatbestandlichen Voraussetzungen des Art. 48 Abs. 1 Satz 1 BayVwVfG liegen nicht vor, da die Ablehnung der Niederlassungserlaubnis und der Erlaubnis zum Daueraufenthalt-EU mit Bescheid vom 3. September 2014 nicht rechtswidrig war.
Nach Art. 49 Abs. 1 BayVwVfG kann zwar auch ein rechtmäßiger nicht begünstigender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft widerrufen werden, außer wenn ein Verwaltungsakt gleichen Inhalts erneut erlassen werden müsste oder aus anderen Gründen ein Widerruf unzulässig ist. Die tatbestandlichen Voraussetzungen des Widerrufs nach Art. 49 Abs. 1 BayVwVfG liegen jedoch nicht vor, da ein Verwaltungsakt gleichen Inhalts erneut erlassen werden müsste, da der Kläger keinen Anspruch auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis oder einer Erlaubnis zum Daueraufenthalt-EU hat (s.o.). Im Fall des Widerrufs des bestandskräftigen Ablehnungsbescheids vom 3. September 2014 müsste daher erneut ein Ablehnungsbescheid erlassen werden.
Abgesehen davon handelt die Behörde im Falle einer bestandskräftigen Entscheidung grundsätzlich schon dann nicht ermessensfehlerhaft, wenn sie ein Wiederaufgreifen – wie im vorliegenden Fall – im Hinblick auf die bestandskräftige Entscheidung ablehnt. In diesen Fällen bedarf es regelmäßig keiner weiteren ins Einzelne gehenden Ermessenserwägungen der Behörde (BVerwG, U.v. 22.10.2009 – 1 C 26/08 – juris Rn. 20; OVG NW B.v. 1.6.2011 – 12 A 1901/10 – juris). Gründe, im vorliegenden Fall hiervon abweichend das private Interesse des Klägers an einer erneuten Sachentscheidung höher einzustufen als das öffentliche Interesse an der Aufrechterhaltung des bestandskräftigen Bescheides sind nicht ersichtlich.
3. Nach alledem war die Klage mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
4. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.