Aktenzeichen AN 3 K 16.30401
Leitsatz
Personen, die sich in der Bundesrepublik Deutschland exponiert und politisch überzeugt betätigt haben und sich nur als einfache Mitglieder oder bloße Mitläufer gerieren, haben bei einer Rückkehr nach Äthiopien mit politisch motivierten Verfolgungsmaßnahmen zu rechnen. (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Gründe
Die Klage ist zulässig, jedoch unbegründet.
Der streitgegenständliche Bescheid vom 29. März 2016 ist im Umfange des Klagebegehrens rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten, § 113 Abs. 5 Satz 1, Abs. 1 Satz 1 VwGO.
Ihr steht weder ein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach
§ 3 Abs. 1 AsylG in Verbindung mit § 60 Abs. 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) (Hauptantrag) noch auf Zuerkennung des subsidiären Flüchtlingsstatus nach § 4 Abs. 1 AsylG in Verbindung mit § 60 Abs. 2 Satz 1 AufenthG oder auf Feststellung des Vorliegen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5, Abs. 7 Satz 1 AufenthG (Hilfsanträge) zu.
1. Vorliegend ist kein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gem. § 3 Abs. 4, Abs. 1 AsylG i. V. m. § 60 Abs. 1 AufenthG gegeben.
Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling i. S. d. Abkommens über die Rechtstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung, wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischer Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will, oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.
Ergänzend hierzu bestimmt § 3 a AsylG die Verfolgungshandlungen, § 3 b AsylG die Verfolgungsgründe, § 3 c AsylG die Akteure, von denen Verfolgung ausgehen kann, § 3 d AsylG die Akteure, die Schutz bieten können und § 3 e AsylG den internen Schutz.
§ 3 a Abs. 3 AsylG regelt ausdrücklich, dass zwischen den in § 3 Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. den in § 3 b AsylG genannten Verfolgungsgründen und den in § 3 a Abs. 1 und Abs. 2 AsylG als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen eine Verknüpfung bestehen muss.
Ausschlussgründe, wonach ein Ausländer nicht Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylG ist, sind in § 3 Abs. 2 und 3 AsylG geregelt.
Gemäß § 3 Abs. 4 AsylG wird einem Ausländer, der Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylG ist, die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, es sei denn, er erfüllt die Voraussetzungen des § 60 Abs. 8 Satz 1 des AufenthG.
Unter Würdigung dieser Voraussetzungen steht bei Zugrundelegung der verfahrensgegenständlichen Erkenntnisquellen zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung (§ 77 Abs.1 AsylG) zur Überzeugung des Gerichts fest, dass der Klägerin im Falle ihrer Rückkehr nach Äthiopien nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit dem Schutzbereich des § 3 Abs. 1 AsylG i. V. m. § 60 Abs. 1 AufenthG unterfallende Gefährdungen drohen.
Die Klägerin erklärte, sie sei im Jahre 2008 im Zusammenhang mit ihrem Engagement für die EPPF zur Ausreise gezwungen gewesen, nachdem Regierungsleute, während sie sich wegen ihrer politischen Arbeit in … aufgehalten habe, in ihrer Wohnung in … Dokumente der Organisation gefunden und beschlagnahmt hätten. Ihr Reisepass sei dabei nicht beschlagnahmt worden, vielmehr habe diesen ihre Familie an sich genommen und ihr nach … gebracht, von wo aus sie dann mit Hilfe ihrer Schwester, die in Kuweit lebe, nach … gereist sei.
Das von der Klägerin geschilderte Verfolgungsschicksal ist unglaubhaft. Die Klägerin beschrieb die fluchtauslösenden Umstände in der mündlichen Verhandlung wenig detailreich und wenig anschaulich, außerdem erklärte sie mit kleinem Wort, worin genau eigentlich ihre politische Arbeit in Äthiopien bestanden haben soll. Es wurde nicht deutlich, dass das Verhalten der Klägerin von einem ernsthaften politischen Willen, sich gegen das Regime in Äthiopien einzusetzen, getragen war. Die Klägerin machte keinerlei Ausführungen dazu, um welche Unterlagen es sich gehandelt haben soll und weshalb ihr wegen des Auffindens eine Inhaftierung gedroht haben sollte. Die Schilderungen, wonach ihre Familie von der Wohnungsdurchsuchung erfahren haben, sie gewarnt und ihre Ausreise organisiert haben will, erscheinen im Zusammenhang mit der Angabe, dass zwar politische Unterlagen in ihrer Wohnung gefunden und beschlagnahmt wurden, nicht jedoch ihr Reisepass, mit dem sie dann auch aus Äthiopien ausgereist sein will, insgesamt eher unwahrscheinlich. Nachdem sich die Klägerin ohne Personaldokumente in Deutschland aufhält, sind die Angaben zu ihrer Person nicht überprüfbar. Dass es ihr nicht gelungen sein sollte, entsprechende Dokumente zu beschaffen, ist insbesondere deshalb nicht glaubhaft, weil nach eigenen Angaben ihr äthiopischer Reisepass während ihres Aufenthalts in … problemlos verlängert wurde und es auch keinerlei Probleme bei ihrer Ausreise aus Äthiopien gab. Dies passt im Übrigen auch nicht zu ihren geschilderten ausreisebegründenden Umständen, da der äthiopische Staat die Ausreise gesuchter Regimegegner in der Regel verhindern wird. Die Angaben der Klägerin, es seien hierzu Bestechungsgelder gezahlt worden, wirkten angesichts der für sie extrem gefährlichen Ausreisesituation erstaunlich wenig emotional, wohingegen die Klägerin das Unrecht, das ihr in … zugefügt wurde, mit erheblich größeren Emotionen in der mündlichen Verhandlung schilderte.
Die Klägerin berichtete auch nicht, dass sie während ihres Aufenthalts in Katar politisch interessiert gewesen sei und wie es ihr in dieser Zeit mit ihrer – abgebrochenen – politischen Arbeit erging oder wie und ob sie versuchte, ihr Engagement und ihre politischen Kontakte in die Heimat aufrecht zu erhalten, wie man es von einem Menschen erwarten würde, der aus politischen Gründen seine Heimat und seine Familie verlassen musste. Vielmehr legte sie Wert auf die Feststellung, dass sie von ihrer Arbeitgeberfamilie, insbesondere von der Arbeitgeberin, unmenschlich behandelt worden sei. Das Vorbringen zum verlorenen Kontakt zu ihrer Familie ähnelt dem Vorbringen der meisten Asylbewerber aus Äthiopien, die zwar bei ihrer Ausreise große Unterstützung durch die Familie erhalten, danach aber den Kontakt unwiederbringlich verloren haben wollen.
Nachdem die Klägerin sich seit 3 Jahren in Deutschland aufhält, ist es nicht nachvollziehbar, dass sie nicht einmal versucht haben will, wieder Kontakt zu ihrer Familie zu bekommen, die so geistesgegenwärtig und kooperativ war, der Klägerin die Flucht zu ermöglichen. Dass innerhalb des bislang fast dreijährigen Aufenthalts in Deutschland keine Kontaktaufnahme erfolgte, ist bei dieser Vorgeschichte nicht glaubhaft.
Die demnach nicht vorverfolgt aus Äthiopien ausgereiste Klägerin hat nach Auffassung des Gerichts unter Zugrundelegung der verfahrensgegenständlichen Erkenntnisquellen im Falle ihrer Rückkehr nach Äthiopien auch wegen der in der Bundesrepublik Deutschland ausgeübt exilpolitischen Betätigung nicht mit einer im Rahmen des § 60 Abs. 1 AufenthG zu berücksichtigenden Rückkehrgefährdung zu rechnen.
Dem Auswärtigen Amt liegen keine Erkenntnisse vor, dass allein die Betätigung für eine oppositionelle Organisation im Ausland bei Rückkehr nach Äthiopien zu staatlichen Repressionen führt. Grundsätzlich kommt es darauf an, ob eine Organisation von den äthiopischen Stellen als terroristisch angesehen wird, wie zum Beispiel der OLF und Ginbot 7 und welche Art exilpolitischer Aktivität festgestellt wird (u. a. führende Position, Organisation gewaltsamer Aktionen). Von Bedeutung ist insbesondere auch, ob und wie sich eine zurückgeführte Person anschließend in Äthiopien politisch betätigt. Die bloße Asylantragstellung im Ausland bleibt, soweit bekannt, ohne Konsequenzen (Auswärtiges Amt, Lagebericht Äthiopien vom 4. März 2015, II 1.9.). Insgesamt ist den zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemachten Auskünften zu entnehmen, dass die äthiopische Regierung die Aktivitäten der äthiopischen Diaspora beobachtet bzw. durch die Auslandsvertretungen und im Ausland wohnhaften TPLF-Mitglieder beobachten lässt. Spitzenpolitiker von Exilparteien, die der Regierung missliebig sind, müssen deshalb im Falle einer Rückkehr nach Äthiopien mit Verfolgung rechnen. Auch herausgehobene Aktivisten, die sich im Ausland gegen die Regierung aussprechen (zum Beispiel durch öffentliche Statements oder die Veranstaltung von Treffen), drohen in Äthiopien Verfolgungen aufgrund revolutionärer Absichten. Aktivitäten einfacher Parteimitglieder werden danach hingegen von den äthiopischen Behörden nicht registriert, da den Behörden dazu die Ressourcen fehlen. Solche Personen können nach Auffassung der Kooperation Asylwesen (D-A-CH Äthiopien/Somaliland Mai 2010) unbehelligt nach Äthiopien reisen. Es sind allerdings Einzelfälle bekannt geworden, in denen es trotzdem zu Verhaftungen kam. Andererseits sind zahlreiche Fälle von Mitgliedern von Exilparteien bekannt, die nach ihrer Rückkehr nach Äthiopien nicht belangt worden sind.
Insgesamt lässt sich wohl den zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemachten Auskünften und Stellungnahmen zur Überzeugung des Gerichts entnehmen, dass jedenfalls Personen, die sich hier in der Bundesrepublik Deutschland exponiert und politisch überzeugt, d. h. nicht nur auf das Asylverfahren abzielend, betätigt haben und sich nicht nur als einfache Mitglieder oder bloße Mitläufer gerieren, bei einer Rückkehr nach Äthiopien mit politisch motivierten Verfolgungsmaßnahmen zu rechnen haben, zumal der äthiopische Staat in der Bundesrepublik Deutschland die Aktivitäten äthiopischer Staatsangehöriger überwacht (ebenso BayVGH, U. v. 25.2.2008 – 21 B 07.30363; OVG Nordrhein-Westfalen, U. v. 17.8.2010 – 8 A 4063/06.A in juris).
Bei den Tätigkeiten für die EPPF-G in der Bundesrepublik Deutschland fällt auf, dass jede Veranstaltung, jede Demonstration, jede Tätigkeit sofort unmittelbar ins Internet gesetzt wird, Personen sich völlig ohne Scheu ablichten lassen bzw. unter ihrer Namensnennung politische Statements oder politische Gedichte in Exilzeitungen veröffentlichen, obwohl ihre aufenthaltsrechtliche Situation hier in der Bundesrepublik Deutschland völlig unklar ist, sie also eigentlich damit rechnen müssen, bei negativem Ausgang ihres Asylverfahrens nach Äthiopien abgeschoben zu werden. Insoweit erscheinen diese Handlungen eigentlich wenig nachvollziehbar, es sei denn, äthiopische Asylbewerber hier in der Bundesrepublik Deutschland kennen die Grenzen des Erlaubten ziemlich genau, d. h. es ist in der äthiopischen Community bekannt, welches Verhalten von den äthiopischen Behörden im Rahmen des Asylverfahrens als tolerabel angesehen wird und davon ausgegangen werden kann, dass bei einer Rückkehr nach Äthiopien die zur Schau gestellte politische Einstellung nicht fortgeführt wird. Die Betätigung der Klägerin für die EPPF-G hat sich in keiner Weise über die der Masse äthiopischer Staatsangehöriger in der Bundesrepublik Deutschland abgehoben, so dass die Klägerin bei einer Rückkehr nach Äthiopien nicht mit politisch motivierten Verfolgungshandlungen zu rechnen hat. Die Klägerin machte keinerlei Angaben, die auf ein regimekritisches Engagement im Rahmen der Arbeit für die Exilgruppen hinweisen. Sie erklärte hierzu nur, einfaches Mitglied zu sein und ein Gedicht in der Zeitschrift „…“ im August 2014 veröffentlicht zu haben.
2. Der Klägerin steht auch kein Anspruch auf Zuerkennung subsidiären Schutzes gemäß § 4 Abs. 1 AsylG i. V. m. § 60 Abs. 2 AufenthG zu. Gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG ist ein Ausländer subsidiär schutzberechtigt, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe (§ 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AsylG), Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung ( § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AsylG) oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (§ 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AsylG). In diesem Rahmen sind gemäß § 4 Abs. 3 AsylG die §§ 3 c bis 3 e AsylG entsprechend anzuwenden.
Vorliegend sind keine Gründe ersichtlich oder vorgetragen, dass der Klägerin bei einer Rückkehr in ihr Heimatland ein ernsthafter Schaden in diesem Sinne droht.
3. Auch nationale Abschiebungsverbote sind nicht gegeben.
a. Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 – EMRK – (BGBl. 1952 II, S. 686) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.
Mangels Erkennbarkeit diesbezüglicher Anhaltspunkte ist festzustellen, dass diese Voraussetzungen vorliegend nicht erfüllt sind.
b. Ebenso wenig besteht im Falle der Klägerin ein nationales Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG.
Es ist nicht beachtlich wahrscheinlich, dass für die Klägerin im Falle ihrer Rückkehr nach Äthiopien eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht.
Eine solche ergibt sich weder aus der Tatsache, dass die Klägerin anführt, sie sei als alleinstehende junge Frauen nicht in der Lage, ihr Existenzminimum in Äthiopien zu sichern noch aus der erstmals in der mündlichen Verhandlung geäußerten Befürchtung, ihre in Deutschland geborene Tochter sei in Äthiopien wegen der traditionellen Haltung des Großvaters von Beschneidung bedroht.
Die Befürchtungen hinsichtlich einer zu erwartenden Beschneidung der Tochter der Klägerin kann diese in vorliegendem Verfahren nicht geltend machen, da sie nicht die Klägerin selbst betreffen.
Die Klägerin hat nicht nachvollziehbar dargelegt hat, aus welchem Grund der Kontakt auch nach dreijährigem Aufenthalt in Deutschland zu den in … lebenden Eltern und ihren Geschwistern immer noch unterbrochen ist. Das Gericht geht deshalb nicht davon aus, dass die Klägerin als alleinstehend in einem Sinne betrachtet werden muss, dass sie für den Fall ihrer Rückkehr nach Äthiopien in ihrer Existenz bedroht wäre. Vielmehr ist davon auszugehen, dass sie jedenfalls in der Anfangszeit mit Hilfestellung seitens ihrer dort lebenden (weiteren) Familie rechnen kann.
Die Klägerin ist eine gesunde junge Frau, die hier in Deutschland mit einem äthiopischen Staatsangehörigen, der ebenfalls ein Asylverfahren betreibt, ein gemeinsames Kind hat. Die Klägerin könnte außerdem – nachdem die Beziehung zu dem Kindsvater weiterbesteht – in diesem Verband in ihr Heimatland zurückkehren.
4. Auch die im angefochtenen Bescheid enthaltene Ausreiseaufforderung unter Abschiebungsandrohung begegnet keinen rechtlichen Bedenken. Die Voraussetzungen der §§ 34, 38 AsylG, 59 AufenthG liegen vor.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 161 Abs.1, 154 Abs. 1 VwGO.
Die Gerichtskostenfreiheit ergibt sich aus § 83 b AsylG.