Aktenzeichen AN 2 K 16.00058
SchKfrG Art. 3 Abs. 2
BayEUG Art. 16
Leitsatz
1 Für die Frage, ob eine eigene Ausbildungs- oder Fachrichtung im Sinne des Schülerbeförderungsrechts vorliegt, kommt es auf eine formelle Sichtweise an. (redaktioneller Leitsatz)
2 Entscheidend ist damit nicht, inwiefern ein schulisches Konzept inhaltlich eine eigene Ausbildungs- oder Fachrichtung bildet, sondern inwiefern das Konzept vornehmlich durch den Gesetzgeber im Bayerischen Erziehungs- und Unterrichtsgesetz (BayEUG) oder durch den Verordnungsgeber in der entsprechenden Schulordnung als Ausbildungs- oder Fachrichtung festgelegt wurde (Anschluss an VGH München BeckRS 2008, 28093). (redaktioneller Leitsatz)
3 An dem Ergebnis, dass mit der Ausbildungsrichtung „Gesundheit“ eine neue Ausbildungsrichtung eingeführt wurde, ändert auch die Tatsache nichts, dass sich diese Ausbildungsrichtung noch im Stadium des Schulversuchs befindet (Anschluss an VGH München BeckRS 2001, 20599). (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
1. Der Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheids des Landratsamtes … vom 13. August 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheids der Regierung … vom 8. Dezember 2015 verpflichtet, Fahrtkostenerstattung gemäß Antrag vom 20. Juli 2015 zu bewilligen.
2. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Das Urteil ist hinsichtlich der Kostenentscheidung vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der festgesetzten Kosten abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
4. Die Berufung wird zugelassen.
Gründe
Die Klage ist als Verpflichtungsklage in Form der Versagungsgegenklage gemäß § 42 Abs. 1 Var. 2 VwGO zulässig und begründet.
Die Klägerin ist insbesondere klagebefugt nach § 42 Abs. 2 VwGO. Als Mutter der Schülerin kann sie einen möglichen Anspruch auf Erstattung der Beförderungskosten nach Art. 3 Abs. 1 SchKfrG i.V.m. § 2 SchBefV in eigenem Namen geltend machen. Die Klägerin ist allein sorgeberechtigt und als Unterhaltsverpflichtete rechtlich verpflichtet, die Beförderungskosten zu tragen und hat dies auch tatsächlich getan. Nachdem das SchKfrG den Anspruchsinhaber nicht ausdrücklich benennt und jedenfalls der Erstattungsanspruch kein höchstpersönliches Recht der Schülerin ist, ist der Erstattungsanspruch eine eigene Rechtsposition der Klägerin (vgl. VG Ansbach, U.v. 18.2.2016 – AN 2 K 15.00406 – juris Rn. 19; VG Ansbach, U.v. 8.10.2015 – AN 2 K 13.01829 – juris Rn. 18).
Die Klage ist auch begründet, da die Klägerin einen eigenen Anspruch auf Erstattung der Beförderungskosten hat und daher der Bescheid des Landratsamtes … vom 13. August 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheids der Regierung … vom 8. Dezember 2015 rechtswidrig ist und die Klägerin in ihren Rechten verletzt, vgl. § 113 Abs. 5 VwGO.
Die Klägerin hat einen Anspruch auf Erstattung der Beförderungskosten nach Art. 3 SchKfrG i.V.m. § 2 Abs. 1 SchBefV gegen den Beklagten, der gemäß § 1 Satz 2 SchBefV Aufgabenträger ist, da die von der Tochter der Klägerin im Schuljahr 2014/2015 besuchte Fachoberschule in … die nächstgelegene Schule im Sinne von § 2 Abs. 1 Satz 1 SchBefV ist. Die Fachoberschule in … ist diejenige Schule der gewählten Ausbildungsrichtung „Gesundheit“, die mit dem geringsten Beförderungsaufwand vom Wohnort der Tochter erreichbar ist, vgl. § 2 Abs. 1 Satz 3 Nr. 3 SchBefV. Das Gericht sieht die mit Bekanntmachung des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus als Schulversuch eingeführte Ausbildungsrichtung „Gesundheit“ an staatlichen Fachoberschulen als Ausbildungsrichtung im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 3 Nr. 3 SchBefV an.
Für die Frage, ob eine eigene Ausbildungs- oder Fachrichtung im Sinne des Schülerbeförderungsrechts vorliegt, kommt es auf eine formelle Sichtweise an. Entscheidend ist damit nicht, inwiefern ein schulisches Konzept inhaltlich eine eigene Ausbildungs- oder Fachrichtung bildet, sondern inwiefern das Konzept vornehmlich durch den Gesetzgeber im Bayerischen Erziehungs- und Unterrichtsgesetz (BayEUG) oder durch den Verordnungsgeber in der entsprechenden Schulordnung als Ausbildungs- oder Fachrichtung festgelegt wurde (vgl. BayVGH, B.v. 23.6.2008 – 7 B 08.550 – juris Rn. 24). Gemäß Art. 16 BayEUG können an Fachoberschulen als Ausbildungsrichtungen „Technik“, „Agrarwirtschaft“, Bio- und Umwelttechnologie“, „Wirtschaft und Verwaltung“, „Sozialwesen“ und „Gestaltung“ eingerichtet werden. Die Ausbildungsrichtung „Gesundheit“ ist nicht genannt. Allerdings bestimmt die Bekanntmachung des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus „Schulversuch zur Erprobung der Ausbildungsrichtungen,Gesundheit‘ und,Internationale Wirtschaft‘ an staatlichen Fachoberschulen“ vom 20. März 2013 (KWMBl. S. 181), zuletzt geändert durch Bekanntmachung des Bayerischen Staatsministeriums für Bildung und Kultus, Wissenschaft und Kunst vom 27. April 2015 (KWMBl. S. 83), dass es sich bei der Ausbildungsrichtung „Gesundheit“ um eine Ausbildungsrichtung an Fachoberschulen handelt. Es ist fernliegend, dass der Begriff „Ausbildungsrichtung“ in der Bekanntmachung anders zu verstehen ist, als der Begriff „Ausbildungsrichtung“ in Art. 16 BayEUG. Die Schüler, die eine der Ausbildungsrichtungen des Schulversuchs wählen, haben die gleichen Rechte und Pflichten wie diejenigen Schüler, die eine der Ausbildungsrichtungen nach Art. 16 BayEUG gewählt haben. Gemäß Nr. 4.1 der Bekanntmachung müssen die Bewerber für den Schulversuch die gleichen Aufnahmevoraussetzungen nach § 27 Schulordnung für die Berufliche Oberschule – Fachoberschulen und Berufsoberschulen (FOBOSO) erfüllen, wie Bewerber für die bereits gesetzlich geregelten Ausbildungsrichtungen. Die Schüler erwerben als Abschluss nach Nr. 8.1 der Bekanntmachung ebenso die Fachhochschulreife und auch im Übrigen gelten nach Nr. 3 der Bekanntmachung grundsätzlich die Regelungen des BayEUG und der FOBOSO.
Die einzigen formellen Unterschiede sind, dass die Ausbildungsrichtung „Gesundheit“ nicht in einem Gesetz oder in einer Verordnung festgelegt, sondern durch eine Bekanntmachung des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus eingeführt wurde und dass es sich bislang um eine „vorläufige“ Ausbildungsrichtung handelt, für die noch nicht feststeht, ob sie dauerhaft Einzug in das BayEUG findet. Der Urheber der Bekanntmachung, das Bayerische Staatsministerium für Unterricht und Kultus (jetzt: Bayerisches Staatsministerium für Bildung und Kultus, Wissenschaft und Kunst), ist aber gemäß § 89 Abs. 1 Satz 1 BayEUG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 Satz 1 Zuständigkeitsgesetz i.Vm. §§ 5 Nr. 1a, 12 Abs. 2 Verordnung über die Geschäftsverteilung der Bayerischen Staatsregierung (StRGVV) auch der zuständige Verordnungsgeber auch hinsichtlich der Einführung neuer Ausbildungseinrichtungen, vgl. § 89 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 Halbsatz 2 BayEUG. Zudem verwendet § 2 Abs. 1 Satz 3 Nr. 3 SchBefV zwar mit Ausbildungsrichtung, Fachrichtung und Schulart Begriffe aus dem BayEUG (vgl. Art. 6 BayEUG, Art. 9 Abs. 3 BayEUG, Art. 8 Abs. 3 BayEUG, Art. 18 Abs. 4 BayEUG); ein direkter Verweis, dass allein Ausbildungsrichtungen, Fachrichtungen und Schularten im Sinne des BayEUG oder den Schulordnungen gemeint sind, findet sich hingegen nicht. An dem Ergebnis, dass mit der Ausbildungsrichtung „Gesundheit“ eine neue Ausbildungsrichtung eingeführt wurde, ändert auch die Tatsache nichts, dass sich diese Ausbildungsrichtung noch im Stadium des Schulversuchs befindet (vgl. BayVGH, U.v. 12.2.2001 – 7 B 99.3719 – juris Rn. 23). Die „vorläufige“ Ausbildungsrichtung „Gesundheit“ ist auch vor einer etwaigen endgültigen Einführung und Festlegung im BayEUG gegenüber den Ausbildungsrichtungen im Sinne von Art. 16 BayEUG als gleichwertig anzusehen und damit die Wahl dieser Ausbildungsrichtung beförderungsrechtlich relevant.
Soweit die Rechtsprechung verlangt, dass für eine beförderungsrechtliche Wirkung die Ausbildungsrichtung durch den Gesetz- und Verordnungsgeber festgelegt wird, ist diese Vorgabe auch vor dem Hintergrund ihres Ziels zu betrachten. Indem eine formelle Verankerung der in Streit stehenden besonderen Ausrichtung der Schule gefordert wird, wird vermieden, dass die zuständigen Behörden inhaltliche Einzelfallprüfungen durchführen müssen, die gegebenenfalls einen wertenden Charakter enthalten. Müsste für alle Fälle, in denen einzelne Schulen besondere Fächerkombinationen, Wahlfächer oder sonstige inhaltliche Eigenheiten anbieten, untersucht werden, ob die Abweichung von dem Angebot anderer Schulen so groß ist, dass eine andere Ausbildungsrichtung oder Fachrichtung im Sinne von § 2 Abs. 1 Satz 3 Nr. 3 SchBefV anzunehmen ist, wäre dies zum einen mit einem großen Verwaltungsaufwand verbunden, zum anderen unter dem Aspekt einer einheitlichen Anwendung des § 2 Abs. 1 SchBefV problematisch. Dies würde im Widerspruch dazu stehen, dass die Regelungen zur Schülerbeförderung in mehrfacher Hinsicht pauschalisiert sind, um den Vollzug durch die Behörden praktikabel zu gestalten (vgl. VG Ansbach, U.v. 18.2.2016 – AN 2 K 15.00406 – juris Rn. 22). Durch die eindeutige Bezeichnung als Ausbildungsrichtung in der Bekanntmachung des Bayerischen Staatsministeriums ist jedoch eine inhaltliche Prüfung im vorliegenden Fall gerade nicht erforderlich.
Die Beförderungskosten für das Schuljahr 2014/2015 betrugen 940,30 EUR, so dass nach Abzug der Familienbelastungsgrenze in Höhe von 420,00 EUR, vgl. Art. 3 Abs. 2 SchKfrG i.V.m. § 4 Nr. 1 und § 7 SchBefV, ein Anspruch auf Erstattung in Höhe von 520,30 EUR verbleibt.
Da die von der Tochter der Klägerin besuchte Fachoberschule in … wie dargelegt die nächstgelegene Schule im Sinne von § 2 Abs. 1 SchBefV ist und der Klägerin folglich bereits ein Anspruch auf Erstattung der Beförderungskosten aus Art. 3 Abs. 1 SchKfrG i.V.m. § 2 Abs. 1 SchBefV zukommt, scheiden Ansprüche nach Art. 3 Abs. 1 SchKfrG i.V.m. § 2 Abs. 3 oder § 2 Abs. 4 SchBefV aus. § 2 Abs. 3 und Abs. 4 SchBefV sehen eine Übernahme der Beförderung nur vor, soweit die besuchte Schule nicht die nächstgelegene Schule im Sinne von § 2 Abs. 1 SchBefV ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf § 167 Abs. 2 VwGO.
Die Berufung war gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zuzulassen.