Verwaltungsrecht

Familienasyl in Form des Geschwisterasyls

Aktenzeichen  23 ZB 17.31944

Datum:
2.4.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 7190
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 26 Abs. 3 S. 1 Nr. 2, S. 2, § 78 Abs. 3 Nr. 1

 

Leitsatz

1. Keine grundsätzliche Bedeutung der Rechtsfrage, dass der in Deutschland geborene Kläger den begehrten Flüchtlingsschutz von zwei ebenfalls in Deutschland geborenen Töchtern seiner Mutter ableiten will, wobei er und die beiden Mädchen unterschiedliche Väter haben, während die noch in Somalia lebenden weiteren Halbgeschwister des Klägers wiederum einen anderen Vater haben. (Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)
2. Für § 26 Abs. 3 S. 2, Abs. 3 S. 1 Nr. 2, Abs. 5 AsylG reicht es nicht aus, wenn für einen von einem (Halb-)Geschwister abzuleitenden Familienflüchtlingsschutz als einziges Bindeglied nur ein gemeinsamer Elternteil existiert (vgl. auch BeckRS 2018, 11849).  (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

Au 2 K 17.33808 2017-11-15 Urt VGAUGSBURG VG Augsburg

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Der zulässige Antrag hat keinen Erfolg. Der geltend gemachte Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG) ist nicht den Anforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG entsprechend dargelegt bzw. liegt nicht vor.
1. Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG, wenn für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts eine konkrete, jedoch fallübergreifende Tatsachen- oder Rechtsfrage von Bedeutung war, deren noch ausstehende obergerichtliche Klärung im Berufungsverfahren zu erwarten ist und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zu einer bedeutsamen Weiterentwicklung des Rechts geboten erscheint (stRspr, vgl. z.B. BayVGH, B.v. 10.1.2018 – 10 ZB 17.30487 – juris Rn. 2 m.w.N.). Dementsprechend verlangt die Darlegung der rechtsgrundsätzlichen Bedeutung nach § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG, dass eine konkrete Tatsachen- oder Rechtsfrage formuliert und aufgezeigt wird, weshalb die Frage im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Fortentwicklung des Rechts klärungsbedürftig und klärungsfähig, insbesondere entscheidungserheblich, ist; ferner, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung dieser Frage besteht (vgl. BayVGH a.a.O., juris Rn. 2). Diese Anforderungen erfüllt die Zulassungsbegründung nicht.
Der Kläger beantragt die Zulassung der Berufung zur Klärung der als grundsätzlich im Sinne von § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG behaupteten Fragen (unter 1. des Antragsschriftsatzes), „ob im Fall des Geschwisterasyls die Formulierung in § 26 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 AsylG, wonach die Familie schon in dem Staat bestanden hat, in dem der Asylberechtigte politisch verfolgt wird, dahingehend zu verstehen ist, dass der Bestand der Familie jedenfalls insofern unverändert sein muss, als der das Familienasyl begehrende Geschwisterteil und der stammesberechtigte [gemeint ist wohl: stammberechtigte] Geschwisterteil bereits im Verfolgerstaat Mitglied dieser Familie gewesen sein müssen, also dort zusammen lebten, oder ob es genügt, dass überhaupt eine Familie im Verfolgerstaat existiert hat und weiter existiert und bei einem in Deutschland lebenden Familienangehörigen eine fortbestehende familiäre Beziehung mit im Ausland lebenden Familienangehörigen existiert. Anders formuliert: Kann der in Deutschland geborene Geschwisterteil Familienasyl von in Deutschland geborenen Geschwistern ableiten, wenn die familiäre Bindung zu der Familie im Herkunftsstaat dergestalt ist, dass die in Deutschland lebenden Halbgeschwister vermittels ihrer gemeinsamen Mutter in Somalia Halbgeschwister haben“ und (unter 2. auf Seite 4 letzter Absatz des Antragsschriftsatzes), „ob Familienasyl in Form des Geschwisterasyls voraussetzt, dass die geschwisterliche Beziehung bereits im Verfolgerstaat bestanden haben muss – also in Deutschland nachgeborene Kinder vom Geschwisterasyl ausgeschlossen sind – oder nicht“. Zur Begründung bringt der Kläger zusammengefasst vor, das Verwaltungsgericht habe die Voraussetzungen des Geschwisterasyls verneint, weil die Familie schon in dem Staat bestanden haben müsse, in dem der Asylberechtigte politisch verfolgt wird, woraus das Verwaltungsgericht folgere, die stammberechtigten Geschwister und der Kläger hätten bereits im Heimatland miteinander im Familienverband leben müssen. Dem tritt der Kläger insbesondere unter Verweis auf eine Entscheidung des Verwaltungsgerichts Sigmaringen (U.v. 19.5.2017 – A 3 K 3301/16) entgegen.
Der erste Teil der ersten Frage (unter 1. in der Antragsschrift) und die zweite Frage (unter 2. in der Antragschrift) würden sich in einem Berufungsverfahren so nicht stellen, weshalb der Antrag aus diesem Grund wegen fehlender Entscheidungserheblichkeit bzw. fehlender Klärungsfähigkeit abzulehnen ist. Der zweite der Teil der ersten Frage dagegen ist auf Grund des Urteils des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 26. April 2018 (20 B 18.30332 – juris, insbesondere Rn. 26) bereits geklärt und daher nicht mehr klärungsbedürftig.
a) Die Frage, wie vor dem Hintergrund der Verweisung in § 26 Abs. 3 Satz 2 AsylG, der hier wegen § 26 Abs. 5 Satz 1 und 2 AsylG anwendbar ist, auf die Regelung (u.a. auch) des § 26 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 AsylG die Frage zu beantworten ist, ob die geschwisterliche Lebensgemeinschaft zwischen dem stammberechtigten Geschwister und dem Asylbewerber, der seine (hier) Flüchtlingsschutzberechtigung von seinem anerkannten Geschwister ableiten will, bereits im Herkunftsland bestanden haben muss (mit der Folge, dass hier geborene stammberechtigte Geschwister das Familienasyl nicht vermitteln bzw. hier geborene Asylbewerber das Familienasyl nicht beanspruchen könnten), oder ob auch hier geborene Geschwister unter diese Regelung fallen, würde sich in einem Berufungsverfahren im vorliegenden Fall so nicht stellen bzw. wäre hier nicht entscheidungserheblich.
Der zu Grunde liegende Sachverhalt unterscheidet sich insoweit maßgeblich von demjenigen, der der im Wesentlichen zur Begründung des Zulassungsantrags herangezogenen Entscheidung des VG Sigmaringen zu Grunde liegt (U.v. 19.5.2017 – A 3 K 3301/16 – juris, insbesondere Rn. 24 f.; vgl. auch VG Freiburg (Breisgau), U.v. 9.10.2018 – A 1 K 3294/17 – juris Rn. 21; vgl. außerdem VG Stuttgart, U.v. 20.12.2018 – A 4 K 3930/17 – juris Rn. 13 f.; OVG Münster, B.v. 25.8.2017 – 11 A 687/17.A – juris Rn. 9 f.). Anders als dort, wo es um eine bereits im Herkunftsland aus Vater und Mutter des Klägers bestehende Familie ging, geht es hier um die Konstellation, dass der in Deutschland geborene Kläger den begehrten Flüchtlingsschutz von zwei ebenfalls in Deutschland geborenen Töchtern der Mutter des Klägers ableiten will, wobei der Kläger und die beiden Mädchen unterschiedliche Väter haben, während die noch in Somalia lebenden weiteren Halbgeschwister des Klägers wiederum einen anderen Vater haben. Unter Berücksichtigung dieser unterschiedlichen Sachverhalte wären der erste Teil der ersten Frage und die zweite Frage in einem Berufungsverfahren so nicht entscheidungserheblich. Die Begründung des Zulassungsantrags setzt sich insofern nicht ausreichend damit auseinander, ob es – weitergehend zu dem Sachverhalt, welcher der Entscheidung des VG Sigmaringen zu Grunde liegt – ausreicht, dass nur und ausschließlich die Mutter Trägerin der familiären Verbindung ist, obwohl es hier nicht wie im Fall, der dem Urteil des VG Sigmaringen zu Grunde lag, um eine „Restfamilie“ (VG Sigmaringen, a.a.O., juris Rn. 25) geht, sondern allenfalls um einen „einzelnen Teil“ einer ehemaligen Familie, unabhängig davon, dass in einer Konstellation wie der hier vorliegenden nicht nur keine geschwisterliche Lebensgemeinschaft bestanden hat (was bei hier geborenen Kindern als Asylbewerber bzw. Stammberechtigte denknotwendig nicht sein kann), sondern auch nie eine familiäre Lebensgemeinschaft einer Familie bestanden hat, der mehr Familienmitglieder als die Mutter angehört haben.
b) Die Frage dagegen, ob es für die Bejahung der Voraussetzungen von § 26 Abs. 3 Satz 2, Abs. 3 Satz 1 Nr. 2, Abs. 5 AsylG ausreicht, dass für einen von einem (Halb-) Geschwister abzuleitenden Familienflüchtlingsschutz als einziges Bindeglied ein gemeinsamer Elternteil existiert, die sich aus dem zweiten Teil der ersten Fragestellung in der Antragsschrift ergibt, führt deswegen nicht zur Zulassung der Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung, weil diese Frage bereits geklärt ist. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat in seinem Urteil vom 26. April 2018 (- 20 B 18.30332 – juris Rn. 26; vgl. auch OVG Hamburg, U.v. 21.9.2018 – 4 Bf 186/18.A – juris Rn. 29) zu einem Sachverhalt, der insofern dem hier zu entscheidenden Fall vergleichbar ist (die Ableitung des Familienasyls soll dort zwar nicht von einem Geschwister, sondern von einem Kind erfolgen, der Umstand, dass lediglich ein Elternteil die einzige Person ist, die als familiäres Bindeglied in Frage kommt, ist dagegen wie hier), entschieden, dass es nicht ausreicht, wenn nur ein Elternteil das Bindeglied in diesem Sinne darstellt. So liegt auch der vorliegende Fall, der Kläger ist nicht in eine Familie hineingeboren, worden, die bereits im Heimatland bestanden hat, sondern in eine Familie, die erst in Deutschland entstanden ist. Dieses Ergebnis beruht darauf, dass das Gesetz – unabhängig von der Frage, ob Geschwisterasyl bei hier geborenen Kindern von vorneherein ausgeschlossen ist (vgl. hierzu die obigen Rechtsprechungsnachweise sowie (dafür) Hailbronner, AuslR, 86. Akt., AsylG § 26 Rn. 53e; Marx, AsylG, 9. Auflage 2017, § 26 Rn. 38; Günther in: BeckOK AuslR, Stand 1.2.2019, § 26 Rn. 23d; (dagegen) Bergmann in: ders./Dienelt, AuslR, AsylG § 26 Rn. 16; Schröder in: Hofmann, AuslR, 2. Auflage 2016, AsylG § 26 Rn. 28) – wegen der Verweisung in § 26 Abs. 3 Satz 2 AsylG (auch) auf § 26 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 AsylG jedenfalls eine Familie i.S.v. Art. 2 Buchst. j) RiL 2011/95/EG voraussetzt, wiederum unabhängig davon, dass die Erweiterung in § 26 Abs. 3 Satz 2 AsylG auf Geschwister ohnehin über den unionsrechtlichen Familienbegriff, der die Geschwister nicht enthält, hinausgeht (vgl. hierzu Marx, AsylG, 9. Auflage 2017, § 26 Rn. 34).
2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylG.
Mit dieser gemäß § 80 AsylG unanfechtbaren Entscheidung wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).

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