Aktenzeichen 10 CS 16.301
Leitsatz
Eine Begründung für die Anordnungen des Sofortvollzugs, die nur in der Wiederholung des Gesetzeswortlautes besteht, genügt § 80 Abs. 3 VwGO auch bei Verwaltungsakten, die der Gefahrenabwehr dienen (hier: Leinenzwang für Hunde), nicht. (Rn. 4) (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
4 S 15.2215 2016-01-22 Bes VGREGENSBURG VG Regensburg
Tenor
I.
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III.
Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500‚- Euro festgesetzt.
Gründe
Die zulässige Beschwerde bleibt ohne Erfolg.
Gegenstand des Beschwerdeverfahrens ist die Anordnung der sofortigen Vollziehung der Nr. 1 bis 4 des Bescheids der Antragsgegnerin vom 30. November 2015 (Nr. 5), mit denen dem Antragsteller insbesondere aufgegeben wurde, für die ausbruchsichere Unterbringung seines Hundes auf bestimmten, näher bezeichneten Grundstücken zu sorgen und ihn außerhalb dieser Grundstücke nur mit einer reißfesten Leine zu führen. Unter Zugrundelegung des durch § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO vorgegebenen Prüfungsrahmens erweist sich die angefochtene Entscheidung des Verwaltungsgerichts als zutreffend. Die Antragsgegnerin vermag mit ihrem Beschwerdevortrag‚ eine weitere als die im Bescheid vorgenommene Begründung des Sofortvollzugs sei im konkreten Fall wie bei den meisten sicherheitsrechtlichen Anordnungen nicht erforderlich‚ weil sich die Notwendigkeit der Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit aus „den im Bescheid zugrunde liegenden Vorkommnissen“ ergebe‚ der Beschwerde nicht zum Erfolg zu verhelfen.
Die Anordnung der sofortigen Vollziehung eines Verwaltungsakts nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO verlangt ein besonderes öffentliches Interesse‚ das über jenes Interesse hinaus geht‚ das den Erlass des Verwaltungsakts selbst rechtfertigt (vgl. BVerfG‚ B.v. 25.1.1996 – 2 BvR 2718/95 – juris Rn. 19). Dieses besondere Interesse der Behörde an der sofortigen Vollziehung muss in der nach § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO erforderlichen schriftlichen Begründung zum Ausdruck kommen. Der verfassungsrechtlichen Bedeutung der Begründungspflicht ist nämlich auch in Bezug auf die inhaltlichen Anforderungen an die Begründung Rechnung zu tragen. Dem Erfordernis einer schriftlichen Begründung ist nicht schon dann genügt‚ wenn überhaupt eine Begründung gegeben wird; vielmehr bedarf es einer schlüssigen‚ konkreten und substanziierten Darlegung der wesentlichen Erwägungen‚ warum aus Sicht der Behörde gerade im vorliegenden Fall ein besonderes Interesse an der sofortigen Vollziehung besteht‚ demgegenüber das Interesse des Betroffenen am Bestand der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsmittels ausnahmsweise zurückzutreten hat (BVerwG‚ B.v. 18.9.2001 – 1 DB 26/01 – juris Rn. 6). Diesen Anforderungen genügen pauschale oder formelhafte Wendungen grundsätzlich nicht (vgl. insgesamt: BayVGH‚ B.v. 9.12.2013 – 10 CS 13.1782 – juris R. 16).
Diesen Vorgaben wird die Begründung im angefochtenen Bescheid‚ die sich in dem Satz erschöpft‚ „die sofortige Vollziehung der Nr. 1‚ 2‚ 3 und 4 des Bescheids wurde im besonderen öffentlichen Interesse im Sinn von § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO angeordnet“‚ nicht gerecht. Aus der Formulierung ergibt sich insbesondere nicht‚ welche besonderen Gründe die Antragsgegnerin dazu bewogen haben zu verfügen‚ dass ihre Anordnungen zur Haltung des Hundes des Antragstellers schon jetzt und nicht erst nach Eintritt der Bestands- oder Rechtskraft vollzogen werden müssen. Die verwendete Formulierung deutet vielmehr darauf hin‚ dass die Antragsgegnerin gewissermaßen von einer mit dem System des § 80 VwGO nicht zu vereinbarenden „Automatik“ dahingehend ausgeht‚ sicherheitsrechtliche Anordnungen seien stets ohne weitere Begründung für sofort vollziehbar zu erklären. Dem Beschwerdevorbringen ist zuzugeben‚ dass sich zwar in den meisten sicherheitsrechtlichen Anordnungen die Notwendigkeit eines Sofortvollzugs gerade aus der mit dem Bescheid bezweckten Gefahrenabwehr ergibt; an den Inhalt der Begründung nach § 80 Abs. 3 VwGO sind deswegen auch keine zu hohen Anforderungen zu stellen; die Behörde kann sich sehr wohl auch auf die den Verwaltungsakt selbst tragenden Erwägungen stützen‚ wenn diese zugleich die Dringlichkeit der Vollziehung belegen (Schmidt in Eyermann‚ VwGO‚ 14. Aufl. 2014‚ § 80 Rn. 36‚ 43). Gleichwohl muss sie diese Überlegungen dann in der für die sofortige Vollziehbarkeit gegebenen Begründung offenlegen und kann sich nicht mit der Wiedergabe des Gesetzeswortlauts begnügen.
Auch der Vortrag der Beschwerde‚ „der besondere Schutz der Fußgänger vor Attacken des Hundes des Antragstellers“ überwiege dessen Interessen‚ seinen Hund freilaufen lassen zu können‚ wird der vorliegenden rechtlichen Problematik nicht gerecht. Entsprechende Überlegungen hätten ggf. im angegriffenen Bescheid Niederschlag finden müssen‚ um die Anordnung des Sofortvollzugs in rechtlich ausreichender Weise zu begründen; sie können jedoch nicht im verwaltungsgerichtlichen Verfahren nachgeholt werden (vgl. Schmidt in Eyermann‚ a. a. O., § 80 Rn. 44). Denn eine solche Möglichkeit wäre mit dem Schutzzweck des Begründungszwangs nicht vereinbar‚ der das Bewusstsein der anordnenden Behörde von der besonderen Situation im Zeitpunkt ihrer Anordnung erfordert.
Im Übrigen kommt hinzu‚ dass die Anordnung des Sofortvollzugs von Nr. 3 des Bescheids vom 30. November 2015‚ wonach der Kläger seinen Hund außerhalb der benannten Grundstücke stets an der Leine zu führen hat, ein konkretes Begründungsdefizit aufweist. Denn die Anzeigeerstatterin hat am 21. Oktober 2015 zur Niederschrift bei der Antragsgegnerin angegeben‚ der Schäferhund gehorche dem Antragsteller grundsätzlich und zeige in dessen Gegenwart kein aggressives Verhalten; daher war eine Auseinandersetzung mit der Frage erforderlich, warum gleichwohl diese Anordnung vor Eintritt ihrer Bestandskraft vollzogen werden muss.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens fallen der Antragsgegnerin zu Last‚ weil sie mit ihrem Rechtsmittel unterlegen ist (§ 154 Abs. 2 VwGO).
Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 63 Abs. 2 Satz 1‚ § 47 Abs. 1‚ § 53 Abs. 2 Nr. 2 und § 52 Abs. 2 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).