Aktenzeichen 8 ZB 17.31372
VwGO § 105, § 108 Abs. 1 S. 1, Abs. 2, § 116
ZPO § 164, § 415 Abs. 1, Abs. 2
GG Art. 103 Abs. 1
Leitsatz
1. Stützt sich das Verwaltungsgericht bei seiner Entscheidung auf bestimmte Erkenntnismittel oder gerichtliche Entscheidungen, genügt es den Darlegungsanforderungen zur grundsätzlichen Bedeutung einer Tatsachenfrage nicht, wenn nur die Behauptung aufgestellt wird, die für die Beurteilung maßgeblichen tatsächlichen Verhältnisse stellten sich anders dar als vom Verwaltungsgericht angenommen. (Rn. 5) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Beweiskraft der Niederschrift über die mündliche Verhandlung als öffentliche Urkunde kann nur durch die bloße Behauptung der Möglichkeit eines anderen als des in der Urkunde angegebenen Geschehensablaufs nicht erschüttert werden. (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
RO 2 K 16.32418 2017-07-28 Urt VGREGENSBURG VG Regensburg
Tenor
I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
Gründe
Der Antrag hat keinen Erfolg.
Die geltend gemachten Zulassungsgründe sind nicht in einer Weise dargetan, die den Anforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG genügt.
1. Der Zulassungsgrund der grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG) ist nicht ausreichend dargetan.
Einer Rechtssache kommt grundsätzliche Bedeutung gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG zu, wenn für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts eine konkrete, jedoch fallübergreifende Tatsachen- oder Rechtsfrage von Bedeutung war, deren noch ausstehende obergerichtlich Klärung im Berufungsverfahren zu erwarten ist und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zu einer bedeutsamen Weiterentwicklung des Rechts geboten erscheint (vgl. BayVGH, B.v. 5.12.2017 – 11 ZB 17.31711 – juris Rn. 2; BVerwG, B.v. 21.11.2017 – 1 B 148.17 u.a. – juris Rn. 4 zu § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).
Dementsprechend verlangt die Darlegung der rechtsgrundsätzlichen Bedeutung nach § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG, dass eine konkrete Tatsachen- oder Rechtsfrage formuliert und aufgezeigt wird, weshalb die Frage im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Fortentwicklung des Rechts klärungsbedürftig und entscheidungserheblich (klärungsfähig) ist. Ferner muss dargelegt werden, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung dieser Frage besteht (vgl. BayVGH, B.v. 5.12.2017 – 11 ZB 17.31711 – juris Rn. 2; BVerwG, B.v. 30.9.2015 – 1 B 42.15 – juris Rn. 3). Darzulegen sind mithin die konkrete Frage sowie ihre Klärungsbedürftigkeit, Klärungsfähigkeit und allgemeine Bedeutung (vgl. OVG NRW, B.v. 15.12.2017 – 13 A 2841/17.A – juris Rn. 3 ff.). Stützt sich das Verwaltungsgericht bei seiner Entscheidung auf bestimmte Erkenntnismittel oder gerichtliche Entscheidungen, genügt es den Darlegungsanforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG in Bezug auf die grundsätzliche Bedeutung einer Tatsachenfrage nicht, wenn lediglich die Behauptung aufgestellt wird, die für die Beurteilung maßgeblichen tatsächlichen Verhältnisse stellten sich anders dar als vom Verwaltungsgericht angenommen. Vielmehr bedarf es in diesen Fällen zumindest eines überprüfbaren Hinweises auf andere Gerichtsentscheidungen oder auf vom Verwaltungsgericht nicht berücksichtigte sonstige Tatsachen- und Erkenntnisquellen (z.B. Gutachten, Auskünfte, Presseberichte), die zumindest eine gewisse Wahrscheinlichkeit aufzeigen, dass die aufgeworfene Tatsachenfrage anders als in der angefochtenen Entscheidung zu beantworten ist (vgl. BayVGH, B.v. 23.1.2007 – 1 ZB 07.30025 – juris Rn. 3; B.v. 13.6.2016 – 13a ZB 16.30062 – juris Rn. 5; OVG NRW, B.v. 12.12.2016 – 4 A 2939/15.A – juris Rn. 4 f.; SächsOVG, B.v. 30.11.2017 – 1 A 1046/17.A – juris Rn. 5; OVG SA, B.v. 29.3.2017 – 3 L 249/16 – juris Rn. 14; HessVGH, B.v. 17.1.2017 – 3 A 2970/16.Z.A – juris Rn. 2).
Diesen Anforderungen wird das Vorbringen des Klägers nicht gerecht. Er zeigt hinsichtlich der im Zulassungsantrag formulierten Tatsachenfrage, „ob Äthiopier, die sowohl in ihrem Heimatland als auch in Deutschland oppositionell politisch tätig sind, bei einer Rückkehr in ihr Heimatland politische Verfolgung zu befürchten haben“, keinen Klärungsbedarf auf. Mit dem Einwand, es sei nicht nachvollziehbar, wie das Verwaltungsgericht nach Auswertung der aktuellen Erkenntnisquellen zu der Überzeugung komme, dass eine Verfolgung von nicht herausgehobenen politisch tätigen Personen nicht beachtlich wahrscheinlich sei und wie es zu dem Ergebnis gelange, die äthiopische Regierung treffe eine rationale Entscheidung darüber, welche exilpolitische Betätigung sich gezielt gegen sie richte und welche nur dem positiven Ausgang eines Asylverfahrens gelten solle, legt der Kläger in keiner Weise dar, warum die aufgeworfene Frage im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Fortentwicklung des Rechts klärungsbedürftig sein soll. Gleiches gilt für das Vorbringen, dass die Einschätzung des Gerichts, dass Personen im Falle einer Rückkehr nach Äthiopien nicht mit politisch motivierten Verfolgungsmaßnahmen zu rechnen hätten, die sich nur im Hinblick auf einen positiven Ausgang des Asylverfahrens abzielend einer exilpolitischen Gruppe anschließen und sich dort nicht exponiert betätigen, in krassem Widerspruch zu den vom Gericht selbst angeführten Erkenntnisquellen stehe und dass die Maßstäbe des Gerichts willkürlich seien und keiner überzeugenden Argumentation folgten. Darin liegt vielmehr der Vorwurf einer unzureichenden Sachverhalts- und Beweiswürdigung des Gerichts nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO , mit dem kein Zulassungsgrund im Sinn des § 78 Abs. 3 VwGO benannt wird.
2. Ein die Zulassung der Berufung begründender Verfahrensmangel (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG) wegen einer Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör ist im Zulassungsantrag ebenfalls nicht hinreichend dargelegt.
Der Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs (§ 108 Abs. 2 VwGO, Art. 103 Abs. 1 GG, Art. 91 Abs. 1 BV) hat eine zweifache Ausprägung: Zum einen untersagt es dem Gericht, seiner Entscheidung Tatsachen und Beweisergebnisse zugrunde zu legen, zu denen sich die Beteiligten nicht äußern konnten. Zum anderen gibt es den Beteiligten einen Anspruch darauf, dass rechtzeitiges und möglicherweise erhebliches Vorbringen vom Gericht zur Kenntnis genommen und bei der Entscheidung in Erwägung gezogen wird, soweit es aus verfahrens- oder materiell-rechtlichen Gründen nicht ausnahmsweise unberücksichtigt bleiben muss oder kann (vgl. BayVerfGH, E.v. 25.8.2016 – Vf. 2-VI-15 – juris Rn. 34 f.; BVerfG, B.v. 5.4.2012 – 2 BvR 2126/11 – NJW 2012, 2262; BVerwG, B.v. 17.6.2011 – 8 C 3.11 u.a. – juris Rn. 3). Das rechtliche Gehör ist allerdings erst dann verletzt, wenn sich im Einzelfall klar ergibt, dass das Gericht dieser Pflicht nicht nachgekommen ist. Die Gerichte sind nicht verpflichtet, sich mit jedem Vorbringen in der Begründung der Entscheidung ausdrücklich zu befassen. Vielmehr müssen im Einzelfall besondere Umstände deutlich ergeben, dass tatsächliches Vorbringen eines Beteiligten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder doch bei der Entscheidung nicht erwogen worden ist (vgl. BVerfG, B.v. 29.10.2015 – 2 BvR 1493/11 – NVwZ 2016, 238 = juris Rn. 45). Dass diese Voraussetzungen erfüllt sind, zeigt der Zulassungsantrag nicht auf.
Der Kläger rügt, das Verwaltungsgericht habe sein Vorbringen nicht zum Gegenstand des Verfahrens gemacht, dass er am 14. Dezember 2010 aus Äthiopien ausgereist sei. Er habe als seinen Ausreisetag aus Äthiopien stets das Datum des 14. Dezember 2010 angegeben und dies mehrfach in der mündlichen Verhandlung vorgetragen. Das Datum sei durch den Dolmetscher fehlerhaft in das Datum des „14. Dezember 2011“ übersetzt worden. Schon bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt sei fälschlicherweise das Datum seiner Ausreise auf den 14. Dezember 2011 festgelegt worden. Diesen Fehler, der wohl auf einer unzutreffenden Umrechnung des Datums 5. April 2003 im äthiopischen Kalender in das des gregorianischen Kalenders beruhe, habe sein Prozessbevollmächtigter gegenüber dem Verwaltungsgericht mit Schriftsatz vom 31. Juli 2017 gerügt.
Dieser Vortrag vermag eine Gehörsverletzung wegen der fehlenden Kenntnisnahme und Berücksichtigung klägerischen Vorbringens nicht zu begründen. Denn zum einen hat sich Verwaltungsgericht sowohl in der mündlichen Verhandlung als auch im Urteil ausdrücklich mit dem Datum der Ausreise aus Äthiopien befasst und insoweit Unstimmigkeiten in den Äußerungen des Klägers festgestellt (vgl. Niederschrift über die mündliche Verhandlung am 27.7.2017 S. 2 und 3, Urteilsabdruck S. 8). Es kann daher nicht mit der erforderlichen Eindeutigkeit angenommen werden, dass das Gericht den klägerischen Vortrag zum Ausreisetag nicht berücksichtigt hat. Zum anderen hat der Kläger ausweislich der Sitzungsniederschrift tatsächlich nicht das Datum des 14. Dezember 2010, sondern das des 14. Dezember 2011 als Tag seiner Ausreise angegeben (vgl. Niederschrift über die mündliche Verhandlung am 27.7.2017 S. 2).
Soweit er geltend macht, der Dolmetscher habe seine Angaben zum Ausreisedatum in der mündlichen Verhandlung fehlerhaft übersetzt, steht dem die Beweiskraft der Niederschrift als öffentliche Urkunde entgegen, die gemäß § 173 Satz 1 VwGO i.V. mit § 415 Abs. 1 VwGO den vollen Beweis des durch das Gericht beurkundeten Vorgangs erbringt (vgl. BayVGH, B.v. 27.11.2017 – 5 ZB 17.31744 – juris Rn. 15). Einen Gegenbeweis zur Widerlegung der Richtigkeit des Inhalts dieser Urkunde hat der Kläger nicht angetreten (§ 415 Abs. 2 ZPO). Die bloße Behauptung der Möglichkeit eines anderen als des in der Urkunde angegebenen Geschehensablaufs reicht hierzu nicht aus (vgl. BVerwG, B.v. 7.10.1993 – 4 B 166.93 – NJW 1994, 535 = juris Leitsatz 2 und Rn. 12). Auch einen Antrag auf Protokollberichtigung gemäß § 105 VwGO i.V.m. § 164 ZPO hat der Kläger nicht gestellt.
Soweit der Kläger auch die fehlende Berücksichtigung des Schriftsatzes seines früheren Prozessbevollmächtigten vom 31. Juli 2017 durch das Verwaltungsgericht rügen wollte, zeigt er damit schon deswegen keinen Verstoß gegen den Gehörsanspruch auf, weil das Urteil bereits am 28. Juli 2017 und damit drei Tage vor Eingang des Schriftsatzes beim Verwaltungsgericht der Geschäftsstelle übergeben (§ 116 VwGO) und damit erlassen wurde (vgl. Blatt 65 der Akte des Verwaltungsgericht).
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG). Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 Abs. 1 Satz 1 RVG.
Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).