Verwaltungsrecht

Fehlende Fiktionswirkung des Antrags auf Erteilung eines deklaratorischen Aufenthaltstitels zu assoziationsrechtlichem Aufenthaltsrecht

Aktenzeichen  10 AS 18.450

Datum:
15.3.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 4344
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 1, Abs. 5 S. 1
AufenthG § 4 Abs. 5, § 81 Abs. 4 S. 1
ARB 1/80 Art. 7

 

Leitsatz

1 Das Oberverwaltungsgericht ist, auch wenn Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision eingelegt wurde, noch das Gericht der Hauptsache iSd § 80 Abs. 5 VwGO, solange kein Nichtabhilfebeschluss gefasst ist. Erst mit diesem Beschluss wird das Bundesverwaltungsgericht zum Gericht der Hauptsache. (Rn. 1) (redaktioneller Leitsatz)
2 Ein Antrag auf Ausstellung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 4 Abs. 5 AufenthG iVm Art. 7 S. 1 ARB 1/80 löst keine Fiktionswirkung nach § 81 Abs. 4 S. 1 AufenthG aus.  (Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Streitwert für das Verfahren wird auf 2.500 Euro festgesetzt.

Gründe

Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof ist gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO als Gericht der Hauptsache zur Entscheidung über den Antrag berufen. Zwar hat der Senat mit Urteil vom 23. Januar 2018 (10 BV 16.1578) – dem vormaligen Klägerbevollmächtigten zugestellt am 2. Februar 2018 – die Berufung des Klägers gegen das seine Klage abweisende Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 14. April 2016 (M 12 K 15.5829) zurückgewiesen und der Kläger am 8. Februar 2018 Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision eingelegt. Allerdings hat der Senat innerhalb der noch bis 3. April 2018 offenen Begründungsfrist (§ 133 Abs. 3 VwGO) keinen Nichtabhilfebeschluss (vgl. § 133 Abs. 1, 5 Satz 1 VwGO) gefasst, weshalb das Bundesverwaltungsgericht bislang noch nicht zum Gericht der Hauptsache geworden ist (BeckOK VwGO, Posser/Wolff, Stand: 1.7.2016, VwGO § 80 Rn. 141 m.w.N.).
Der Antrag des Klägers, mit dem er „die Anordnung der aufschiebenden Wirkung hinsichtlich der eingelegten Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision“ begehrt, ist unzulässig.
1. Der so formulierte Antrag kann nach § 88 VwGO sachgerecht nur dahingehend ausgelegt werden, dass der Kläger die aufschiebende Wirkung seiner Klage vom 22. Dezember 2015 begehrt, mit der er die Verlängerung seiner gemäß § 31 Abs. 1 AufenthG erteilten und bis 30. Juni 2011 befristeten Aufenthaltserlaubnis und die Ausstellung einer Bescheinigung nach § 4 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 7 Satz 1 ARB 1/80 verfolgt. Dem Antrag auf Zulassung der Revision selbst kommt keine aufschiebende Wirkung zu; er hemmt lediglich den Eintritt der Rechtskraft der vorangegangenen Urteile.
Die Unzulässigkeit des Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO ergibt sich aus Folgendem: Der im vorliegenden Verfahren streitgegenständliche Bescheid vom 20. November 2015, mit dem der entsprechende Antrag des Klägers abgelehnt wurde, ist (zu Recht) ausschließlich im Wege eines Verpflichtungsbegehrens (§ 42 Abs. 1 2. Alt. VwGO) zum Gegenstand des Verfahrens gemacht worden; der Bescheid vom 20. November 2015 enthält insbesondere keine mit einer Anfechtungsklage zu bekämpfende Abschiebungsandrohung. § 80 Abs. 1 Satz 1 VwGO weist jedoch nur einer (hier nicht erhobenen) Anfechtungsklage aufschiebende Wirkung zu; nur insoweit kommt also die Anordnung oder Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung im Wege eines Antrags gemäß § 80 Abs. 5 VwGO in Betracht (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 23. Aufl. 2017, § 80 Rn. 12 f. zum Anwendungsbereich des § 80 VwGO; vgl. § 123 Abs. 1, 5 VwGO zur Abgrenzung zu einem Antrag auf einstweilige Anordnung).
Eine Besonderheit gilt allerdings in Bezug auf eine Verpflichtungsklage in Form der Versagungsgegenklage in den Fällen, in denen die Ablehnung einer beantragten Erlaubnis eine darüber hinausgehende Belastungswirkung entfaltet; dies wird für den Bereich des Ausländerrechts insbesondere dann angenommen, wenn der einen Erlaubnisantrag ablehnende Verwaltungsakt dazu führt, dass die zuvor durch die Stellung des Antrags auf Verlängerung eines Aufenthaltstitels nach § 81 Abs. 4 Satz 1 AufenthG eingetretene Fiktionswirkung entfällt. In dieser Situation des Verlusts einer aufgrund der Antragstellung entstandenen Rechtsposition ist die Rechtsschutzmöglichkeit des § 80 Abs. 5 VwGO ausnahmsweise auch im Rahmen einer Versagungsgegenklage gegeben (Kopp/Schenke, a.a.O., § 80 Rn. 12).
So liegt der Fall hier jedoch nicht. Der streitgegenständliche „Antrag“ auf Ausstellung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 4 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 7 Satz 1 ARB 1/80 vom 11. Juni 2015 war nicht geeignet, die Fiktionswirkung des § 81 Abs. 4 Satz 1 AufenthG auszulösen, weil sich das vom Kläger geltend gemachte assoziationsrechtliche Aufenthaltsrecht unmittelbar aus Art. 7 Satz 1 ARB 1/80 ergeben konnte bzw. kann, ein Antrag nach § 81 Abs. 1 AufenthG daher gerade nicht erforderlich ist (Hofmann, AuslR, 2. Aufl. 2015, § 81 AufenthG Rn. 10) und die das Aufenthaltsrecht dokumentierende Erlaubnis lediglich deklaratorischen Charakter besitzt. Der inzwischen nicht mehr rechtshängige Antrag auf Verlängerung des am 30. Juni 2011 ausgelaufenen nationalen Aufenthaltstitels bildet nicht den Streitgegenstand des vorliegenden Verfahrens.
2. Die Umdeutung des vom Prozessbevollmächtigten des Klägers mit eindeutigem Wortlaut („Anordnung der aufschiebenden Wirkung“) gestellten unzulässigen Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO in einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 VwGO kommt hier schon deswegen nicht in Betracht, weil völlig unklar ist, mit welchem konkreten Rechtsschutzziel der Antrag formuliert werden sollte. Außerdem wäre mit einem entsprechenden Antrag (etwa auf Aussetzung der Abschiebung) grundsätzlich zunächst die Antragsgegnerin zu befassen, bevor gerichtlicher Rechtsschutz in Frage käme.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 63 Abs. 2 Satz 1 und § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 2 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

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