Aktenzeichen W 7 K 16.31035
Leitsatz
Die Anerkennung als Flüchtlig nach § 3 Abs. 1 AsylG wegen der Furcht vor Verfolgung im Zusammenhang mit der Einberufung in den ukrainischen Wehrdienst bedarf der glaubhaft und substantiiert dargestellten Verfolgungsgeschichte. (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kläger haben die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Gründe
Die zulässige Klage ist unbegründet.
Der Bescheid des Bundesamts vom 13. Juli 2016 ist rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 5 VwGO); denn die Kläger haben weder einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft noch einen solchen auf Zuerkennung subsidiären Schutzes. Ebenso wenig besteht ein Anspruch auf die Feststellung, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 bzw. Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliegen.
Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtstellung der Flüchtlinge (BGBl 1953 II S. 559, 560), wenn er sich (1.) aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe (2.) außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, (a) dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder (b) in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will. Nach § 3c AsylG kann eine solche Verfolgung ausgehen von (1.) dem Staat, (2.) Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen, oder (3.) nichtstaatlichen Akteuren, sofern die in den Nrn. 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, i.S.d. § 3d AsylG Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht. Aus § 3a AsylG ergibt sich, welche Handlungen als Verfolgung i.S.d. § 3 Abs. 1 AsylG gelten. Zwischen derartigen Handlungen und den in § 3b AsylG näher definierten Verfolgungsgründen muss eine Verknüpfung bestehen (§ 3a Abs. 3 AsylG).
Die Furcht vor Verfolgung ist begründet (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG), wenn dem Ausländer die vorgenannten Gefahren aufgrund der in seinem Herkunftsland gegebenen Umstände in Anbetracht seiner individuellen Lage tatsächlich, d.h. mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen (BVerwG, U.v. 20.2.2013 – 10 C 23/12 – juris; BVerwG, U.v. 5.11.1991 – 9 C 118/90 -, BVerwGE 1989, 162 f.; BVerwG, U.v. 15.3.1988 – 9 C 278/86 -, BVerwGE 1979, 143 f.).
Das Gericht muss dabei die volle Überzeugung von der Wahrheit des vom Asylsuchenden behaupteten individuellen Schicksals und hinsichtlich der zu treffenden Prognose, dass dieses die Gefahr politischer Verfolgung begründet, erlangen. Angesichts des sachtypischen Beweisnotstandes, in dem sich Asylsuchende insbesondere hinsichtlich asylbegründender Vorgänge im Verfolgerland befinden, kommt dabei dem persönlichen Vorbringen des Asylsuchenden und dessen Würdigung für die Überzeugungsbildung eine gesteigerte Bedeutung zu (BVerwG, U.v. 16.4.1985 – 9 C 109/84 -, Buchholz 402.25, § 1 AsylVfG Nr. 32). Demgemäß setzt ein Asyl- oder Flüchtlingsanspruch voraus, dass der Schutzsuchende den Sachverhalt, der seine Verfolgungsfurcht begründen soll, schlüssig darlegt. Dabei obliegt es ihm, unter genauer Angabe von Einzelheiten und gegebenenfalls unter Ausräumung von Widersprüchen und Unstimmigkeiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern, der geeignet ist, das Asyl- bzw. Flüchtlingsbegehren lückenlos zu tragen (BVerwG, U.v. 8.5.1984 – 9 C 141/83 -, Buchholz, § 108 VwGO Nr. 147).
Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Insoweit wird zunächst auf die zutreffenden Ausführungen des Bundesamts im angegriffenen Bescheid Bezug genommen und von einer weiteren Darstellung abgesehen (§ 77 Abs. 2 AsylG). Darüber hinaus gilt Folgendes: Auch in der mündlichen Verhandlung konnte der Kläger zu 1) nicht zur vollen Überzeugung des Gerichts glaubhaft machen, dass er zum Wehrdienst einberufen wurde. Es ist bereits nicht glaubhaft, dass der im Jahr 1990 geborene Kläger zu 1) seit seinem 18. Lebensjahr Einberufungsbescheide bekommen haben will, ohne dass vom ukrainischen Staat Schritte unternommen wurden, ihn tatsächlich zum Wehrdienst einzuziehen. Denn es ist kein Grund dafür ersichtlich, dass die Behörden das Verhalten des Klägers zu 1) ohne nachvollziehbare Erklärung, weswegen er den Wehrdienst nicht ableiste und ohne dass dieser den Wehrdienst tatsächlich verweigert hat, über einen derart langen Zeitraum toleriert haben. Gerade im Zusammenhang mit der Besetzung der Krim, die Monate vor der Ausreise des Klägers zu 1) aus der Ukraine erfolgte bzw. schon in deren Vorfeld, nachdem sich der militärische Konflikt abgezeichnet hatte, hätte es nahegelegen gewesen, die Einberufung des Klägers zu 1) durchzusetzen. Die in der mündlichen Verhandlung vorgetragene Erkläung, eine Nachbarin habe erzählt, die Familie sei nach Russland verzogen, überzeugt jedenfalls nicht. Denn nach Angaben des Klägers zu 1) war dem Militär ja seine Arbeitsstelle bekannt, nachdem er dort einmal von einem Militärangehörigen aufgesucht worden sein soll. Diese Angabe in der mündlichen Verhandlung widerspricht allerdings den Angaben des Klägers zu 1) im Rahmen seiner Anhörung. Dort hat er vorgetragen, es seien nur einmal zwei Personen zu ihm nach Hause gekommen, nämlich ein Revierpolizist und „einer vom Rathaus“. Nunmehr soll aber der einzige Kontakt zu den Behörden der Besuch eines Militärangehörigen auf der Arbeit gewesen sein. Nachvollziehbare Gründe, weswegen sich diese Personen immer wieder haben vertrösten lassen, konnte der Kläger zu 1) nicht vorbringen. Darüber hinaus widerspricht die Tatsache, dass der Kläger zu 1) mit einem Visum aus der Ukraine ausreisen konnte, seinem Vorbringen, er solle dort einberufen werden. Denn es ist auch nicht glaubhaft, dass an einem Flughafen keine Ausreisekontrollen stattfinden, wie es der Kläger zu 1) in der mündlichen Verhandlung angegeben hat. Wäre er tatsächlich von ukrainischen Behörden gesucht worden, wäre er an der Ausreise gehindert worden. Es ist daher bereits nicht glaubhaft, dass der Kläger zu 1) in der Ukraine überhaupt zum Wehrdienst einberufen wurde.
Eine Einziehung zum Wehrdienst bei Rückkehr in die Ukraine hat der Kläger zu 1) allerdings nicht mehr zu befürchten, da er die Altersgrenze für die Einziehung bei Rückkehr in die Ukraine jedenfalls überschritten haben wird. Diese liegt nach den vorliegenden Erkenntnismitteln bei 26 bzw. 27 Jahren(BayVGH, B.v. 15.2.2016 – 11 ZB 16.30012 m.w.N.; Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 11.2.2016, S. 8; Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 28.1.2015, S. 2). Das 27. Lebensjahr vollendet der Kläger zu 1) jedoch am 28. März 2017. Auf die vom Klägerbevollmächtigten aufgeworfenen Fragen, ob es dem Kläger zu 1) (wegen seiner religiösen Zugehörigkeit) noch möglich wäre, den Wehrdienst zu verweigern bzw. ob die Altersgrenze beim Wehrdienst auch gilt, wenn jemand sich vorher dem Wehrdienst entzogen hat oder wie ein Wehrdienstverweigerer bestraft wird, kommt es daher vorliegend nicht an. Weitere Sachaufklärung ist daher nicht veranlasst.
Die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG bzw. die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus nach § 4 AsylG wegen Wehrdienstentziehung kommen daher nicht in Betracht. Auch der Vortrag der Kläger, wegen des Krieges in der Ostukraine das Land verlassen zu haben, kann ebenfalls nicht zur Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus führen. Denn für sie besteht außerhalb des Separatistengebietes eine zumutbare inländische Fluchtalternative.
Im aktuellen Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 7. Februar 2017 wird zwar geschildert, dass aufgrund der aktuellen Situation in der Ukraine von einem erhöhten Migrationspotential auszugehen ist. Die Zahl der registrierten Binnenflüchtlinge ist bis Januar 2017 auf 1,65 Millionen gestiegen. Die Registrierung, Versorgung und Unterbringung von Binnenflüchtlingen erfolgt auf Basis des 2014 in Kraft getretenen IDP-Gesetzes. Die Grundversorgung für Rückkehrer ist, wie für die meisten Menschen in der Ukraine, knapp ausreichend. Auch die medizinische Versorgung ist kostenlos und flächendeckend, auch wenn qualitativ höherwertige Leistungen teilweise von privaten Zuzahlungen abhängig sind. Allein die Tatsache, dass Flüchtlingen aus den umkämpften Gebieten in anderen Teilen der Ukraine gegebenenfalls mit Misstrauen bzw. Ablehnung begegnet wird, macht die inländische Fluchtalternative nicht unzumutbar. Es sind auch keine Anhaltspunkte ersichtlich, dass die Kläger nicht legal in andere Landesteile der Ukraine reisen könnten. Nachdem die Kläger zu 1) und 2) beide arbeitsfähig sind, ist davon auszugehen, dass diese durch eigene Erwerbstätigkeit den Lebensunterhalt der Familie sichern können. Im Übrigen leben noch mehrere Familienangehörige der Kläger in der Ukraine und können diese bei Bedarf unterstützen.
Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 bzw. Abs. 7 Satz 1 AufenthG sind weder vorgetragen noch ersichtlich.
Die Klage war damit abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83 b AsylG).