Verwaltungsrecht

Fehlende Personenidentität von Anhörer und Entscheider führt zur Fehlerhaftigkeit bei der Glaubhaftigkeitsbeurteilung

Aktenzeichen  W 5 S 16.32663

Datum:
29.12.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2016, 122444
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 5
AsylG § 36 Abs. 4
AsylG § 30 Abs. 3 Nr. 1
AsylG § 30 Abs. 3 Nr. 2
ZPO § 114

 

Leitsatz

Einem Entscheider, der nicht selbst die Anhörung durchgeführt hat, sondern sich nur auf die Niederschrift stützen kann, bleibt es versagt, seine Entscheidung auf Ungereimtheiten und mangelnde Substanziiertheit des Vortrages des Asylsuchenden sowie auf Erkenntnisse zu stützen, die nur durch den persönlichen Eindruck gewonnen werden können. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragstellerin gegen den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 12. Dezember 2016, Geschäftszeichen …, wird angeordnet.
II. Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III. Der Antragstellerin wird für das Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt …, …, bewilligt.

Gründe

I.
Die Antragstellerin, nach eigenen Angaben am … 1988 in Herat (Afghanistan) geborene afghanische Staatsangehörige, schiitischen Glaubens und von der Volksgruppe der Tadschiken, reiste am 8. April 2014 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 17. April 2014 einen Asylantrag.
1. Bei ihrer persönlichen Anhörung beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) am 3. November 2016, die durch die anhörende Entscheiderin Frau B. durchgeführt wurde, gab die Antragstellerin – in der Sprache Dari – im Wesentlichen an, dass sie zusammen mit ihrem Ehemann nach Deutschland geflohen sei. Sie habe sich bis zu ihrer Ausreise aus Afghanistan zusammen mit ihrem Ehemann, dessen Mutter und drei Brüdern in Herat aufgehalten. Sie sei dann ca. neun Monate in der Türkei und ca. vier Monate in Griechenland gewesen. Zu ihren Ausreisegründen befragt, erklärte die Antragstellerin, dass das Leben ihres Ehemannes in Gefahr gewesen sei. Dieser habe Probleme mit Nachbarn gehabt, die ihn hätten umbringen wollen. Bei einer Rückkehr nach Afghanistan befürchte sie, dass sie von den Feinden ihres Mannes umgebracht werde. Ihr Vater halte sich in Hamburg auf und sei pflegebedürftig.
Laut Untersuchungsvermerk der Physikalisch-Technischen Urkundenuntersuchung des Bundesamtes vom 29. November 2016 (Bl. 134 ff. der Behördenakte) liegt hinsichtlich der von der Antragstellerin vorgelegten Tazkira wie auch der von ihr vorgelegten Heiratsurkunde ein vorläufiger Manipulationsverdacht vor. Ausweislich des Vermerks wurden bei der Inaugenscheinnahme Beanstandungen am Dokument festgestellt, welche auf eine Manipulation schließen lassen. Der Grad der Manipulation steht hiernach noch nicht abschließend fest; auch wird noch nicht abschließend beurteilt, ob bei der Beanstandung die Personalisierung und somit die Identität des Dokumenteninhabers betroffen ist und dadurch infrage steht.
2. Mit Bescheid vom 12. Dezember 2016, zur Post gegeben am 14. Dezember 2016, wurden der Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Ziffer 1 des Bescheides) sowie auf subsidiären Schutz (Ziffer 2) als offensichtlich unbegründet abgelehnt und festgestellt, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Ziffer 3). Die Antragstellerin wurde aufgefordert, das Bundesgebiet innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe des Bescheides zu verlassen; für den Fall der nicht fristgerechten Ausreise wurde ihr die Abschiebung in den Herkunftsstaat angedroht; die Antragstellerin könne auch in einen anderen Staat abgeschoben werden, in den sie einreisen dürfe oder der zu ihrer Übernahme verpflichtet sei (Ziffer 4). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG wurde auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Ziffer 5).
Zur Begründung wurde u.a. ausgeführt, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung des internationalen Schutzes nicht vorlägen. Die Antragstellerin sei kein Flüchtling und keine subsidiär Schutzberechtigte im Sinne des § 3 bzw. § 4 AsylG. Die Würdigung aller Umstände, vor allem die Angaben der Ausländerin in der persönlichen Anhörung, führten nicht zu der Überzeugung, dass sie die afghanische Staatsangehörigkeit tatsächlich besitze. Die mangelnde Glaubhaftmachung ergebe sich im vorliegenden Fall aus einer Gesamtschau folgender Umstände: Die Ausländerin habe lediglich gefälschte Personaldokumente vorlegen können. Aufgrund der ungeklärten Staatsangehörigkeit und dem damit verbundenen unbekannten Herkunftsland der Antragstellerin habe die geschilderte Furcht vor Verfolgung und die geschilderte Gefahr eines ihr drohenden ernsthaften Schaden als nicht glaubhaft dargelegt angesehen werden können. Der Vortrag der Antragstellerin sei insgesamt oberflächlich und wenig aussagekräftig gewesen. Sie habe sich nur auf die Angaben ihres angeblichen Ehemannes bezogen. Von dessen Gründen habe sie nur vage Kenntnisse gehabt. Der Asylantrag sei zudem als offensichtlich unbegründet abzulehnen gewesen. Denn gemäß § 30 Abs. 3 Nr. 2 AsylG sei ein unbegründeter Asylantrag als offensichtlich unbegründet abzulehnen, wenn die Ausländer im Asylverfahren über ihre Identität oder Staatsangehörigkeit täusche oder diese Angaben verweigere. Abschiebungsverbote lägen nicht vor. Denn aufgrund der unglaubhaften Angaben der Antragstellerin komme eine Abschiebung in das angebliche Herkunftsland Afghanistan nicht in Betracht und außerdem habe die Antragstellerin hinsichtlich anderer Staaten keine Gründe für die Annahme einer dort drohenden Gefahr geltend gemacht. Auch das Vorliegen einer Erkrankung führe nicht zu einer anderen Bewertung, da aufgrund des unbekannten Herkunftslandes eine zielstaatsbezogene wesentliche Verschlechterung der Krankheit alsbald nach Rückkehr nicht festgestellt werden könne.
Der Bescheid wurde vom Einzelentscheider bzw. von der Einzelentscheiderin W. unterzeichnet.
3. Die Antragstellerin ließ durch ihren Bevollmächtigten am 22. Dezember 2016 Klage erheben (W 5 K 16.32663).
Gleichzeitig ließ sie im vorliegenden Verfahren beantragen,
die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen, sowie ihr Prozesskostenhilfe unter Beiordnung des Bevollmächtigten zu gewähren.
Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, die Antragstellerin sei afghanische Staatsangehörige und habe ihr Heimatland aus begründeter Furcht vor Verfolgung verlassen. Sie habe ihre afghanische Staatsangehörigkeit durch Vorlage einer Tazkira und einer Heiratsurkunde sowie der (überprüften) Angaben zu ihren in Deutschland lebenden Verwandten belegt. Dementsprechend sei nicht nachvollziehbar, aus welchen Gründen die Antragsgegnerin die Staatsangehörigkeit der Antragstellerin anzweifele. Hinsichtlich der Fluchtgründe werde auf die Angaben der Antragstellerin im Rahmen der Anhörung verwiesen. Auch nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG i.V.m. Art. 3 EMRK ergebe sich ein Anspruch der Antragstellerin auf subsidiären Schutz. Hilfsweise habe die Antragstellerin auch einen Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 7 AufenthG. Zumindest lägen unter Berücksichtigung der Angaben der Antragstellerin im Rahmen des Vorverfahrens als auch den Ausführungen in der Antragsbegründung die von der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts entwickelten strengen Kriterien eines Offensichtlichkeitsurteils nicht vor. Somit sei jedenfalls die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
4. Die Antragsgegnerin beantragte,
den Antrag abzulehnen.
5. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtssowie der vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
II.
Der zulässige Antrag, die aufschiebende Wirkung der am 22. Dezember 2016 erhobenen Klage anzuordnen ist ebenso begründet wie der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe.
1. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung in Ziffer 4 des streitgegenständlichen Bescheides ist zulässig, insbesondere wurde er innerhalb der Wochenfrist nach § 36 Abs. 3 Satz 1 AsylG bei Gericht gestellt.
2. Der Antrag ist auch begründet, weil nach Aktenlage ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Ablehnung des Antrags auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft als offensichtlich unbegründet bestehen (§ 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG).
2.1. Gegenstand des verwaltungsgerichtlichen Eilverfahrens nach § 36 Abs. 3 AsylG i.V.m. § 80 Abs. 5 VwGO ist die von der Antragsgegnerin ausgesprochene Abschiebungsandrohung, beschränkt auf die sofortige Vollziehbarkeit. Prüfungsmaßstab zur Bestätigung oder Verwerfung des Sofortvollzugs ist die Frage, ob die für die Aussetzung der Abschiebung erforderlichen ernstlichen Zweifel bezogen auf das Offensichtlichkeitsurteil des Bundesamtes vorliegen. Nach Art. 16a Abs. 4 Satz 1 GG, § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG darf die Aussetzung der Abschiebung nur angeordnet werden, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen. Die Vollziehung der aufenthaltsbeendenden Maßnahme darf nur dann ausgesetzt werden, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die Maßnahme einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhält (BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1516/93 – DVBl. 1996, 729).
Offensichtlich unbegründet ist ein Asylantrag dann, wenn die Voraussetzungen für eine Anerkennung als Asylberechtigter und die Voraussetzungen für die Zuerkennung des internationalen Schutzes offensichtlich nicht vorliegen (§ 30 Abs. 1 AsylG). Das ist insbesondere dann der Fall, wenn nach den Umständen des Einzelfalls offensichtlich ist, dass sich der Ausländer nur aus wirtschaftlichen Gründen oder um einer allgemeinen Notsituation zu entgehen, im Bundesgebiet aufhält (§ 30 Abs. 2 AsylG). Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts setzt eine Abweisung der Asylklage als offensichtlich unbegründet voraus, dass im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichts (§ 77 Abs. 1 AsylG) an der Richtigkeit der tatsächlichen Feststellungen vernünftigerweise keine Zweifel bestehen können und sich bei einem solchen Sachverhalt nach allgemein anerkannter Rechtsauffassung die Abweisung der Klage geradezu aufdrängt (BVerfG, B.v. 20.9.2001 – 2 BvR 1392/00 – InfAuslR 02, 146; vom 5.2.1993 – 2 BvR 1294/92 – InfAuslR 93, 196). Im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes kommt es darauf an, ob die Offensichtlichkeitsentscheidung des Bundesamts in Bezug auf die geltend gemachten Asylgründe bei der gebotenen summarischen Prüfung mit der erforderlichen Richtigkeitsgewähr bestätigt werden kann.
2.2. Gemessen an diesen Grundsätzen ist der Bescheid des Bundesamts vom 12. Dezember 2016 zu beanstanden.
Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Ablehnung des Antrags auf Anerkennung als Asylberechtigte sowie auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylG als offensichtlich unbegründet bestehen schon aufgrund der Trennung des Anhörungs- und des Entscheidungsverfahrens beim Bundesamt. Denn die Person, die die nach § 24 Abs. 1 Satz 3 AsylG erforderliche persönliche Anhörung der Antragstellerin am 3. November 2016 durchgeführt hat, ist nicht identisch mit der Person, die die angefochtene Entscheidung vom 12. Dezember 2016 getroffen hat. Zwar schließt sich das Gericht der Rechtsprechung verschiedener Verwaltungsgerichte an, wonach sich aus dem Asylgesetz nicht zwingend ableiten lässt, dass Anhörer und Entscheider identisch zu sein haben (vgl. VG Bremen, B.v. 5.1.2016 – 5 V 2543/15; VG Göttingen, B.v. 17.8.2010 – 2 B 301/10 – beide juris m.w.N.). Denn das Asylgesetz schreibt nicht zwingend vor, dass Anhörung und Entscheidung von ein und derselben Person getroffen werden müssen. Aus den maßgeblichen Vorschriften der §§ 25 und 31 AsylG ergibt sich nicht, dass allein der Umstand, dass der zur Entscheidung berufene Einzelentscheider den jeweiligen Asylbewerber nicht persönlich angehört hat, zur Rechtswidrigkeit der Entscheidung über den Asylantrag führt. So ist die fehlende Identität von Anhörer und Entscheider u.a. dann nicht relevant, wenn sich aus dem Vortrag des Antragstellers, dessen Richtigkeit unterstellt, überhaupt keine Anhaltspunkte für das Vorliegen einer politischen Verfolgung ergeben (VG Augsburg, B.v. 31.3.2010 – Au 7 S. 10.30096; B.v. 29.3.2010 – Au 7 S. 10.30066 – beide juris).
Etwas anderes ist jedoch dann anzunehmen, wenn die Trennung im konkreten Fall tatsächlich zu einem Rechtsfehler geführt haben könnte. Dies ist der Fall, wenn die persönliche Anhörung des Asylsuchenden grundsätzlich für die Beweiswürdigung von entscheidungserheblicher Bedeutung ist und die Entscheidung über ein Asylbegehren bzw. Flüchtlingsanerkennung ganz wesentlich auf einer Glaubwürdigkeitsprüfung beruht und somit grundsätzlich eine verfahrensrechtliche Trennung von Anhörung und Entscheidung weder sachgerecht noch möglich erscheint (VG Würzburg, B.v. 11. 7.2016 – W 5 S. 16.30874; B.v. 28.8.2014 – W 1 S. 14.30466; VG Göttingen, B.v. 17.8.2010 – 2 B 301/10; VG München, B.v. 15.9.2008 – M 24 S. 08.60056; VG München, B.v. 29.4.2003 – M 21 S. 03.60155; VG Frankfurt/Oder, B.v. 23.3.2000 – 4 L 167/00 – alle juris; Hofmann/Hoffmann, HK-Ausländerrecht, 2016, § 25 AsylG Rn. 20). Denn zum einen sind die tatsächlichen Angaben so gut wie nie vollständig im Anhörungsprotokoll vermerkt. Zum anderen fehlt es an einer Niederlegung der persönlichen Eindrücke etwa über das Verhalten des Asylsuchenden. Daraus ist zu folgern, dass es dem Entscheider, der nicht selbst die Anhörung durchgeführt hat, sondern sich nur auf die Niederschrift stützen kann, versagt bleiben muss, seine Entscheidung auf Ungereimtheiten und mangelnde Substanziiertheit des Vortrages des Asylsuchenden sowie auf Erkenntnisse zu stützen, die nur durch den persönlichen Eindruck gewonnen werden können (vgl. Hofmann/Hoffmann, GK-AsylG, § 25 AsylG Rn. 20).
Im vorliegenden Fall beruht die Entscheidung, die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft als offensichtlich unbegründet abzulehnen, ausweislich der Bescheidsgründe (S. 2 f. des Bescheides, Bl. 139 f. der Bundesamtsakte), zumindest wesentlich auf der Einschätzung, das Vorbringen der Antragstellerin im Rahmen der Anhörung sei nicht glaubhaft. Tragend für die negative Entscheidung ist nämlich die Aussage des Bundesamts (S. 2 f. des Bescheids), dass „die Würdigung aller Umstände, vor allem die Angaben der Ausländerin in der persönlichen Anhörung“ nicht zu der Überzeugung geführt hätten, dass sie die afghanische Staatsangehörigkeit tatsächlich besitze und dass aus diesem Grund „die geschilderte Furcht vor Verfolgung und geschilderte Gefahr eines ihr drohenden ernsthaften Schadens, als nicht glaubhaft dargelegt angesehen werden“ kann. So sei der Vortrag der Antragstellerin „insgesamt oberflächlich und wenig Aussagekräftig“. Sie habe sich „nur auf die Angaben ihres angeblichen Ehemannes“ bezogen, von dessen Gründen sie „nur vage Kenntnisse gehabt“ habe.
Im Falle der Personenidentität von Anhörer und Entscheider hätten diese Unklarheiten jedoch in der Anhörung durch Nachfrage aufgeklärt werden können, zumal die Antragstellerin im Rahmen der Anhörung durchaus weiterführende Angaben hinsichtlich ihrer in Deutschland lebenden Familie aber auch hinsichtlich der gegen ihren Ehemann gerichteten Drohungen gemacht hat.
Darüber hinaus ist sehr fraglich, ob der vom Bundesamt zugrunde gelegte Ausgangspunkt, dass die Antragstellerin „lediglich gefälschte Personaldokumente“ vorgelegt hat, tatsächlich richtig ist. Denn ausweislich des Untersuchungsvermerks der Physikalisch-Technischen Urkundenuntersuchung des Bundesamtes vom 29. November 2016 (Bl. 105 f. der Behördenakte) liegt zwar hinsichtlich der von der Antragstellerin vorgelegten Tazkira wie auch der vorgelegten Heiratsurkunde ein „vorläufiger Manipulationsverdacht“ vor, allerdings ist von „gefälschten Personaldokumenten“ dort nicht die Rede. Ausweislich des Vermerks wurden bei der Inaugenscheinnahme zwar Beanstandungen am Dokument festgestellt, welche auf eine Manipulation schließen lassen. Allerdings steht der Grad der Manipulation hiernach noch nicht abschließend fest. Auch wird noch nicht abschließend beurteilt, ob bei der Beanstandung die Personalisierung und somit die Identität des Dokumenteninhabers betroffen ist und dadurch infrage steht.
Darüber hinaus lässt sich einem Aktenvermerk, der anlässlich einer Vorsprache der Antragstellerin bei der Regierung von Oberbayern am 24. April 2014 gefertigt wurde (Bl. 54 f. der Behördenakte), entnehmen, dass „an der Herkunft aus Afghanistan (…) keine Zweifel“ bestehen. Denn „die Familie der Betroffenen ist seit ca. 3 Jahren wohnhaft in Hamburg; den AZR-Einträgen zufolge sind die Eltern sowie der Großteil der Geschwister im Besitz eines afghanischen Reisepasses“.
Nach allem bestehen erhebliche Zweifel an der Einschätzung des Bundesamts, wonach die Antragstellerin gefälschte Personaldokumente vorgelegt habe und damit die Staatsangehörigkeit der Antragstellerin ungeklärt sein soll, zumal noch darauf zu verweisen ist, dass die Antragstellerin die Landessprache Afghanistans, nämlich Dari, spricht.
Nach allem liegt zum gegenwärtigen Zeitpunkt ein Grund für die Abweisung des Antrags als unbegründet nach § 30 Abs. 3 Nr. 2 AsylG genauso wenig vor wie ein solcher nach § 30 Abs. 3 Nr. 1 AsylG. Fehlt es aber insoweit an einer ordnungsgemäßen Aufklärung des Sachverhalts betreffend den wesentlichen Kern des Verfolgungsgeschehens, lässt sich insbesondere die Ablehnung des Antrags auf Flüchtlingsanerkennung als offensichtlich unbegründet zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht aufrechterhalten. Darüber hinaus ist auch ein subsidiärer Schutzstatus nicht völlig auszuschließen. Schließlich könnten Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AsylG vorliegen. All diese Aspekte – die letztlich im Rahmen des Hauptsacheverfahrens noch aufzuklären sein werden – stehen aber dem sofortigen Vollzug der Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung entgegen (vgl. § 34 Abs. 1 AsylG).
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, das Verfahren ist gerichtskostenfrei (§ 83b AsylG).
4. Nach allem war der Antragstellerin gemäß § 166 VwGO, §§ 114 ff. ZPO für das Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes Prozesskostenhilfe zu bewilligen.

Jetzt teilen:

Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen