Verwaltungsrecht

Fehlende Statthaftigkeit des Aussetzungsverfahrens mangels Vorliegens eines Verwaltungsakts

Aktenzeichen  M 21 S 17.47932

Datum:
5.10.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO VwGO § 80 Abs. 5 S. 1, § 123 Abs. 1
AufenthG AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7
AsylG AsylG § 80, § 83b

 

Leitsatz

1 In den Fällen der sogenannten (drohenden) faktischen Vollziehung kommt das Aussetzungsverfahren nach § 80 Abs. 5 S. 1 VwGO analog und nicht das einstweilige Anordnungsverfahren gemäß § 123 Abs. 1 VwGO zur Anwendung. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
2 Die Statthaftigkeit des Aussetzungsverfahrens setzt in den Fällen der sogenannten (drohenden) faktischen Vollziehung voraus, dass objektiv ein Verwaltungsakt vorliegt, der wegen einer Anfechtung nach § 80 Abs. 1 VwGO der aufschiebenden Wirkung unterliegt und der dennoch vollzogen wird. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gründe

I.
Der Antragsteller ist nach eigenen Angaben ein ausweisloser, in Yonibana geborener, lediger Staatsangehöriger der Republik Sierra Leone.
Er stellte am 23. Oktober 2013 bei der Außenstelle des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (kurz: Bundesamt) in M. einen Asylantrag.
In der Bundesamtsanhörung gab der Antragsteller am 23. September 2016 im Wesentlichen an, Sierra Leone wegen einer Auseinandersetzung zwischen zwei politischen Lagern verlassen zu haben.
Mit Bescheid vom 23. Mai 2017 erkannte das Bundesamt dem Antragsteller die Flüchtlingseigenschaft nicht zu (Ziffer 1.), lehnte seinen Antrag auf Asylanerkennung ab (Ziffer 2.) erkannte ihm den subsidiären Schutzstatus nicht zu (Ziffer 3.), verneinte Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG (Ziffer 4.) und drohte ihm mit einer Ausreisefrist von 30 Tagen die Abschiebung nach Sierra Leone an (Ziffer 5.). Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, der vom Antragsteller geschilderte Vorfall weise keine schutzrelevante Intensität auf. Außerdem sei er darauf zu verweisen, dass es ausreichend Schutz vor Verfolgung in Sierra Leone gebe und er auch Schutz in einem sicheren Landesteil finden könne. Laut Aktenvermerk wurde dieser Bescheid am 23. Mai 2017 als Einschreiben zur Post gegeben (Bl. 154 der Bundesamtsakte).
Am 12. Juni 2017 ließ der Antragsteller beim Bayerischen Verwaltungsgericht München Klage erheben und beantragen, den Bundesamtsbescheid vom 23. Mai 2017 aufzuheben und die Antragsgegnerin zu verpflichten, ihm die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, hilfsweise, ihm den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen, hilfsweise, festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich Sierra Leone vorliegen.
Über die Klage (M 21 K 17.44615) ist noch nicht entschieden.
Nachdem die Bevollmächtigten des Antragstellers durch Schriftsatz vom 12. Juni 2017 die Klage des Antragstellers vom 27. Mai 2015 (M 21 K 15.30784) zurück genommen hatten, teilte das Bundesamt dem Landratsamt Neuburg-Schrobenhausen – Ausländerbehörde – mit Schreiben vom 12. Juli 2017 insbesondere mit, der Bundesamtsbescheid vom 23. Mai 2017 sei seit 10. Juni 2017 bestandskräftig.
Mit Schreiben vom 3. August 2017 (Bl. 178 der Bundesamtsakte) teilte das Bundesamt dem Landratsamt Neuburg-Schrobenhausen – Ausländerbehörde – mit, beim Verwaltungsgericht München sei am 12. Juni 2017 Klage erhoben worden.
Am 19. September 2017 ließ der Antragsteller beim Bayerischen Verwaltungsgericht München beantragen,
festzustellen,
dass seine Klage vom 12. Juni 2017 gegen den Bundesamtsbescheid vom 23. Mai 2017 aufschiebende Wirkung hat und ihm für diesen Eilantrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.
Zur Antragsbegründung wurde durch Schriftsatz vom 19. September 2017 im Wesentlichen ausgeführt, der Bundesamtsbescheid vom 23. Mai 2017 sei den Bevollmächtigten des Klägers am 30. Mai 2017 per Übergabeeinschreiben zugestellt worden. Die Antragsgegnerin gehe jedoch offensichtlich von einer verspäteten Klageerhebung aus. Am 25. August 2017 habe der Antragsteller von der zuständigen Ausländerbehörde statt seiner Aufenthaltsgestattung nur mehr eine Grenzübertrittsbescheinigung erhalten. Den Bevollmächtigten des Antragstellers sei telefonisch am 4. September 2017 mitgeteilt worden, die Gestattung könne nicht erteilt werden, da das Bundesamt von einer Bestandskraft am 26. Mai 2017 ausgehe. Der Antrag auf Feststellung der aufschiebenden Wirkung sei in entsprechender Anwendung des § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO statthaft, da das Bundesamt und die zuständige Ausländerbehörde davon ausgingen, dass der Bundesamtsbescheid bestandskräftig sei. Der negative Abschluss des Asylverfahrens sei mit wesentlichen Nachteilen verbunden. Der Antragsteller werde ausreisepflichtig.
Mit Schreiben vom 27. September 2017 teilte das Gericht den Bevollmächtigten des Antragstellers mit, der vorliegenden Bundesamtsakte des nach eigenen Angaben ausweislosen Antragstellers sei die als Anlage beigefügte Mitteilung des Bundesamts vom 3. August 2017 über die Klageerhebung zu entnehmen (Bl. 178 der Bundesamtsakte). Die telefonische Nachfrage beim zuständigen Landratsamt habe ergeben, dass dem Antragsteller zudem von dort am 25. September 2017 eine Aufenthaltsgestattung erteilt worden sei. Vor diesem Hintergrund werde bis spätestens 4. Oktober 2017 um die Abgabe einer prozessbeendenden Erklärung gebeten.
Mit Schriftsatz vom 4. Oktober 2017 ließ der Antragsteller im Wesentlichen ausführen, die Antragsgegnerin werde zunächst um Klarstellung gebeten, ob das Schreiben vom 3. August 2017 (Bl. 178 der Bundesamtsakte) eine konkludente Aufhebung/Abänderung der Abschlussmitteilung vom 12. Juli 2017 darstelle.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten zu Eil- und Klageverfahren und auf die vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.
II.
Der Eilantrag ist bereits mangels Statthaftigkeit unzulässig.
Das Aussetzungsverfahren nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO analog und nicht das einstweilige Anordnungsverfahren gemäß § 123 Abs. 1 VwGO kommt in den Fällen der sogenannten (drohenden) faktischen Vollziehung zur Anwendung (vgl. Schoch in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand Oktober 2016, § 80 Rn. 352 m.w.N.).
Die Statthaftigkeit des Aussetzungsverfahrens setzt in einer solchen Konstellation allerdings voraus, dass objektiv ein Verwaltungsakt vorliegt, der wegen einer Anfechtung nach § 80 Abs. 1 VwGO der aufschiebenden Wirkung unterliegt und der dennoch vollzogen wird (vgl. Schoch in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand Oktober 2016, § 80 Rn. 353).
Jedenfalls an der letztgenannten Voraussetzung des Vollzugs durch die Antragsgegnerin trotz aufschiebender Wirkung fehlt es seit der Bundesamtsmitteilung vom 3. August 2017 über die Klageerhebung am 12. Juni 2017. Davon abgesehen hat der Antragsteller darüber hinaus derzeit auch keine Nachteile durch einen ausländerrechtlichen und als solchen nicht ohne weiteres der Antragsgegnerin in einem Aussetzungsverfahren zurechenbaren (vgl. Schoch in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand Oktober 2016, § 80 Rn. 467) Vollzug gegen ihn zu befürchten. Zur näheren Begründung wird auf das Schreiben des Gerichts vom 27. September 2017 Bezug genommen.
Kosten: § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).

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