Verwaltungsrecht

Fehlendes Rechtsschutzbedürfnis

Aktenzeichen  M 12 S 16.33304

Datum:
14.10.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 36 Abs. 3
VwGO VwGO § 80 Abs. 5
AufenthG AufenthG § 60 Abs. 2 – 7

 

Leitsatz

1 Mit dem Begriff des Rechtsschutzbedürfnisses wird zum Ausdruck gebracht, dass nur derjenige, der mit dem von ihm angestrengten gerichtlichen Rechtsschutzverfahren ein rechtsschutzwürdiges Interesse verfolgt, einen Anspruch auf eine gerichtliche Sachentscheidung hat und beim Fehlen eines solchen Interesses das prozessuale Begehren als unzulässig abgewiesen werden muss. (redaktioneller Leitsatz)
2 Für einen Antrag besteht kein Rechtsschutzbedürfnis, wenn er dem Antragsteller keinen rechtlichen oder tatsächlichen Vorteil bringen kann. (redaktioneller Leitsatz)
3 Solange ein Zielstaat nicht feststeht, kann eine Abschiebung schon aus tatsächlichen Gründen nicht vorgenommen werden. Dementsprechend kann auch ein Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO zulässigerweise erst dann gestellt werden, wenn dem ausreisepflichtigen Ausländer die Abschiebung im Hinblick auf ein konkretes Ziel angedroht worden ist. (redaktioneller Leitsatz)
4 Die Abschiebungsandrohung in den Herkunftsstaat stellt lediglich einen unverbindlichen Hinweis ohne Regelungscharakter dar; eine tatsächlich vollziehbare Abschiebungsandrohung liegt mit ihr noch nicht vor. (redaktioneller Leitsatz)
5 Die Abschiebungsandrohung in den Herkunftsstaat führt nicht zu einem Erlöschen der Aufenthaltsgestattung gemäß § 67 Abs. 1 Nr. 4 AsylG. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gründe

I.
Der Antragsteller ist eigenen Angaben zufolge eritreischer Staatsangehöriger und reiste am … April 2015 auf dem Landweg in das Bundesgebiet ein. Er stellte am 28. Oktober 2015 einen Asylantrag.
Bei seiner Anhörung beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) erklärte der Antragsteller am 16. März 2016 im Wesentlichen, er habe in … gelebt, aber Eritrea bereits 19… im Alter von fünf Jahren mit seiner Mutter Richtung Äthiopien verlassen, wo er zuletzt in … gelebt habe. Er habe bis zur 10. Klasse die Schule besucht und als Aushilfe in einem Lebensmittelgeschäft gearbeitet. Äthiopien habe er am 10. April 2012 verlassen. Seine Mutter sei Eritreerin gewesen, habe aber Tigrinya und Amharisch gesprochen. Seinen Vater kenne er nicht. Sein Nachname stamme nicht von seinem leiblichen Vater, sondern von seinem Pflegevater. Nachweise hierfür habe er nicht. Persönlich habe er kein Problem mit Eritrea gehabt. Er sei zusammen mit seiner Mutter ausgereist. In Äthiopien sei er illegal gewesen, habe keine Schule besuchen und nicht arbeiten können. Nach dem Tod des Stiefvaters habe er nicht mehr frei leben können. Im Fall der Rückkehr nach Eritrea befürchte er eine Haftstrafe.
Mit Bescheid vom 20. September 2016 lehnte das Bundesamt den Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und den Antrag auf subsidiären Schutz als offensichtlich unbegründet ab und verneinte Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG. Der Antragsteller wurde aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe der Entscheidung bzw. nach unanfechtbarem Abschluss des Asylverfahrens zu verlassen. Für den Fall der nicht fristgerechten Ausreise wurde die Abschiebung in den Herkunftsstaat oder in einen anderen Staat angedroht, in den der Antragsteller einreisen darf oder der zu seiner Rücknahme verpflichtet ist. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot wurde auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet.
Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, es sei nicht glaubhaft gemacht worden, dass dem Antragsteller im Heimatland eine Gefahr politischer Verfolgung gedroht habe bzw. bei Rückkehr drohe. Insbesondere habe er keine individuellen Gründe für seine Ausreise aus Eritrea geltend gemacht. Das Vorbringen sei nicht glaubhaft, da die Einreise ins Bundesgebiet ohne eigene Legitimationspapiere erfolgt sein soll. Zudem seien keine Unterlagen, aufgrund derer die Identität oder die Richtigkeit der Angaben bzgl. des Heimatlandes überprüft werden könnten, vorgelegt worden. Das Vorbringen sei insgesamt unsubstantiiert, vage gehalten und unrealistisch, so dass Zweifel an der Wahrheit der Angaben bestünden. Die Schilderungen des Antragstellers zu seinem langjährigen Aufenthalt in Äthiopien erschienen sehr oberflächlich und detailarm, so dass zusammenfassend festzustellen sei, dass der Antragsteller eine Verfolgung in keiner Weise habe glaubhaft machen können. Es werde vielmehr der Eindruck erweckt, dass der Antragsteller aufgrund seiner schlechten wirtschaftlichen Situation in Äthiopien das Land seines gewöhnlichen Aufenthaltes verlassen habe. Folglich entfalle auch die weitere Prüfung hinsichtlich des Sachvortrags des Antragstellers, dass er bei Rückkehr nach Eritrea eine Haftstrafe befürchte. Sofern der Antragsteller vorgetragen habe, durch den äthiopischen Staat diskriminiert worden zu sein, sei festzustellen, dass es sich hierbei um keine Verfolgungshandlung in Anknüpfung an einen Verfolgungsgrund gem. § 3b AsylG handele. Die mangelnden Rechte im äthiopischen Staat seien vielmehr auf die durch den Antragsteller nicht erfolgte Registrierung im äthiopischen System zurückzuführen. Der Antragsteller sei auch kein subsidiär Schutzberechtigter. Die Würdigung aller Umstände führe nicht zu der Überzeugung, dass er die eritreische Staatsangehörigkeit tatsächlich besitze. Der Antragsteller habe keine Personaldokumente vorlegen können. Ihm sei es auch nicht möglich gewesen, entsprechende Nachweise über die eigene Geburt bzw. Taufe vorzulegen. Es sei schwer nachzuvollziehen, wie es dem Antragsteller gelungen sein soll, sich über Jahre hinweg ohne jegliche Personaldokumente in Äthiopien aufgehalten zu haben und dort sogar einer Beschäftigung nachgegangen zu sein. Es sei ihm außerdem nicht möglich gewesen, Nachweise über die Herkunft seiner Eltern aus Eritrea vorzulegen. Ein weiteres Anzeichen gegen die Glaubhaftigkeit des Sachvortrags des Antragstellers sei, dass er nur Amharisch, aber kein Tigrinya spreche, obwohl er sich auf die Volkszugehörigkeit der Tigrinya berufe. Dies sei vor dem Hintergrund, dass seine Mutter angeblich aus Eritrea stamme und dort als Amtssprache Tigrinya gesprochen werde und er mit seiner Mutter zusammengelebt habe, nicht nachvollziehbar. Zudem sei es aufgrund fehlender Nachweise nicht glaubhaft, dass der Antragsteller den Namen seines äthiopischen Stiefvaters angenommen habe. Vielmehr unterstreiche diese Tatsache die Vermutung, dass der Antragsteller nicht aus Eritrea stamme. Ein offensichtlicher Widerspruch ergebe sich außerdem aus dem Sachvortrag, dass der Antragsteller zunächst angegeben habe, bis zur 10. Klasse die Schule besucht und als Aushilfe in einem Lebensmittelgeschäft gearbeitet zu haben, später jedoch ausreisebegründend vorgetragen habe, dass er in Äthiopien nicht die Schule habe besuchen oder arbeiten können. Dieser Widerspruch habe aufgrund der fehlenden Mitwirkung des Antragstellers und seines Desinteresses im Rahmen der Anhörung nicht aufgeklärt werden können. Ferner sei nicht nachvollziehbar, dass sich der Antragsteller trotz der angeblichen mit Vollendung seiner Volljährigkeit eintretenden Probleme über Jahre hinweg weiterhin in Äthiopien aufgehalten und nicht versucht habe, äthiopische Personaldokumente zu erlangen, die einen offiziellen Aufenthalt in Äthiopien ermöglicht hätten, obwohl er hierzu nach dem Tod seines Stiefvaters insgesamt acht Jahre Zeit gehabt hätte. Aufgrund der ungeklärten Staatsangehörigkeit müsse die Furcht vor Verfolgung und die Gefahr eines drohenden Schadens als nicht glaubhaft dargelegt angesehen werden. Ein unbegründeter Asylantrag sei als offensichtlich unbegründet abzulehnen, wenn der Ausländer über seine Identität oder Staatsangehörigkeit täusche oder diese Angaben verweigere. Ein Abschiebungsverbot könne lediglich dann festgestellt werden, wenn im Zielstaat der Abschiebung die drohenden Gefahren bestünden. Der Antragsteller habe keine glaubhaften Angaben zu seinem Herkunftsland gemacht. Aufgrund dessen komme eine Abschiebung in das angebliche Herkunftsland Eritrea nicht in Betracht. Hinsichtlich anderer Staaten habe der Antragsteller keine Gründe für die Annahme drohender Gefahren geltend gemacht. Dem Antragsteller sei die Abschiebung in den Herkunftsstaat anzudrohen gewesen, da aufgrund ungeklärter Staatsangehörigkeit keine konkrete Benennung des Ziellandes erfolgen könne. Die Abschiebungsandrohung enthalte daher nur einen unverbindlichen Hinweis. Vor Vollzug der Abschiebung sei der Zielstaat konkret zu bezeichnen. Anhaltspunkte für eine kürzere Fristsetzung seien weder vorgetragen worden noch ersichtlich. Der Antragsteller verfüge über keine wesentlichen Bindungen im Bundesgebiet.
Mit Schriftsatz seiner Bevollmächtigten vom … September 2016, bei Gericht am selben Tag eingegangen, hat der Antragsteller Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht München erhoben und beantragt, den Bescheid der Antragsgegnerin vom 20. September 2016 aufzuheben und festzustellen, dass der Antragsteller asylberechtigt ist und die Flüchtlingseigenschaft, der subsidiäre Schutzstatus und Abschiebungshindernisse gem. § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG bei ihm vorliegen.
Gleichzeitig hat er beantragt,
die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen bzw. wiederherzustellen.
Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, der Antragsteller sei eritreischer Staatsangehöriger. Er habe zwar in Äthiopien gelebt, dennoch nicht die äthiopische Staatsangehörigkeit angenommen. Eine Abschiebung nach Eritrea komme aus den bereits bekannten Umständen nicht in Betracht. Eine Abschiebung nach Äthiopien sei nicht möglich, da er Eritreer sei. Daher könne der Bescheid keinen Bestand haben. Er verletze den Antragsteller in seinen Rechten.
Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichts- und der vorgelegten Behördenakten verwiesen.
II.
Der Antrag ist mangels Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig.
Mit dem Begriff des Rechtsschutzbedürfnisses wird zum Ausdruck gebracht, dass nur derjenige, der mit dem von ihm angestrengten gerichtlichen Rechtsschutzverfahren ein rechtsschutzwürdiges Interesse verfolgt, einen Anspruch auf eine gerichtliche Sachentscheidung hat und beim Fehlen eines solchen Interesses das prozessuale Begehren als unzulässig abgewiesen werden muss (Kopp/Schenke, VwGO, 20. Aufl. 2014, vor § 40 Rn. 30).
Für den vorliegenden Antrag, der sich gegen die sofortige Vollziehung der Abschiebungsandrohung richtet (§ 36 Abs. 3 Asylgesetz -AsylG-) besteht kein Rechtsschutzbedürfnis, weil er dem Antragsteller keinen rechtlichen oder tatsächlichen Vorteil bringen kann (VG Augsburg, B.v. 30.6.2011 – Au 6 S. 11.30199 – juris).
Im Bescheid der Antragsgegnerin vom 20. September 2016 wurde lediglich eine Abschiebung in den Herkunftsstaat angedroht. Aufgrund einer Abschiebungsandrohung in den Herkunftsstaat können Vollstreckungsmaßnahmen nicht durchgeführt werden. Der Antragsteller bedarf daher keiner gerichtlichen Entscheidung, durch die er vor Abschiebungsmaßnahmen geschützt werden würde.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes (U.v. 25.7.2000 – 9 C 42/99 – juris) besitzt eine Abschiebungsandrohung mit der Angabe des Herkunftsstaates als Zielstaat keinen Regelungscharakter, sondern stellt lediglich einen vorläufigen unverbindlichen Hinweis dar, aus dem sich keine Rechtsfolgen ergeben. Dieser Hinweis, mit dem nicht mehr erreicht werden kann als mit dem allgemeinen Hinweis auf andere aufnahmebereite Staaten, soll dem Ausländer lediglich klar machen, dass er ohne erneute Abschiebungsandrohung in einen später noch zu benennenden Staat abgeschoben werden kann. Vor einer Durchführung der Abschiebung muss der konkrete Zielstaat so rechtzeitig bekannt gegeben werden, dass der Ausländer gerichtlichen Rechtsschutz in Anspruch nehmen kann. Solange ein Zielstaat nicht feststeht, kann eine Abschiebung schon aus tatsächlichen Gründen nicht vorgenommen werden. Dementsprechend kann auch ein Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO zulässigerweise erst dann gestellt werden, wenn dem ausreisepflichtigen Ausländer die Abschiebung im Hinblick auf ein konkretes Ziel angedroht worden ist; dies ist beim Antragsteller noch nicht der Fall.
Im Hinblick darauf kann die Tatsache, dass im Rahmen des gem. § 36 AsylG gestellten Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO auch zu prüfen ist, ob die Ablehnung des Asylantrages als offensichtlich unbegründet durch das Bundesamt rechtmäßig war, kein aktuelles rechtliches Interesse des Antragstellers an einer Entscheidung des Gerichtes begründen, da es ausreichend ist, wenn der Antragsteller nach der Konkretisierung des Zielstaates Gelegenheit erhält, seine rechtlichen Interessen wahrzunehmen und die Entscheidung des Bundesamtes in ihrer Gesamtheit einer Richtigkeitskontrolle zu unterziehen.
Auch bezüglich seines Aufenthaltsstatus droht dem Antragsteller keine Verschlechterung seiner Rechtsposition. Nach § 67 Abs. 1 Nr. 4 AsylG erlischt zwar die Aufenthaltsgestattung unter anderem, wenn eine nach dem Asylgesetz erlassene Abschiebungsandrohung vollziehbar geworden ist. Im Falle eines rechtzeitigen Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO tritt die Vollziehbarkeit nach der gerichtlichen Entscheidung ein (§ 36 Abs. 3 Satz 8 AsylG). Da aber die Abschiebungsandrohung in den Herkunftsstaat lediglich einen unverbindlichen Hinweis ohne Regelungscharakter darstellt und damit eine tatsächlich vollziehbare Abschiebungsandrohung nicht vorliegt, kann im Ergebnis auch nicht von einem Erlöschen der Aufenthaltsgestattung gemäß § 67 Abs. 1 Nr. 4 AsylG ausgegangen werden.
Der Antrag war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).

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