Aktenzeichen M 12 S 17.1392, M 12 K 17. 1351
Leitsatz
Einem Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis mittels einstweiliger Anordnung fehlt das Rechtsschutzbedürfnis, wenn der Antragsteller nicht zuvor bei der zuständigen Behörde einen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gestellt hat. (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf EUR 2.500,- festgesetzt.
IV. Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe wird für dieses Verfahren und für das Hauptsacheverfahren (M 12 K 17.1351) abgelehnt.
Gründe
I.
Der Antragsteller ist nach eigenen Angaben ein am … geborener eritreischer Staatsangehöriger. Er reiste – wieder nach eigenen Angaben – am 13. September 2014 ins Bundesgebiet ein und stellte am 21. Oktober 2014 einen Asylantrag.
Auf das Übernahmeersuchen des Bundesamtes vom 24. November 2014 hat das italienische Innenministerium mit Schreiben vom 20. Januar 2015 die Rückübernahme im Rahmen der Dublin – VO abgelehnt und mitgeteilt, dass dem Antragsteller in Italien Flüchtlingsschutz zuerkannt wurde.
Mit Bescheid vom 8. Mai 2015 lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge den Asylantrag des Antragstellers als unzulässig ab und ordnete die Abschiebung nach Italien an. Die dagegen gerichtete Klage wurde vom Verwaltungsgericht München (Az.: M 12 K 15.30951) mit Urteil vom 10. August 2015 abgewiesen.
Am 23. März 2017 wurde dem Antragsteller eine Grenzübertrittsbescheinigung bis 23. April 2017 erteilt, welche bis 31. Juli 2017 verlängert wurde.
Mit Schreiben vom … März 2017, eingegangen bei Gericht am selben Tag, erhob der Antragsteller Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht München (Az.: M 12 K 17.1351) und beantragte die Gestattung des Aufenthalts unter allen rechtlichen Gesichtspunkten, insbesondere §§ 7 Abs. 1 Satz 3, 25 ff. AufenthG aus humanitären Gründen.
Gleichzeitig hat er beantragt,
die Vollziehung der Abschiebung gemäß § 80 ff. VwGO auszusetzen.
Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass der Anwalt des Antragstellers, ohne mit diesem Rücksprache zu halten, eine Klage und ein Eilverfahren 2015 eingereicht und verloren habe. Zudem habe er dessen Asylantrag zurückgenommen. Von allem diesem habe er keine Kenntnis gehabt. Er sei seit zweieinhalb Jahren in Deutschland, gehe hier eineinhalb Jahre zur Schule. Seine Lehrerin sei sehr zufrieden mit seinen Fortschritten und er habe sich gut in Deutschland eingelebt. Aufgrund seiner Vorgeschichte bedeute es für ihn eine außergewöhnliche Härte, wenn er das Bundesgebiet verlassen müsse. Er müsse zurück in das Land, das ihn mit seiner traumatischen Erfahrung im Stich gelassen habe. Nach dem Schiffsunglück in Lampedusa habe man ihn einfach ausgesetzt, er habe Schutz gebraucht und eine Strafanzeige als „illegal Eingereister“ bekommen. Bei seiner Anhörung sei außer Acht geblieben, dass er in Eritrea gefoltert worden, Opfer von Menschenhandel in Libyen gewesen und Überlebender einer Schiffskatastrophe gewesen sei. Er habe in Italien nicht wissentlich einen Asylantrag gestellt. In Italien müsse er sich vom Betteln ernähren. Dies sei unwürdig und menschenverachtend. Dort habe er weder die Sprache, noch die Verwandten, Freunde oder ein ähnliches soziales Netzwerk, sondern sei komplett auf sich alleine gestellt. Er wolle in Deutschland bleiben, die Schule fertig und eine Ausbildung machen und später arbeiten.
Mit Schreiben vom 13. April 2017 hat der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass für eine eigene Entscheidungskompetenz der Ausländerbehörde kein Raum verbleibe, da es sich um eine Abschiebungsanordnung handele, bei der das Bundesamt sowohl zielstaatsbezogene als auch inlandsbezogene Abschiebungshindernisse prüfe. Es liege auch kein Ausnahmefall für den Antragsteller vor, diesem sei in Italien die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt worden. Seine Aufenthaltspapiere seien bis 23. Mai 2019 gültig. Auch werde in Italien nicht nach ihm gefahndet. Eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung sei in Italien ebenfalls nicht zu befürchten. Es lägen auch keine sonstigen allgemeinen humanitären Gründe vor, die einer Rückführung des Antragstellers nach Italien zwingend entgegenstünden. Die nach wie vor vorhandenen Defizite bei der Unterbringung und der gesundheitlichen Versorgung auch von Schutzberechtigten reichten nicht dafür aus, dass Italien nicht mehr als sicherer Drittstaat anzusehen sei. Generell reiche die drohende Zurückweisung in ein Land, in dem die eigene wirtschaftliche Situation schlechter als in dem ausweisenden Vertragsstaat sei, nicht aus, die Schwelle einer unmenschlichen Behandlung zu überschreiten. Der Antragsteller müsse sich nach alledem auf die in Italien für alle italienischen Staatsangehörigen geltenden Versorgungsstandards verweisen lassen, auch wenn diese dem Niveau der Bundesrepublik nicht entsprechen mögen. Die vom Antragsteller geltend gemachten Integrationsbemühungen in Form des Besuches einer vorbereitenden Berufsschulklasse mit Alphabetisierung stellten keinen solchen beachtlichen Grund dar. Inlandsbezogene Vollstreckungshindernisse seien nach Überzeugung des Antragsgegners nicht gegeben. Ein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach den Bestimmungen des Abschnittes 6 des Aufenthaltsgesetzes lägen beim Antragsteller nicht vor. Er sei weder verheiratet noch hielten sich weitere Familienmitglieder im Bundesgebiet auf, von welchen ein möglicher Anspruch abzuleiten wäre. Er gehe weder einer qualifizierten Berufstätigkeit nach noch durchlaufe er derzeit eine qualifizierte Ausbildung oder ein Studium. Auf ein besonderes Aufenthaltsrecht nach Abschnitt 7 des Aufenthaltsgesetzes könne er sich zudem nicht berufen. Zudem würden die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen nach § 5 AufenthG entgegenstehen, da der Antragsteller weder über geeignete eritreische Identitätsnachweise verfüge noch seinen Lebensunterhalt eigenständig bestreiten könne. Der Antragsteller lebe nach wie vor in einer staatlichen dezentralen Asylunterkunft, ferner sei er nicht mit dem entsprechenden Visum in die Bundesrepublik Deutschland eingereist. Weiter stehe zudem § 10 Abs. 3 Satz 1 AufenthG entgegen. Auch die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach Maßgabe des Abschnitts 5 des Aufenthaltsgesetzes sei nicht möglich. Der Antragsteller sei nicht Opfer von Menschenhandel, Zwangsprostitution oder Zwangsarbeit geworden, so dass er sich nicht auf § 25 Abs. 4a AufenthG und § 25 Abs. 4b AufenthG berufen könne. Auch die Voraussetzungen des § 25 Abs. 5 AufenthG seien nicht gegeben, da die Ausreise des Antragstellers weder aus rechtlichen noch aus tatsächlichen Gründen unmöglich sei. Die Integrationsbemühungen des Antragstellers seien lobenswert und verdienten Anerkennung, der Antragsteller könne sich jedoch dadurch nicht auf die Bestimmungen des § 25a AufenthG berufen. Von einem gut integrierten Jugendlichen im Sinne des § 25a Abs. 1 Satz 1 AufenthG sei beim Antragsteller nicht auszugehen. Für § 25b AufenthG fehle es beim Antragsteller an einem ununterbrochenen achtjährigen Aufenthalt. Da der Antragsteller einen Daueraufenthalt anstrebe, scheide § 25 Abs. 4 AufenthG aus. Zudem sei dieser auf vollziehbar ausreisepflichtige Ausländer nicht anwendbar. Die Abschiebung sei nicht gemäß § 60a Abs. 2 AufenthG auszusetzen, das Asylverfahren des Antragstellers sei rechtskräftig abgelehnt, die Anordnung der Abschiebung vollziehbar. Eine Duldung gemäß § 60 Abs. 2 Satz 3 AufenthG scheide schon tatbestandsmäßig aus, da der Antragsteller einen Daueraufenthalt anstrebe. Zudem seien weder dringende persönliche Gründe noch ein erhebliches öffentliches Interesse erkennbar. Die erteilte Grenzübertrittsbescheinigung sei weder ein Aufenthaltstitel noch eine Duldung und ersetze auch keine Duldung.
Mit Schreiben vom … Mai 2017 hat der Antragsteller beantragt,
ihm Prozesskostenhilfe zu gewähren.
Ergänzend wurde ausgeführt, dass der Antragsteller Angst vor der Willkür der italienischen Regierung und deren Brutalität habe. Die erfahrene Behandlung komme seinem Heimatland Eritrea gleich. Man habe ihm die Fingerabdrücke mit Gewalt abgenommen. Danach sei er für neun Monate in das Camp mit unhygienischen Lebensbedingungen und ständiger Polizeiüberwachung gekommen. Es sei genauso schlimm wie in Libyen gewesen. Sein Pass sei zwar bis 2019 gültig, dies heiße aber noch nicht, dass er verlängert werde. Er habe in Italien niemals willentlich Asyl beantragt. Dem Schreiben liegt ein vorläufiger Arztbericht der …-Klinik vom 11. April 2017 bei, nach dem beim Antragsteller eine schwere depressive Episode ohne psychotische Symptome diagnostiziert wird.
II.
1. Der Antrag ist auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 123 VwGO unzulässig.
Soweit der Antrag des Antragstellers ist gemäß § 88 VwGO dahingehend auszulegen ist, dass er begehrt, den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihm eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen, ist der Antrag bereits unzulässig, da dem Antragsteller das hierfür erforderliche Rechtsschutzbedürfnis fehlt. Das ist insbesondere der Fall, wenn er sein Begehren auf anderem Wege schneller und leichter durchsetzen kann. Der Antragsteller hat beim Antragsgegner keinen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gestellt. Es liegt kein abgelehnter Verwaltungsakt vor, durch den der Antragsteller beschwert sein könnte, § 42 Abs. 2 VwGO.
Soweit der Antrag des Antragstellers gemäß § 88 VwGO dahingehend auszulegen ist, dass dieser im Wege der einstweiligen Anordnung gemäß § 123 VwGO eine Duldung begehrt, ist der Antrag ebenfalls unzulässig.
Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hat den Asylantrag des Antragstellers mit Bescheid vom 8. Mai 2015 als unzulässig abgelehnt und gemäß § 34a Abs. 1 AsylG seine Abschiebung nach Italien angeordnet.
Nach höchstrichterlich bestätigter Rechtsprechung ist es im Rahmen des Verfahrens auf Erlass einer Abschiebungsanordnung gemäß § 34a Abs. 1 AsylG mit Blick auf den Wortlaut dieser Vorschrift allein Aufgabe des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge zu prüfen, ob „feststeht“, dass die Abschiebung durchgeführt werden kann. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hat damit sowohl zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse als auch der Abschiebung entgegenstehende inlandsbezogene Vollzugshindernisse zu prüfen, so dass daneben für eine eigene Entscheidungskompetenz der Ausländerbehörde zur Erteilung einer Duldung nach § 60a Abs. 2 AufenthG kein Raum verbleibt. Dies gilt nicht nur hinsichtlich bereits bei Erlass der Abschiebungsanordnung vorliegender, sondern auch bei nachträglich auftretenden Abschiebungshindernissen und Duldungsgründen. Gegebenenfalls hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge die Abschiebungsanordnung aufzuheben oder die Ausländerbehörde anzuweisen, von deren Vollziehung abzusehen (vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschluss v. 17.9.2014 – 2 BvR 939/14 – juris Rn. 11, 12 m.w.N.).
Nachdem das Verwaltungsgericht München mit Urteil vom 10. August 2015 (Az.: M 12 K 15.30951) die Klage gegen den Bescheid des Bundesamtes vom 8. Mai 2015 abgewiesen hat, sind etwaige geänderte Umstände in einem Folgeantrag beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge nach § 71 AsylG geltend zu machen.
Zudem fehlt dem Antrag gemäß § 123 VwGO hinsichtlich einer Duldung das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis. Der Antragsteller hat bisher noch keinen Antrag beim Antragsgegner auf Erteilung einer Duldung gestellt. Er kann zulässigerweise vom Gericht keine Entscheidung über eine Sache verlangen, mit der die Verwaltungsbehörde zuvor nicht formell befasst war (vgl. BayVGH, Beschlüsse vom 6. 2. 1995 – 10 CS 94.3915; vom 21. 5. 1997 – 10 B 96.3003).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, die Streitwertfestsetzung aus §§ 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 2 GKG i.V.m. Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Fassung der am 30.5./1.6.2012 und am 18.7.2013 beschlossenen Änderungen.
2. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe hat sowohl für das Eilverfahren als auch für das Hauptsacheverfahren (M 12 K 17.1351) keinen Erfolg.
Gemäß § 166 VwGO i.V.m. §§ 114 ff. ZPO erhält auf Antrag diejenige Partei Prozesskostenhilfe, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.
Prozesskostenhilfe ist bereits dann zu gewähren, wenn nur hinreichende Erfolgsaussichten für den beabsichtigten Rechtsstreit bestehen. Eine überwiegende Wahrscheinlichkeit in dem Sinne, dass der Prozesserfolg schon gewiss sein muss, ist nicht erforderlich. Es genügt eine sich bei summarischer Prüfung ergebende Offenheit des Erfolgs.
Diese Voraussetzungen liegen nicht vor, da weder der Antrag nach § 123 VwGO noch die Klage hinreichende Erfolgsaussichten im Sinne von § 166 VwGO i.V.m. §§ 114 ff. ZPO haben. Der Antragsteller hat nach überschlägiger Prüfung keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis oder Duldung (§ 113 Abs. 5 VwGO). Auf vorstehende Erwägungen wird insofern Bezug genommen. Der streitgegenständliche Bescheid ist vielmehr rechtmäßig und verletzt den Antragsteller nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 VwGO.
Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe war daher sowohl für das Eilverfahren (M 12 S. 17.1392) als auch für das Hauptsacheverfahren (M 12 K 17.1351) abzulehnen.
Die Entscheidung im Prozesskostenhilfeverfahren ergeht gebührenfrei. Kosten des Antragsgegners werden nicht erstattet (§ 166 VwGO i.V.m. § 118 Abs. 1 Satz 4 ZPO).