Aktenzeichen S 13 AS 2844/16 ER
ZPO ZPO § 114
Leitsatz
Einem Eilverfahren fehlt das Rechtsschutzbedürfnis, wenn es sich nur gegen die Vorgehensweise eines Jobcenters bis zum Erlass eines Eingliederungsverwaltungsaktes richtet. (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Der Antrag vom 02.12.2016 auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs vom 01.12.2016 gegen den Eingliederungsverwaltungsakt vom 18.11.2016 wird abgelehnt.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.
Gründe
I.
Zwischen den Beteiligten ist die Rechtmäßigkeit eines Eingliederungsverwaltungsaktes (EVA) vom 18.11.2016 strittig.
Der 1978 geborene Antragsteller (ASt.) erhält vom Antragsgegner (Ag.) Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II). Mit Bescheid 13.05.2016 bewilligte der Ag. dem ASt. Leistungen für den Zeitraum 01.05.2016 bis 30.04.2017 in Höhe von monatlich 754,- EUR.
Im Rahmen einer persönlichen Vorsprache am 18.11.2016 wurde zwischen den Beteiligten keine einvernehmliche Eingliederungsvereinbarung abgeschlossen. Mit EVA vom 18.11.2016 regelte der Ag. für den Zeitraum 18.11.2016 bis 11.05.2017 die Unterstützungen des Ag. sowie die Bemühungen des ASt. Als Unterstützungsleistung fördert der Ag. die Teilnahme des ASt. an der Maßnahme „5M, Wiedereinstieg in den Beruf“ mit den Inhalten des Moduls 1 und Moduls 3. Beginn der Maßnahme sei der 21.11.2016, Ende der 28.02.2017. Die Übernahme in Modul 3 erfolge in Absprache zwischen dem Träger und dem zuständigen Arbeitsvermittler. Ferner regelte er die Unterbreitung von Vermittlungsvorschlägen, die Übernahme von Bewerbungs- und Fahrkosten sowie die Möglichkeit der Gewährung von Einstiegsgeld. Es werden weitergehend individuelle Beratungstermine und die Erstellung eines ärztlichen Gutachtens angeboten. Als Bemühungen des ASt. sieht der EVA vor, dass er an der Maßnahme „5M, Wiedereinstieg in den Beruf“ teilnehme. Ferner sollte der ASt. monatlich drei Bewerbungsbemühungen nachweisen und sich auf Vermittlungsvorschläge spätestens nach drei Tagen bewerben. Dem EVA ist eine Rechtsfolgenbelehrung beigefügt. Auf den EVA wird Bezug genommen (Blatt 18 f. der Verfahrensakte).
Mit Schreiben vom 01.12.2016 legte der Bevollmächtigte des ASt. gegen den EVA vom 18.11.2016 Widerspruch ein, über den bislang noch nicht entschieden ist.
Am 02.12.2016 hat der ASt. zur Niederschrift des Urkundsbeamten die Gewährung von einstweiligem Rechtsschutz beantragt. Zur Begründung trägt er vor, dass die Eingliederungsvereinbarung vom 18.11.2016 auf einem Gespräch mit der Sachbearbeiterin von fünf Minuten beruhe. Er weigere sich grundsätzlich nicht, eine Eingliederungsvereinbarung zu unterschreiben, wenn entsprechende Vorgespräche und erforderliche Ermittlungen durch den Ag. erfolgt seien und die Eingliederungsvereinbarung den gesetzlichen Bestimmungen entspräche. Mit Schriftsatz vom 16.12.2016 hat der Bevollmächtigte das Vorbringen des ASt. ergänzt und ausgeführt, dass der EVA offensichtlich rechtswidrig sei und daher das Interesse des ASt. überwiege, auf eine Dringlichkeit komme es nicht an. Der ASt. habe nicht die Erstellung eines EVA verlangt. Es sei keine Potenzialanalyse durchgeführt worden. Der Ag. habe auch im Vorfeld nie versucht, die nötigen Feststellungen zu ermitteln. Er habe auch stets die alte Rechtsgrundlage zitiert. Ferner liege ein Ermessensausfall vor. Es habe auch keine ausreichende Verhandlungsphase in Bezug auf den Abschluss einer Eingliederungsvereinbarung stattgefunden. Zudem sei dem Bestimmtheitserfordernis nicht genügt. Der EVA sei insgesamt rechtswidrig.
Der Antragsteller beantragt,
die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs, der am 01.12.2016 gegen den die Eingliederungsvereinbarung ersetzenden Verwaltungsakt vom 18.11.2016 eingelegt wurde, anzuordnen, sowie ihm für das Verfahren Prozesskostenhilfe zu bewilligen und seinen Bevollmächtigten beizuordnen.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz abzulehnen.
Dem ASt. sei am 18.11.2016 im Rahmen eines persönlichen Gesprächs die Maßnahme KIZ 5M Prowina vorgestellt und erläutert worden. Der ASt. habe der Zuweisung zu dieser Maßnahme zugestimmt. Es sei diese Maßnahme vorgeschlagen worden, weil sie eine längere intensive Betreuung im Bewerbungsprozess ermögliche und die Ursachen für andauernde Arbeitslosigkeit analysieren könne. Der ASt. habe sich an der Maßnahme sehr interessiert gezeigt und nehme daran teil. Aus Sicht des Ag. sei nicht klar, was der ASt. begehre. Für die Überprüfung des EVA sei der einstweilige Rechtsschutz nicht der richtige Rechtsbehelf.
Am 10.01.2017 hat der Bevollmächtigte ergänzende Unterlagen über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse eingereicht.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die im Verfahren gewechselten Schriftsätze, auf die Akte des Ag. sowie die Verfahrensakte Bezug genommen.
II.
Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs vom 01.12.2016 gegen den EVA vom 18.11.2016 ist unzulässig.
Statthafter Antrag im vorliegenden Fall ist der Antrag nach § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
In den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen, § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG.
Widerspruch und Anfechtungsklage gegen einen Verwaltungsakt, der Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende aufhebt, zurücknimmt, widerruft, die Pflichtverletzung und die Minderung des Auszahlungsanspruchs feststellt oder Leistungen zur Eingliederung in Arbeit oder Pflichten erwerbsfähiger Leistungsberechtigter bei der Eingliederung in Arbeit regelt, haben gemäß § 39 Nr. 1 SGB II kraft Gesetz keine aufschiebende Wirkung, § 86a Abs. 2 Nr. 4 SGG.
Der streitgegenständliche EVA vom 18.11.2016 regelt in der Form eines Verwaltungsaktes Leistungen zur Eingliederung in Arbeit sowie Pflichten erwerbsfähiger Leistungsberechtigter bei der Eingliederung in Arbeit, somit ist ein Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung nach § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG statthaft.
In der Sache folgt die Entscheidung nach § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG einer Interessenabwägung. Abzuwägen sind das private Interesse des Antragstellers, vom Vollzug des Verwaltungsaktes bis zum rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens verschont zu bleiben, und das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der behördlichen Entscheidung. Im Rahmen dieser Interessenabwägung sind die Erfolgsaussichten des Hauptsacherechtsbehelfs in die Betrachtung einzubeziehen d.h. die Prüfung der Rechtmäßigkeit des belastenden Verwaltungsaktes (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl. 2014, § 86b Rn. 12 e ff.).
Eine Entscheidung in der Sache ist nur dann vorzunehmen, wenn der an sich statthafte Antrag im Übrigen zulässig ist. Hierfür ist auch ein Rechtsschutzbedürfnis erforderlich. Für das Rechtsschutzbedürfnis ist darauf abzustellen, ob angesichts der besonderen Umstände des Falls ein Antrag zu Gericht nicht erforderlich ist, weil der Betreffende seine Rechte auf einfachere Weise verwirklichen kann, oder die Klage bzw. der Antrag aus anderen Gründen unnütz ist. Die Gerichte haben zwar die Aufgabe, den Bürgern und der Verwaltung zu ihrem Recht zu verhelfen, dies jedoch nur, soweit es notwendig ist. Es besteht der allgemeine Grundsatz, dass niemand die Gerichte unnütz oder gar unlauter in Anspruch nehmen oder ein gesetzlich vorgesehenes Verfahren zur Verfolgung zweckwidriger und insoweit nicht schutzwürdiger Ziele ausnutzen darf (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl. 2014, vor § 51 Rn. 16, § 54 Rn. 41a, vor § 60 Rn. 14). Vorliegend ist der ASt. zwar mit dem EVA aus verschiedenen vorgebrachten Argumenten nicht einverstanden. Der ASt. trägt hierzu selbst vor, dass der EVA auf einem Gespräch von fünf Minuten beruhe, sein Bevollmächtigter trägt weitere rechtliche Argumente vor. Nach dem Vorbringen des ASt. persönlich wendet er sich gegen die Vorgehensweise des Ag. bis zum Erlass des EVA. Dass er mit der Teilnahme an der Maßnahme „5M, Wiedereinstieg in den Beruf“ nicht einverstanden sei und sich daher gegen die diesbezügliche aktuelle Verpflichtung aus dem EVA wende, hat er nicht vorgetragen. Dies ist auch nach Vorbringen des Ag. und nach Aktenlage nicht anzunehmen. Der Ag. hat in der Antragserwiderung vorgetragen, dass der ASt. der Zuweisung zu der Maßnahme zugestimmt habe. Der ASt. habe sich an der Maßnahme sehr interessiert gezeigt und nehme daran teil. Der Verbis-Vermerk vom 18.11.2016 enthält diesen Vortrag bestätigende Angaben. Der ASt. oder sein Bevollmächtigter sind dem Vortrag des Ag. hierzu nicht entgegengetreten. Allein das Einvernehmen über den Erlass eines EVA wurde bestritten. Dies betrifft jedoch nur die Art, wie der ASt. zu der Maßnahme vermittelt wurde, nicht das Ergebnis der Vermittlung und der Teilnahme an der Maßnahme.
Insgesamt ist daher nicht zu erkennen, dass der ASt. sich gegen die Teilnahme an der Maßnahme wendet. Sein Rechtsschutzziel ist auf eine allgemeine rechtliche Prüfung der Rechtmäßigkeit des EVA gerichtet. Ein Rechtsschutzbedürfnis für eine solche Prüfung ist jedenfalls im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nicht anzuerkennen. Ob es in einem Hauptsacheverfahren besteht, ist vorliegend nicht zu entscheiden.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.
III.
Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe war abzulehnen, weil der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs vom 01.12.2016 keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat.
Nach § 73a Sozialgerichtsgesetz (SGG) i.V.m. §§ 114 Zivilprozessordnung (ZPO) erhält ein Beteiligter, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe (PKH), wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Ist eine Vertretung durch Rechtsanwälte – wie im sozialgerichtlichen Verfahren erster und zweiter Instanz – nicht vorgeschrieben, wird nach § 121 Abs. 2 Satz 1 ZPO der Partei auf ihren Antrag ein zur Vertretung bereiter Rechtsanwalt ihrer Wahl beigeordnet, wenn die Vertretung erforderlich erscheint oder der Gegner durch einen Rechtsanwalt vertreten ist.
An die Prüfung der Erfolgsaussichten dürfen keine überspannten Anforderungen gestellt werden (Bundesverfassungsgericht, Kammerbeschluss vom 30.10.1991, 1 BvR 1386/91, NJW 1992, 899). Eine Rechtsverfolgung ist dann hinreichend Erfolg versprechend, wenn das Gericht nach vorläufiger summarischer Prüfung den Rechtsstandpunkt des Antragstellers zumindest für vertretbar hält. Eine Vorwegnahme der Entscheidung der Hauptsache erfolgt im Rahmen der Prüfung der Erfolgswahrscheinlichkeit im Prozesskostenhilfeverfahren nicht.
Ausgehend von diesen Grundsätzen ist der Antrag aus den unter II. dargelegten Gründen nicht hinreichend Erfolg versprechend nach § 73a SGG i.V.m. § 114 Satz 1 ZPO, weil er unzulässig ist.