Verwaltungsrecht

Fehlendes Rechtsschutzinteresse bei Unerreichbarkeit des Klägers

Aktenzeichen  B 6 K 19.717

Datum:
30.9.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 40898
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG § 11 Abs. 1, Abs. 3 S. 1, S. 4, Abs. 5 S. 1, § 14 Abs. 1 Nr. 2, Nr. 3, § 25 Abs. 1 S. 2, Abs. 2 S. 2, § 53 Abs. 1, Abs. 2, Abs. 3a, § 54 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 1b, § 95 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 Nr. 1

 

Leitsatz

1. Ist ein Kläger während seines Verfahrens untergetaucht, bestehen Zweifel an seinem Rechtsschutzinteresse, sodass dem Kläger das Rechtsschutzbedürfnis fehlen kann. (Rn. 45 – 49) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Ausweisung eines anerkannten Asylberechtigten erfordert, dass er durch die Verwirklichung mittlerer oder schwerer Kriminalität einer Gefahr für die Allgemeinheit darstellt. (Rn. 51 – 70) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1.    Die Klage wird abgewiesen.
2.    Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
3.    Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger darf die Vollstreckung durch die Beklagte durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 v.H. des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 v.H. des zu vollstreckenden Betrages leistet. 

Gründe

Die Klage, die darauf gerichtet ist, dass der Bescheid der Beklagten vom 11.07.2019 aufgehoben und die Beklagte verpflichtet wird, dem Kläger wieder eine Aufenthaltserlaubnis gem. § 25 Abs. 2 Satz 1 AufenthG zu erteilen, wird in vollem Umfang abgewiesen.
Offen kann bleiben, ob die Klage zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts zulässig ist (nachfolgend I.). Denn die Klage ist jedenfalls unbegründet (nachfolgend II).
I) Offengelassen werden kann, ob die Klage zum Zeitpunkt ihrer Entscheidung zulässig ist.
Einen Anspruch auf eine gerichtliche Sachentscheidung hat nur, wer mit dem angestrengten Rechtsschutzverfahren ein schutzwürdiges Interesse verfolgt. Fehlt es daran, weil das Verhalten eines rechtsschutzsuchenden Verfahrensbeteiligten Anlass zu der Annahme bietet, dass ihm an der Sachentscheidung des Gerichts nicht mehr gelegen ist, ist das prozessuale Begehren als unzulässig abzuweisen (BayVGH, B. v. 26.01.2016 – 10 CE 15.2640 – juris Rn. 20).
Für den Wegfall des Rechtsschutzinteresses mit der weitreichenden Folge einer Klageabweisung als unzulässig spricht, wenn sich daraus, dass ein klagender Ausländer beharrlich seinen Aufenthaltsort verschweigt und deshalb für die Ausländerbehörde, das Gericht und seinen Prozessbevollmächtigten über längere Zeit nicht mehr erreichbar ist, der sichere Schluss ziehen lässt, dass ihm in Wahrheit an einer Sachentscheidung des Gerichts nicht mehr gelegen ist (Marx in: Marx, AufenthaltsAsyl- und Flüchtlingsrecht, 7. Aufl. 2020, § 9 Rn. 125f. m. w. N. zur vergleichbaren Klageerhebung im Asylverfahren).
Legt man diese Maßstäbe an, ist zweifelhaft, ob weiterhin ein Rechtsschutzbedürfnis für die Klage besteht.
Es spricht zwar alles dafür, dass der Kläger – was sein gutes Recht wäre – nicht deshalb der mündlichen Verhandlung ferngeblieben ist, weil er die Ladung zwar erhalten hatte, aber überzeugt davon war, seine Prozessbevollmächtigte vertrete seine Rechtssache vor Gericht ausreichend oder besser als er selbst (zu diesem Argument vgl. BVerwG, U. v. 18.10.1983 – 9 C 1036/82 – juris Rn. 10). Vielmehr hat seine Prozessbevollmächtigte in der mündlichen Verhandlung glaubhaft dargetan, seit die Ladung am 04.09.2020 in ihrer Kanzlei eingegangen sei, habe sie das Schriftstück an die Meldeadresse des Klägers in W* … gesandt und darüber hinaus vergeblich versucht, den Kläger unter zwei ihr bekannten Adressen in H** sowie per Telefon und E-Mail zu erreichen, und gehe deshalb davon aus, dass der Kläger die Ladung nicht erhalten habe.
Allein aus diesen Umständen, die dem Gericht erst in der mündlichen Verhandlung bekannt geworden sind, den Schluss zu ziehen, der Kläger habe kein Interesse mehr daran, dass das das Gericht über die Klage sachlich entscheide, erscheint dem Gericht jedoch jedenfalls nicht zwingend.
Der Kläger ist nicht bereits seit längerem unbekannten Aufenthalts, sondern war vor zwei, drei Monaten für seine Prozessbevollmächtigte noch zu sprechen. Ob er anschließend bis 04.09.2020 zu erreichen war oder nicht, war insbesondere auch seiner Klagebevollmächtigten nicht bekannt. Außerdem wurde der Kläger nach Kenntnis des Gerichts aktuell nicht, anders als im Jahr 2019, von der Unterkunftsleitung wegen Untertauchens abgemeldet. Darüber hinaus hat der Kläger gegenüber seiner Prozessbevollmächtigten zwar erklärt, er verstehe nicht, warum er ausgewiesen worden sei, wenn er doch als anerkannter syrischer Flüchtling nicht nach Syrien abgeschoben werden dürfe. Es ginge aber zu weit, daraus zu folgern, er habe kein Interesse daran, gegen die Ausweisung vorzugehen. Vielmehr hat er dieses Argument ausdrücklich dazu verwenden lassen, um die Klage mit Schriftsatz vom 20.07.2020 zu begründen.
II) Ist damit zweifelhaft, ob für die Klage ein Rechtsschutzbedürfnis besteht und bedürfte es einer eingehenden Prüfung, ob diese Zulässigkeitsvoraussetzung vorliegt, kann ausnahmsweise vom Grundsatz des Vorrangs der Zulässigkeitsvoraussetzungen abgewichen werden und die Zulässigkeit der Klage offengelassen werden, wenn es einfacher ist, die Klage als unbegründet abzuweisen (BVerwG, B. v. 14.12.2018 – 6 B 133/18 – NVwZ 2019, 649 Rn. 21 unter Verweis auf BVerwG, B. v. 11.11.1991 – 4 B 190/91 – juris Rn. 6). Dies ist hier der Fall, weil sich die Klage, was die beiden Hauptanträge und den Hilfsantrag angeht, jedenfalls als unbegründet erweist.
1. Die Klage ist unbegründet, soweit der Kläger die Aufhebung des Bescheides vom 11.07.2019 begehrt.
a) Die Beklagte, die den Bescheid erlassen hat, als der Kläger nach seiner Haftentlassung am 08.07.2019 seinen gewöhnlichen Aufenthalt in ihrem Zuständigkeitsbereich hatte, bleibt auch nach der Wohnsitzzuweisung nach W* … (Landkreis L* …*) ab 01.08.2019 für die Anfechtungsklage passivlegitimiert (Winkelmann/Kolber in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 13. Aufl. 2020, § 71 AufenthG, Rn. 9 m. w. N.).
b) Die Ausweisungsverfügung (Ziff. 1) ist rechtmäßig und verletzt den Kläger deshalb nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 AufenthG).
aa) Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung der Ausweisung ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung des Gerichts am 30.09.2020.
bb) Gemäß § 53 Abs. 1 AufenthG wird ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährdet, ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt. § 53 Abs. 3a AufenthG schreibt vor, dass ein Ausländer, der im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings genießt, nur ausgewiesen werden darf, wenn er eine Gefahr für die Allgemeinheit darstellt, weil er wegen einer schweren Straftat rechtskräftig verurteilt wurde.
Während § 53 Abs. 3a AufenthG den Grundtatbestand ergänzt, indem er erhöhte Ausweisungsvoraussetzungen für bestimmte rechtlich privilegierte Personengruppen festlegt, konkretisieren §§ 54 und 55 AufenthG den in § 53 Abs. 1 AufenthG geregelten Grundtatbestand, indem sie, nicht abschließend, einzelnen in die Abwägung einzustellenden Ausweisung- und Bleibeinteressen von vornherein ein spezifisches, bei der Abwägung zu berücksichtigendes Gewicht beimessen, jeweils qualifiziert als entweder „besonders schwerwiegend „(Abs. 1) oder als „schwerwiegend“ (Abs. 2). Auch wenn der Tatbestand eines besonderen Ausweisungsinteresses nach § 54 AufenthG verwirklicht und damit ein Rückgriff auf das allgemeine Ausweisungsinteresse entbehrlich ist, ist stets festzustellen, ob die von dem Ausländer ausgehende Gefahr im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt der mündlichen Verhandlung fortbesteht.
Bei der Abwägung zwischen den Ausweisungs- und den Bleibeinteressen, einer gebundenen und deshalb gerichtlich voll überprüfbaren Entscheidung auf der Tatbestandsseite, sind die in § 53 Abs. 2 AufenthG ebenfalls nicht abschließend aufgezählten Umstände und das Ausweisungsbzw. Bleibeinteresse gemäß § 54 und § 55 AufenthG nach ihrem spezifischen Gewicht zu berücksichtigen (zu alledem grundlegend BVerwG U. v. 22.02.2017 – 1 C 3/16 – BVerwGE 157, 325 = NVwZ 2017, 1883, jew. Rn. 20-26).
aaa) Das Landgericht H** hat den Kläger mit dem rechtskräftigen, noch nicht aus dem Bundeszentralregister gelöschten Urteil vom 12.11.2018 gestützt auf § 29a Abs. 1 Nr.2 Betäubungsmittelgesetz (BtMG), § 29 Abs. 2 BtMG zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten wegen Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Höhe verurteilt. Diese strafrechtliche Sanktion hat die Beklagte zum Anlass für die Ausweisung genommen.
bbb) Mit dieser Verurteilung hat der Kläger in zweifacher Hinsicht ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse verwirklicht. Zum einen wurde er damit wegen mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt (§ 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG), zum anderen wurde gegen ihn wegen mehrerer Straftaten nach dem BtMG eine Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verhängt (§ 54 Abs. 1 Nr. 1b AufenthG). Die Aussetzung der Vollstreckung des Strafrestes nach Vollstreckung von 2/3 der verhängten Gesamtfreiheitsstrafe gemäß § 57 StGB mit Beschluss des Landgerichtes H** vom 28.05.2019 führte nicht dazu, dass die Ausweisungstatbestände nachträglich als nicht verwirklicht anzusehen sind (Bauer in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 13. Aufl. 2020, § 54 AufenthG Rn. 14).
ccc) Eine Ausweisung des Klägers, obwohl er ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse verwirklicht hat, ist nicht deshalb unzulässig, weil er wegen seiner Rechtsstellung als ausländischer Flüchtling einer der Ausweisung entgegenstehenden Schutz genießt.
Ein Ausländer, der in der Bundesrepublik die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings genießt, darf nur ausgewiesen werden, wenn er eine Gefahr für die Allgemeinheit darstellt, weil er wegen einer schweren Straftat rechtskräftig verurteilt wurde (§ 53 Abs. 3a AufenthG).
aaaa) Als schwere Straftat, wegen der der Ausländer verurteilt sein muss, sind in der Regel Fälle mittlerer und schwerer Kriminalität anzusehen, nicht dagegen Ordnungswidrigkeiten und Übertretungen, Bagatellkriminalität oder ganz allgemein minder bedeutsame Verstöße gegen Strafgesetze. Zu berücksichtigen sind dabei insbesondere auch die Art, Schwere und Häufigkeit der Straftaten (BVerwG, U. v. 17.01.1989 – 1 C 46/86 – BVerwGE 81, 155/160f. = NVwZ 1989, 770/771 zum insoweit vergleichbaren Begriff der schwerwiegenden Gründe in § 11 Abs. 2 AuslG 1965; für die Anwendung dieser Grundsätze auch auf die aktuelle Rechtslage Marx, Aufenthalts-, Asyl- und Flüchtlingsrecht, 7. Aufl. 2020, § 7 Rn. 191).
Liegen Betäubungsmitteldelikte vor, ist davon auszugehen, dass Gefahren, die vom gewerbsmäßigen Handel mit Betäubungsmitteln ausgehen, schwerwiegend sind und ein Grundinteresse der Gesellschaft berühren. Insbesondere nehmen die betroffenen Schutzgüter der Gesundheit und des Lebens der Bürger in der Hierarchie der in den Grundrechten enthaltenen Wertordnung einen hohen Rang ein (BVerwG, U. v. 13.12.2012 – 1 C 20.11 – InfAuslR 2013, 169 Rn.19). Deshalb stellt die Beteiligung am illegalen Rauschgifthandel ein besonders gefährliches und darüber hinaus auch schwer zu bekämpfendes Delikt dar (BVerwG, B. v. 10.02.1995 – 1 B 221/94 – InfAuslR 1995, 273). Im Übrigen zählt der illegale Drogenhandel zu den Straftaten, die in Art. 83 Abs. 1 UAbs. 2 Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) als Bereiche besonders schwerer Kriminalität genannt werden. Sie können als schwere Beeinträchtigung eines grundlegenden gesellschaftlichen Interesses angesehen werden und die Ausweisung von Personen rechtfertigen, die entsprechende Straftaten begangen haben (BVerwG, U. v. 13.12.2012 – 1 C 20.11 – a.a.O.).
Unter Berücksichtigung dieser Vorgaben sind die Delikte, die zur rechtskräftigen Verurteilung des Klägers geführt haben, als schwere Straftaten zu bewerten. Dafür spricht, dass sich der Kläger am illegalen Drogenhandel beteiligt hat. Hinzukommt, dass der Kläger sich nicht auf diese Weise Rauschgift beschaffen wollte, um seine eigene Drogensucht zu befriedigen, sondern in der Absicht, Gewinn zu erzielen. Weiter ist zu berücksichtigen, dass der Kläger zusammen mit seinen ebenfalls aus Syrien stammenden Mitangeklagten, wenn auch nur als Gehilfe, ein Drogennetzwerk aufgebaut hat. Außerdem fällt ins Gewicht, dass er die vier abgeurteilten Tathandlungen binnen eines Monats von Ende November bis Ende Dezember 2017 beging, und nur durch die Festnahme gehindert wurde, weitere Delikte zu verüben. Der Bewertung der Delikte als schwere Straftaten steht schließlich nicht entgegen, dass das Strafgericht einen minder schweren Fall angenommen hat. Denn zu dieser Einschätzung ist das Strafgericht nach eigenen Angaben nur deshalb gelangt, weil es den Tatbeitrag des Klägers als Beihilfe einstufte und zugleich seine Aufklärungshilfe gem. § 31 BtMG strafmildernd berücksichtigte.
bbbb) Darüber hinaus müssen, über den Wortlaut von § 53 Abs. 3a AufenthG hinaus, auch Anhaltspunkte dafür bestehen, dass vom Kläger ernsthaft erneut eine Straftat zu befürchten ist, die ein ähnliches Gewicht wie das der Ausweisung zugrundeliegende Delikt hat, und damit eine bedeutsame Gefahr für ein wichtiges Schutzgut droht. Deshalb entfällt der Ausweisungsschutz nicht schon dann, wenn lediglich eine entfernte Möglichkeit besteht, dass der Ausländer seine bisherigen Straftaten wiederholt (BVerwG, U. v. 17.01.1989 – 1 C 46/86 – BVerwGE 81,155/160f. = NVwZ 1989, 770/771).
Bei der Prognose, ob eine Wiederholung vergleichbarer Straftaten ernsthaft droht, sind die besonderen Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, insbesondere die Höhe der verhängten Strafe, die Schwere der konkreten Straftat, die Umstände ihrer Begehung und das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts ebenso wie die Persönlichkeit des Täters und seine Entwicklung und Lebensumstände bis zu dem maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt. Dabei ist die der gesetzlichen Regelung zugrundeliegende Wertung zu beachten, dass schwerwiegende Straftaten typischerweise mit einem hohen Wiederholungsrisiko verknüpft sind. Dies gilt in besonderem Maße für schwere Rauschgiftdelikte, namentlich dem illegalen Heroinhandel, der regelmäßig mit einer hohen kriminellen Energie verbunden ist und in schwerwiegender Weise Gesundheit und Leben anderer Menschen gefährdet (vgl. BVerwG, U. v. 16.11.2000 – 9 C 6.00 – InfAuslR 2001, 194/195 zu § 51 Abs. 3 AuslG 1990).
Die Aussetzung der Strafe eines inhaftierten Ausländers nach Teilverbüßung gemäß § 57 Abs. 1 StGB hat für die ausländerrechtliche Prognose erhebliches tatsächliches Gewicht und stellt ein wesentliches Indiz dar. Sie begründet aber keine Vermutung für das Fehlen der Rückfallgefahr. Vorzeitige Haftentlassung und Ausweisung verfolgen unterschiedliche Zwecke und unterliegen deshalb unterschiedlichen Regeln. Bei einer Strafaussetzung zur Bewährung gemäß § 57 Abs. 1 StGB, bei der Resozialisierungsgesichtspunkte im Vordergrund stehen, ist zu ermitteln, ob der Straftäter das Potenzial hat, sich während der Bewährungszeit straffrei zu führen. Dagegen geht es bei einer ausweisungsrechtlichen Gefahrenprognose z.B. im Rahmen von § 53 Abs. 3 AufenthG, darum, ob es dem Ausländer gelingen wird, längerfristig und damit über die Bewährungszeit hinaus ein straffreies Leben zu führen. Deshalb haben die zuständigen Behörden und Verwaltungsgerichte eine eigenständige Prognose über die Wiederholungsgefahr zu treffen, sind an die Feststellungen und Beurteilungen der Strafgerichte und die ihnen zugrundeliegenden Gutachten und sonstigen Stellungnahmen, etwa der Justizvollzugsanstalt, nicht gebunden und haben auch den Strafgerichten nicht bekannte oder von ihnen nicht beachtete Umstände des Einzelfalls heranzuziehen. Dabei können sie sowohl aufgrund einer anderen Tatsachengrundlage als auch aufgrund einer anderen Würdigung zu einer abweichenden Prognoseentscheidung gelangen (grdl. BVerwG, U. v. 16.11.2000 – 9 C 6.00 – BVerwGE 112,185/193 = InfAuslR 2001, 194/197; seither st.Rspr.; eingehend zu den Unterschieden zwischen Strafrestaussetzung und Ausweisung BayVGH, B. v. 02.05.2017 – 19 CS 16.2466 – juris Rn. 4 – 14).
Auch rechtstreues Verhalten des Ausländers während der Haft und nach einer vorzeitigen Haftentlassung hat tatsächlich erhebliches Gewicht, genügt aber für sich genommen nicht. Maßgeblich ist vielmehr, ob der Ausländer zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung zusätzlich auch auf andere Integrationsfaktoren verweisen kann (BayVGH, B. v. 14.01.2019 – 10 ZB 18.1414 – juris Rn.10).
Was den Kläger betrifft, geht das Gericht davon aus, dass ernsthaft zu befürchten ist, dass es ihm nicht gelingen wird, längerfristig ein straffreies Leben zu führen, sondern dass er erneut Straftaten begehen wird, die ein vergleichbares Gewicht haben werden wie die von ihm verübten Drogendelikte. Zu dieser Einschätzung der von ihm ausgehenden Wiederholungsgefahr kommt das Gericht insbesondere wegen der Schwere von ihm begangenen Straftaten, der Art und Weise der Tatbegehung, der Höhe der verhängten Strafe, der Entwicklung und der Lebensumstände des Klägers, insbesondere auch seit seiner Haftentlassung bis zur Entscheidung des Gerichts und der aus seinem Verhalten erkennbaren Persönlichkeit.
Für eine erhöhte Wiederholungsgefahr spricht zunächst die hohe und deshalb umso wahrscheinlicher weiterhin vorhandene kriminelle Energie, die der Kläger bei der Begehung der Straftaten an den Tag gelegt hat. Der Kläger, der nach den Erkenntnissen des vom Landgericht H** herangezogenen Gutachter selbst nicht drogenabhängig ist, hat die Straftaten nicht begangen, um sich selbst Rauschmittel zu beschaffen oder weil er mit dem Geld seinen eigenen suchtbedingten Drogenkonsum finanzieren wollte, sondern er hat allein deshalb gehandelt, um seinen Lebenswandel damit zu finanzieren. Dabei hat er nicht als Einzeltäter agiert, sondern zusammen mit syrischen Landsleuten ein regelrechtes Drogennetzwerk im größeren Stil aufgebaut. Die vier einzelnen Tathandlungen hat er in einem knappen Monat begangen und nur deshalb aufgehört, weitere Betäubungsmitteldelikte zu verüben, weil er festgenommen wurde.
Auch die Höhe der verhängten Strafe deutet darauf hin, dass der Kläger Straftaten von erheblichem Gewicht begangen hat. Zwar hat das Landgericht H** in seinem Urteil vom 18.11.2018 einen minderschweren Fall angenommen, weil es den Tatbeitrag des Klägers als Beihilfe einstufte und ihm seine Aufklärungshilfe in einem Bereich der Kriminalität, in dem nur schwer zu ermitteln ist, zugutehielt. Dennoch sprach die Strafkammer aber eine für einen Ersttäter hohe Freiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten aus.
Darüber hinaus sprechen die Lebensumstände des – auch für seine Prozessbevollmächtigte nicht erreichbaren Klägers – insbesondere seit seiner Strafentlassung am 08.07.2019, soweit sie dem Gericht bekannt sind, dagegen, dass er auf längere Sicht gesehen straffrei bleiben wird.
Wie sich aus dem Bericht seines Bewährungshelfers vom 21.08.2020 und dem bei den Akten befindlichen Arbeitsvertrag ergibt, hat der Kläger inzwischen nach über einjähriger Suche, in der er öffentliche Leistungen bezog, ab 30.06.2020 eine Anstellung bei einer Zeitarbeitsfirma gefunden. Dabei geht das Gericht zu seinen Gunsten davon aus, dass der Kläger, der nach Lage der Akten nur eine Zusatzvereinbarung unterschrieben hat, auch den eigentlichen Arbeitsvertrag abgeschlossen hat. Eine nachhaltige Sicherung des Lebensunterhalts ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel i.S. v. § 2 Abs. 3 Satz 1 AufenthG hat der Kläger damit aber nicht nachgewiesen. Denn das Arbeitsverhältnis ist von vornherein bis 18.12.2020 befristet. Da die Erwerbstätigkeit nur mit dem Mindestlohn vergütet wird, dürfte es dem Kläger darüber hinaus auch finanziell schwer fallen, davon auch nach und nach seine hohen Schulden i. H. v. 10.000 € zu begleichen.
Ganz besonders gegen den Kläger fällt jedoch ins Gewicht, dass er sich mit aller Macht wieder bemüht, seinen Lebensmittelpunkt in die Stadt H** zu verlagern. Im Bereich der Beklagten hielt er sich seit Ende Oktober 2015 auf, verbüßte seine Freiheitsstrafe in der JVA H** und war nach der Haftentlassung ab 09.07.2019 in Hof gemeldet, bevor ihm die Gemeinschaftsunterkunft in W* …, das eine Autostunde von H** entfernt ist, als Wohnsitz zugewiesen wurde. Auch im Hinblick darauf, dass er dort zu seinen Mitbewohnern keinen Kontakt fand, ging er gegen die Zuweisungsentscheidung gerichtlich vor, jedoch ohne Erfolg. In der Folgezeit bleib er mehrmals der zugewiesenen Unterkunft so lange fern, dass er ab- und einige Zeit später wieder angemeldet wurde. Eine Arbeitsstelle trat er nicht im Raum W* …, sondern bei einer … Firma an, die ihn in seinem ersten Arbeitseinsatz in M* … (Landkreis H**) einsetzte. Die Gelegenheit zum täglichen Transport von W* … an seinen jeglichen Einsatzort nahm er nicht wahr, sondern orientierte sich wieder Richtung H**. Das wird nicht zuletzt daran deutlich, dass er gegenüber seiner Prozessbevollmächtigten als Anschrift zwei Adressen von Bekannten aus H** angab.
Wie auch die Regierung von Oberfranken bei ihrer Zuweisungsentscheidung vom 01.08.2019 nach W* … zugrunde gelegt hat, ist seine Resozialisierung jedoch gefährdet, wenn er in den sozialen Empfangsraum Stadt H** zurückkehrt. Zudem spricht sein erkennbarer Drang, wieder nach H** und damit in das für ihn schon einmal kriminalitätsfördernde Milieu der dortigen Drogenszene, in der sich insbesondere auch syrische Landsleute bewegen, zurückzukehren, dafür, dass bei ihm ernsthaft mit weiteren Straftaten zu rechnen ist.
Nicht außer Betracht bleiben kann weiter die Persönlichkeit des Klägers, wie sie sich aus seinem Verhalten ablesen lässt.
Der Kläger schert sich ersichtlich nicht darum, dass er, nicht zuletzt auch aus wohlverstandenen kriminalitätspräventiven Gründen, verpflichtet ist, gerichtlich überprüft, seinen Wohnsitz in W* … zu nehmen.
Weiter hat er zwar seit seiner Haftentlassung seine Bewährungsauflagen erfüllt und keine weiteren Straftaten begangen, die zum Bewährungswiderruf geführt hätten. Nachdem er sich vor Ort in Griechenland um seine Schwester gekümmert hat, machte er sich mit seiner (Wieder-) Einreise ins Bundesgebiet gem. § 95 Abs. 2 Nr.1 i.V. m. § 14 Abs. 1 Nr. 3, § 11 Abs. 1 Satz 2 AufenthG, der die Einreise trotz bestehenden Einreiseverbots unter Strafe stellt, strafbar. Dieser Straftatbestand geht im Übrigen dem ebenfalls erfüllten Straftatbestand der unerlaubten Einreise ohne das für einen Aufenthalt im Bundesgebiet erforderliche Visum (§ 95 Abs. 1 Nr.2 i.V.m. § 14 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG) vor (vgl. dazu BayOblG, B. v. 23.09.2004 – 4 St RR 113/04 – NStZ-RR 2005, 20/20 zur Vorgängervorschrift § 92 Abs. 1 Nr. 6 AuslG).
Schließlich zeigt er an seiner aufenthaltsrechtlichen Lage ein erhebliches Desinteresse. Zwar hat er gegen seine Ausweisung Klage erheben lassen, in der Folge dann aber seiner Prozessbevollmächtigten gegenüber deutlich gemacht, er verstehe nicht, warum er ausgewiesen werde, wenn er doch ohnehin nicht nach Syrien abgeschoben werden könne. Obwohl er damit rechnen musste, dass eine mündliche Verhandlung in dem Klageverfahren terminiert würde, war er vom 04.09.2020, als die Ladung seiner Prozessbevollmächtigten zuging, bis 30.09.2020 weder schriftlich noch per E-Mail noch telefonisch für seine Prozessbevollmächtigte erreichbar und konnte nicht über die Ladung informiert werden. Deshalb hat er die Gelegenheit nicht genutzt, vom Gericht informatorisch angehört zu werden und dabei Integrationsfaktoren zu seinen Gunsten, um das Gericht ggf. von einer erheblichen Minderung einer Wiederholungsgefahr bzgl. weiterer Straftaten zu überzeugen.
Auch wenn das Landgericht H** – Strafvollstreckungskammer mit Beschluss vom 28.05.2019 die Reststrafe des Klägers mit einer Bewährungsfrist von drei Jahren zur Bewährung ausgesetzt hat, prognostiziert das Gericht deshalb aus aufenthaltsrechtlicher Sicht unter Einbeziehung der weiteren Entwicklung bis 30.09.2020, dass vom Kläger jedenfalls längerfristig eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit ausgeht. Dabei schließt sich das Gericht insbesondere nicht der Einschätzung der Strafvollstreckungskammer an, es spreche für ein stabiles Umfeld des Klägers, wenn er zu einem Freund in H* …ziehe, sondern wertet das Bemühen des Klägers, in das für ihn kriminogene Milieu in H** zurückzukehren, zu seinen Lasten.
ddd) Die Voraussetzungen für ein besonders schwer oder ein schwer wiegendes Bleibeinteresse i. S. v. § 55 AufenthG liegen nicht vor. Insbesondere greift § 55 Abs. 2 Nr.2 AufenthG nicht ein. Der Kläger hält sich zwar inzwischen seit seiner Einreise am 14.09.2015 fünf Jahre im Bundesgebiet auf. Jedoch besitzt er schon deshalb keine Aufenthaltserlaubnis, weil sein Aufenthaltstitel am 12.02.2019 nach Ablauf seiner dreijährigen Geltungsdauer gem. § 51 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG erloschen ist und er erst am 08.07.2019, also nicht rechtzeitig vor Ablauf die Verlängerung beantragt hat.
eee) Bei der Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an seiner Ausweisung und dem Bleibeinteresse des Klägers überwiegt, wie die Beklagte ausgeführt hat, auch unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit das Ausweisungsinteresse.
aaaa) Für den Kläger, der kein vertyptes Bleibeinteresse nach § 55 AufenthG für sich ins Feld führen kann, spricht, dass er sich nach Angaben seiner Prozessbevollmächtigten und seines Bewährungshelfers, sprachlich integriert hat und inzwischen recht gut Deutsch spricht. Während seiner Inhaftierung, die ihn laut JVA H** als Erstverbüßer nachhaltig beeindruckt hat, kam es zu keinen Beanstandungen. Nach längerem Suchen hat er inzwischen eine befristete Arbeitsstelle als Hilfskraft gefunden. Seinen Bewährungsauflagen, insbesondere der Drogenabstinenz, ist er bislang nachgekommen. Weiter hat er seit der Entlassung aus der Haft am 08.07.2019 keine Straftaten begangen, die zu einem Bewährungswiderruf geführt haben.
bbbb) Schwerer wiegen demgegenüber jedoch, wie die Beklagte zu Recht angenommen hat, die für eine Ausweisung sprechenden Gründe. Der Kläger hat nach einem wenig mehr als zweijährigem Aufenthalt als Teil eines aus Syrern bestehenden Netzwerks von H** aus rasch hintereinander in vier Fällen, um seinen Lebensunterhalt zu finanzieren, schwerwiegende Betäubungsmittelstraftaten begangen und dabei eine beträchtliche kriminelle Energie an den Tag gelegt, die befürchten lässt, dass er erneut Straftaten verüben wird, wenn er wieder Anschluss an das entsprechende Milieu findet. Von seinem früheren Bekanntenkreis hat sich der Kläger, der nur für Mindestlohn befristet beschäftigt ist und als Hilfskraft keine lukrative berufliche Perspektive hat, nicht losgesagt. Vielmehr strebt er, nachdem er in W* … keine stabilen Kontakte knüpfen konnte, mit aller Macht nach H** zurück. Schließlich nährt auch sein laxer Umgang mit seiner Wohnsitzverpflichtung und der Erreichbarkeit für seine Prozessbevollmächtigte die Erwartung, dass er, insbesondere nach Ablauf der Bewährungszeit, eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit darstellen wird.
cccc) Die aus spezialpräventiven Gesichtspunkten für das Überwiegen des Ausweisungsinteresses sprechenden Gründe verlieren nicht deshalb ihre Bedeutung, weil der Kläger wegen der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht in sein Heimatland abgeschoben werden kann.
Eine Ausweisung kann ihren ordnungsrechtlichen Zweck auch dann erreichen, wenn sie nur zur Verschlechterung der aufenthaltsrechtlichen Position des Ausländers im Bundesgebiet führt („inlandsbezogene Ausweisung“) und ist deshalb nicht von vornherein unverhältnismäßig (BVerwG, U. v. 31,08.2004 – 1 C 25.03 – BVerwGE 121,356 = InfAuslR 2005, 49/51). Dies gilt insbesondere dann, wenn die Ausweisung verhaltenssteuernde Wirkung entfaltet (BayVGH, U. v.28.06.2016 – 10 B 15.1854 – juris Rn. 41).
Die Ausweisung des Klägers führt gem. § 25 Abs. 2 Satz 2 i.V. m. § 25 Abs. 1 Satz 2 AufenthG dazu, dass ihm nach Ablauf der Aufenthaltserlaubnis gem. § 25 Abs. 2 Satz 1 AufenthG am 12.02.2019 auf seinen (verspäteten) Antrag vom 16.07.2019 hin keine neue Aufenthaltserlaubnis gem. § 25 Abs. 2 Satz 1 AufenthG erteilt werden darf. Stattdessen ist ihm im Hinblick darauf, dass seine Abschiebung rechtlich unmöglich ist, eine Duldung gemäß § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG zu erteilen und darüber eine Bescheinigung nach § 60a Abs. 4 AufenthG auszustellen (Maaßen/Kluth, in: Kluth/Heusch, BeckOKAuslR, Stand: 01.07.2020, § 25 AufenthG Rn.8.2.). Ist der Aufenthalt des Klägers nicht mehr länger erlaubt und damit rechtmäßig, sondern nur noch geduldet und damit rechtswidrig, aber nicht strafbar, verschlechtert sich die Rechtsposition des Klägers erheblich.
Auch eine inlandsbezogene Ausweisung vermag sein Handeln zu beeinflussen und kann dazu beitragen, dass er nicht wieder straffällig wird. Denn will er ausgehend vom Status als geduldeter Ausländer, in den er nach dem Verlust des bisherigen Aufenthaltstitels versetzt wurde, wieder einen Aufenthaltstitel z.B. gem. § 25 Abs. 2 AufenthG erhalten, darf der spezielle Ausschlussgrund in § 25 Abs. 2 Satz 2 i.V. m. § 25 Abs. 1 Satz 2 AufenthG nicht (länger) entgegenstehen. Voraussetzung dafür ist, dass die Frist für die Wirkungen der Ausweisung gem. § 11 Abs. 1 AufenthG abgelaufen ist oder gem. § 11 Abs. 4 AufenthG vorzeitig beendet wurde und keine weitere Ausweisung verfügt wurde, die zu einer erneuten Erteilungssperre führen würde (zum Verhältnis von § 25 Abs. 2 Satz 2 i.V. m. § 25 Abs. 1 Satz 2 AufenthG und § 11 Abs. 1 AufenthG U. v. 06.03.2014 – 1 C 2.13 – InfAuslfR 2014, 223 Rn.10). Dass die Frist für die Titelerteilungssperre auf Antrag verkürzt wird oder dass keine neue Frist zu laufen beginnt, kann der Kläger nur erreichen, wenn er keine weiteren Straftaten begeht (in diesem Sinne BayVGH, U. v. 28.06.2016 – 10 B 15.1854 – juris Rn. 41).
c) Die Androhung der Abschiebung nach Ablauf der Frist für die freiwillige Ausreise (Ziff. 3 des Bescheides) ist ebenfalls rechtmäßig. Sie findet ihre Rechtsgrundlage in § 59 Abs. 1
AufenthG. Insbesondere ist der Kläger gem. § 50 Abs. 1 AufenthG ausreisepflichtig, weil er gem. § 51 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG nach Erlöschen seiner Aufenthaltserlaubnis durch Ablauf ihrer Geltungsdauer am 10.02.2019 keine Aufenthaltserlaubnis mehr besitzt. Zu Recht hat die Beklagte auch gem. § 59 Abs. 3 Satz 1 AufenthG Syrien als den Staat bezeichnet, in den der Kläger nicht abgeschoben werden kann.
d) Die Anfechtungsklage hat auch keinen Erfolg, sofern der Kläger damit das Einreise- und Aufenthaltsverbot für fünf Jahre (Ziff. 4) angreift. Denn die Verhängung des Einreise- und Aufenthaltsverbots für diese Dauer ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
aa) Die Beklagte hat zwar, anders als gem.11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG, § 11 Abs. 2 Satz 1 AufenthG n.F. seit 21.08.2019 gesetzlich vorgeschrieben, ein Einreise- und Aufenthaltsverbot nicht gesondert angeordnet. Ziff. 4 des Bescheides ist deshalb aber nicht rechtswidrig. Denn bei Befristungsentscheidungen vor Inkrafttreten der gesetzlichen Neufassung ordnete die Ausländerbehörde, wenn sie ein Einreise- und Aufenthaltsverbot von bestimmter Dauer verhängte, zugleich konstitutiv ein Einreise- und Ausreiseverbot an (BVerwG, U. v. 21.08.2018 – 1 C 21.17 – BVerwGE 162,382 = InfAuslR 2019, 3 jew. Rn.25).
bb) Bei der Bemessung der Dauer der Frist auf fünf Jahre hat die Beklagte das ihr gemäß § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG eingeräumte Ermessen dem Zweck der gesetzlichen Ermächtigung entsprechend ausgeübt, insbesondere die gesetzliche Sollgrenze von zehn Jahren bei Ausweisung wegen strafrechtlichen Verurteilungen beachtet und sich nachvollziehbar bemüht, einen Ausgleich zu finden zwischen den persönlichen Belangen des Klägers und dem öffentlichen Interesse an der Verhütung von ihm weiterhin zu befürchtender Gefahren.
3. Die Klage ist auch unbegründet, soweit begehrt wird, die Beklagte zu verpflichten, dem Kläger eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen. Denn die Ablehnung des begehrten Verwaltungsaktes war nicht rechtswidrig und der Kläger wurde deshalb nicht in seinen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
a) Die Beklagte ist für das Klageverfahren zwar passiv legitimiert.
Zwar ist zum maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung grundsätzlich der Freistaat Bayern, vertreten durch das Landratsamt L* …, und nicht mehr die Beklagte für die Erteilung der erstrebten Aufenthaltserlaubnis zuständig, weil der Kläger nach seiner Haftentlassung seit 01.08.2019 in der Gemeinschaftsunterkunft in W* … und damit im Bezirk der Ausländerbehörde L* … zu wohnen hat (§ 6 Abs. 1 Satz 2 ZustVAuslR).
Gem. Art. 3 Abs. 3 BayVwVfG kann aber, wenn sich im Lauf des Verwaltungsverfahrens die die Zuständigkeit begründenden Umstände ändern, die bisher zuständige Behörde das Verwaltungsverfahren fortführen, wenn dies unter Wahrung der Interessen der Beteiligten der einfachen und zweckmäßigen Durchführung des Verfahrens dient und die nunmehr zuständige Behörde zustimmt.
Das Verwaltungsverfahren ist hier noch nicht abgeschlossen, weil es bei einem Verpflichtungsbegehren erst seinen Abschluss findet, wenn über das Begehren unanfechtbar entschieden worden ist. Deshalb ist Art. 3 Abs. 3 BayVwVfG auch anwendbar, wenn die Änderung erst während des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens eingetreten ist (BVerwG, U. v. 24.05.1995 – 1 C 7.94 – NVwZ 1995,1131/1132). Die Fortführung des Klageverfahrens durch die Beklagte,
die die notwendigen Ermittlungen getroffen und auf deren Grundlage über die Ausweisung des Klägers und die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis entschieden hatte, ist auch einfach und zweckmäßig. Schließlich liegt auch die Zustimmung des Landratsamtes L* … vom 28.08.2019 vor.
b) Die Klage hat allerdings keinen Erfolg, weil der Kläger keinen Anspruch auf die begehrte erneute Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25 Abs. 2 Satz 1 AufenthG hat.
§ 25 Abs. 2 Satz 2 i.V. m. Abs. 1 Satz 2 AufenthG verbietet der Ausländerbehörde einen Aufenthaltstitel zu erteilen, wenn der Ausländer auf Grund eines besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteresses nach § 54 Abs. 1 AufenthG ausgewiesen worden ist.
Dieses gegenüber § 11 Abs. 1 Satz 2 3. Alt. AufenthG speziellere Titelerteilungsverbot greift bereits ein, wenn die Ausweisung verfügt wurde, aber noch nicht bestandkräftig ist oder für sofort vollziehbar erklärt wurde (Röcker in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 13. Aufl. 2020, § 25 AufenthG Rn. 19f.). Das Verbot, eine Aufenthaltserlaubnis gem. § 25 Abs. 2 AufenthG zu erteilen, ist aber kein dauerhaft wirkender Ausschlusstatbestand, sondern steht nach Ablauf der Frist des im Zusammenhang mit der Ausweisung gem. § 11 Abs. 1 und 3 Satz 1 AufenthG erlassenen und grundsätzlich ab der Ausreise befristeten Einreise- und Aufenthaltsverbots gem. § 11 Abs. 1 AufenthG der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gem. § 25 Abs. 2 AufenthG nicht mehr entgegen (BVerwG, U. v..06.03.2014 – 1 C 2.13 – InfAuslR 2014, 223 Rn.10). Bei einer inlandsbezogenen Ausweisung, bei der die Ausreise aus rechtlichen Gründen unzumutbar ist, kann der Beginn der Frist für das Verbot jedoch ausnahmsweise nicht, wie § 11 Abs. 2 Satz 4 AufenthG vorsieht, an die Ausreise geknüpft werden, weil ansonsten die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis auf unabsehbare Zeit versagt werden müsste. Deshalb beginnt die Frist für die Wiedererteilung einer Aufenthaltserlaubnis, wie die Beklagte in Ziffer 4 des Bescheides zu Recht verfügt hat, aus Gründen der Verhältnismäßigkeit ab Bestandskraft der Ausweisungsverfügung zu laufen (OVG Lüneburg, B. v. 16.01.2017 – 13 LA 43/15 – juris Rn. 6).
III) Als unterliegender Teil trägt der Kläger gem. § 154 Abs. 1 VwGO die Kosten des Verfahrens. Die vorläufige Vollstreckbarkeit richtet sich nach § 167 Abs. 1 und 2 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, § 711 Satz 1 ZPO.

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