Verwaltungsrecht

Fehlerhafte Ermessensausübung bei einer Wohnsitzzuweisung

Aktenzeichen  B 4 S 17.66

Datum:
15.3.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG AufenthG § 12a Abs. 2 S. 1
VwGO VwGO § 166
ZPO ZPO § 114 Abs. 1 S. 1

 

Leitsatz

1. Der zwischenzeitliche Auszug aus der Gemeinschaftsunterkunft als einer vorübergehenden Unterkunft und der Einzug in eine reguläre Wohnung zur Untermiete lässt die Rechtmäßigkeit einer Wohnsitzzuweisung iSv § 12a Abs. 2 S. 1 AufenthG scheitern. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine Wohnsitzzuweisung ist nicht erforderlich, wenn die Ausführungen in den Gründen des Bescheides allgemein gehalten und nur die generelle integrationspolitische Eignung des zugewiesenen Landkreises begründen, nicht jedoch u.a. eine fortgeschrittene sprachliche Integration berücksichtigt. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Dem Antragsteller wird Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt … beigeordnet.
2. Die aufschiebende Wirkung der Klage vom 31.01.2017 gegen den Bescheid vom 05.01.2017 wird angeordnet.
3. Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.
4. Der Streitwert wird auf 2.500,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Dem Antragsteller iranischer Staatsangehörigkeit wurde mit Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt), bestandskräftig seit dem 28.11.2016, die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt.
Mit Schreiben vom 16.12.2016 forderte die Regierung von Unterfranken den Antragsteller auf, die Gemeinschaftsunterkunft Forchheim bis spätestens 16.01.2017 zu verlassen und für seine Wohnungssuche eine eventuelle Wohnsitzregelung nach § 12a AufenthG zu beachten.
Mit Schreiben vom 19.12.2016 hörte die Regierung von Oberfranken den Antragsteller zur beabsichtigten Wohnsitzzuweisung (Landkreis Forchheim) an.
Mit Bescheid vom 05.01.2017 verpflichtete die Regierung von Oberfranken den Antragsteller, seinen Wohnsitz im Landkreis Forchheim zu nehmen, gestützt auf § 12a Abs. 2 AufenthG und § 8 DVAsyl.
Dagegen hat der Antragsteller mit Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten vom 31.01.2017, beim Verwaltungsgericht Bayreuth an diesem Tag auch eingegangen, Klage erhoben und gleichzeitig beantragt,
die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen sowie dem Antragsteller Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt … zu bewilligen.
Zur Begründung wird geltend gemacht, die Voraussetzungen für den Erlass eines Bescheides nach § 12a AufenthG lägen nicht vor, da der Antragsteller, der deutsche Sprachkenntnisse auf dem Niveau „B1+ Beruf“ und „B2“ nachgewiesen und sich beim Bundesamt als Dolmetscher und Übersetzer für die Sprache Farsi beworben habe, bereits nachhaltig in die Lebensverhältnisse in der Bundesrepublik Deutschland integriert sei. Die Begründung des Bescheides setze sich lediglich aus Textbausteinen zusammen, die in keiner Weise auf den Antragsteller eingingen.
Mit Schriftsatz vom 17.02.2017 erwiderte die Regierung von Oberfranken, zum Zeitpunkt der Wohnsitzzuweisung hätten ihr keine Unterlagen vorgelegen, nach denen von einer Wohnsitzzuweisung nach § 12a Abs. 2 AufenthG hätte abgesehen werden können.
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte Bezug genommen.
II.
1. Der Antragsteller erhält gemäß § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 114 Absatz 1 Satz 1 ZPO auf seinen Antrag Prozesskostenhilfe, weil er nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht aufbringen kann und die beabsichtigte Rechtsverfolgung aus den nachfolgend dargestellten Gründen hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Die Beiordnung eines Rechtsanwalts beruht auf § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 121 Abs. 2 ZPO.
2. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage vom 31.01.2017 gegen den Bescheid vom 05.01.2017 ist zulässig und begründet.
2.1 Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Anfechtungsklage gegen die auf § 12a Abs. 2 Satz 1 AufenthG gestützte Verpflichtung des Antragstellers zur Wohnsitznahme im Landkreis Forchheim ist zulässig, insbesondere statthaft. Gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO in Verbindung mit § 12a Abs. 8 AufenthG hat die Anfechtungsklage gegen Verpflichtungen nach § 12a Abs. 2 bis 4 AufenthG keine aufschiebende Wirkung. In diesem Fall kann das Gericht der Hauptsache gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO auf Antrag die aufschiebende Wirkung anordnen.
2.2 Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ist begründet, weil das Interesse des Antragstellers, bis zur Entscheidung in der Hauptsache seinen Wohnsitz (unabhängig von den Aufhebungsvoraussetzungen des § 12a Abs. 5 AufenthG) außerhalb des Landkreises Forchheim nehmen zu dürfen, das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der Wohnsitzzuweisung überwiegt. Ausschlaggebend für das Ergebnis der gebotenen Interessenabwägung sind insbesondere die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache. Nach summarischer Prüfung hat die Anfechtungsklage gegen den Bescheid vom 05.01.2017 Aussicht auf Erfolg, weil dieser mit überwiegender Wahrscheinlichkeit rechtswidrig ist und den Antragsteller in seinen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO), und zwar unabhängig davon, ob man für die Beurteilung der Erfolgsaussichten auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Entscheidung über den Eilantrag oder auf die Sach- und Rechtslage bei Erlass des Bescheides vom 05.01.2017 abstellt.
Gemäß § 12a Abs. 2 Satz 1 AufenthGkann ein Ausländer, der der Verpflichtung nach § 12a Abs. 1 AufenthG unterliegt und der in einer Aufnahmeeinrichtung oder anderen vorübergehenden Unterkunft wohnt, innerhalb von sechs Monaten nach Anerkennung oder Aufnahme längstens bis zum Ablauf der nach Absatz 1 geltenden Frist zu seiner Versorgung mit angemessenem Wohnraum verpflichtet werden, seinen Wohnsitz an einem bestimmten Ort zu nehmen, wenn dies der Förderung seiner nachhaltigen Integration in die Lebensverhältnisse der Bundesrepublik Deutschland nicht entgegensteht.
Als Flüchtling im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG unterliegt der Antragsteller der Verpflichtung des § 12a Abs. 1 Satz 1 AufenthG, zur Förderung seiner nachhaltigen Integration in die Lebensverhältnisse der Bundesrepublik Deutschland für den Zeitraum von drei Jahren ab Anerkennung im Freistaat Bayern seinen gewöhnlichen Aufenthalt (Wohnsitz) zu nehmen.
Stellt man für die Beurteilung der Erfolgsaussichten der Klage auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Entscheidung über den Eilantrag ab, scheitert die Rechtmäßigkeit der Wohnsitzzuweisung bereits daran, dass der Antragsteller zwischenzeitlich nicht mehr in der Gemeinschaftsunterkunft als einer vorübergehenden Unterkunft wohnt, sondern, wie sich aus dem Bewilligungsbescheid des Jobcenters Forchheim vom 13.01.2017 ergibt, zur Untermiete in einer regulären Wohnung.
Bei Erlass des Bescheides vom 05.01.2017 wohnte der Antragsteller zwar noch in der Gemeinschaftsunterkunft. Auch wenn damit die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 12a Abs. 2 Satz 1 AufenthG am 05.01.2017 erfüllt waren, war die Zuweisungsentscheidung dennoch rechtswidrig, weil das Ermessen fehlerhaft ausgeübt wurde.
§ 12a Abs. 2 Satz 1 AufenthG ermächtigt die zuständige Behörde, nach ihrem Ermessen zu handeln („kann“). In diesem Fall prüft das Gericht gemäß § 114 Satz 1 VwGO auch, ob der Verwaltungsakt rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist.
Als Zweck der Ermächtigung bestimmt § 12a Abs. 2 Satz 1 AufenthG die Versorgung des Ausländers mit angemessenem Wohnraum. In der Gesetzesbegründung wird hierzu Folgendes ausgeführt (BT-Drucks. 18/8615, Seite 45):
„Absatz 2 ermöglicht es den Landesbehörden, vorübergehenden und damit per se integrationshemmenden Wohnverhältnissen in Aufnahmeeinrichtungen nach § 44 AsylG oder anderen vorübergehenden Unterkünften innerhalb kurzer Frist abzuhelfen. Der integrationspolitische Mehrwert der Regelung nach Absatz 2 liegt daher in der Schaf-fung der in dieser Situation vordringlichen Grundlage für erfolgreiche Integration, nämlich einer regulären Wohnunterbringung in der Aufnahmegesellschaft. Dabei darf die Zuweisungsentscheidung einer erfolgreichen Integration nicht entgegenstehen. Durch die Bezugnahme auf Absatz 1 wird dabei verdeutlicht, dass auch andere integrationspolitisch relevante Kriterien, wie etwa die Aussichten einer Integration in den Ausbildungs- und Arbeitsmarkt oder die Möglichkeit des Erwerbs der deutschen Sprache, in der Entscheidung nicht außer Acht gelassen werden dürfen.“
Gemessen an dieser Zielsetzung war die Zuweisungsentscheidung am 05.01.2017 unverhältnismäßig und damit ermessensfehlerhaft, weil sie für die Versorgung des Antragstellers mit angemessenem Wohnraum unter Berücksichtigung auch anderer integrationspolitisch relevanter Kriterien zwar geeignet, aber nicht erforderlich war. Es lagen weder Anhaltspunkte dafür vor, dass der Antragsteller bis zum Ablauf der von der Regierung von Unterfranken eingeräumten Frist (16.01.2017) – im Landkreis Forchheim oder an einem anderen Ort – keinen regulären Wohnraum finden würde, noch für eine Absicht des Antragstellers, an einen unter anderen Gesichtspunkten integrationspolitisch ungeeigneten Ort zu ziehen. Auch eine besondere Eignung gerade des Landkreises Forchheim – im Unterschied zu anderen Orten mit vergleichbaren Bedingungen – für die Integration des Antragstellers aufgrund seiner konkreten individuellen Situation wird nicht dargelegt. Die Ausführungen in den Gründen des Bescheides sind allgemein gehalten und begründen nur die generelle integrationspolitische Eignung des Landkreises Forchheim. So steht außer Frage, dass die örtlichen Verhältnisse im Landkreis Forchheim ein adäquates Angebot an Integrationsmöglichkeiten bieten, wie etwa zum Spracherwerb oder zur Beschulung. Die Aussage, dass der Antragsteller diese Integrationsmöglichkeiten zur Bewältigung seiner mit der Integration verbundenen Herausforderungen nutzen könne, berücksichtigt allerdings nicht, dass der 25-jährige Antragsteller bereits über das Deutsch-Zertifikat B1+ Beruf verfügt (die B2-Prüfung am 13.05.2016 hatte er nicht bestanden), seine sprachliche Integration also schon fortgeschritten ist. Ebenfalls außer Frage steht die allgemeine Feststellung, dass im Landkreis Forchheim ein hinreichendes Angebot von Ausbildungs- und Arbeitsplätzen zur Verfügung steht, welches es dem Antragsteller – gegebenenfalls nach Nutzung vorqualifizierender Maßnahmen – ermöglicht, Schritt für Schritt am Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. Warum aber gerade der Landkreis Forchheim besser für die berufliche Integration des Antragstellers geeignet sein soll als ein anderer Ort mit angemessenem Wohnraum, wird nicht dargelegt. Die generelle integrationspolitische Eignung des Landkreises Forchheim bedeutet nur, dass der Förderung der nachhaltigen Integration in die Lebensverhältnisse der Bundesrepublik Deutschland eine Verpflichtung zur Wohnsitznahme an diesem Ort nicht entgegensteht (§ 12a Abs. 2 Satz 1 letzter Halbsatz AufenthG). Sie reicht aber allein nicht aus, um eine solche Zuweisungsentscheidung zu rechtfertigen.
Davon abgesehen erstreckt sich das Gebot der Ermessensausübung nicht nur auf das „Ob“ einer Wohnsitzzuweisung, sondern gegebenenfalls auch auf den Zeitraum („längstens“). Ermessenserwägungen zur Dauer der Verpflichtung enthält der Bescheid vom 05.01.2017 nicht. Der diesbezügliche Tenor des Bescheides (Ziffer 1) ist zunächst unbestimmt, weil danach die Verpflichtung „längstens“ für den Zeitraum von 3 Jahren ab Bekanntgabe des Bescheides des Bundesamtes (also vielleicht auch für einen kürzeren Zeitraum?) gilt. Aus den Gründen (II. 2.) ergibt sich dann – wohl in Anlehnung an § 12a Abs. 1 Satz 1 AufenthG – der verbindliche Zeitraum von 3 Jahren, wobei die Möglichkeit, die zusätzliche Verpflichtung des § 12a Abs. 2 Satz 1 AufenthG für einen kürzeren Zeitraum anzuordnen, nicht in Betracht gezogen wird (Ermessensdefizit).
3. Nach alledem wird die aufschiebende Wirkung der Klage mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO, wonach die Antragsgegnerin als unterliegender Teil die Kosten des Verfahrens trägt, angeordnet.
4. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 und 2 GKG (halber Auffangstreitwert).

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